Regest

Gustav Schreiner, Prof. der Statistik und der politischen Wissenschaften, informiert seinen Neffen Joseph Alexander Helfert über die Affäre um Cornelius Bock in Graz. Schreiner hat Bock vor kurzem persönlich kennengelernt. Schon zuvor hatte er von seinen Bekannten erfahren, dass Bock ein angesehener Gelehrter sei, der in der katholischen Welt einen ausgezeichneten Ruf genieße und vom Erzbischof von Freiburg protegiert werde. In Graz wurde Bock von Johann Baptist Weiß dem Historischen Verein empfohlen und dieser hat jenen auch in einige einflussreiche Familien eingeführt. Als er Bock nun selbst persönlich kennengelernt hat, bestätigte sich das Gehörte vollauf, außerdem musste er feststellen, dass Bock und er gemeinsame wissenschaftliche Interessen pflegten, so dass er sofort von Bock eingenommen war. Andere, so glaubt er, seien allerdings von seiner Gelehrsamkeit und seinem einnehmenden Charakter erdrückt worden, und jene hätten daher aus Missgunst in Wien gegen Bock intrigiert. Außerdem kann er mit Sicherheit sagen, dass die schlechte Meinung über Bock in Wien auf einen Streit zwischen Bock und Weiß zurückgehe. Die beiden hätten sich nämlich erst vor kurzem entzweit, nachdem Bock Weiß privatim vorgeworfen habe, er würde sich auf falschen Lorbeeren ausruhen und durch sein Dilettieren in den verschiedensten Fächern sein Ansehen als Fachwissenschaftler und Professor der Geschichte ruinieren. Weiß war durch den freundlich gemeinten Rat aber so verärgert, dass er seine vormalige Unterstützung von Bock aufgab und nun gegen Bock agitierte. So machte Weiß seinen ehemaligen Freund beim einflussreichen Polizeidirektor Leopold Johann Sacher-Masoch schlecht. Auch im Historischen Verein für Steiermark intrigierte er gegen Bock, so dass die allgemeine Meinung über diesen bald geteilt war. Bock will nun nach Wien reisen, um seinen Ruf bei Polizeidirektor Kempen und Minister Thun wiederherzustellen. Schreiner hofft mit dem Brief einen Teil zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen zu haben.

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Schlagworte

Edierter Text

Grätz, am 29. Juli 1855

Lieber Pepi!
Theurer Neffe!

Adolph hat Deinen lieben Brief erhalten, und Alles, was Du ihm zur Besorgung übertragen, besorgt. Julie ist heute einige Minuten vor Eilf Uhr eingetroffen, hat hier Einiges zu sich genommen, und uns, von Adolph begleitet, leider viel zu schnell verlassen. Es war zum Empfange von Euch dreien Alles bereitet, und die Betten für Dich und Julie bleiben in dem von Euch beiden schon früher bewohnten Zimmer stehen, da ich hoffe, daß Du unserer herzlichen Einladung, mit Julie und Zdenko auf einige Tage uns zu besuchen, endlich denn doch einmal Folge geben wirst. Der August ist hier so schön und das Seyn selbst in unserem, wenn auch sehr kleinen, Garten so anmuthig, daß Du Dich hier ganz erholen würdest. Sey doch nicht so festwillig, gib unseren vereinten Bitten nach und komme doch hieher, wo Du Dich gewiß schneller als anderswo erholen wirst. Über Professor Bock muß ich, im Nachhange zu meinem letzten Briefe, Dir noch Einiges mittheilen, was vielleicht, auch ämtlicherseits, zu wissen nicht ohne Wichtigkeit seyn dürfte. Ich gestehe es ganz offen, daß ich vor dem 16. oder 17. Juni, dem Tage, an dem er durch den ehemaligen Director des Münz- und Antikenkabinetts, einen Freund des Prager Polizeydirectors Baron Paumann und einen Bekannten unsres dermaligen Polizeydirectors