Der Gymnasiallehrer Franz Petter informiert Leo Thun über das Schulwesen
in Dalmatien und die allgemeinen Lebensbedingen dort. Zunächst erinnert
er daran, in seinem letztjährigen Schreiben erwähnt zu haben, dass es
dem Ministerium schwer fallen werde, geeignete und unbescholtene Lehrer
für Dalmatien zu finden. Petter sieht sich nun in seinem Zweifel
bestätigt, da ein gewisser Giuseppe Nani, von Beruf Advokat, die
Erlaubnis erhalten hatte, Privatunterricht in den Rechtswissenschaften
zu erteilen. In der Folge geht er auf die politischen Aktivitäten von
Giuseppe Nani und dessen Verhalten im Jahr 1848 ein. Als Beweis für
dessen illoyales Verhalten gegenüber der Regierung legt Petter dem Brief
zwei Druckschriften bei. In diesem Zusammenhang schildert er auch das
Verhalten von anderen Personen. Franz Petter macht Thun schließlich
darauf aufmerksam, dass in Dalmatien große Missgunst herrsche und daher
Verleumdungen häufig vorkämen. Außerdem gäbe es große Uneinigkeit,
einzig in der Ablehnung der Deutschen sei man vereint. Er glaubt
deshalb, dass es schwer sein werde, das Schulwesen zu
reformieren.
In der Beilage beschreibt Franz Petter dann ausführlich
den Zustand des Gymnasialwesens in Lombardo-Venetien. Zwar lobt er die
Gymnasialreform und ihre Notwendigkeit für den Fortschritt in
Österreich, bezweifelt aber, dass die Reform in Lombardo-Venetien den
gleichen Erfolg haben werde wie in den anderen österreichischen
Kronländern. Schon bisher war es um das Gymnasialwesen in
Lombardo-Venetien schlecht bestellt. Er führt einige Gründe dafür an,
darunter die schlechte Lehrerausbildung, die geringen Kenntnisse in
bestimmten Fächern sowie die Situation an den Universitäten. Einen
wesentlichen Grund sieht er auch im Missbrauch des veralteten
Konkurssystems und der geringen Zahl an tüchtigen und loyalen Gelehrten.
In diesem Zusammenhang muss er allerdings auch gestehen, selbst Teil
dieses Systems gewesen zu sein, nachdem er schon nach wenigen Jahren
seinen Eifer und die Versuche, das Bildungssystem zu verbessern
eingestellt hatte. Abschließend betont Petter seine allgemeine Skepsis
gegenüber dem italienischen Volk. Unverhohlen betont er, dass er wenig
Vertrauen in die Italiener besitze, auch macht er das Gemüt der
Italiener für deren Trägheit und geringen Elan verantwortlich. Er glaubt
daher auch, dass ein freies Schulsystem in Italien dem Missbrauch Tür
und Tor öffne, die Abneigung gegen alles Deutsche tue ihr Übriges.
Dem Brief ist ein handschriftlicher Bericht von
Franz Petter zum Zustand des Schulwesens in Lombardo-Venetien
beigelegt.
Außerdem finden sich drei Drucke in der
Anlage:
Giuseppe Nani, Signor Amico Giuseppe Grubissich!, Spalato,
15. Januar 1850.
Giuseppe Nani, La centrale della Dalmazia, Spalato
1. Juli 1849.
Vincenzo Andrich, A‘leggitori. Risposta all’articolo
della Gazzetta di Zara, Nr. 2, 3. Gennaio 1850.1
Eure Excellenz!
Wenn mich meine Combinationsgabe nicht trügt, so darf ich glauben, daß
Hochdieselben meine Ihnen unterm 8. Feb. vorigen Jahres gemachten brieflichen
Mittheilungen nicht ungnädig aufgenommen haben. Deshalb erlaube ich mir den dort
abgebrochenen Faden wieder aufzunehmen und weiter fortzuspinnen. Da ich jedoch
Eurer Excellenz auch nicht eine Minute Ihrer kostbaren und wichtigeren
Geschäften gewidmete Zeit rauben will, so bitte ich dieses Schreiben sammt
Beilagen irgend einem Manne Ihres Vertrauens in Ihrer Umgebung zu übergeben,
damit er nach Zeit und Bequemlichkeit alles durchlese und zur Wissenschaft
nehme. Was ich heute mittheile ist eine Art Mistere von Sp[alato], aber an sich von gar keinem Belange, aber in so weit
wichtig, weil es einen Einblick in die hiesigen socialen Verhältnisse gestattet
und so wie es hier ist, ist es in ganz Dalmatien und
Italien in jeder Stadt, in jedem Flecken, in jeder
Gemeinde. Da ich mich nur an das Objective halte, so leuchtet von selbst ein,
daß ich des Schlechten nur erwähne, um der guten Sache zu nützen. Im offiziellen
Wege wird die Regierung nie ins Klare über die dalmatinischen und italienischen
Zustände kommen, weil es im Interesse der Referenten selbst liegt, die Sache
anders darzustellen als sie ist. Z. B. weder der Lehrkörper noch der Director
unserer Lehranstalt wird schreiben, daß die Sachen nicht gehen, wie sie gehen
sollten, vielmehr werden sie alles Mangelhafte verdecken. Der Director – ein Deutscher – geht weg, eben
weil er sieht, daß er nicht gegen den Strom schwimmen kann. Er ist bei einem
deutschen Gymnasio lieber Professor als bei einem dalmatischen Director. Eben so
dachte und handelte sein Collega Brosovicz in
Zara.
In meinem Schreiben vom 8. Feb. habe ich
gesagt, daß es der Regierung ungemein schwer fallen werde, in
Dalmatien und Italien Männer für die
Jugendbildung herauszufinden, welche es gut und redlich mit der Regierung
meinen, angenommen, daß sie die jetzt geforderten scientifischen Kenntnisse
besäßen und daß die Regierung trotz aller Vorsicht und eingeholten Informationen
sich oft genug getäuscht finden werde. Heute bin ich in der Lage, einen
speciellen Fall zu referiren, welcher faktisch beweiset, daß ich nicht unrecht
hatte solche Zweifel zu hegen. Schon vor vielen Monaten habe ich in unserer
Zeitung gelesen, daß das hohe Ministerium einen gewissen Advokaten Nani allhier ermächtiget habe, auch in dem
laufenden Schuljahr Privatunterricht in den Rechtswissenschaften zu ertheilen,
offenbar weil ihn das dalmatinische Gubernium als dafür geeignet und würdig dem
hohen
Ministerium in Vorschlag gebracht hatte und das Gubernium hätte es
seinerseits nicht gethan, wenn er demselben nicht von den Localbehörden
empfohlen worden wäre. Nun aber werde ich beweisen, daß dies ein arger Mißgriff
war und daß Herr Nani dieses ihm
öffentlichen gegebenen Vertrauens ganz und gar unwürdig sey.
Herr Nani ist seinem Berufe nach Advocat und wie
der Ruf sagt, ein Mann, welcher die heuristische Casuistik ausbeutet, damit er
dabei fett, seine Clienten aber mager werden. In dem verhängnisvollen Jahre
1848, nach dem angeblichen Siege der Spada d’Italia bei
Goito, zu einer Zeit, wo die fanatischen Anhänger der
Italia libera ein lithographirtes Spottbild circuliren ließen, wo der tapfere
Marschall Radetzky in einer
Hühnersteige zu sehen war, reiste Advocat Nani nach Venedig unter dem Vorwand,
seine Gesundheit herzustellen. Sein Freund und Landsmann Tommaseo legte bald nach seiner Ankunft die
Ministerwürde nieder und begab sich nach Paris, um die
französischen Machthaber zu einer bewaffneten Intervention zu gewinnen.
