Ignaz Deutsch, Vorsteher der polnischen Synagoge in Wien, informiert Leo Thun über die Stimmung unter seinen jüdischen Glaubensgenossen und bittet den Minister, den Wunsch der orthodoxen Juden, in der Gründung und Erhaltung ihrer religiösen Institutionen frei agieren zu können, zu unterstützen. Zunächst betont Deutsch, dass das Reformjudentum (Neologie) immer öfter das orthodoxe Judentum angreife und dessen Institutionen übernehmen wolle, bzw. eigene Seminare und Synagogen gründen wolle. Deutsch sieht darin nicht nur eine Gefahr für das orthodoxe Judentum, sondern auch für die gesamte Monarchie, zumal sich gerade die orthodoxen Juden stets als treue Untertanen gezeigt hatten. Deutsch schildert dann die zahlreichen Mühen, die er als Vertreter der orthodoxen Juden seit Jahrzehnten auf sich nehme und die zahlreichen Anfeindungen, die er ertragen müsse. Er erwähnt dabei sein Engagement im Schulbau, aber auch seine Loyalität im Fall Mortara. Durch sein Wirken habe sich in Österreich etwa keine einzige Gemeinde in diesem Fall gegen den Papst gewandt. Er bittet daher Thun eindringlich, die orthodoxen Juden öffentlich zu stärken und sie als rechtmäßige Vertreter des Judentums anzuerkennen. Schließlich bittet er darum, das Ansuchen zu unterstützen, dass den orthodoxen Gemeinden in der Gründung und Erhaltung ihrer religiösen Institutionen die vollste Freiheit gewährt werde und dass diese vor Eingriffen der Reformjuden geschützt werden.
An Seine Excellenz den Hochgebornen Herrn, Herrn Leo Grafen von Thun-Hohenstein, k.k. Minister für Cultus und Unterricht
Euer Excellenz!
Im 3. Decennium ist es bereits, daß sich der gehorsamst Gefertigte einer Aufgabe
unterzogen hat und einer Richtung entgegenzuwirken mit aller Kraft bemüht war,
der unter keiner Volksklasse dieser Erde solche empfindliche Hindernisse
entgegentreten als unter seinen Glaubensangehörigen.
Fast die ganze Hälfte
dieser Zeit fällt in eine Periode voll der schwersten Prüfungen, wo die
neologischen Elemente allerwärts an Kraft, Muth und Einfluß immer mehr Terrain
gewonnen haben.
All‘ diese tiefbewegten Zeiten seit der verhängnisvollen
März-Catastrophe sind noch in Jedermann’s Angedenken und der gehorsamst
Gefertigte darf es wohl ungescheut sagen, daß ihn dennoch kein Ereignis
innerhalb dieser Zeit in seinen Bestrebungen wankend machen und alle feindlichen
Angriffe der Reformer, alle Ausfälle der Presse und der neologischen Prediger
von der Kanzel herab denselben in seiner Überzeugung nicht erschüttern
konnten.
Das Bewußtsein, für eine heilige gerechte Sache einzustehen, die
traurige Gewißheit, daß leider kein anderer seiner Glaubensangehörigen je den
Muth gezeigt, den jüdischen Neologen in Oesterreich offen
entgegenzutreten und die ermuthigende Überzeugung, daß die ersten Räthe der
Krone diese Richtung stets vollkommen gebilligt haben, hat es möglich gemacht,
all’ diese schwer wiegenden Hindernisse zu überwinden und auf diesem Wege
entschlossen auszuharren.