Baron Sacher Massoch, mir aufgeführt hatte, keine Kenntnis von diesem Gelehrten hatte, der doch, wie ich nun sehe, einen europäischen Ruf hat, und ihn auch verdient, obgleich er in der Frage des Erzbischofs von Freiburg als dessen Freund und eifrigster Anhänger in den öffentlichen Blättern, selbst in der Streitsache des Erzbischofs mit der badischen Regierung, wiederholt genannt worden ist, und daß ich mit keinem der Männer, welche derjenigen kirchlichen Partei angehören, auf deren Seite Bock steht, je in Verbindung gewesen oder in Beziehungen gestanden bin, und daß soweit die Beziehung zu ihm eine für mich ganz unverfängliche schien. Bockh [sic!] ist ein Jugendfreund und Gesinnungsgenosse des Hofraths und Professors Philipps [sic!]; er ist von Professor Weiß, den doch die österreichische Regierung aus Freiburg, ja sogar aus dem Gefängnisse, in das er in der Sache des Erzbischofs von Freiburg gesperrt wurde, als Professor der Geschichte an unsere Hochschule berief, dem hiesigen historischen Vereine auf das dringendste empfohlen worden, und Weiß ist ein vertrauter Freund des Herrn Polizeydirectors Baron Sacher, mit dem ihn bekannt zu machen der Herr Professor, so wie auch ihn dem Bischofe aufzuführen, dem Platzcommandanten Baron Schneider, einem Schwaben, vorzustellen, bei dem Herrn Director Steinbüchel und bei anderen sehr conservativ gesinnten Familien einzuführen, sich, gleich in den ersten Tagen der Anwesenheit Bocks, sehr beeilte; Prof. Bock ist ein zwanzigjähriger Bekannter des Erzbischofs von Freiburg, der ihn auch nach Freiburg zur Professur berief, und in der an der an den Bundestag eingereichten Beschwerdeschrift ausdrücklich sich darüber beklagte, daß die badische Regierung dem Katholiken Bock einen Protestanten vorgezogen habe; er war früher Professor an der churhessischen Universität Marburg, die er freiwillig verließ, da er als Katholik und Anhänger des Ministers Hassenpflug zu viele und zu bittere Anfeindungen auszustehen hatte; er ist durch täglichen Umgang mit den ersten katholischen Familien Belgiens und den conservativsten Familien Frankreichs, einem Herzoge von Ahrenberg, dem Onkel Seiner Eminenz des Kardinals Fürsten von Schwarzenberg, einem Grafen von Merode, Deteux, van Straaten, Herzog von Lewis und vielen anderen, deren Namen man mir nannte, als ein Anhänger der Kirche und des Staates, der Ordnung und Ruhe, und als ein Feind jeglicher Revo[lution] bekannt; als ein Mann von einer stupenden Gelehrsamkeit, und als ein eifriger Anhänger Oesterreichs bezeichnet worden, als Herr Director Steinbüchel bei mir sich anfragte, ob er ihn mir vorstellen dürfe. Daß ich keinen Anstand nahm die Erlaubnis dazu zu ertheilen, wirst Du um so mehr begreiflich finden, als mir Steinbüchl [sic!] sagte, ich würde im Umgange mit ihm auch keine Zeit verlieren, da wir in unseren verwandten Studien sehr viele und einige Berührungspunkte finden würden, was er schon gesehen habe, da Bock vorzugsweise sich mit der Geschichte des oströmischen Reichs befaßt habe, das ja mit der Geschichte Venedigs, an der ja ich arbeite, durch Jahrhunderte in so innigen Beziehungen gestanden. Als ich nun den Mann kennen lernte, mußte ich auch Achtung vor seinem Character fassen, der es nicht gestattete, das Programm des historischen Vereins, das er für unausführbar erklärte, unbedingt anzunehmen, wie ihn selbst Baron Sacher, Weiß, Steinbüchel und Andere gerade, indem man Unmögliches von ihm nicht fordern würde, indem