Nani reiste auch dahin, vielleicht
sogar in seiner Gesellschaft. Fast gleichzeitig kehrten beide (Nani über Marseille)
nach Venedig zurück und Nani traf im September wieder hier ein, ohne daß Jemand von
seiner Reise Notiz genommen hätte und übernahm wieder seine Advocatur. Der böse
Leumund sagt, daß N[ani] nach
Venedig gereiset sey, um sein Vaterland der jungen
Republik zu verschachern. Ich aber glaube, daß er bloß den Gang der Ereignisse
abwarten und dann erst handeln wollte, wenn sich selbe günstig für
Italien gestaltet hätten. Es mag seyn, wie es wolle, es
erregt jedenfalls großen Verdacht und wenig Takt, wenn ein Advocat plötzlich
seine Clienten verläßt und sich in eine Stadt begibt, welche sich in offener
Rebellion gegen seinen rechtmäßigen Landesherrn befindet. Auch bin ich
überzeugt, daß N[ani], wenn er darüber
zur Rede gestellt würde, sich so zu reinigen wüßte, daß sein Ankläger Gefahr
liefe, als Verleumder inquirirt zu werden. Es liegen hier 2 Placate aus der
Feder dieses Mannes bei.2Das kleinere scheint bloß ein
Streben nach Volksgunst zu seyn, weil man Unterschriften zu einer Petition
sammelte, welche den Zweck hatte, das hohe Ministerium zu
bitten, Spalato zur Hauptstadt des Landes zu machen, was
absolut unmöglich ist. Es ist genug, wenn ich sage, daß das Kreisamt, die
Kameralverwaltung, die Prätur, ja selbst die stark besuchte Normalschule vor die
Thore der Stadt verlegt werden mußten, weil man innerhalb derselben kein
geeignetes Locale ausfindig machen konnte. Auch das Gymnasialgebäude befindet
sich an der Ausmündung der verrufendsten Gasse. Der gegen Süden liegende
Vorplatz ist im Winter der tägliche Versammlungsplatz von Lustdirnen, welche
ihre Schlupfwinkel verlassen, um sich da zu sonnen, weil sie sonst erfrieren
müßten. Der zweite Artikel erschien in der Zeitung von
Zara. Er trägt seine Schändlichkeit an der Stirne und
bedarf keines weitern Commentars. Jeder vernünftige Vater wird seinem Sohne
lieber zurufen: „foenum habet in cornu – longe fuge“ statt ihn zu einen solchen
Wühler in die Schule zu schicken.
Nach dem Artikel des Nani ist Prof. Carrara
ein Mann des Unglücks, ein
politischer Martyrer, ein unschuldiges Opfer clerikalen Hasses. Nun aber lege
ich hier ein anderes Placat bei, welches einen gewissen Herrn V[incenzo] Andrich zum Verfasser hat und
welches mit jenem des Nani im
vollkommensten Widerspruche steht3; denn in dieser Schrift wird Prof. C[arrara] geradezu als Betrüger und
Polizeispion erklärt. Hinsichtlich der Beschuldigung des Betruges versuchte ihn
schon Nani in unserer Zeitung zu
reinigen – das Wahre ist nur bei dem hiesigen Kollegialgericht zu erfahren. Die
zweite Beschuldigung bezieht sich auf folgendes Factum. Ein gewisser Dr. Lanza
von hier,
dazumahl Districtsarzt, jetzt Professor der Naturgeschichte
in Zara, hatte im Jahre 1846 in
Turin ein Libell betitelt, „parole dolorose d’un
figlio"4
5drucken lassen und trotz der damaligen strengen Censur
eingeschmuggelt und im Lande verbreitet. In diesem Pamphlet ließ er unter anderm
2 vertrauliche Briefe des Prof. C[arrara] abdrucken, welche schon derselbe 10 Jahre früher und
zwar zu einer Zeit geschrieben hatte, wo C[arrara] noch in einem sehr freundschaftlichen Verhältnisse mit
L[anza] stand. Diese Briefe
diffamiren den ersten eben so sehr, als sie demjenigen zur Schande gereichen,
welcher sie profaniert hat. Andrich
reiste bald nach dem Erscheinen des Libells nach Wien und
Prof. C[arrara] wußte, daß ihm Dr.
L[anza] Abdrücke desselben zur
Vertheilung an seine Freunde daselbst mitgegeben habe, er prävenirte somit die
Polizeibehörde in Wien davon und die Folge davon war, daß
Herr Andrich die Abdrücke bei seiner
Ankunft abliefern und ein Verhör bestehen mußte. Es beliebte Herrn And[rich] auch meine Wenigkeit in die
Polemik mit hinein zu ziehen, weshalb ich für gut finde, deshalb einige
Erläuterungen zu geben; denn wenn ich das öffentlich Gesagte auch öffentlich in
Abrede stellen wollte, so würde ich in ein Wespennest stechen und den
Klatschblättern einen erwünschten Anlaß geben, über mich herzufahren.
Ich
habe von der Ultima regina in Francia keine Repetir-Uhr erhalten, wohl aber eine
Cylinder-Uhr von der Herzogin von Orleans, kurz vor ihrem tragischen Ende. Eben
so habe ich von Seiner Majestät Kaiser
Ferdinand die Gelehrtenmedaille nicht für poche piante raccolte,
sondern für meine Denkschriften über Dalmatien erhalten, weil
sie ein mir wohlwollender Mann in meinem Namen dem verstorbenen Grafen Czernin
überreichte; doch habe ich im Herbste 1847 eine Sammlung dalmatinischer Pflanzen
abgeliefert, welche, wie mir der verstorbene Herr Regierungsrath Prof. Endlicher, durch dessen Hände sie gingen
und der ihnen Goldwerth bestimmt hatte, sagte, als Weihnachtsgeschenk für die
Söhne Seiner königlichen Hoheit des Erzherzoges Franz Carl
6bestimmt wurden. Wer ist nun wieder Herr Andrich? Ein Mann, welcher einst dem
Staate als Kreisingenieur diente und sich seine Pensionirung erschlich, als er
noch in der Fülle seiner Manneskraft stand, die er nun seit mehr als 20 Jahren
bezieht, nicht weil er untauglich war fortzudienen, sondern weil er sich
verehlichtete!, einiges Besitzthum erheirathete, das er als Diener eines andern
Herrn nicht selbst hätte verwalten können. So ist zuletzt doch immer der Staat
der betrogene Theil und so wie es hier zugeht, ist es überall im Kleinen wie im
Großen, nichts als Zerrissenheit der Gemüther, Arglist und Betrug; nur im
Oppositionmachen gegen die Regierung und gegen die gehaßten Tedeschi herrscht
Einheit der Gesinnung. Es fehlen nur noch die Schwurgerichte in
Dalmatien, um der Demoralisation, der Intrique und
Corruption die Straße noch breiter zu machen.
Wie äußerst schwierig es den
höhern Behörden in Wien seyn muß über die Individualität
eines Staatsdieners nur halbwegs eine richtige Auskunft zu erhalten, erhellet
von selbst und doch hängt von einer solchen Auskunft bei Anstellungen,
Beförderungen usw. das Lebensglück ganzer Familien ab. Um sich zu überzeugen,
daß ich recht habe, kostet es Euer Excellenz nur einen Versuch. Verlangen Euer
Excellenz z. B. Auskunft über die Professoren Carrara und Lanza, über
den außerordentlichen Prof. Nani und
über meine Wenigkeit bei dem hiesigen Kreisverweser Bettera (ein Ragusaner), bei dem Podestà
Herrn von Dudan; schreiben Hochdieselben
aber auch gleichzeitig an den hiesigen politischen Prätor Herrn Colia [Goglia] (nur dem Namen nach ein
Italiener), an den ehmaligen Kreishauptmann von
Kempter, jetzt Kreisrath in Trient, an den
ehmaligen Präses des Kollegialgerichtes Herrn Baron
von Kulmer, jetzt Landgerichtspräsident in Gratz oder an seinen Nachfolger den provisorischen Präses
Kirchmayer aus
Wien (ehmals hier als Rath) oder an den
Gendarmeriecommandanten Oberstleutnant Valentin in Zara (ehmals hier); und
machen Sie sich auf den grellsten Widerspruch gefaßt; denn wir Deutsche sehen
und nehmen die Dinge ganz anders als die Eingebornen; es kommt uns darauf an,
welches Urtheil mehr Gewicht hat auf der Wage der Nemesis. Besonders würde es
sich Herr Podestà Dudan recht angelegen
seyn lassen den Patriotismus und die Verdienste des Carrara und Nani hervorzuheben; sehr natürlich, denn er war ja selbst der
Dritte im Bunde. Was mich selbst betrifft, so habe ich das Urtheil selbst der
uns gehäßigen Eingebornen nicht zu scheuen, obwohl sie mir in den früheren
Jahren arg mitgespielt haben, wo ich das Jasagen zu allen diesen Umtrieben und
Betrügereien meiner Vorgesetzten und Kollegen noch nicht so gut eingelernt
hatte; dafür blieb ich auch 28 Jahre auf einem Flecke sitzen.
