Der Deputierte der Siebenbürger Sachsen Wilhelm Schmidt äußert sich zum Verfassungsentwurf für die evangelischen Kirchen in Österreich. Er glaubt, dass dieser Gesetzesentwurf auf die beiden protestantischen Landeskirchen Siebenbürgens aufgrund der ihnen durch die Grundgesetze Siebenbürgens und die Reichsverfassung bestätigten Rechte und Freiheiten nicht anwendbar sei und gegen die Grundprinzipien der Landeskirchen verstoße. Es sollte den Kirchen freigestellt sein, inwieweit sie die neue protestantische Kirchenverfassung übernehmen möchten. Der Absicht der Regierung, eine einheitliche gesetzliche Regelung für alle protestantischen Kirchen der Monarchie zu erzielen, steht Schmidt prinzipiell aber positiv gegenüber. Er merkt jedoch an, dass dieser Versuch auf Schwierigkeiten treffen könnte, da die einzelnen Kirchen sich auf unterschiedlichen Entwicklungsstufen befänden. Ein Hindernis könnte auch der Konflikt zwischen den einzelnen Nationalitäten darstellen. Auch die im Gesetz enthaltenen Bestimmungen über die Bildung eines evangelischen Kirchenrates begrüßt Schmidt als einen Akt der Gerechtigkeit gegenüber den protestantischen Kirchen. Grundsätzlich wäre es – was die Vereinheitlichung und den Kirchenrat betrifft – jedoch wünschenswert, wenn die beiden Landeskirchen Siebenbürgens ein Mitspracherecht besäßen.
Die beiden protestantischen Landeskirchen von Siebenbürgen, sowohl jene der Augsburg'schen als jene der
Helvetischen Konfession, hatten vermöge der Grundgesetze Siebenbürgens eine vollkommen freie und
selbstständige Stellung. Sie verwalteten ihre Angelegenheiten im Innern durch
ihre kirchlichen Behörden, ohne alle Einmischung der politischen Obrigkeit und
übten das Recht der Selbstgesetzgebung in der Weise, daß es den
Lokalkirchengemeinden zustand, Lokalstatute und Einrichtungen selbstständig zu
treffen, ohne daß es der Genehmigung selbst einer höhern Kirchenbehörde bedurft
hätte; allgemeine, die ganze Kirche umfassende organische Gesetze aber durch die
Oberkonsistorien dem Landesfürsten, welcher nach dem protestantischen
Kirchenrechte als summus arbiter erschien, zur Bestättigung vorgelegt
wurden.
Da die bisherigen Grundgesetze Siebenbürgens hinsichtlich der Rechte und Freiheiten der
evangelischen Kirche durch die Grundrechte und die Reichsverfassung der österreichischen Monarchie nicht nur keine
Abänderung erlitten haben, vielmehr durch solche die Freiheit der Kirche
ausdrücklich bestättigt wird: so folgt hieraus, daß sich die beiden
evangelischen Landeskirchen Siebenbürgens
der hohen Regierung gegenüber vollkommen auf dem frühern durch nichts
veränderten oder verwirkten Rechtsboden befinden.
Was nun den Gesetzentwurf
für die protestantischen Kirchen und Schulen der österreichischen Monarchie anbetrifft: so erscheinen die darin
rücksichtlich der drei ersten Gliederungen der Pfarrgemeinde,
des Seniorates und der Superintendenz sowie der denselben zur Seite
stehenden Consistorialgerichte enthaltenen Bestimmungen auf die beiden
protestantischen Landeskirchen in Siebenbürgen in den Hauptpunkten nicht anwendbar.
Dieses
erhellet, was namentlich die evangelische Kirche A.K. anbetrifft, aus
folgendem:
1. Es verordnet § 3 des besagten Gesetzentwurfes die Vorlage der
Konventsverhandlungen an die vorgesetzte Kirchenbehörde und die gleichzeitige
Mittheilung der Konventsbeschlüsse an die politische Obrigkeit.
Beide
Verfügungen widerstreben der bisherigen freien Bewegung der Kirchengemeinde.
Nach der <gegenwärtigen>1organischen Einrichtung der gedachten evangelischen Kirche
A.K. in Siebenbürgen genügt es, dem
Dechanten und dem Superintendenten sich bei ihren Visitationen davon zu
überzeugen, daß die einzelnen Kirchengemeinden ihre Freiheit in einer dem
allgemeinen Wohl und Ordnung entsprechenden Weise handhaben. Eine Vorlage der
Beschlüsse der Lokalkirchengemeinden an die höhere Kirchenbehörde erfolgt nur
dann, wenn dazu entweder Klagen Veranlassung geben oder zwischen dem geistlichen
und weltlichen Stande eine Meinungsverschiedenheit stattfindet, welche unter
ihnen selbst nicht ausgeglichen werden kann. Was die zweite Bestimmung
anbetrifft: so begnügten sich die Lokalobrigkeiten, die äußern Handlungen der
Lokalkirchenbehörden im Auge zu behalten, ohne je eine direkte Einsicht in die
Beschlüsse dieser Behörden zu nehmen oder auch nur anzusprechen, welches mit den
obengeführten Grundbestimmungen der Landesverfassung im Widerspruch gestanden
wäre.