Nachdem sich aber die Gegner des gehorsamst
Gefertigten – wie dies der letzte Vorfall gezeigt hat – so sicher glaubten, daß
sie kein Bedenken trugen, denselben in so offener verrätherischer Weise zu
kränken und so sich zu betrüben; da sich dieselben überdies dessen frei und
offen rühmen, um die altgläubigen Juden zu demüthigen und zu entmuthigen, – da
endlich dieser für den gehorsamst Gefertigten so schmerzliche Vorfall auf seine
ungewöhnlich zahlreiche Familie einen solchen Eindruck hervorgebracht hat, daß
dies in der That eine Änderung in seiner ferneren Thätigkeit veranlassen dürfte,
so fühlt sich derselbe aus liebevoller Hingebung für seinen Erhabenen Kaiserlichen Herrn und aus tiefster
Dankbarkeit für die ihm gewährte Unterstützung im Interesse der altgläubigen
Juden gedrängt und verpflichtet, über seine bisherige Thätigkeit und Wirksamkeit
der kaiserlichen Regierung in aller Ergebenheit Rechenschaft zu geben und bittet
Euer Excellenz ehrerbietigst, die hier verzeichneten Zahlen und Daten gnädigst
zu prüfen, damit der gehorsamst Gefertigte in diesem Falle, nach einem 25
jährigen schweren Kampfe – in dem derselbe seine besten Kräfte geopfert hat –
die beruhigende Überzeugung mit sich nehme, als treuergebener österreichischer
Unterthan und als Vertheidiger und Vertreter einer heiligen Sache seine
übernommene moralische Verpflichtung gewißenhaft erfüllt zu haben. Vom Fürsten Metternich bis auf
die heutige Zeit wurde der gehorsamst Gefertigte stets von allen leitenden
Regierungspersonen in seinen Bestrebungen – die Juden in
Oesterreich in ihrer alten religiösen Überzeugung zu
erhalten – ausdrücklich ermuthiget und ist von denselben jederzeit mit Rath und
That unterstützt worden.
Bereits vor 20 Jahren wurde der gehorsamst
Gefertigte durch Seine Kaiserliche Hoheit
den Durchlauchtigsten Herrn Erzherzog Franz Carl an die
hervorragendsten Regierungspersonen nachdrücklichst empfohlen. Zwei der
Letzteren, der seelige Reichsrathspräsident Freiherr von Kübeck und Seine
Excellenz der Herr Reichsrath Freiherr von
Kraus, denen die Bestrebungen des gehorsamst Gefertigten im
Interesse der kaiserlichen Regierung vor und während dem Jahr 1848 genau bekannt
waren, haben bereits über denselben bei verschiedenen Gelegenheiten an Seine k.k. apostolische Majestät Bericht
erstattet. Als sich nun die kaiserliche Regierung nach dem Jahr 1848 von den
Mittheilungen des gehorsamst Gefertigten über die politischen Gesinnungen der
altgläubigen Juden überhaupt die volle Überzeugung verschafft hatte, glaubte
derselbe in seinen Bestrebungen um so sicherer und entschiedener vorgehen zu
dürfen. Zu diesem Ende verfügte sich am 2. Sept. 1850 eine Deputation aus den
ersten und bewährtesten Rabbinern des Reiches nach der kaiserlichen Residenz, um sich bei Seiner k.k. apostolischen Majestät im Namen ihrer Collegen
Schutz und Gnade für ihre alten religiösen Institutionen ehrfurchtsvoll zu
erbitten, die bei dieser feierlichen Gelegenheit den gehorsamst Gefertigten
ermächtigten, ihre religiösen Angelegenheiten bei der kaiserlichen Regierung
ferner zu vertreten.
Die Aufmerksamkeit des gehorsamst Gefertigten war
zunächst auf die religiösen Zustände der Juden in Ungarn –
ein Kronland, welches 400.000 Juden in sich faßt – gerichtet. Das bekannte
jüdische Finanzcomité, welches sich im Jahr 1845 zur Aufhebung der Judensteuer
in Pesth gebildet hat, war schon damals
bestrebt, auch die politischen und religiösen Angelegenheiten der ungarischen
Juden in den Bereich ihrer Wirksamkeit zu ziehen. Als dasselbe nach dem Jahr
1848 factisch im Besitze von 2 Millionen des ungarischen israelitischen
Cultusfondes war, sind bereits von dieser Seite, über Gründung von neologischen
Rabbinerseminarien und modernen religiösen Institutionen, Vorschläge
unterbreitet worden. Der gehorsamst Gefertigte, von seinen Gesinnungsgenossen
unterstützt, hat Alles aufgebothen, um gegen dieses Comité und seine
verderblichen Institutionen anzukämpfen. Er hat die kaiserliche Regierung
unabläßig auf die Gefahr aufmerksam gemacht, welche durch das Fortbestehen des
Pesther Finanzcomités für die religiöse
Zukunft der ungarischen Juden unvermeidlich entstehen muß. Der Cultusfond wurde
endlich diesem Comité aus [den] Händen genommen, was die gänzliche Auflösung des
Letzteren herbeigeführt hat. Wäre dies nicht geschehen, so bestände in diesem
Augenblicke in Ungarn und dessen Nebenländern vielleicht
nicht eine einzige altgläubige israelitische Cultusgemeinde.