In meinem
Schreiben vom 8. Feb. habe ich die Kälte des Winters als ein Hemmnis des Lernens
in den italienischen Lehranstalten angeführt. Heuer aber war die Kälte ein Haupthindernis. Ich selbst hätte noch im Monat März ohne
Ofen nicht bestehen können; denn wenn man an Händen und Füßen friert, die Feder
kaum halten kann, so hört alle Lernlust auf; in wenigen Wochen beginnt die Hitze
und gegen diese gibt es noch weniger Schutzmittel als gegen die Kälte und daraus
folgt, daß eigentlich gar nichts gelernt wird. Ich kenne überhaupt unter mehr
als 100 Schülern unsres Gymnasiums nur 3 Schüler, welche zu Hause lernen und
davon gehören 2 deutschen Ältern an, der dritte ist ein Israelite. In keinem
Lande hat meines Erachtens das Dogma „mundus vult decipi“ mehr Geltung als in
den beiden Kronländern Dalmatien und Italien.
Alles ist bei diesem Volke mehr auf den Schein als auf das Wesen berechnet.
Ältern und Schüler wissen recht gut, daß man zuletzt doch nur nach den
Studienzeugnissen fragt, das Lernen wird daher nur als Nebensache, die Zeugnisse
aber als Hauptsache betrachtet, ob selbe verdient seyen oder nicht, ist Ältern
und Schülern ganz gleichgültig. Die Lehrer befürchten weniger das Mißfallen des
Ministeriums
als die Reaction der Ältern, wenn sie die Schüler so klassifizirten, wie sie
verpflichtet wären und befolgen übrigens die alte Jesuitenregel mundum sinere
vadere sicut vadit. Als Thatsache führte ich letzthin an, daß mein Sohn in 4
Jahren (320 Lehrstunden) nicht einmahl griechisch buchstabiren lernte und so
keiner seiner Mitschüler. Es wurde nichts gelernt, weil nicht gelehrt wurde und
die leeren Räume in den Rubriken der Kataloge und Classificationsbüchel wurden
bloß pro forma ausgefüllt. Dieser gleichsam öffentlich verübte Betrug fand
statt, als noch eine dreifache Kontrolle den Gang der Anstalt überwachte
(Präses, Vicedirector und Director). Hätte nur einer von den Dreien seine
Pflicht gethan, so hätte es nicht geschehen können. Wie es jetzt ist, so besteht
gar keine Controlle, daher auch jeder thut, was er will. Eben so schlecht wie
mit dem Lernen steht es um die Schulzucht. Unsere humanen Schulgesetze sind für
eine gesittete Jugend geschrieben und dabei ward vorausgesetzt, daß die Ältern
auch am Bildungsgeschäfte mitwirken und die Lehrer unterstützen; das aber ist in
Dalmatien durchaus nicht der Fall. Die Ältern sind größten
Theil bildungslos, leben unter sich in Zank und Hader und so haben die Kinder an
den eignen Ältern ein böses Beispiel. Mit Worten richtet man bei solchen
Jünglingen nichts und wenn sie noch obendrein wissen, daß sie für ihre Vergehen
nicht gestraft werden, weil es im Interesse des Lehrers liegt, daß alle auf dem
Papiere als sehr fromm und gut erscheinen, so sündigen sie darauf los und thun
im wahren Sinne des Wortes was sie wollen. Ich könnte ein empörendes Factum, das
erst kürzlich statt gefunden hat, anführen, aber ich thue es nicht, weil ich
selbst dabei betheiligt bin und weil ich sonst subjectiv erscheinen würde. Es
ist jedenfalls ein trauriges Loos, wenn man unter Wölfen sich befindet und auch
mitheulen muß. Die Revolution hat die Nation noch mehr demoralisirt und es wird
schwer seyn, das Studienwesen in Italien in einen geregelten
Gang zu bringen. Nur edlere nicht subjective Rücksichten bestimmten mich zu
diesen Mittheilungen.
Ehrfurchtsvoll Eurer Excellenzo
unterthänigster Diener
F. P.
Spalato, 14. April 1850
Die Gymnasialstudien in Austro-Italien 7
Daß eine allgemeine, durchgreifende den Forderungen der Jetztzeit
entsprechende Reform der Gymnasialstudien ein wesentliches Bedürfnis im
Neubau des österreichischen Staatengebäudes sey, davon waren unsere
erleuchteten Staatsmänner längt schon überzeugt. Das Ministerium des Cultus und
des Unterrichts unter der energischen Leitung seines würdigen
Chefs hat in der kurzen Zeit seines Bestehens glänzende Beweise gegeben, daß
es diese Nothwendigkeit erkannt habe und den redlichen Willen besitze,
rüstig auf der betretenen Bahn fortzuschreiten. Es ist bereits Unglaubliches
geschehen und sehr vieles Gute ins Leben getreten und noch mehr Gutes steht
von der Zukunft zu erwarten. Ob aber die in der altösterreichischen und in
einigen italienischen Kronländern ins Leben getretenen Neuerungen auch in
dem lombardisch-venezianischen
Kronlande anwendbar und im gleichen Maße erfolgreich und
nützlich seyn werden, ist eine andere Frage von großer Wichtigkeit und ich
erlaube mir meine Zweifel freimüthig auszusprechen, in der Hoffnung Gutes zu
stiften, da die Regierung auf offiziellem Wege niemals in die Kenntnis der
Sache kommen wird; indem es im Interesse des Referenten selbst liegt, die
Wahrheit zu verschleiern und die Sache ganz anders darzustellen, als sie in
der Wirklichkeit ist. Wie läßt sich z. B. voraussetzen, daß der Lehrkörper
irgend eines Gymnasiums in seinem Schlußberichte sagen wird: „Seitdem die
Lehrfächer vermehrt wurden, gehen die Sachen noch schlechter wie zuvor, denn
die Schüler waren früher zu bequeme das Wenige zu lernen, was sie hätten
lernen sollen und jetzt, da sie noch mehr lernen sollten, lernen sie
eigentlich gar nichts. Mit der Schulzucht steht es noch schlimmer; denn da
die Schüler recht gut wissen, daß ihre Lehrer zur Verantwortung gezogen
würden, wenn sie in Classifizirung der Sitten strenge verführen, so sündigen
sie darauf los usw.“ Einen solchen Bericht wird die höhere Behörde wohl nie
unter die Augen bekommen.
Daß das antiquirte Gymnasialstudienwesen ein
durchaus fehlerhaftes war, ist bekannt; aber unbekannt dürfte es seyn, daß
es in seiner praktischen Ausführung in Italien noch viel
schlechter war als in den deutschen Kronländern. Um das Warum zu begreifen,
muß man mehrere Jahre in Italien gelebt und in das
geheime Räderwerk der dortigen Unterrichtsanstalten geblickt haben. Die
Hauptursache liegt aber darin, weil in Deutschland die
häusliche Erziehung eine ganz andere ist, weil dort ungeachtet der
unheilvollen Zeiten, in welchen wir leben, die Begriffe von Recht und
Unrecht, von Sittlichkeit und Unsittlichkeit dennoch geläuterter und
wichtiger sind als in Italien. In den deutschen
Kronländern war wenigst die Mehrzahl der Lehrer ihrem Berufe gewachsen. Man
war dort im Classifiziren der Verwendung, des Fortschritts und des
sittlichen Verhaltens der Schüler eher zu strenge als zu nachsichtig. In
Italien aber dürfte die Zahl der berufunfähigen
Lehrer die geringere seyn und den Lehrern ward selbst von oben herab die
größtmöglichste Nachsicht mit der Jugend empfohlen, welche zwar allerdings
unter gewissen Bedingungen gut und human ist, aber nicht zu weit getrieben
werden darf, wie sie in Italien getrieben ward. In
Italien sind die Männer von encyklopädischer Bildung
sehr seltne Erscheinungen. In der Regel kultivirt der Italiener nur
dasjenige Fach, zu welchem er sich gleichsam instinktmäßig, ja fast
unwiderstehlich hingezogen fühlt. Es gibt daher dort in einzelnen Fächern
recht tüchtige Männer, welche aber in anderen Zweigen menschlichen Wissens
entweder ganz unwissend sind oder höchst oberflächliche Kenntnisse besitzen.