2. Der Einfluß, welchen die Gesammtheit einer Pfarrgemeinde in die
Angelegenheiten der Kirche nimmt, erstreckt sich bei der siebenbürgischen Kirche
der A.K.V. nur auf die Messen der Pfarrer und Schullehrer und ist neuerlich
durch eine vom Oberconsistorium in Hermannstadt aus Anlaß
der bevorstehenden Umänderung der sächsischen Munizipalverfassung erlassene
provisorische Kirchenverfassung auch auf die Wahl der Kirchenräthe ausgedehnt
worden. Die sämmtlichen Verwaltungs- und Disciplinarangelegenheiten werden durch
die Consistorien, deren Mitglieder insgesammt aus Volkswahlen hervorgegangen
sind, versehen. Dagegen räumt § 21 des provisorischen Gesetzes den
Pfarrkonventen einen solch ausgedehnten Antheil an der kirchlichen Verwaltung
ein, welcher an sich Bedenken zu erregen geeignet ist, in Bezug auf die
siebenbürgische Landeskirche der A.K.V. aber das erwähntermaaßen dermalen
bestehende System der Repräsentation völlig umwandeln und an dessen Stelle das
Prinzip der unmittelbaren Volksversammlung setzen würde.
3. In der
dermaligen Consistorialeinrichtung der oftgenannten Landeskirche A.K. gilt als
unumstößlicher Grundsatz die vollkommene Gleichstellung des geistlichen und
weltlichen Standes. Dieser Grundsatz wurde bisher in Ortsconsistorien durch das
dem Ortspfarrer den weltlichen Mitgliedern gegenüber eingeräumte Veto, in den
Bezirksconsistorien und im Oberconsistorium durch die völlig gleiche Anzahl der
Mitglieder von geistlicher und weltlicher Seite emporgehalten. Auch in der
obgedachten neuerflossenen provisorischen Kirchenverfassung ist dieses Prinzip
in gleicher Weise durchgeführt. Diesem Grundprinzip der gedachten evangelischen
Kirchenverfassung entspricht nun nicht die Zusammensetzung, welche in dem in
Rede stehenden provisorischen Gesetze in § 2 für die Presbiterien, welche den
gegenwärtigen Lokalconsistorien, in § 42 für die Senioralkonvente, welche den
gegenwärtigen Domertical- oder Bezirksconsistorien, und in § 60 für den
Superintendentialconvent, welcher beiläufig dem gegenwärtigen Oberconsistorium
entspricht, festgestellt worden ist.
4. Sowohl über die Wahl der Pfarrer als
auch über deren Einführung besteht in der gedachten evangelischen Kirche ein vom
Landesfürsten, als summus arbiter, sanktionirtes Candidations- und Wahlnormativ,
welches sowohl den Grundbestimmungen des im Andreanischen Freibrief zwischen den
nach Siebenbürgen einwandernden deutschen
Kolonisten und den Königen Ungarns geschlossenen
Urvertrags, als auch den sonstigen besondern Verhältnissen der sächsischen
Nation entspricht und mit der ganzen Grundverfassung der besagten Nation, welche
in § 74 der Reichsverfassung gewährleistet worden ist, auf das innigste
zusammenhängt. Das Gleiche gilt von der Wahl des Superintendenten, welche dieses
Wahlvormativ ebenfalls enthält. Die in dem fräglichen provisorischen Gesetz über
die Wahl der Pfarrer und der Superintendenten enthaltenen Bestimmungen
erscheinen sonach für die evangelische Landeskirche A.K. in Siebenbürgen unanwendbar.
5. Die geistliche
Gerichtsbarkeit, welche sich in den beiden protestantischen Landeskirchen
Siebenbürgens auch auf die Ehescheidungen erstreckt, wird insonderheit in der
evangelischen Kirche A.K. in erster Instanz durch die Kapitel und in 2. Instanz
durch die Generalkapitel, welche Kapitel nur durch geistliche Mitglieder
gebildet werden, vermöge der ihnen diesfalls zustehenden Privilegien geübt. In
der für Siebenbürgen eben in der
Vorbereitung begriffenen Gerichtsverfassung ist den besagten Kapiteln vor der
Hand, gleich den übrigen geistlichen Gerichten in Siebenbürgen, ihre Gerichtsbarkeit belassen worden. Es können
somit auch die in dem provisorischen Gesetz unter der Benennung von Senioral-
und Superintendentialconsistorien vorgeschlagenen geistlichen Gerichte, aus
geistlichen und weltlichen Mitgliedern bestehend, auf die evangelischen Kirchen
in Siebenbürgen keine Anwendung
finden.