Durch diesen
Erfolg ermuthiget, fühlten sich alle altgläubigen Judengemeinden in
Ungarn frei von dem jahrelangen Drucke und dem
schädlichen Einflusse des Pesther
israelitischen Finanzcomités. Sie richteten ihre Blicke wieder auf die alte
regierungstreue, fromme Judengemeinde zu Presburg, gaben ihren Widerwillen und Abscheu für all‘ die in
Vorschlag gebrachten neologischen Seminare frei und offen kund und so ist es dem
gehorsamst Gefertigten möglich geworden, die Rabbinatsschule zu Presburg zu einer öffentlichen, angesehenen
theologischen Lehranstalt für zukünftige Rabbiner zu erheben, die in diesem
Augenblicke 400 Hörer zählt, die für die Zukunft bestimmt sind, in eben so
vielen jüdischen Gemeinden des Kaiserreiches als regierungstreue Rabbiner zu fungiren, um ihre
Gemeindeangehörigen in diesem Sinne zu leiten und zu erhalten.
Als sich eben
um diese Zeit ein der kaiserlichen Regierung bekanntes revolutionäres Individuum mit den Reformen Deutschlands vereinigte, um die alten jüdischen,
positiv religiösen Grundsätze an der Urquelle zu zerstören und zu diesem Ende
nach Jerusalem reiste, um unter den dortigen Juden einen
reformirten Gottesdienst und moderne europäische Institutionen einzuführen, hat
der gehorsamst Gefertigte keinen Augenblick gesäumt, um auf alle großen
europäischen Judengemeinden durch Wort und Schrift einzuwirken und gleichzeitig
als Curator der Juden in Palästina eine
Denkschrift 1 dem hohen k.k. Ministerium
des Äußeren zu unterbreiten und so es in seiner Stellung nur möglich war, Alles
aufzubiethen, um diesen Frevel zu verhindern.
Die kaiserliche Regierung weiß
es, welche Angriffe der gehorsamst Gefertigte damals erdulden mußte, um diesen
für die religiöse Zukunft aller europäischen Juden gefahrdrohenden Anschlag zu
vereiteln. Er ist aber vereitelt worden und dem hohen Ministerium des Äußeren
ist es gewiß nicht fremd geblieben, wie sich die Juden in Palaestina bei jeder Veranlaßung, die das
Interesse des österreichischen
Kaiserreiches berührt hat, benommen haben. Während dem auf diese
Weise die Grundbedingungen zur Erhaltung des alten jüdischen Glaubens
vertheidiget und gerettet wurden, hat der gehorsamst Gefertigte gewiß nichts
vernachläßiget, um die einzelnen schwankenden Judengemeinden in den Kronländern
in ihrer alten religiösen Überzeugung zu erhalten, jede neologische Kundgebung
möglichst niederzuhalten, namentlich die altgläubigen Rabbiner in ihrem Kampfe
gegen die modernen Prediger zu ermuthigen und nach Kräften zu unterstützen. In
allen Provinzialhauptstädten und in allen reichen Judengemeinden, wo die Reform
nicht zu unterdrücken war, war derselbe bemüht, mindestens überall die
altgläubige Parthei zu erhalten, zur Ausdauer aufzumuntern und die Kluft zwischen
ihnen immer schroffer auszubilden. Die Anstrengungen des gehorsamst Gefertigten,
der Reform in der kaiserlichen Residenz
möglichst entgegenzuwirken, auf die derselbe den höchsten Werth gesetzt hat,
sind wohl allen Behörden seit mehr als 20 Jahren genügend bekannt. Mehr als 15
altgläubige Bethhäuser sind auf seine Veranlaßung in Wien