Die sogenannten Concursprüfungen der Lehramtscandidaten halfen diesem Mangel
nicht ab; denn so wie sie abgehalten wurden, waren sie kaum mehr als eine
leere, nichts sagende und nichts beweisende Formalität, welche zwar viele
Schreiberei verursachte, aber vielleicht mehr schadete als nützte, weil sie
manchen ganz unwissenden Mann zu einem Lehramte verhalf, während ein
anderer, welcher dafür weit würdiger gewesen wäre, verkümmerte. Es wird
wenige Examinanden in Italien gegeben haben, welche ihr
Concurselaborat schlecht gemacht haben, selbst in Lehrfächern, in welchen
sie vollkommene Idioten waren, aus dem einfachen Grunde, weil sie kein
anderes Verdienst dabei hatten als abzuschreiben, was andere mit aller
Bequemlichkeit zu Hause elaborirt haben. Häufig trat der Fall ein, daß
Männer sich der Concursprüfung unterziehen mußten, welche ihre Lehrkanzel
schon mehrere Jahre supplirt hatten. Nun denke man sich: Dieser Supplent ist
seinem Collegen durch seine sonstigen moralischen Eigenschaften lieb und
werth geworden und jetzt sollen sie auf einmahl Gewehr in Arm als
Schildwachen vor ihm stehen und dafür haften, daß er sein Elaborat ohne
fremde Beihülfe mache und gesetzt, ich weiß es ganz gewiß, daß ich nur einen
Griff mit der Hand machen dürfte, um das Concept zu erhaschen, welches ihm
mein Vordermann im Geheimen zugesteckt hat (und das hätte der überwachende
Lehrer auch vorschriftmäßig thun sollen). Was wäre die unausbleibliche Folge
eines solchen Dienstwirkens? Meine Collegen würden mich verachten und die
Leute würden mit den Fingern auf der Straße auf mich zeigen und sagen: „Seht
da den Schurken, seht da den Verräther.“ Einst hatte ich nothwendig mit
einem jungen Manne zu sprechen, der einem von der vormärzlichen Regierung
vorzugsweise begünstigten Orden angehörte. „Zurück“, rief mir ein alter
Mönch entgegen, als ich den Corridor betrat, aber ich ließ mich dennoch
nicht abhalten, ich trat in das Zimmer und da saß der gesuchte Mann beim
Schreibtisch mit aufgeschlagenen Büchern neben sich. Er arbeitete an einem
sogenannten Concurselaborat und mir war jetzt die Sache sogleich klar. Der
Mönch hielt Wache, damit der Examinand in seiner Bequemlichkeit das Elaborat
per eminentiam zu machen nicht behindert werde und ihn niemand an dem
Abschreiben oder Herausschreiben störe. Es ist unglaublich, welche
raffinirten Mittel angewendet wurden dem Concurrenten den Sieg zu
verschaffen, besonders wenn derselbe in demselben Orte geboren war, wo der
Concurs abgehalten wurde. In den ersten Jahren meiner Ankunft auf
italienischem Boden sträubte sich mein Rechtsgefühl gegen diesen so zu sagen
öffentlich und systematisch durchgeführten Betrug und ich erhob meine Stimme
dagegen, aber ich mußte es bitter bereuen, denn nun wurde ich als ein
Störefried und unverträglicher Mann bezeichnet; denn es war früher System
unbedingt alles zu schlucken, was der Amtsvorsteher schrieb und die mehr als
tausendjährige Regel audiatur et altra pars hatte keine Geltung. Nun begriff
ich erst die wahre Bedeutung des mundus vult decipi und spielte als
Schauspieler wider Willen die Komödie alle Jahre einige Mahle mit und
kleckste meinen ehrlichen deutschen Namen unter die Trugschrift
Concurselaborat genannt. Die oberste Studienbehörde hielt streng auf der
Beobachtung dieser Formalität und scheint daher von dieser Augenauswischerei
gar keine Ahnung gehabt zu haben. Es ist dies möglich, es hat ja die
Regierung viel wichtigere Dinge nicht gewußt, ungeachtet der Tausende,
welche auf gewisse geheime Ausgaben verwendet wurden. Sie hat nicht gewußt
oder nicht wissen wollen, daß das Netz der Verschwörung gegen Kaiser und
Staat über ganz Italien ausgesponnen war, daß so zu sagen
die Dolche schon geschliffen, die Gewehre geladen waren, um unsere braven
Soldaten zu morden. Es ist Thatsache, daß in den Tagen, welche dem Ausbruch
der Revolution in Mailand und
Venedig vorhergingen, mit jedem Eisenbahnzug
Scharen von lumpigem Gesindel kamen, ohne daß jemand gefragt hätte, warum
sie kämen und was sie wollen. Wenn aber jemand, der einen guten Rock am
Leibe hatte, so hieß es: „Wo ist Ihr Paß.“ Das hätte doch unmöglich
stattfinden können, wenn der Polizeibeamte im Bahnhof nicht selbst mit den
Spitzbuben einverstanden gewesen wäre. Ein Cadet eines kaiserlichen
Infanterieregiments verzehrte täglich in Brescia in
dem dortigen deutschen Caféhause sein Frühstück. Er that dieses auch am 19.
März 1848. Als er gezahlt hatte und weggehen wollte, sagte ihm der Empfänger
des Geldes: „Leben Sie recht wohl Herr Cadet; denn heute haben Sie das
letzte Mahl bei uns gefrühstückt, heute wird ein allgemeiner Sturm gegen die
Deutschen losbrechen“. Der Cadet lächelte. „Ja, ja in allem Ernst, denken
Sie auf Ihre Sicherheit“, wiederholte der Gegner. Der Cadet ward in einer
Militärkanzlei komandirt und als sein Amtsvorsteher Oberlieutenant N. kam,
erzählte er ihm, was er gehört hatte. Dieser lachte und dachte nicht weiter
daran. Als er aber eine Stunde am Schreibtisch gesessen hatte, erdröhnte ein
starker Schuß und das war das Signal der Verschwörer. Der Oberlieutenant
schnallte seinen Säbel um und ging fort, um zu sehen, was es gibt. Da er
nicht wieder kam, begab auch der Cadet sich auf den Weg und fand seine
Compagnie bereits aufgestellt. Da bath er seinen Hauptmann dringend ihm zu
gestatten, daß er in die Kanzlei zurückkehren dürfe die Handkasse zu retten.
Der Hauptmann, die Gefahr nicht kennend, willigte ein und gab ihm 4 Mann
mit. Durch 3 Gassen kamen sie unangefochten; in der 4. begegneten sie einer
Rotte, welche sie zur Ablegung der Waffen aufforderte, sie antworteten mit
Flintenschüssen, erreichten aber ihr Ziel nicht. Der Cadet war der letzte,
welcher einen Bajonetstich und Kolbenschlag erhielt und bewußtlos zu Boden
fiel. Als er seine Besinnung erhielt, befand er sich im Civilspital, ward in
6 Wochen hergestellt und mußte mit andern Unglücksgefährten als
Kriegsgefangene nach Genua wandern. Der erwähnte
Oberlieutenant kehrte nicht wieder und fiel nach verzweifelter Wehre. In der
Lombardei wurde die Schar überall mit Spott und Hohn
empfangen, erst so in Piemont. Das Auffallendste bei der
Sache bleibt immer, daß der Kaffeesieder vom Losbruch wußte, das Militär
aber nicht. Wer mag daran Schuld seyn?
Wenn durch dieses Blendwerk der
Concursprüfungen manche Lehrkanzel mit einem ganz unfähigen Mann besetzt
wurde, so wird das niemanden in Verwunderung setzen. Auch das docendo
discimus hat sich nicht immer bewährt, denn ich habe Lehrer gekannt, welche
10 und mehr Jahre lehrten und in der Geographie, griechischen Sprache und
Mathematik eben so unwissend waren wie beim Antritt ihres Lehramtes. Als
wichtigster Lehrgegenstand ward ehmals die lateinische Sprache betrachtet.
