Ludwig Heufler an Leo Thun
Hermannstadt, 13. April 1850
|

Regest

Ministerialsekretär Ludwig Heufler berichtet Leo Thun von seiner Dienstreise nach Siebenbürgen. Heufler beschreibt zunächst die Reise und schildert Thun seine ersten Eindrücke. Dabei geht er insbesondere auf die Lage der Siebenbürger Sachsen ein. Er befürchtet, dass die deutschen Bewohner Siebenbürgens mittelfristig verdrängt werden, weil die Siebenbürger Sachsen, im Vergleich zu den anderen dort lebenden Nationalitäten wenige Kinder hätten. Er glaubt daher, dass bei einer Zusammenfassung Siebenbürgens in einem Kronland, die deutschsprachigen Bewohner benachteiligt würden. Er vergleicht dazu die Situation der Deutschen in Siebenbürgen mit jener der Deutschen im Trentino und in Venetien. Da laut ethnografischen Karten Siebenbürgen von drei Volksgruppen bewohnt werde, lautet sein Vorschlag zur Lösung der Situation, Siebenbürgen in drei Kronländer zu teilen, mit Hermannstadt als zentralem Sitz der Verwaltung. Dadurch könne man den nationalen Sonderbestrebungen entgegentreten und zugleich die Siebenbürger Sachsen schützen. Zuletzt versichert Heufler dem Minister, dass bei er bei all seinen bisherigen Besprechungen großes Vertrauen in die Politik des Ministers erkennen konnte.

Anmerkungen zum Dokument

Heufler schickte den Brief zunächst nicht ab, sondern sandte ihn als Beilage zum Brief: Ludwig Heufler an Leo Thun. Hermannstadt, 29. April 1850..

Verweis auf A3 XXI D51 und A3 XXI D61

http://hdl.handle.net/21.11115/0000-000B-DBBF-8

Schlagworte

Edierter Text

Euere Excellenz!