und dessen nächster Umgebung in‘s Leben getreten. Einen Theil derselben hat der
gehorsamst Gefertigte persönlich errichtet und, um eine altgläubige Fraction mit
Sicherheit zu erhalten, hat derselbe schon im Jahr 1849 eine eigene altgläubige
Religionsschule errichtet, welche derselbe – laut Eurer Excellenz bekannten
ämtlichen Daten – größtentheils auf eigene Kosten erhalten hat und die nun mit
Bewilligung des hohen
Cultusministeriums gesetzlich fortbesteht. Es ist kaum ein Jahr
vorüber und Euer Excellenz dürften wohl die ganze Angelegenheit noch in voller
Erinnerung behalten haben, als die israelitische Hauptgemeinde zu
Makó im Banat
durch einige Neologen und durch die Unterstützung des Stuhlrichteramtes
gewaltsam reformirt wurde. Die alte Synagoge war bereits zerstört und in einen
Tempel mit Choralgesang umgewandelt, der Concurs für einen modernen Prediger in
den öffentlichen Blättern bereits ausgeschrieben und als sich der dortige
Rabbiner und die Gemeindeangehörigen aus Banat an den gehorsamst Gefertigten wendeten, wurden dieselben
aufgemuntert und ermuthiget. Dieselben kamen nach Wien –
der gehorsamst Gefertigte leitete diesen Proceß durch 18 volle Monate –
verfertigte persönlich alle Eingaben bei den unteren Behörden und das Resultat
ist Eurer Excellenz bekannt. Der Cultusvorstand der Hauptgemeinde
Makó wurde durch eine überwiegende Majorität
abgesetzt, der alte Rabbiner wieder in Ehren berufen, die Synagoge hergestellt,
der Tempel, Choralgesang, alle neologischen Einrichtungen beseitigt und alle
kleineren umliegenden Gemeinden im Banat von dieser Plage gänzlich
befreit.
Es ist kaum 8 Tage, daß ein ähnlicher Fall in der Judengemeinde
Verbocz durch Vermittlung des gehorsamst Gefertigten
beim hohen
Cultusministerium verhindert wurde und in diesem Augenblicke
befindet sich ein Abgeordneter des Ober- und Comitatsrabbiners Frieden aus Comorn bei dem gehorsamst Gefertigten, der um Rath bittet, wie
in dieser Gemeinde der durch eine geringe Anzahl Neologen angestrebten
Umgestaltung der alten Synagoge und der Berufung eines modernen Predigers
daselbst zu begegnen wäre, um alle kleineren Judengemeinden in diesem Comitate
von reformsüchtigen Bestrebungen ferne zu halten.
Ist schon die Zahl solcher
Fälle, welche durch die Vermittlung des gehorsamst Gefertigten seit dem Jahr
1848 zu Gunsten der altgläubigen Juden entschieden worden sind, keine geringe
und der Herr Referent im hohen Cultusministerium dürfte es wohl wissen, daß in den letzten
Jahren kaum 8 Tage verstrichen sind, wo der gehorsamst Gefertigte nicht in
solcher Angelegenheit beschäftiget war, so sind diejenigen Fälle in so vielen
Judengemeinden der Kronländer, wo die neologischen Kundgebungen gleich im
Entstehen unterdrückt worden sind, gewiß die überwiegenden.
Wenn nun die
Animosität der Reformparthei, welche aus solchen Veranlaßungen von jeher
ausschließlich gegen den gehorsamst Gefertigten gerichtet war, sich leicht
ermessen läßt, so müßte sich dieselbe in den letzten Jahren aus politischen
Rücksichten um so mehr steigern.