er stets gewohnt gewesen, sein Versprechen zu halten und zu Nichts sich zu verpflichten, was er nicht auch erfüllen könne. Auch seine historischen Ansichten sagten jenen Grundsätzen zu, die ich dem mehrjährigen Studio historischer Quellen und der Beobachtung der Ereignisse der neuesten Zeit verdanke, und die von meinen früheren Ansichten bedeutend abweichen. Und so gewann ich den Mann lieb, den man nur reden hören muß, um für ihn eingenommen zu seyn. Seine großartige Gelehrsamkeit zog mich an, Andere gewisse, erdrückte sie, weil sie sich in Schatten gestellt sahen, und aus diesem und einem anderen Grunde begann nun hier eine [sic!], bis zur Denunciation, die in Wien stattgefunden hat, worüber er Andeutungen erhielt, weßhalb ich ihm schon von Freiburg, gleich nach seiner Rükkehr von Cilly [Celje] und Pettau [Ptuj], wohin er mit dem im Fache der Epigraphik bekannten Pfarrer Knabl eine archäologische Excursion gemacht hatte, dringend rieth, über Wien zu gehen, alldort längere Zeit zu verweilen, da er ohnehin an der Hofbibliothek zu arbeiten hatte, und die Reinigung seines verdächtigten Mannes bei Seiner Excellenz dem Freiherrn von Kempen zu betreiben; zugleich aber auch den Ministern Bach (in dessen Ressort die ständische Angelegenheit des Landesarchäologen gehört) und Thun seine Aufwartung zu machen, um den Grund der ohne sein Verschulden gescheiterten Unterhandlung auch ihnen darzulegen. An dieser Scheiterung ist eine großartige Intrigue schuld, von der derselbe Professor Weiß, der ihn hier einführte und der Polizeydirector, bei dem er ihn empfahl, die Urheber sind. Ich muß Dir in dieser Hinsicht ohne Rükhalt und Schonung reinen Wein einschenken zur Rettung der Ehre eines ehrlichen und unverantwortlicherweise verdächtigten Namens. Was ich Dir nun erzählen will, das sind lauter historisch durch Zeugen, Bekenntnis etc. constatirte Thatsachen. Prof. Weiß ließ allhier vor ungefähr 1 ½ Jahren durch einen seiner Zuhörer, einen Theologen, in katholischer Wahrheitsfreude einen Zeitungsartikel abfassen, in dem er über alle Maaßen, wie die jungen Leute eben zu loben pflegen, gelobt und indem unter Anderem gesagt wurde: „wenn die Herrschaften der Kutschen, welche täglich in der siebenten Stunde nach dem Theater fahren, wüßten, was dem Tempel Thaliens gegenüber, um dieselbe Zeit in dem Ecksaale (in dem eben um jene Zeit Prof. Weiß seine Vorträge über Geschichte hielt) von einem Manne gelehrt wurde, dessen Gleichen noch nicht dagewesen etc. etc. sie würden aussteigen und statt in die Possenreißerei hieher gehen und hier usw. usw.“ Dieser Artikel, dessen Ursprung man kannte, und über den man sich hier seiner Zeit weidlich ärgerte, benützte Prof. Weiß auch noch sonst in seinem Interesse. Er schickte nämlich Exemplare der Nummer an seine Freunde und Bekannten (die zum Unglücke für Weiß auch Bocks Bekannte sind) nach Freiburg mit der Bemerkung, so denke und urtheile man von ihm in Grätz; er schickte dieses Blatt auch nach Brüssel an Bock und von Hasselt und bath darauf gestützt Letzteren, er möge ihm zur Auszeichnung eines Correspondenten oder Ehrenmitgliedes oder dergleichen der Brüsseler Accademie verhelfen und dergleichen mehr, was beiden Männern um Weißens willen leid that. Als nun Bock, der Weiß und seine Gesinnungen und die Art wie er, als Redacteur der Freiburger Zeitung, zum Märtyrerthum für den Erzbischof von Freiburg gekommen, sehr genau kennt, weil er damals gerade in Freiburg war und