Äußerungen von Wilhelm Schmidt zum evangelischen Kirchenverfassungsentwurf
Wien, 5. Juni 1850
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Regest

Der Deputierte der Siebenbürger Sachsen Wilhelm Schmidt äußert sich zum Verfassungsentwurf für die evangelischen Kirchen in Österreich. Er glaubt, dass dieser Gesetzesentwurf auf die beiden protestantischen Landeskirchen Siebenbürgens aufgrund der ihnen durch die Grundgesetze Siebenbürgens und die Reichsverfassung bestätigten Rechte und Freiheiten nicht anwendbar sei und gegen die Grundprinzipien der Landeskirchen verstoße. Es sollte den Kirchen freigestellt sein, inwieweit sie die neue protestantische Kirchenverfassung übernehmen möchten. Der Absicht der Regierung, eine einheitliche gesetzliche Regelung für alle protestantischen Kirchen der Monarchie zu erzielen, steht Schmidt prinzipiell aber positiv gegenüber. Er merkt jedoch an, dass dieser Versuch auf Schwierigkeiten treffen könnte, da die einzelnen Kirchen sich auf unterschiedlichen Entwicklungsstufen befänden. Ein Hindernis könnte auch der Konflikt zwischen den einzelnen Nationalitäten darstellen. Auch die im Gesetz enthaltenen Bestimmungen über die Bildung eines evangelischen Kirchenrates begrüßt Schmidt als einen Akt der Gerechtigkeit gegenüber den protestantischen Kirchen. Grundsätzlich wäre es – was die Vereinheitlichung und den Kirchenrat betrifft – jedoch wünschenswert, wenn die beiden Landeskirchen Siebenbürgens ein Mitspracherecht besäßen.