Alle Welt kennt die regierungstreuen
Gesinnungen der altgläubigen Juden und Niemand kann gewißenhafter darüber
berichten als der gehorsamst Gefertigte. Alle Rundschreiben der Gemeinden und
deren Rabbiner, jeder Aufruf der jüdischen Synode in Palästina und alle patriotischen Kundgebungen derselben, wie
sie in so vielen bewegten Zeiten und während dem letzten italienischen Kriege in
den Tagsblättern abgedruckt waren, hat der gehorsamst Gefertigte verfaßt und dem
Redacteur der Wiener Zeit. persönlich übergeben, die in der Regel dem
Herrn Minister des Innern und
nicht selten auch Eurer Excellenz vor dem Drucke zur Einsicht unterbreitet
wurden. Daß dies nicht im Sinne der Neologen war, daß ihre Wünsche und Absichten
durch solche Kundgebungen vielmehr stets vereitelt worden sind, unterliegt
keinem Zweifel und die Reformparthei klagt in der Presse und auf der Kanzel
fortwährend laut darüber, "welchen Druck die altgläubigen Juden auf die Männer
des Fortschritts üben, wie Letztere von dieser Parthei stets controllirt,
überwacht und auf allen Wegen beobachtet werden".
Es kann hier wohl nicht
die Absicht sein, all‘ die Zahlen und Daten in Erinnerung zu bringen, die seit
20 und 25 Jahren bei so vielen Gelegenheiten davon Zeugnis geben, mit welch‘
treuer Anhänglichkeit die altgläubigen Juden im Interesse des Thrones und der
legitimen Regierung thätig waren.
Der gehorsamst Gefertigte möchte nur einen
einzigen Fall hervorheben, der erst in der letzten Zeit eingetreten ist und der
es deutlich zeigt, daß nichts vernachläßigt wurde, selbst auf die Gefahr hin,
von den eigenen Gesinnungsgenossen verurtheilt zu werden, um die kaiserliche
Regierung von jeder Unannehmlichkeit zu verschonen.
Als die Mortara’sche Angelegenheit seiner Zeit in
Europa so viel Aufsehen verursachte, wurden auf Cavours Veranlaßung, von
Alessandria datirt, die heftigsten Pamphlete gegen
den Pabsten unter den Juden Europas verbreitet.
Sir Moses Montefiore, von einem
in London zu diesem Zwecke eigens gebildeten Comité
gedrängt, mußte mit seiner Unterschrift versehen, alle größeren Judengemeinden
in Europa auffordern, im Interesse der Mortara’schen Familie
zu wirken. Der gehorsamst Gefertigte hat keinen Augenblick gesäumt, alle diese
italienischen, offenen und geheimen Rundschreibungen, so wie ihm dieselben von
den Rabbinern zugeschickt worden, theils Eurer Excellenz und theils Seiner Eminenz dem Cardinal Erzbischofe von
Rauscher auszufolgen. Derselbe verfertigte gleichzeitig ein
Rundschreiben, welches dem damaligen Herrn Unterstaatssecretär Freiherrn von Werner zur Einsicht übergeben
wurde, das bestimmt war, die Aufforderung Sir
Moses Montefiore’s an die Juden zu entkräftigen und der königlich
englische Oberlandesrabbiner Adler mußte
Alles aufbiethen, um Montefiore von
weiteren Schritten abzumahnen.
Was nun auch weiter in dieser Angelegenheit
in England geschehen – Tathsache ist, daß nicht eine einzige
altgläubige Judengemeinde, noch weniger ein Rabbiner derselben weder einen übeln
Laut in der Presse noch sonst einen feindlichen Schritt gegen die päbstliche
Regierung versucht hat. Ist nun eine solche Wirksamkeit schon an und für sich
keine angenehme, so mußte dieselbe aus ganz anderen Gründen immer größere
Schwierigkeiten biethen.