Bock über sein Verfahren zu Rathe zog, der aber nicht so ausfiel wie Weiß ihn wünschte, sehr genau kennt und bis in die zweite Hälfte des abgelaufenen Monaths Juni von seinem moralischen Character die größte Achtung hegte, hieher kam und sah, daß er gar keine speciellen Studien treibe, da glaubte er ihm seinen wohlmeinden [sic!], väterlichen Rath ertheilen zu müssen, um ihn vor Verfluchung zu retten. Er ging daher eines Tages zu ihm, traf ihn im Garten allein und sagte zu ihm, daß er finde, wie er die paar Jahre seit er hier gelebt, gegen dem, was er in Freiburg gewesen, schon bedeutend verlohren habe, und daß er, wenn er auf der von ihm eingeschlagenen Bahn noch fortwandeln wolle, er geistig, litterarisch und wissenschaftlich zu Grunde gehen müsse; namentlich möge er überzeugt seyn, daß die litterarische Wechselreiberei (er bediente sich dieses Ausdrucks wegen des bestellten und wie oben gesagt wurde benützten Artikels) ihm nicht vorwärts helfen, sondern um die Achtung all‘ seiner Freunde bringen werde. Daß es durchaus nichts tauge Celtisches und Normänisches, Griechisches und Englisches zugleich zu treiben, jetzt Dantes divina comedia und in der nächsten Stunde Plato und Aristoteles zu lesen, jetzt sich mit celtischen Streitäxten (worüber Weiß wirklich im Gesellenvereine gelesen) und in der nächsten Minute sich wieder mit den Runen zu beschäftigen, das führe zum Dilettantismus, zur Verflachung zu encyclopädischem Wissen, was für einen Vertreter eines einzelnen Faches, für einen Professor nicht tauge. So werde und müsse er zu Grunde gehen. Diesen wohlmeinenden, väterlichen Rath nahm Weiß so übel, daß er von diesem Augenblicke jeden Umgang mit Bock abbrach, und gegen ihn zu warnen, und auch im Vereine gegen ihn zu wirken anfing. Da er wußte, daß Bock das Programm in seiner Totalität, nach seinem bekannten Charakter, nicht annehmen könne, nicht annehmen werde, so trat er in der Ausschußsitzung des Vereins mit Entschiedenheit dafür auf, daß das Programm ganz und unverändert angenommen werden müsse; und begann nun auch bei Collegen und Ausschußgliedern ihn zu verdächtigen. Was er dem Polizeydirektor gesagt, weiß man nicht, aber aus mehren Äußerungen Sachers, die er nach jener Gartenbesprechung fallen ließ, geht klar hervor, daß er sich für verpflichtet gehalten habe, seine baldige Abreise von hier zu wünschen, und daß ihm eine Meinung beigebracht worden, die ihn gar sehr gegen Bock eingenommen hatte. Zur Umstimmung der Ansichten Sachers hat Bock selbst die Veranlassung gegeben. Es hatte nämlich Weiß dem Sohne Sacher’s, einem 19 jährigen Jünglinge, der bisher gar keine historischen Vorstudien gemacht, nicht Recht, Statistik, Politik studirt; Chronologie, Numismatik, Heraldik, Diplomatik usw. auch noch nicht sich eigen gemacht hat, den Rath gegeben: die Geschichte Karl V. und seiner Zeit zu schreiben und hatte sich darauf viel eingebildet. Als nun Bock bei Sacher war, und dieser ihm solches mittheilte, sagte der offene Mann dem Hofrathe unverhohlen, daß das keine Aufgabe für einen unerfahrenen Jüngling, daß das selbst für einen bereits gemachten tüchtigen Gelehrten die allerschwierigste Aufgabe sey, welche die Geschichte der drei letzten Jahrhunderte in sich schließe. Wer ihm den Rath gegeben habe, der kenne wahrlich die Bedeutung der Zeit Karls V nicht. Damit verschüttete Bock es gleich zu der ersten Zeit mit Baron Sacher, der natürlich auf seinen Sohn, vielleicht auch mit Recht, große Stücke