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Edierter Text

Die beiden protestantischen Landeskirchen von Siebenbürgen, sowohl jene der Augsburg'schen als jene der Helvetischen Konfession, hatten vermöge der Grundgesetze Siebenbürgens eine vollkommen freie und selbstständige Stellung. Sie verwalteten ihre Angelegenheiten im Innern durch ihre kirchlichen Behörden, ohne alle Einmischung der politischen Obrigkeit und übten das Recht der Selbstgesetzgebung in der Weise, daß es den Lokalkirchengemeinden zustand, Lokalstatute und Einrichtungen selbstständig zu treffen, ohne daß es der Genehmigung selbst einer höhern Kirchenbehörde bedurft hätte; allgemeine, die ganze Kirche umfassende organische Gesetze aber durch die Oberkonsistorien dem Landesfürsten, welcher nach dem protestantischen Kirchenrechte als summus arbiter erschien, zur Bestättigung vorgelegt wurden.
Da die bisherigen Grundgesetze Siebenbürgens hinsichtlich der Rechte und Freiheiten der evangelischen Kirche durch die Grundrechte und die Reichsverfassung der österreichischen Monarchie nicht nur keine Abänderung erlitten haben, vielmehr durch solche die Freiheit der Kirche ausdrücklich bestättigt wird: so folgt hieraus, daß sich die beiden evangelischen Landeskirchen Siebenbürgens der hohen Regierung gegenüber vollkommen auf dem frühern durch nichts veränderten oder verwirkten Rechtsboden befinden.
Was nun den Gesetzentwurf für die protestantischen Kirchen und Schulen der österreichischen Monarchie anbetrifft: so erscheinen die darin rücksichtlich der drei ersten Gliederungen der Pfarrgemeinde, des Seniorates und der Superintendenz sowie der denselben zur Seite stehenden Consistorialgerichte enthaltenen Bestimmungen auf die beiden protestantischen Landeskirchen in Siebenbürgen in den Hauptpunkten nicht anwendbar.
Dieses erhellet, was namentlich die evangelische Kirche A.K. anbetrifft, aus folgendem:
1. Es verordnet § 3 des besagten Gesetzentwurfes die Vorlage der Konventsverhandlungen an die vorgesetzte Kirchenbehörde und die gleichzeitige Mittheilung der Konventsbeschlüsse an die politische Obrigkeit.
Beide Verfügungen widerstreben der bisherigen freien Bewegung der Kirchengemeinde. Nach der <gegenwärtigen>1organischen Einrichtung der gedachten evangelischen Kirche A.K. in Siebenbürgen genügt es, dem Dechanten und dem Superintendenten sich bei ihren Visitationen davon zu überzeugen, daß die einzelnen Kirchengemeinden ihre Freiheit in einer dem allgemeinen Wohl und Ordnung entsprechenden Weise handhaben. Eine Vorlage der Beschlüsse der Lokalkirchengemeinden an die höhere Kirchenbehörde erfolgt nur dann, wenn dazu entweder Klagen Veranlassung geben oder zwischen dem geistlichen und weltlichen Stande eine Meinungsverschiedenheit stattfindet, welche unter ihnen selbst nicht ausgeglichen werden kann. Was die zweite Bestimmung anbetrifft: so begnügten sich die Lokalobrigkeiten, die äußern Handlungen der Lokalkirchenbehörden im Auge zu behalten, ohne je eine direkte Einsicht in die Beschlüsse dieser Behörden zu nehmen oder auch nur anzusprechen, welches mit den obengeführten Grundbestimmungen der Landesverfassung im Widerspruch gestanden wäre.
2. Der Einfluß, welchen die Gesammtheit einer Pfarrgemeinde in die Angelegenheiten der Kirche nimmt, erstreckt sich bei der siebenbürgischen Kirche der A.K.V. nur auf die Messen der Pfarrer und Schullehrer und ist neuerlich durch eine vom Oberconsistorium in Hermannstadt aus Anlaß der bevorstehenden Umänderung der sächsischen Munizipalverfassung erlassene provisorische Kirchenverfassung auch auf die Wahl der Kirchenräthe ausgedehnt worden. Die sämmtlichen Verwaltungs- und Disciplinarangelegenheiten werden durch die Consistorien, deren Mitglieder insgesammt aus Volkswahlen hervorgegangen sind, versehen. Dagegen räumt § 21 des provisorischen Gesetzes den Pfarrkonventen einen solch ausgedehnten Antheil an der kirchlichen Verwaltung ein, welcher an sich Bedenken zu erregen geeignet ist, in Bezug auf die siebenbürgische Landeskirche der A.K.V. aber das erwähntermaaßen dermalen bestehende System der Repräsentation völlig umwandeln und an dessen Stelle das Prinzip der unmittelbaren Volksversammlung setzen würde.
3. In der dermaligen Consistorialeinrichtung der oftgenannten Landeskirche A.K. gilt als unumstößlicher Grundsatz die vollkommene Gleichstellung des geistlichen und weltlichen Standes. Dieser Grundsatz wurde bisher in Ortsconsistorien durch das dem Ortspfarrer den weltlichen Mitgliedern gegenüber eingeräumte Veto, in den Bezirksconsistorien und im Oberconsistorium durch die völlig gleiche Anzahl der Mitglieder von geistlicher und weltlicher Seite emporgehalten. Auch in der obgedachten neuerflossenen provisorischen Kirchenverfassung ist dieses Prinzip in gleicher Weise durchgeführt. Diesem Grundprinzip der gedachten evangelischen Kirchenverfassung entspricht nun nicht die Zusammensetzung, welche in dem in Rede stehenden provisorischen Gesetze in § 2 für die Presbiterien, welche den gegenwärtigen Lokalconsistorien, in § 42 für die Senioralkonvente, welche den gegenwärtigen Domertical- oder Bezirksconsistorien, und in § 60 für den Superintendentialconvent, welcher beiläufig dem gegenwärtigen Oberconsistorium entspricht, festgestellt worden ist.