Es drängt mich, von der Erlaubnis brieflicher Mittheilungen Gebrauch zu machen. Zu amtlichen Anträgen ist es natürlich noch nicht an der Zeit; auch muß ich erst mein Zelt aufschlagen, denn es giebt hier kein gemeinschaftliches Regierungsgebäude und für jedes einzelne Bureau muß mühsam Dach und Fach aufgesucht werden.
Die Reise durch Siebenbürgen ist eine Reise neben Trümmern zerstörter Dörfer. Das Sachsenland ist als das fruchtbarste am meisten besucht und geplagt worden und nur das Wirken der Natur, die mit ihrem Segen die Wunden ausgleicht, die der Mensch geschlagen hat, giebt Trost und Hoffnung.
Die Lage der Deutschen in Siebenbürgen ist keine gute; seit langer Zeit ist die Bevölkerung stationär, in einzelnen Dorfschaften sogar im Rückschritte, und die uralte eingeborne Einwohnerschaft, die Romanen, überfluthen das germanische Element. Eine eigenthümliche Verschrobenheit ist daran Schuld. Der Sachse betrachtet viele Kinder als eine Schande und damit das Vermögen nicht zerstückelt werde, verzichten die Eheleute auf zahlreiche Nachkommenschaft. Daß diese Erscheinung nicht in der Unfruchtbarkeit liege, beweist der Umstand, daß Pfarrer und Schullehrer, deren Kinder nicht auf Grundbesitz angewiesen sind, durchaus viele Kinder haben; auch erzählte mir ein Landgeistlicher, wenn er das Kind eines Bauern zu Grabe geleite, er sicher rechnen könne, ein Jahr später zur Taufe gebethen zu werden.
Jener Geistlicher gestand mir zu, daß hier eine tiefe sittliche Fäulnis zu Grunde liege, daß man aber dagegen nichts thun könne. Das warum blieb er mir schuldig, und wenn ich hier als Privatmann wäre, hätte ich es ihm gesagt; es ist nämlich dem evangelischen Geistlichen durch den Mangel der Ohrenbeichte der Haupthebel tiefgehenden Wirkens abgeschnitten.
Eine andere Furcht der Sachsen besteht darin, daß die Regierung Siebenbürgen als tabula rasa betrachtet, auf welcher ein Proconsul mit bestem Willen aber ohne Verständnis der Geschichte und nationeller Gegensätze seine Linien zieht.
Durch die jüngste Arrondirung des Sachsenbodens ist dort die Anzahl der Wallachen eine größere als die der Deutschen. Käme nun dazu, was man so sehr fürchtet, daß Siebenbürgen als Ein Kronland erklärt würde, so wäre dem Deutschthum in Siebenbürgen der Todesstoß gegeben. Ich erinnere mich hier lebhaft, wie die deutschen Enclaven im Vienetischen und Tridentinischen unter der Regierung der Dogen von Venedig und der Bischöfe von Trient, also unter der Regierung von Wälschen, Deutsche geblieben sind, dreißig Jahre aber der deutschen österreichischen Regierung hingereicht haben, das germanische Element dort auszurotten, so daß man die Wälder und Wiesen bei ihren Namen fragen muß, um zu erfahren, daß dort einst Deutsche gehaust haben. Lernen wir doch einmal von der Geschichte in der Gegenwart richtig handeln. Das wolle Gott verhüten, daß der Kaiser von Oesterreich diese östliche deutsche Vorhut zu Grunde gehen lasse, während der Großfürst von Siebenbürgen und früher der König von Ungarn sie gehegt und gepflegt hat. Gehegt ist hier aber das rechte Wort; sie ist wie ein edler Blumengarten in der wilden Steppe; der Hag aber, den sie braucht, bedarf, benöthiget, ist eine eigene Kronlandsverfassung, ein eigenes Territorium, eine eigene, von den Romanen und Magyaren geschiedene Repräsentation. Wenn ich kein Abgesandter der Regierung wäre, schriebe ich für das große Publikum. So lege ich mit dem Ausdrucke unbegränzten Vertrauens Euerer Exzellenz ans Herz, was mir eine nothwendige Maßregel für Siebenbürgen scheint: Eine einzige Administration mit dem Sitze der Regierung in Hermannstadt, drei repräsentativ geschiedene Kronländer. Wenn ich das Original der ethnographischen Karte Siebenbürgens studiere, das mir Häufler mitgegeben hat, fasse ich die Überzeugung von der Möglichkeit einer solchen Abgränzung; die Magyaren bewohnen nur das Szeckler [Szekler] Land in kompackten Massen; im „Lande der Ungarn“ sind fast nur Romanen und die Magyaren waren nur die Herren; das Land der Sachsen, wie es vor dem Jahre 1848 war und wie es wieder herzustellen wäre, ist überwiegend deutsch. Also ein Land der Sachsen, der Romanen und der Magyaren (Szeckler). Der gemeinschaftliche Name Siebenbürgen als Ausdruck für das ganze administrativ und militärisch einheitliche Land soll bleiben. Ähnliches ist ja auch im Küstenlande geschehen, wo Triest mit seinem Gebiethe und Istrien mit Görz zwei Kronländer unter einer Administration bilden. Nicht in schnurgerechten [sic!] Linien, nicht in der Uniformität liegt das Heil, sondern in der naturgemäßen Mannigfaltigkeit, die nach Einem Ziele strebt.
Ich bitte Euer Exzellenz, diese Betrachtungen nicht als Ausdruck von Deutschthümelei anzusehen, ich habe durch mein Benehmen in Istrien und ich glaube auch durch meine Arbeiten im Ministerium gezeigt, daß eine solche beschränkte Liebe eigener Stammgenossen mir ferne liege.
Aber die Romanen träumen von der Wiederherstellung des alten Daciens, die Ungarn von einem magyarischen Donaureiche, beide sind geschworene Feinde der Habsburger und der großen mitteleuropäischen Monarchie, die langsam aber sicher unter dem augenscheinlichen Segen des Himmels und auf dem Boden des Rechtes groß wächst und dazu bestimmt scheint, germanische Bildung und Sinnesart den drohenden modernen Scythen als Bollwerk entgegenzusetzen. Da nun das junge einheitliche Oesterreich glücklicherweise in den dacischen Karpathen eine deutsche Oase findet, auf die allein es sich verlassen kann, so wäre es der Gipfel der Thorheit, die Mauer der Gesetze, welche sie seit sechshundert Jahren völlig wunderbarer Weise – denn so groß ist die Kraft der Achtung vor dem Recht – vor Kumanen und Magyaren, vor Türken und Wallachen als Deutsche erhalten hat, jetzt einzureißen und sie der Übermacht der Anderen preiszugeben. Geschähe dieses, so könnten die Sachsen wohl sagen: Gott schütze mich vor meinen Freunden, vor meinen Feinden werde ich mich selber schützen.
Verzeihen Euere Exzellenz, daß ich soviel von einer Sache gesprochen habe, die nicht buchstäblich zu meinem Geschäfte gehört und worüber zu reden nach so kurzem Aufenthalte eine Verwegenheit scheint; aber ich bin nicht ohne Vorbereitung hergekommen und dazu kömmt jetzt eignes Hören und Sehen, Liebe zum großen Gesammtverbande und Begeisterung für seine kommende Größe. In den ersten frischen Eindruck mischt sich oft eine Intuition, die später selbst gerufen nicht wiederkommt und hier ist sie nun, wie sie mir ward, in Worten abgespiegelt.
Ich habe angefangen, Besuche zu machen und zu empfangen; ich finde überall den Ausdruck des größten Vertrauens in die Persönlichkeit und die besten Absichten Euerer Exzellenz und in die des Ministeriums überhaupt; meine Aufgabe fängt im lebendigen Verkehre mit den Menschen an feste Gestalt zu gewinnen, und da ich einmal im Wasser bin, kommt mir auch der Muth zum Schwimmen. Für die Adjungirung des Prof. Schuller danke ich auf das wärmste; schon auf der ganzen achttägigen Reise war er mir eine reiche Quelle der Belehrung. Er läßt sich Euerer Exzellenz ergebenst empfehlen.
Genehmigen Euere Exzellenz den Ausdruck der unbegränzten Verehrung, mit der geharret Hochdero

ergebener Diener
L. Heufler

Hermannstadt, den 13. April 1850