hält und auch mit Professor Weiß zugleich. Der Rath Bocks hatte auch keine Folge, denn der junge Mann hielt am Einweihungstage des neuen Locales des Gesellenvereins einen Vortrag über Karl den V. und seine Zeit, den er nur englischen Schriftstellern entnommen hatte etc. Daß bei Baron Sacher eine großartige Verläumdung gegen Bock, wahrscheinlich mit Glück versucht worden sey, geht daraus hervor, daß Sacher sich über Bock dahin geäußert hat „Bock hat bei dem Fürstbischof gesagt: Nun der Polizeydirector ist Euer fürstlichen Gnaden Freund eben nicht.“ Das ist nun eine infame Lüge; Bock war nur einmal, bald nach seiner Ankunft, und nur mit Prof. Bock[sic!] beim Fürstbischofe und seitdem nie wieder; und diese Audienz war eine formelle, dauerte nur kurze Zeit und bewegte sich um die allereinfachsten Dinge. Bock war zudem damals wildfremd und kannte Niemanden, konnte also gar nicht wissen, welche Beziehungen zwischen dem Fürstbischof und Sacher statt finden; nun steht aber überdieß Sacher mit dem Fürstbischofe in ämtlicher Beziehung auf dem allerbesten Fuße und somit sollte das nur ein Gifttropfen, geträufelt in die Seele Sachers, seyn, wer ihn gespendet weiß man nicht. Doch das Wichtigste kommt jetzt. Alles was ich schreibe ist historisch constatirt und kann nöthigenfalls gerichtlich erwiesen werden. Weiß hatte sich im Anfange der Anwesenheit Bocks Mühe gegeben ihn mit Baron Sacher in möglichst innige Beziehungen zu bringen, wogegen sich Bock sträubte, (Nota bene: Alles dieses geschah ehe ich meine Kenntnis von der Anwesenheit Bocks hatte), da er zu wissen glaubte, daß man in Oesterreich noch immer gegen jene Männer ein Mißtrauen hege, welche mit der Polizey sich zu thun machten. So wollte Weiß, er solle von der Lage des Polizeydirectors Gebrauch machen, was er zwar einmal that, später es aber ablehnte. Schon darüber gab es Spannung. Als Weiß nun bei Bock darauf drang, er möge den Polizeydirector wieder besuchen, lehnte es Bock mit der Bemerkung ab, er sey gewohnt in distinguirter Gesellschaft zu leben und in dieser sey die Erwiederung einer Höflichkeitsvisite Sitte; bevor Baron Sacher ihm die Visite nicht erwiedert habe, sehe er ihn nicht mehr bei sich. Um ihm nun, da schon viele Tage darüber vergangen waren und Sacher nicht erst jetzt sich zu einer Erwiederungsvisite entschließen konnte, die Gelegenheit zu geben, Bocks Zimmer betreten zu können ohne eine förmliche Visite abzustatten, ver[an]staltete ein Zahnarzt Brunn ein Souper bei der Zimmerfrau des Prof. Bocks, zu dem Baron Sacher, Weiß und Bock geladen wurden. Baron Sacher kam bei dieser Gelegenheit in Bocks Zimmer und die Visite war abgestattet. Bei diesem Abendmahle brachte Sacher das Gespräch auf sein Geburtsland Polen, die polnischen Verhältnisse und auf Flüchtlinge, von denen er wissen mußte, daß sie in Brüssel Jedermann kenne. Bock, eine ganz harmlose Natur, erzählte ihm, daß er bei den Grafen Merode und Skrynetzky kennen gelernt habe, daß dessen Frau eine der pfiffigsten, zugleich aber auch intriguantesten Personen, Skrynetzky selbst eine Persönlichkeit sey, vor der man keine Achtung haben könne, daß er und die Polen dem Könige von Belgien gegenüber vor Rußland arg compromittirt hätten, daß sie fortgefahren hätten mit Polen und Galizien zu conspiriren, daß ein Officier und eine Dame (das weiß ich nur von zwei Männern, deren ich schon Erwähnung gemacht habe, ich kann also den Inhalt des Gesprächs nicht genau wiedergeben) mit