Es waren derselben im Verlauf des ganzen Gymnasialcursus 2.880 Lehrstunden
(6 Jahre a 10 Monate a 4 Wochen a 12 Stunden) gewidmet. Das Erlernen der
lateinischen Sprache, welches dem Deutschen und Slaven allerdings
Schwierigkeiten verursacht und vielen Fleiß von Seite des Lernenden
voraussetzt, ist hingegen für den Italiener ein Kinderspiel. Wenn er
halbwegs fleißig ist, so kann er von der lateinischen Sprache in 6 Monaten
lernen, was er früher in 6 Jahren nicht gelernt hat. Schon in den
Kinderjahren wird der Italiener mit der lateinischen Sprache bekannt; denn
er lernt lateinisch bethen und viele Kirchengesänge sind auch lateinisch.
Seine Muttersprache ist mit der lateinischen so enge verwandt, daß er unter
10 lateinischen Wörtern die Bedeutung von neunen kennt und jene des zehnten
kann er leicht errathen. Der italienische Studiosus hatte daher in dieser
Beziehung einen sehr großen Vortheil über den Studenten in
Wien, Prag,
Lemberg usw. voraus. Man sollte glauben, daß die
aus den italienischen Gymnasien austretenden Jünglinge, nachdem sie mehr als
2.500 Unterrichtsstunden genossen hatten, auch alle gute Lateiner seyen;
aber dem ist nicht so. Die wenigsten sind im Stande, ein gutes lateinisches
Elaborat zu fertigen, manche sind nicht einmal im Stande, einen lateinischen
Klassiker fehlerfrei zu übersetzen und zum Sprechen brachte es gar keiner.
Die übrigen Lehrgegenstände z. B. griechische Sprache, Geographie und
Geschichte wurden gar nicht beachtet. Der griechischen Sprache waren 320
Lehrstunden gewidmet (4 Jahre a 10 Monate à 4 Wochen à 2 Stunden) und in
diesen 4 Jahren lernten sie nicht einmahl ein Zweitwort abwandeln, manche
nicht einmahl lesen! Wenn ich nicht selbst Söhne in dem Gymnasio gehabt
hätte, so würde ich dies einem fremden Munde gar nicht glauben. In der
Mathematik waren die Schüler bei ihrem Austritt so unwissend, daß die
wenigsten im Stande waren, die einfachste Interessenrechnung auszurechnen
oder eine Wurzel aus einer Zahl zu ziehen, noch viel weniger eine Aufgabe
aufzulösen, welche auf einer Gleichung beruhte. Mancher Grammatikallehrer
that weiter gar nichts, als daß er die Fächer, welche er lehrte, in Fragen
und Antworten den Schülern dictirte oder zum Abschreiben herumgab, so daß
sich alles, was von der Geographie, Geschichte und Arithmetik gelernt wurde,
auf wenige geschriebene Bogen reducirte. Zu Ende des Semesters wurde dann
nach mehreren vorausgegangen[en] Generalproben mit diesem Frag- und
Antwortspiel eine große Komödie gespielt, Examen publicum genannt, welcher
der Localdirector und Vicedirector beiwohnten. Es ging alles vortrefflich,
die Jungen antworteten, daß es eine Freude war sie anzuhören und so lautete
auch der Schlußbericht an die Studienbehörde. Das Dictiren und Auszügemachen
aus den vorgeschriebenen Schulbüchern war zwar nach dem sogenannten Codice
ginnasiale strenge verboten, aber man wendete das Gesetz nur da an, wo man
Privatzwecke hatte. So hatte einst ein Lehrer seinen Schülern einige
Erläuterungen über den Gebrauch der Bindewörter dictirt, weil sie im
Schulbuche allerdings sehr undeutlich erklärt waren, was er zu thun
berechtigt war. Er bekam hierüber von der obersten Studienbehörde einen
scharfen Verweis, den ihm sein Präfect zugeschanzt hatte und worüber sich
der arme Mann sehr gekränkt fühlte. Das Vergehen des bestraften Lehrers war
aber ganz und gar nicht das Dictiren, sondern sein deutscher Name, seine
echt deutsche Gesinnung und das wahre Motiv der Klage war der Haß, welchen
der Italiener mit der Muttermilch gegen die Deutschen einsaugt. Auch war das
Verfahren des Gymnasialpräfecten ein illegales; denn die Hofstelle war nicht
die erste, sondern die letzte Instanz.
Ein anderes wesentliches
Hindernis des schlechten Erfolges des Gymnasialunterrichts war die zu große
Nachsicht, welche man mit der Jugend hatte und welche von oben herab nicht
nur mißbilligt, sondern vielmehr unterstützt wurde. Während man dem
Lehrkörper in den deutschen Provinzen Strenge empfahl und gleichsam zur
Amtspflicht machte, ließ man in Italien die
größtmöglichste Nachsicht vorwalten, welche denn zum Schaden des Ganzen
mißbraucht wurde. Die Lehrer wußten recht gut, daß wenn sie ihre Zöglinge in
Bezug auf Verwendung, Fortschritt und Sittlichkeit so klassifizirt hätten,
wie sie es verdienten, darüber zur Verantwortung gezogen worden wären und
daß man die Schuld auf sie gewälzt hätte. Eine noch größere Reaction hätten
sie von Seite der Ältern zu erwarten gehabt. Sie würden gegen den armen
Lehrer, der weiter nichts gethan hat, als daß er nach seiner Überzeugung
handelte, so lange cabalirt und intriguirt haben, bis sie ihn aus den Sattel
gehoben, das ist bei seinen höheren und höchsten Vorgesetzten so schwarz
gemacht haben, daß er zuletzt auch that, was die andern thaten, das heißt
den Schlendrian gehen lassen wie er ging, wenn er nicht [?] seines Amtes als
unfähig entsetzt werden wollte. Exempla sunt in promta. In keinem Lande der
Monarchie hat ferner das Dogma mundus vult decipi eine größere Geltung als
in Italien. Die Italiener sind ein zu raffinirtes Volk,
um nicht zu wissen, daß beim Besuche einer öffentlichen Lehranstalt das
Meiste auf den Erhalt eines guten Studienzeugnisses ankomme. Ob das Zeugnis,
welches der Lehrer dem Schüler gibt, ein verdientes oder nicht verdientes
sey, das kümmert weder den Schüler noch seine Ältern, aber wenn er eines
erhält, das den Wünschen oder vielmehr Forderungen der Ältern nicht
entspricht, so wird die Schuld sicher dem Lehrer an den Hals geworfen. Ich
erinnere mich nie von einem Lehrer gehört zu haben, daß ihn ein Vater
gebethen habe dafür zu sorgen, daß der Herr Sohn etwas lerne, sondern immer
nur ist die Bitte um eine gute Fortgangsklasse das Streben der Ältern.
Unsere sehr humanen Schulgesetze sind ferner auf die Mitwirkung der Ältern
gestützt, man setzt nämlich voraus, daß die Ältern ihre Söhne zu Hause zum
Studieren anhalten. In Deutschland geschieht dieses, wenn
auch nicht allgemein, doch zum Theile. In Italien
geschieht es nicht, denn man kann annehmen, daß die wenigsten Schüler zu
Hause ein Buch in die Hand nehmen, was doch absolut nothwendig ist, weil der
Erfolg des Unterrichts doch nur von der Selbstthätigkeit des Jünglings
abhängt und man viele Wissenschaften nur zu Hause, nicht aber in der Schule
lernt, wie z. B. Sprachen, Mathematik usw. An Talent, Fassungsgabe und gutem
Gedächtnisse fehlt es den Italienern nicht. Ich glaube vielmehr, daß sie in
dieser Beziehung der deutschen Jugend weit überlegen sind, aber was nützt
alle Zappelichkeit des Lehrers und alles Talent des Schülers, wenn er nicht
selbsttäthig ist und zu Hause das in der Schule Gehörte überdenkt, sich dem
Gedächtnisse einprägt; denn mit eben der Leichtigkeit als der Italiener das
Vorgetragene begreift, eben so leicht vergißt er es wieder, weil er es nicht
verarbeitet in Saft und Blut.