Was ferner die in dem provisorischen Gesetz enthaltenen Bestimmungen
über die durch die Repräsentanten sämmtlicher protestantischen
Kirchen der österreichischen Monarchie
zu bildende Synode anbetrifft: so kann die Absicht der hohen Regierung,
eine Vereinigung der gesammten protestantischen Kirche der österreichischen Monarchie im Wege der
Vertretung zu erzielen, nur mit gerechter Würdigung anerkannt werden, wenngleich
dem Gelingen dieser Vereinigung bei der großen Verschiedenheit der Stufe der
Entwickelung, auf welcher die verschiedenen protestantischen Kirchen der
österreichischen Monarchie stehen, bei der Spannung, die unter den einzelnen
Nationalitäten noch unläugbar obwaltet und bei den noch nicht bestimmten oder
entwickelten Verhältnissen der einzelnen Kronländer, dermalen noch gewichtige
Schwierigkeiten entgegen zu stehen scheinen. Nur können bei den Eingangs
dargestellten Verhältnissen der beiden protestantischen Landeskirchen Siebenbürgens diese Kirchen nicht durch ein von
der Regierung ohne ihre Anhörung ausgehendes Gesetz zu dieser Vereinigung
gezogen werden, sondern es müßte diese aus dem freien Selbstbeschluß und
Selbstbestimmung dieser Kirchen im Wege gegenseitiger Verständigung mit den
übrigen protestantischen Kirchen durch Vermittelung der hohen Regierung
hervorgehen.
Was endlich die im provisorischen Gesetz enthaltenen Bestimmungen über den Kirchenrath betrifft: so ist es von
jeher eine auch von den Landesständen unterstützte Beschwerde der beiden
protestantischen Kirchen Siebenbürgens
gewesen, daß in ihren Angelegenheiten bei der ehemaligen siebenbürgischen
Hofkanzlei die zum größten Theil aus Katholiken bestehenden Mitglieder derselben
Einfluß nahmen. Die Aufstellung eines aus protestantischen Gliedern bestehenden
evangelischen Kirchenrathes für die Monarchie wäre somit ein auch durch die
Reichsverfassung gebotener Akt der Gerechtigkeit für die gesammte
protestantische Kirche. Was jedoch die Zusammensetzung, die Art der Kreirung und
den Wirkungskreis dieses Kirchenrathes anbetrifft, wie solcher in dem
provisorischen Gesetz beantragt ist: so ergibt sich die Bemerkung, daß darin
zwar die Konfessionen und Nationalitäten, nicht aber auch die einzelnen
Landeskirchen repräsentirt erscheinen, welche Repräsentation doch für die
Geschäfte des Kirchenrathes einen wesentlichen Faktor bilden dürfte; daß ferner
bei dem dem Monarchen ausschließlich vorbehaltenen Ernennungsrechte der
Kirchenräthe der diesen Kirchenrath zugewiesene Wirkungskreis weit mehr enthält,
als bisher bezüglich der beiden protestantischen Landeskirchen durch die
ehemalige siebenbürgische Hofkanzlei im Namen des Landesfürsten, qua summi
arbitri, ausgeübt worden ist, somit auch diese Bestimmungen, bei der eingangs
entwickelten Stellung dieser Kirchen, betreff derselben nicht anwendbar
erscheinen.
Aus dem Vorausgeschickten ergibt sich, daß das oft besagte
provisorische Gesetz für Siebenbürgen nicht
promulgirt werden könnte, ohne gegen die Grundprinzipien und Grundeinrichtungen
der dortigen protestantischen Landeskirchen zu verstoßen. Dieselben dürften
demnach bei ihrer gegenwärtigen innern Einrichtung belassen werden und es ihnen
freigestellt bleiben, in wie weit sie im Wege der ihnen zustehenden
Selbstgesetzgebung diese Einrichtungen der Verfassung der übrigen
protestantischen Kirchen der Monarchie entsprechend abändern wollten. Bezüglich
der Vereinigung der gesammten protestantischen Kirchen der Monarchie aber und
der Errichtung eines protestantischen Kircherathes für die Monarchie wäre es
wünschenswerth, wenn die hohe Regierung den Oberconsistorien der beiden
evangelischen Landeskirchen Siebenbürgens,
als den diese Kirchen in höchster Instanz repräsentirenden Organen, Gelegenheit
biethen würde, sich darüber auszusprechen und ihre diesfälligen Äußerungen und
Anträge der hohen Regierung zur weitern Erwägung und Schlußfassung
vorzulegen.
Wien, am 5. Juni 1850
Wilhelm Schmidt
Magistratsrath aus Kronstadt,
dermalen Deputirter der
sächsischen Nation