Briefschaften in Dresden verhaftet worden seyen; daß er einmal bei dem Minister Deteux gewesen, als die Skrynetzky einen Namen aufgeführt habe, den er für den Fürsten Czatorisky [Czatoryski] gehalten, was sich aber später als irrig gezeigt habe, und nur geschehen zu seyn scheine, um ihn mit einem andern belgischen Minister, von dem man wußte, daß er bei Deteux seyn werde, in Berührung zu bringen; daß ihm (dem Prof. Bock) das ehemalige Thun und Treiben der verrückten Emigrèes sehr gut bekannt gewesen sey, da er durch Merode, Deteux, van der Straaten und andere hohe belgische Staatsbeamte sehr genaue Details erfahren habe und dergleichen mehr. Dieses Gespräch bewegte sich vor allen Anwesenden in gleicher Art, wie Bock über Byzanz und Ravenna, die Krimm und ihre ältesten Bewohner, mit einem Worte über alle Thatsachen, die längst der Geschichte angehören, zu reden gewohnt ist. In diesem ganz unbefangenen Gespräche sagte Baron Sacher zu zweien der in meinem ersten Briefe genannten Herrn (ich kann ihre Namen nennen: zu Prof. Philologia Hoffmann und zu Director Steinbüchel): „Was ich von Bock halten soll, weiß ich wirklich nicht; er erzählte mir letzthin, mit einer solchen weiten Offenheit Geschichten über die Pohlen in Brüssel und über ihr dortiges Treiben, und wiederholte diese Angaben, wie ein ächter Mouchard, daß ich wirklich in Verlegenheit bin und nicht weiß, ob ich davon weitere Anzeige machen soll oder nicht; denn die Thatsachen sind denn doch von großer Bedeutung.“ Da nun der Herr Baron später zu dem Ausschußmitgliede des historischen Vereins und ständischen Secretere Ritter von Azula, als dieser mit ihm über Bock zu sprechen anfing, sagte: „Der Mann thäte besser, er reiste bald wieder ab: Adieu! Glückliche Reise“ „Seine Gesinnungen gefallen mir durchaus nicht.“, und derselbe Baron Sacher ihm im Anfange gerathen hatte: keine Schwierigkeiten mit dem Programme zu machen, sondern es unbedingt anzunehmen; Unmögliches werde man ihm ja ohnehin nicht zumuthen; so geht daraus klar hervor, daß durch Einwirkungen, die von Professor Weiß stammen, Baron Sacher zum Feinde Bocks gemacht worden sey. Aus einer Äußerung eines sonst unbefangenen Mannes erfuhr man, daß in Wien etwas geschehen seyn mußte, was Bock zum Nachtheile gereiche. So standen die Sachen als Professor Bock am verflossenen Freitag von seiner Reise mit Pfarrer Knabl zurükkam, und mir erklärte, daß er sich veranlaßt sehe in Wien durch Philipps, dem er vor seiner Abreise, nämlich Sonntag den 22. Juni geschrieben, von dem er aber noch keine Antwort erhalten, was er dem Umstande zuschreibe, daß vielleicht Philipps Wien schon verlassen habe, eine Audienz bei Baron Kempen zu erhalten, um seine Rechtfertigung zu erwirken, was ich nicht mißbilligen konnte. Der Mann kommt also Donnerstag oder Freitag nach Wien, und will sich auch Seiner Excellenz dem Herrn Unterrichtsminister vorstellen und die hier erfahrene Behandlung zu seiner Rechtfertigung demselben darlegen.
Diese Vervollständigung meines ersten Briefes war ich Dir schuldig. Und so verzeihe denn, daß ich Deine kostbare Zeit so lange in Anspruch genommen habe, allein ich glaube, die erhaltene Aufklärung könnte um so mehr auch von ämtlicher Wichtigkeit seyn, als sich alles Angegebene in einem proces verbal erweisen läßt.
Die herzlichsten Grüße von uns Allen an Julie und Dich. Zürne ob des Zeitverlustes nicht

Deinem Dich innigst liebenden Oheim
Gustav Franz Schreiner

Grätz, am 30. Juli 1855