Eben so schlecht wie mit dem Lerneifer
steht es um die Schulzucht; ohne welche keine öffentliche Lehranstalt
bestehen kann. Was hat denn dem tapferen österreichischen Heere über die
weit zahlreicheren Italiener den Sieg verschafft? Wohl nichts andres als die
militärische Subordination, die im österreichischen Heere bestehende
Disciplin, das moralische Bewußtseyn für eine gerechte Sache zu kämpfen, der
ganz naturgemäße Drang Rache zu nehmen an dem Spott und Hohn, welcher die
österreichischen Soldaten noch in ihren Garnisonen mitten im Frieden von der
übermüthigen, besonders aber von der studierenden Jugend erdulden mußten und
dann zuletzt der beispiellose Verrath in Mailand und
Venedig! In den italienischen Lehranstalten
besteht eigentlich gar keine Disciplin, wie wir Deutsche sie unter diesem
Wort verstehen und kann auch nicht bestehen, weil die Schulgesetze viel zu
gelind und mild sind. Das höchste Strafausmaß ist die Entfernung des
Schülers aus der Lehranstalt, wovon aber in den italienischen Gymnasien
selten Gebrauch gemacht wird, weil man von dem allerdings wichtigen
Grundsatz ausgeht, daß man damit nicht den Schüler, sondern die Ältern
straft. Der Schüler erreicht durch das Ausschließen was er wünscht, nämlich
Befreiung von dem lästigen Schulbesuche. Ganz anders aber denken die Ältern,
welche aus ihrem ungelehrigen und ungesitteten Sohne gern einen Doctor oder
vornehmen Staatsdiener machen möchten. Beim Classifiziren der Schüler
rücksichtlich des Verhaltens in der Schule trat dieselbe kurzeitige
Nachsicht ein wie hinsichtlich der Verwendung und des Fortschritts. Wenn man
die gedruckten Gymnasialkataloge zur Hand nimmt, sollte man glauben, daß es
in Italien weit mehr fleißige und gesittete Studenten
gebe als auf den deutschen Gymnasien und doch hat geradezu der umgekehrte
Fall statt, weil man in den deutschen Gymnasien strenge, in den
italienischen aber zu nachläßig ist. Wenn nur nach diesen Prämißen der Junge
weiß, daß er ohne zu lernen oder gesittet zu seyn, wenigst eine gute Klasse
bekommt, daß er nicht sitzen bleibt, so lernt er auch nicht und ist nicht
gesittet. Aber nicht nur in den Gymnasien besteht diese sträfliche
Nachsicht; es ist auch in den ehmals philosophischen Studien und auf den
Universitäten nicht besser. Geben Sie z. B. einen jungen Mann, welcher sich
in Padua oder Pavia das Doctordiplom im Fache der
Medizin geholt hat, das einfachste chemische Präparat, eine allbekannte
Pflanze in die Hand und sondiren sie ein wenig die Tiefe der Kenntnisse in
der Chemie oder Botanik des jungen Mannes und Sie werden bei manchem die
Entdeckung machen, daß er von beiden Fächern rein gar nichts weiß und doch
hat er Chemie und Botanik studiert und gute Zeugnisse erhalten, weil er
sonst zum Doctorat nicht zugelassen worden wäre. Im Jahre 1847 ist ein
humoristisches Gedicht betitelt „Lo studente di Padova“ von A[rnaldo] Fusinato erschienen, da
heißt es unter andern „Tutti sanno che il nome di studente, vuol dire un
tale che non fa niente“ und weiter „tutta la notte è su per i bigliardi” und
so ist es auch in der That. Kaffee- und Wirthshäuser, Theater, Weiber, das
ist das Feld, auf dem sich die Studenten der italienischen Universitäten
einander begegnen. In Deutschland geht es zwar auch zu,
aber es wird dort doch mehr Maß gehalten und die Zahl derjenigen, welche die
Universitäten aus wahrem Wissensdrang besuchen, ist dort dennoch größer als
in Italien. Bisher habe ich nur von den moralischen
Hindernissen gesprochen, nun will ich auch der physischen erwähnen, welche
man in Wien vielleicht gar nicht kennt, wie z. B. das
von Deutschland ganz verschiedene Klima, die verschiedene
Lebensweise und Sitten. Der Anfang des Schuljahres ist in
Italien mit 3. November. Viele kommen aber um 8 und
14 Tage später, weil sie wissen, daß man es so genau nicht nimmt.
Bekanntlich sind in Italien keine Öfen im Gebrauche und
manche haben eine solche Scheu dafür, daß sie ohne absolute Nothwendigkeit
kein geheiztes Zimmer betreten, aus Furcht ein Schnupfen oder Kopfweh zu
bekommen. Nun gibt es aber im Winter viele Tage, wo die Kälte so heftig ist,
daß man nicht einige Zeilen schreiben kann, weil die erstarrten Finger ihre
Dienste versagen. Was thun nun die Eingebornen zu Hause? Sie puppen sich in
ihre Mäntel und Mützen ein, strecken sich auf das Canapé und thun nichts im
wahren Sinne des Wortes. Die meisten Schüler haben Frostbeulen an den Händen
und frägt man einen, z. B. warum schreiben Sie nicht?, so zieht er den
Handschuh ab und streckt seine blau angelaufenen oft eckelhaft anzusehenden
Finger vor. Der Winter von 1849/50 war ein so anhaltend und strenger, daß
die deutschen Familien den ganzen Monat März hindurch einheizten; es wurde
daher ganz sicher diesen Winter über wenig gelernt. Wie soll man aber auch
Lust zum Lernen haben, wenn man an Händen und Füßen friert? Im Mai beginnt
oft schon die Hitze und diese wirkt noch nachtheiliger auf die Lernlust als
die Kälte, weil man gegen die Kälte doch wenigst Schutzmittel hat. Die
Schulstunden enden in Italien gewöhnlich um 2 Uhr Nachmittags. Nun geht der
Student zu Tische und nach Tische schläft er bis 2 Stunden, nun bleiben ihm
noch ein paar Stunden bis 7 Uhr, aber sie werden nicht immer mit Studieren
zugebracht. Gegen 7 Uhr sucht jeder, der kann, ins Freie zu kommen und der
kühleren Abendluft zu genießen. Die goldnen Morgenstunden gehen in
Italien für die meisten Studierenden verloren, weil
man spät, manche Familie erst nach Mitternacht zu Bette geht. In
Deutschland gewähren die Nächte Erquickung nach des
Tages Mühe und Last; in Italien aber steht man oft
ermatteter auf, als man zu Bette gegangen ist, weil die Temperatur in den
Gebäuden, besonders wenn die Fenster gegen Süden gelehnt sind, so hoch ist,
daß man vor Hitze nicht schlafen kann. Dazu kommen noch bei vielen Personen
sowohl Einheimischen als Fremden die sogenannten Calori, das ist ein
Exanthem, welches bei Nacht ein heftiges Jucken und Beißen verursacht, aber
mit Beginn der kühleren Jahreszeit von selbst spurlos verschwindet. Gewisse
Insekten, besonders in manchen Localitäten die Stechmücken, tragen auch das
Ihrige bei die Nächte schlaflos zu machen. Wenn also im Allgemeinen im
Winter der Kälte wegen wenig gelernt wird, so wird im Sommer der Hitze wegen
noch weniger gelernt. Auch die Nahrung hat Einfluß.
Der Italiener liebt gewürzte Speisen (besonders Pfeffer) und trinkt bei
Tische gewöhnlich Wein. Gewürze und geistige Getränke erhitzen das Blut und
wirken auf den Geschlechtstrieb, welcher bei den Jünglingen wärmerer Länder
viel früher erwacht als in nördlichen. Ist dieser einmal aufgeregt, so
erlahmt die Lernlust. Beispiele von Ansteckung gehören bei den
Gymnasialschülern nicht zu den außerordentlichen, nur werden die wenigsten
bekannt, aber von den bekannt gewordenen kann man auf die Mehrheit
schließen. Ich könnte in dieser Beziehung noch ganz andere Dinge erzählen,
aber ich fürchte das ästhetische Gefühl der Leser zu beleidigen. Der
Italiener ist ferner von Natur aus leichten Sinnes; alles, was Anstrengung
kostet, schiebt er von sich weg, er will sich keine Mühe geben es zu lernen.
