Anonyme Aufforderung an Minister Leo Thun-Hohenstein, die neuen Kirchengesetze dem Volk zu erklären
o. O., o. D. [1852] 1
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Regest

Eine unbekannte Schreiberin fordert Leo Thun auf, die neuen Kirchengesetze dem Volk ausführlich zu erklären. Sie betont, dass derzeit große Unsicherheit herrsche und die Gefahr daher groß sei, dass das Volk durch Aufwiegler gegen das Gesetz und damit auch gegen das Ministerium und die Regierung aufgehetzt werde. Die Schreiberin glaubt, dass die Erklärung möglichst rasch erfolgen solle, weil sonst die Gegner des Gesetzes nicht nur die jüngsten Reformen, sondern auch alle bisherigen desavouieren könnten.

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Keine Stimme der Mahnung ist so gering, man dürfe ihr sein Ohr verschließen, jeder leise Donner sagt ein Gewitter an, es donnert dumpfaber schauerlich um uns, verschließen Sie Ihr Ohr nicht, Sie die das Zeitliche und Ewige Glück von Millionen fester stellen, aber auch zertrennen können! Kennen Sie die Aufregung derer, denen die Kirchenfrage unvorbereitet, ohne Aufklärung, ohne Erläuterung vor die geblendeten blöden Augen fiehl?
Haben Sie je eine Heerde Schafe beim Nahen eines ungewöhnlichen Lärms gesehen, wie sie die Köpfe zusammenstoßen und in blindem Schreck, rechts und links fahren, bis der Hirt rathlos und todtmüd, sie wieder auf die rechte Straße brachte, ein kluger Hirt führt langsam und vorsichtig die ruhigsten Schafe, fast ohne daß sie die Leitung merken an den gefährlichen Stellen vorbei, die Heerde folgt dann von selbst.
Wir stehen an einem schrecklichen Abgrund, die Furchtsamen voraus, ich gestehe es – aber die Furchtsamen hinter ihnen, die stoßen die armen Erschreckten dahin und dorthin, sie haben den Vorwand gefunden, gefaßt und gebrauchen ihn als Peitsche und weil das Volk Sie nicht versteht, so glaubt es ihnen.
Es ist eine heilige Sendung, so hoch zu stehen, aber wer so hoch steht, der gehe mit bedachtem Schritt und springe nicht wie ein Gemsjäger von Abgrund zu Abgrund, daß er den Weg nicht verliere. – Man zeigt dem Volk Gespenster und die soit disant Gebildeten sahen sie mit und die Furcht steigt ins Lächerliche, aber dies Lächerliche kann Grauenvoll werden. Warum eilen Sie nicht, ihre Kinder bei der Hand zu faßen, mitleidig und väterlich ein Licht anzuzünden im finstern Raum und zu sagen, schau hin es droht ja nichts! Warum ziehen Sie das schwarze Tuch nicht hinweg, das in schauerlichen Formen die Böswilligen über dies Kirchengesetz warfen, weil Sie auf die Dummheit der Gutwilligen vergessen haben! Die Wühler jubeln über die Erregung und diese Erregung ist leider kein Gespenst, sondern ängstliche Wahrheit, Wahrheit im Mark der Monarchie, selbst in der Armee. Halten Sie die Augen nicht zu und von der Arbeit, weil Ihr Herz sich bewußt ist, treu gearbeitet zu haben, schlagen Sie sie vom Schreibtisch auf, es steigt die Fluth – Welle um Welle – noch ist Zeit – vielleicht – scheuen Sie die Kosten nicht, jedes gedruckte verständliche Trost- und Erklärungswort, das einfach und faßlich in die erhitzte Menge träufeln wird und kauft vielleicht Hundert Blutstropfen – sagen Sie dem Volk aber einfach , denn wir sind ein dummes Volk, sagen Sie ihm, daß wer es hetzt ein Verräther ist und wäre es der niedere Klerus, weil er die nöthigen Fesseln fürchtet für sich, aber säumen Sie nicht, damit es nicht aus Furcht vor Chimairen unwißend ins Elend renne. Diese Kirchenstrafen nennen Sie sie, nennen Sie, die – die sie treffen werden, denn das Volk drückt der Alp und es wird bald im Schlaf herum schlagen, glaubend es muß sich vom neuen Kirchengesetz befreien. Bei der ersten verhängten Kirchenstrafe wird der Pöbel fait et cause nehmen und der Bischof – vielleicht – ohne Macht allein stehen, denn die Armee versteht das neue Gesetz auch nicht und sie wird sich blind für den Kaiser schlagen, aber nicht blind zur Vertheidigung der Kirchenstrafen. Drucken Sie das klare Wort, schnell – schnell, eh die Aufregung das Land gewinnt – legen Sie die Blätter auf die Kirchenbänke und die Schanktische in die Häuser der Reichen und der Armen, auf das Bettchen der Kinder, ins Gebetbuch der Greise, legen Sie’s vor allem vor die Reihen der tapfern Helden, daß sich ihre Stirn nicht ernst grübelnd falte, sondern sie verstehen, es sei das klare Recht.
Die zu Ihnen spricht ist fern von Tadel, sondern segnet dieses Gesetz wohl selbst ohne klares Verstehen, sie sagt aber offen, denn die Stunde ist feierlich, die nächste drohend, sie sagt offen, „das Gesetz veröffentlichen ohne Vorerklärung, ohne zugleich Erläuterung war gewagt – der Mangel an Energie jetzt ein Verbreiten der Beruhigung – wäre Sünde."
Wir stehen auf einer niedern Stufe der Bildung in fast allen Klassen, in Östreich, Sie haben das vergessen. – Lassen Sie den Segen nicht zum Fluch werden, Ihre schöne Saat nicht zum Verderben, sorgen Sie, daß es so klar gesagt sei, was Sie hörten, daß Keiner vorbei gehen könne und sagen: „Da wachsen brennende Disteln, fürchtet Euch, rottet den Sämann aus und die gefährliche Saat.“ Es gehen bereits Viele vorbei, die das sagen und die Menge gafft sie erschreckt an und glaubt ihnen.