4. Sowohl über die Wahl der Pfarrer als auch über deren Einführung besteht in der gedachten evangelischen Kirche ein vom Landesfürsten, als summus arbiter, sanktionirtes Candidations- und Wahlnormativ, welches sowohl den Grundbestimmungen des im Andreanischen Freibrief zwischen den nach Siebenbürgen einwandernden deutschen Kolonisten und den Königen Ungarns geschlossenen Urvertrags, als auch den sonstigen besondern Verhältnissen der sächsischen Nation entspricht und mit der ganzen Grundverfassung der besagten Nation, welche in § 74 der Reichsverfassung gewährleistet worden ist, auf das innigste zusammenhängt. Das Gleiche gilt von der Wahl des Superintendenten, welche dieses Wahlvormativ ebenfalls enthält. Die in dem fräglichen provisorischen Gesetz über die Wahl der Pfarrer und der Superintendenten enthaltenen Bestimmungen erscheinen sonach für die evangelische Landeskirche A.K. in Siebenbürgen unanwendbar.
5. Die geistliche Gerichtsbarkeit, welche sich in den beiden protestantischen Landeskirchen Siebenbürgens auch auf die Ehescheidungen erstreckt, wird insonderheit in der evangelischen Kirche A.K. in erster Instanz durch die Kapitel und in 2. Instanz durch die Generalkapitel, welche Kapitel nur durch geistliche Mitglieder gebildet werden, vermöge der ihnen diesfalls zustehenden Privilegien geübt. In der für Siebenbürgen eben in der Vorbereitung begriffenen Gerichtsverfassung ist den besagten Kapiteln vor der Hand, gleich den übrigen geistlichen Gerichten in Siebenbürgen, ihre Gerichtsbarkeit belassen worden. Es können somit auch die in dem provisorischen Gesetz unter der Benennung von Senioral- und Superintendentialconsistorien vorgeschlagenen geistlichen Gerichte, aus geistlichen und weltlichen Mitgliedern bestehend, auf die evangelischen Kirchen in Siebenbürgen keine Anwendung finden.
Was ferner die in dem provisorischen Gesetz enthaltenen Bestimmungen über die durch die Repräsentanten sämmtlicher protestantischen Kirchen der österreichischen Monarchie zu bildende Synode anbetrifft: so kann die Absicht der hohen Regierung, eine Vereinigung der gesammten protestantischen Kirche der österreichischen Monarchie im Wege der Vertretung zu erzielen, nur mit gerechter Würdigung anerkannt werden, wenngleich dem Gelingen dieser Vereinigung bei der großen Verschiedenheit der Stufe der Entwickelung, auf welcher die verschiedenen protestantischen Kirchen der österreichischen Monarchie stehen, bei der Spannung, die unter den einzelnen Nationalitäten noch unläugbar obwaltet und bei den noch nicht bestimmten oder entwickelten Verhältnissen der einzelnen Kronländer, dermalen noch gewichtige Schwierigkeiten entgegen zu stehen scheinen. Nur können bei den Eingangs dargestellten Verhältnissen der beiden protestantischen Landeskirchen Siebenbürgens diese Kirchen nicht durch ein von der Regierung ohne ihre Anhörung ausgehendes Gesetz zu dieser Vereinigung gezogen werden, sondern es müßte diese aus dem freien Selbstbeschluß und Selbstbestimmung dieser Kirchen im Wege gegenseitiger Verständigung mit den übrigen protestantischen Kirchen durch Vermittelung der hohen Regierung hervorgehen.
Was endlich die im provisorischen Gesetz enthaltenen Bestimmungen über den Kirchenrath betrifft: so ist es von jeher eine auch von den Landesständen unterstützte Beschwerde der beiden protestantischen Kirchen Siebenbürgens gewesen, daß in ihren Angelegenheiten bei der ehemaligen siebenbürgischen Hofkanzlei die zum größten Theil aus Katholiken bestehenden Mitglieder derselben Einfluß nahmen. Die Aufstellung eines aus protestantischen Gliedern bestehenden evangelischen Kirchenrathes für die Monarchie wäre somit ein auch durch die Reichsverfassung gebotener Akt der Gerechtigkeit für die gesammte protestantische Kirche. Was jedoch die Zusammensetzung, die Art der Kreirung und den Wirkungskreis dieses Kirchenrathes anbetrifft, wie solcher in dem provisorischen Gesetz beantragt ist: so ergibt sich die Bemerkung, daß darin zwar die Konfessionen und Nationalitäten, nicht aber auch die einzelnen Landeskirchen repräsentirt erscheinen, welche Repräsentation doch für die Geschäfte des Kirchenrathes einen wesentlichen Faktor bilden dürfte; daß ferner bei dem dem Monarchen ausschließlich vorbehaltenen Ernennungsrechte der Kirchenräthe der diesen Kirchenrath zugewiesene Wirkungskreis weit mehr enthält, als bisher bezüglich der beiden protestantischen Landeskirchen durch die ehemalige siebenbürgische Hofkanzlei im Namen des Landesfürsten, qua summi arbitri, ausgeübt worden ist, somit auch diese Bestimmungen, bei der eingangs entwickelten Stellung dieser Kirchen, betreff derselben nicht anwendbar erscheinen.
Aus dem Vorausgeschickten ergibt sich, daß das oft besagte provisorische Gesetz für Siebenbürgen nicht promulgirt werden könnte, ohne gegen die Grundprinzipien und Grundeinrichtungen der dortigen protestantischen Landeskirchen zu verstoßen. Dieselben dürften demnach bei ihrer gegenwärtigen innern Einrichtung belassen werden und es ihnen freigestellt bleiben, in wie weit sie im Wege der ihnen zustehenden Selbstgesetzgebung diese Einrichtungen der Verfassung der übrigen protestantischen Kirchen der Monarchie entsprechend abändern wollten. Bezüglich der Vereinigung der gesammten protestantischen Kirchen der Monarchie aber und der Errichtung eines protestantischen Kircherathes für die Monarchie wäre es wünschenswerth, wenn die hohe Regierung den Oberconsistorien der beiden evangelischen Landeskirchen Siebenbürgens, als den diese Kirchen in höchster Instanz repräsentirenden Organen, Gelegenheit biethen würde, sich darüber auszusprechen und ihre diesfälligen Äußerungen und Anträge der hohen Regierung zur weitern Erwägung und Schlußfassung vorzulegen.

Wien, am 5. Juni 1850

Wilhelm Schmidt
Magistratsrath aus Kronstadt,
dermalen Deputirter der sächsischen Nation