Lehrer und Schüler erschrecken, wenn sie ein dickes Schulbuch sehen, aus
welchem diese vortragen, jene lernen sollen. Der Lehrer aber macht es sich
bequem, er macht entweder einen Auszug oder läßt die Schüler im Schulbuche
dasjenige, was sie zu lernen haben, mit Bleistift unterstreichen. Es ist
bekannt, daß die Italiener eine außerordentliche Vorliebe für die Musik
haben. Oper und Carneval sind Lebensfragen für sie. Wie kommt es nur, daß
die Musik, ungeachtet dieser nationalen Vorliebe und bei so vielem
natürlichen Talente dafür, wie man es vielleicht bei keiner andern Nation
findet, dennoch bei weitem nicht so allgemein cultivirt wird wie in
Deutschland, besonders in
Wien, Prag,
Salzburg, Gratz
usw.? Unter hundert studierenden Jünglingen dürfte man durchschnittlich
nicht 3 finden, welche ein Instrument spielen. Ohne Zweifel liegt die
Ursache daran, weil das Erlernen eines Instruments Mühe kostet. Ich habe
mehrere junge Leute gekannt, welche anfingen Musik zu lernen, sobald sie
aber zur Überzeugung kamen, daß es nicht so leicht gehe, wie sie glaubten,
verloren sie die Lust und hörten auf. Ein zweiter Grund ist vielleicht der,
weil das Lernen der Musik Geld kostet. Die Italiener sind das älteste
Handelsvolk in Europa und lieben als solches das Geld,
wenn sie daher sehen, daß durch die Ausgabe kein materieller Vortheil
erreicht wird, so behalten sie lieber ihr Geld, als es dem Musiklehrer zu
geben. Wenn der Vater seinen Sohn zu seinem Classenlehrer in die Repetition
schickt, so thut er es sicher nicht aus dem Grunde, daß derselbe mehr lernen
soll, sondern weil er glaubt, daß der Lehrer beim Classifiziren eine größere
Nachsicht haben werde, als wenn er nicht in die Repetition ginge, und es
gibt Lehrer genug, welche thun, wie die Ältern es wünschen.
In
Deutschland ist ferner die Literatur ein viel
größeres Gemeingut als in Italien. Der studierende
Jüngling hat eine große Auswahl von Unterrichtsbüchern in allen Fächern
menschlichen Wissens. In Italien ist das nicht der Fall.
Die Schulbücher, welche bisher im Gebrauche waren, sind alle sehr
mangelhaft. Es fehlt in Italien nicht an Männern, welche
im Stande wären bessere zu schreiben, wohl aber an Verlegern, welche sie
drucken. Bieten Sie irgend einem Buchhändler in
Mailand oder Venedig ein
Manuscript an und sollte es auch über einen Gegenstand der gemeinnützigsten
Art handeln, er wird es zurückweisen. Von einem Honorar kann gar keine Rede
seyn. Der gewöhnliche Weg, auf welchem ein Autor in
Italien das Product seines Geistes zur Publicität
bringt, ist, wofern er nicht selbst die Kosten trägt, der Subscriptionsweg,
wobei der Verleger oder Drucker gewinnt, der Autor aber leer ausgeht und
statt des gehofften Nutzens obendrein noch Schaden hat, weil allerlei
Auslagen mit eintreten, auf die er nicht gedacht hat, wenn er die Pfiffe und
Kniffe der italienischen Buchhändler und Buchdrucker nicht schon aus
Erfahrung kennt. Auch kann er nicht verhüten, daß der Verleger eine weit
größere Anzahl Abdrücke macht, als er mit ihm contrahirt und so wird er auch
um den Vortheil einer allenfalsigen zweiten Auflage gebracht. Wenn ein
italienischer Buchhändler den Gewinn nicht so zu sagen in der Tasche hat, so
unternimmt er nichts. Dieses wird jeder italienische Gelehrte
bestätigen.
Obgleich nun der italienische Gymnasialschüler gegen seine
deutschen oder slavischen Collegen um die Hälfte weniger zu lernen hatte,
weil, wie ich oben bemerkte, das Hauptstudium, die lateinische Sprache, für
ihn das leichteste ist und war und weil man in
Deutschland im Classifiziren strenge, in
Italien aber höchst nachsichtlich ist, so war die
Summe der Kenntnisse, welche er sich bei seinen Austritte aus dem Gymnasio
erworben hatte, eine im Allgemeinen gesprochen, doch weit geringere als
jene, welche ein absolvirter deutscher Schüler nicht allein oder durch die
Zeugnisse, sondern auch faktisch nachweisen konnte, wie
läßt sich nun vernünftiger Weise voraus sehen, daß durch den neuen
Studienplan ein besserer Erfolg erzielt werde? Der italienische Studiosus
hat das Wenige nicht gelernt oder vielmehr nicht lernen wollen, was er
sollte, wie kann man erwarten, daß er jetzt fleißiger seye und auch das noch
lernen werde, was an neuen Lehrgegenständen hinzugekommen ist? Die
Classificationstabellen werden ausgefüllt werden und strotzen von Eminenzen
und guten Klassen, weil man es so will und wünscht, aber die Jungen werden
deshalb doch nicht mehr lernen und mancher, der mit einer guten Klasse in
diesem oder jenem Fache davon kommt, wird so viel als gar nichts davon
wissen, wenn ihn [jemand] auf die Probe stellt. Wenn es heißt hic Rhodus hic
salta, da weiß der arme Jungen nicht aus und ein; er hat zwar ein gutes
Schulzeugnis erhalten, aber nichts gelernt oder wie er sich ausredet, das
Gelernte längst vergessen. Noch schlimmer steht es um die freien Studien.
Der dem Studieren feindliche Italiener lernt das nicht, was er nach dem
Schulgesetze lernen muß, um so weniger, was ihm zu lernen oder nicht zu
lernen frei steht. Die deutschen Sprachkanzeln könnten daher selbst auf den
Universitäten wegbleiben. Es war vor der Revolution wenig Neigung dafür, um
so weniger jetzt, wo der Italiener in dem Lehrer, wenn derselbe ein geborner
Deutscher ist, was auch meistens der Fall ist, nur einen Feind seiner Nation
und seines Landes erblickt. Die revolutionäre Regierung hat die Lehrer der
deutschen Sprache sogleich von ihrem Amte entlassen und es ist auch jetzt
keiner um sein Loos zu beneiden.
Die vorstehende Darstellung, welche
sich auf vieljährige Beobachtungen und Erfahrungen gründet, wird jeder
ehrlose [sic!] Deutsche, welcher beim Lehrfach in Italien
gedient hat, bestätigen, wenn er unter 4 Augen gefragt hat, sowie ich
andernfalls auch die Überzeugung hege, daß sie der Italiener frisch
wegleugnen und weg demonstriren wird.
Eben so wenig als der neue
Gymnasialstudienplan paßt für Italien das neue
Concursreglement. Man findet in diesem Lande keine Männer, welche die
erforderten Eigenschaften besitzen. Es gibt dort, wie bereits gesagt, in
einzelnen Fächern recht tüchtige Gelehrte, aber über ihr Fach hinaus sind
sie sehr oberflächlich gebildet oder ganz unwissend und welche Bürgschaft
bietet das neue Reglement, daß es bei der Aspirantenprüfung nicht wieder
eben so zugehen werde wie bei den frühern Concursprüfungen? In der Theorie
war das frühere Reglement recht gut, aber in der praktischen Durchführung
gestaltete es sich (wenigstens in Italien) zu einen
Gaukelspiel. Ich muß mit aller Offenheit gestehen, daß ich solange nicht
glauben werde, daß es bei solchen Prüfungen ehrlich zugehen werde, so lange
ich nicht selbst das Recht habe mir die Überzeugung davon zu verschaffen,
denn Italien ist das Land des Verrathes, der Arglist, der
Hinterlist. Hat nicht das Jahr 1848 tausende und tausende von Beispielen
davon geliefert? Erst unlängst lasen wir in der allgemeinen Zeitung, daß der
Schmuggelhandel in der Lombardei zu keiner Zeit in einer so ausgedehnten und
auf eine so freche Weise getrieben wurde wie jetzt und daß die englischen
Originalwarenballen mit den eisernen Reifen bei hellichten Tage auf- und
abgeladen werden; wie wäre dies wohl möglich, wenn nicht die Zollbeamten
selbst mit den Schmugglern unter der Decke steckten? Man nannte mir einen
kaiserlichen Hauptmann, welcher einst den Befehl erhielt mit seiner
Mannschaft von Como aufzubrechen, weil der Behörde
denuncirt worden war, daß ungefähr um diese Stunde einige Wagen mit
Schmuggelwaren aus der Schweiz herankommen werden. Der
Commandant des Militärdetachement stellte aber seine Leute nicht dorthin, wo
man ihm gesagt hat, daß er sie aufstellen soll, sondern wo er es für gut
fand. Die Wagen kamen richtig und wurden nach Mailand abgeführt, aber der
Hauptmann soll viel Verdruß gehabt haben, weil er seine Soldaten nicht
dorthin gestellt hatte, wohin die Wagen nicht gekommen wären und nicht
kommen konnten.