Von einer Legion Feinde fortwährend umgeben, die
durch ihre hervorragende Stellung in allen Regierungskreisen einen Ruf und einen
Namen haben, mußte sich der gehorsamst Gefertigte stets an treubewährte Räthe
der Krone halten, die auf eine bevorzugte persönliche Stellung keine Rücksicht
nehmen. Eben aber dieser Umstand wurde von den Gegnern stets als Waffe benützt,
um die unteren Stellen, namentlich die Polizeibehörde, durch Einflüsterung "von
Umgehung und Hintansetzung" gegen den gehorsamst Gefertigten in einer
unfreundlichen Stimmung zu erhalten.
Von solchen und ähnlichen
Verdächtigungen auf das bestimmteste überzeugt und in der drückenden
Ungewißheit, was über den gehorsamst Gefertigten hohen Ortes berichtet wird,
wollte sich derselbe längst gegen jede ihm zugemuthete unlautere Gesinnung
feierlichst verwahren.
Da sich nun der gehorsamst Gefertigte aus einer ganz
anderen Veranlaßung hiezu entschloßen hat, möchte derselbe bei dieser
Gelegenheit noch hinzuzufügen, daß er seit 25 Jahren die religiösen
Angelegenheiten seiner Glaubensangehörigen vertreten und vertheidiget, tausende
Nächte durchwacht, eine offene und eine geheime Correspondenz persönlich
geführt, unzählige Eingaben, Brochuren und Denkschriften, in ihrem Interesse
verfaßt und veröffentlicht hat, verbunden mit wesentlichen Geldauslagen,
Vernachläßigung seines Geschäftes und seiner zahlreichen Familie und es würde
dem gehorsamst Gefertigten eine besondere Beruhigung gewähren, wenn eben jene
Behörden, die in ihren Berichten für seine Bestrebungen keine sonderliche
Sympathie Kund gegeben haben, es ämtlich ermitteln möchten, ob der gehorsamst
Gefertigte innerhalb dieser Zeit von irgend einer Judengemeinde, einem Rabbiner
derselben oder sonst von irgend einem Laien während seiner ganzen Wirksamkeit
die Rückerstattung nur eines Stämpelbogens gefordert oder sonst eine directe
oder indirecte Wohlthat von Jemand empfangen habe.
Wenn nun diese
kurzgefaßte Zusammenstellung von Thatsachen zunächst den Zweck hatten, die
bisherige Thätigkeit des gehorsamst Gefertigten in ihrer lauteren Wahrheit
wieder zu geben, um sich hierüber die gnädige Beurtheilung Eurer Excellenz
ehrerbiethigst zu erbitten, so geht aus derselben andererseits nicht minder
deutlich hervor, mit welch‘ persönlicher Gefahr und mit welchen Schwierigkeiten
solche Bestrebungen in der heutigen Zeit verknüpft sind.
Durch die neuesten
Änderungen in den politischen Verhältnissen der Juden in
Oesterreich und durch die hieraus entstehende vollkommen
freie Bewegung derselben werden in der nächsten Zukunft in allen Kronländern des
Kaiserreiches neue Judengemeinden
erstehen, ohne in diesen frei gewählten Niederlaßungen irgend etwas zu finden,
was dieselben an ihre alten religiösen Formen und Gebräuche ermahnen könnte und
die, "wenn sie nicht sämmtlich in die Gewalt der Neologen gänzlich verfallen
sollen", eine sorgfältige Überwachung und die volle Aufmerksamkeit der
kaiserlichen Regierung bedürfen.
In der kaiserlichen
Residenz, in der nächsten Umgebung derselben und in ganz
N[ieder]Oesterreich
überhaupt, haben sich bereits diese Folgen auf eine besorgniserregende Weise
kundgegeben.
Von diesem Zustande genau unterrichtet, hat der gehorsamst
Gefertigte schon im Jahr 1857 eine umständlich verfaßte Denkschrift dem hohen
Cultusministerium unterbreitet und auf all‘ diese Erscheinungen
aufmerksam gemacht, wie sie nun in der letzten Zeit immer deutlicher
hervortreten. Derselbe hat damals gleichzeitig die Mittel bezeichnet, wie diesem
Übel nach seiner innigsten Überzeugung am gründlichsten zu begegnen wäre.
Allerdings bilden noch die altgläubigen Elemente im Kaiserreiche die überwiegende Mehrzahl und noch weit günstiger
besteht das Verhältnis der alten Rabbiner zu den neologischen Predigern, allein
es hat den alten Fractionen stets an Muth gefehlt, für ihre Sache offen in die
Schranken zu treten. Die Rabbiner zeigen eine ängstliche Scheu vor den
Auslaßungen der neologischen Presse und für die Öffentlichkeit überhaupt. Die
Laien schrecken und weichen zurück vor den vollklingenden Namen und der
hervorragenden Stellung ihrer Gegner, das Hauptgebrechen leider aber ist, daß
der allgrößte Theil der altgläubigen Juden in der That nicht fähig ist, ihren
Wünschen und Gesinnungen bei den Landesbehörden durch Wort und Schrift Geltung
und Nachdruck zu verschaffen.
Wenn nun die alten Judengemeinden und ihre
Rabbiner dennoch bis heute in ihren religiösen und politischen Grundsätzen
unerschütterlich ausgeharrt haben, so war es lediglich der Glaube, und sie sind
unabläßig hierin bestärkt worden, daß sie die Sympathie der kaiserlichen
Regierung besitzen und in der Noth auf eine unmittelbare Unterstützung derselben
mit Sicherheit rechnen dürfen. Die leiseste Kundgebung, welche die altgläubigen
Juden in dieser Überzeugung erschüttern könnte, würde eine große Entmuthigung
und eine gänzliche Zerfahrenheit in der bisherigen Richtung dieser Volksklasse
unvermeidlich herbeiführen und die einzigen wiederstrebenden Elemente gegen alle
neologischen Versuche unter den Juden Oesterreichs für immer lähmen und
zerstören.
Jeder, der die äußersten Anstrengungen kennt, Jedweder, der es
weiß, was in viel besseren Zeiten aufgebothen werden mußte, um einer
progressiven neologischen Überfluthung unter den Juden des Kaiserreiches Einhalt zu thun, würde eine solche
Eventualität immer im Auge behalten müssen.
Die Erhaltung einer Volksklasse
in ihren alten religiösen und regierungstreuen Grundsätzen, einer Volksklasse,
die im ganzen Reiche mit der Landbevölkerung im innigsten Verkehre steht, soll
nicht durch Namen und Personen, noch weniger durch die Existenz eines einzelnen
Menschen bedingt sein.
"Das Urtheil aller europäischen Regierungen und der
weisesten Kirchenfürsten über das, was die altgläubigen Juden aus politischen
und religiösen Rücksichten in jedem Staate und namentlich in der heutigen Zeit
bedeuten, ist längst bekannt."
"Möge auch die altehrwürdige
römisch-katholische österreichische kaiserliche Regierung, die nächst Rußland, die meisten Israeliten aufgenommen hat,
die Sache ihrer altgläubigen jüdischen Unterthanen einer gnädigen Prüfung im
hohen Ministerrathe werth finden."
Eine rasche und entschiedene Kundgebung,
aus der alle Landesbehörden den Wunsch und den Willen der kaiserlichen Regierung
erkennen möchten, den altgläubigen Juden in der Gründung und Erhaltung ihrer
alten religiösen Institutionen die vollste Freiheit zu gewähren und dieselben
gegen jeden Eingriff der Reformen möglichst zu schützen, würde die frommen
Judengemeinden, ihre Rabbiner und jeden einzelnen altgläubigen Juden wieder
beleben, aufrichten und ermuthigen und der gehorsamst Gefertigte würde sich
vollkommen glücklich fühlen, wenn derselbe die trostreiche Beruhigung fände, daß
er seine besten Kräfte für eine göttlich heilige Sache nicht vergeblich
erschöpft hätte.
Im Gefühle der unwandelbarsten treuen und aufrichtigen
Ergebenheit
Eurer Excellenz
ganz gehorsamster
Ig. Deutsch
Wien, am 10. April 1860