Eine andere hochwichtige Frage ist, ob man in
Italien abgesehen von den erforderlichen
scientifischen Qualificationen auch Männer finden wird, welche der
bestehenden Regierung aufrichtig ergeben sind und welche den redlichen
Willen haben, aus ihren Zöglingen sittlich gute Menschen und brauchbare
Glieder der Gesellschaft zu machen. Diese Frage ist noch schwerer zu
beantworten, aber ich bin der festen Überzeugung, daß sich die Regierung oft
genug getäuscht finden wird. Ich glaube vielmehr, daß es unter den von dem
alten Regime überkommenen Lehrpersonale Individuen genug gibt, welche die
Wiederherstellung der Ordnung und Ruhe in ihrem Vaterlande durch die
kaiserlichen Waffen auf das innigste beklagen und den bittersten Groll gegen
diejenigen im Herzen tragen, welche mitgewirkt haben zur Erringung des
Sieges über den schändlichen Verrath und dieses Gefühl ist keineswegs als
erloschen zu betrachten, sondern es wird vielmehr im Stillen immerfort
genährt durch die piemontesische Presse, durch Mazzini und seine Helfer und
Helfershelfer in Piemont und der angrenzenden italienischen
Schweiz. Der Haß der Deutschen in
Italien wurzelt in seiner mittelalterlichen
Geschichte, er sieht in unseren wohldisciplinirten Soldaten noch immer nur
die mittelalterlichen Landsknechte, in ihren Führern seine Peiniger und
Zwingherrn, die gekommen sind, um ihn zu quälen und Gesetze vorzuschreiben,
weil sie auch im Mittelalter nur gekommen sind oder von der einen oder
anderen Partei ins Land gerufen wurden den Ruhestörern die Köpfe zurecht zu
richten. Die italienische Presse hat während der Revolutionsherrschaft nicht
unterlassen diese Erinnerungen durch Bild und Schrift wieder zu erwecken und
so ist dieser Haß erst recht in Mark und Bein gedrungen. Es dürfte unter
solchen Umständen höchst schwierig seyn Männer herauszufinden, welche die
Jugend im Geist und Sinn der Regierung heran bilden und darauf kommt doch
unendlich viel an, um eine bessere Zukunft zu erzielen.
Nach dem
ehmaligen Gymnasialstudiensystem war der Professor eine bureaukratische
Null, der unterthänige Diener seines Präfecten; denn es kommt in dem
Gymnasialcodex ein Paragraph vor, wo es heißt: „Im Monat Mai hat der Präfect
einen geheimen und versiegelten Bericht über die Individualität der ihm
unterstehenden Lehrer einzuschicken usw.“ Durch diesen Paragraph, welcher
wahrscheinlich sich noch von der Zeit herschreibt, wo das Jesuitenthum in
seiner vollendesten Blüte stand, ward über den armen Gymnasialprofessor das
Schwert des Damokles gehängt, denn wehe demselben, wenn er nicht tanzte, wie
der Herr Präfect pfiff; denn er konnte über ihn nach
Wien hinaus schreiben, was er wollte. Alles wurde
geglaubt und wenn der Professor einen tüchtigen Verweis erhielt und sich
darüber rechtfertigte, so verschlimmerte er seine Lage noch mehr; denn seine
Rechtfertigung wurde als Insubordination ausgelegt und wenn es gut ging mit
der Erledigung zurück geschickt: „Man habe keine Rechtfertigung verlangt.“
Ich weiß nicht, welchen Gebrauch die Herrn Präfecten in deutschen
Kronländern von ihrer Autokratie gemacht haben, aber in
Italien habe ich Fälle des schändlichsten Mißbrauchs
genug erlebt. So kannte ich einen Professor von einem Gymnasio, welcher für
einen Dorfschulmeister zu schlecht war, der aber von seinem Herrn Präfecten,
der sein intimster Freund und Landsmann war, immer voran gestellt wurde und
daher auch ausgezeichnet wurde wie kein anderer seiner Collegen. Er hatte
aber neben seiner Dummheit und wirklich kaum glaubbaren Unwissenheit noch
eine andere Eigenschaft, welche seinen Kollegen fehlte. Er hatte nämlich
einigen Grundbesitz und einige tausend blanke Lirestücke in seinem Koffer
und dann hatte er seinem ebenfalls längst verstorbenen Herrn Vicedirector
sehr ersprießliche Dienste geleistet und zum verbindlichsten Danke
verpflichtet. Gar schlimm waren die Professoren deutscher Abstammung davor.
Sie genossen alles das Bittere, welches in allen Ländern mit der Erziehung
der Jugend unzertrennlich verbunden ist und entbehrten dabei der Vortheile,
welche ein Gymnasialprofessor im deutschen Vaterlande genießt, und zwar
besonders in socialer Beziehung.
Durch die neue Gestaltung der Dinge ist
das Loos der Gymnasiallehrer ein bedeutend besseres geworden; die Gehalte
wurden erhöht und sein moralischer Standpunkt gleicht einer völligen
Emancipation aus seinem früheren gedrückten Zustande. In deutschen
Kronländern wird das seine gute Wirkung nicht verfehlen, für
Italien aber paßt diese Emancipation durchaus nicht,
weil ganz sicher der schändlichste Mißbrauch davon gemacht werden würde.
Dadurch gewännen die Herren Wälschen erst recht freies Spiel zu thun, was
sie wollen, weil dann niemand da ist, der ihnen in die Karte schaut und die
ohnehin lockere und durch die Revolution noch mehr gelockerte Schulzucht
würde ganz in Verfall gerathen. Auf dem Papiere würde es freilich heißen,
daß alles ganz vortrefflich gehe, so wie auch früher jeder Präfect das
Gedeihen seiner Anstalt recht herausgestrichen hatte, weil er wußte, daß man
es höhern Orts am liebsten hörte, sich aber übrigens auch nicht bekümmerte,
ob es Wahrheit oder Lüge sey. Ich glaube, daß freisinnige Institutionen für
ein so intriguantes arglistiges Volk, wie die Wälschen sind, gar nicht
passen. Sollten auch dort die freien Gemeindeverfassungen ins Leben treten,
so darf sich die Regierung gefaßt machen auf einen beständigen Krieg mit
denselben, denn sie werden immerfort Opposition machen; werden die
Schwurgerichte eingeführt, so werden die schlechtesten und gefährlichsten
Menschen straflos davon kommen, wenn sie nur keine überwiesenen Diebe und
Mörder sind.
Um über mein Thema zum Schluß zu kommen, spreche ich die
Meinung aus, daß man in Italien den italienischen
Gymnasien die Lehrgegenstände nicht vermehren, sondern auf das wesentlich
Nothwendige beschränken soll. Die Lernlust ist bei der Jugend nirgends groß,
weil sie der natürlichen Neigung widerstrebt, bei der italienischen Jugend
aber ist dieser Mangel an Lernlust in noch weit größerem Maße vorhanden als
bei der deutschen, weil die italienischen Jünglinge von einer lebhafteren
Gemüthsart sind und weil die häusliche Erziehung eine ganz andere ist. Der
Erfolg würde gewiß ein besserer seyn, wenn man das bisherige Nachsichtsystem
aufgäbe, in den Lehrern zur Pflicht machte, unnachsichtlich strenge im
Classifiziren der Verwendung und des Fortschritts zu seyn, sie sollten nicht
fürchten müssen, von den höhern Studienbehörden zur Verantwortung gezogen zu
werden, wenn die Semestralkataloge nicht mehr so brillant ausfallen wie
vordem und die Reclamationen der Ältern, welche in
Italien gegen ungerechte Classifizirung so häufig
vorfallen, sollten gänzlich abgewiesen werden. Das Privatstudium sollte
beschränkt und die Privatschüler schärfer examinirt werden als bisher, wo
sie ohne etwas gelernt zu haben, mit guten Klassen durchschlüpfen. Sobald
die Ältern und ihre Kinder wissen, daß man um ein gutes Zeugnis zu bekommen,
auch etwas gelernt haben müsse, so werden sie selbe zu Hause mehr zum Lernen
angehalten als bisher geschah; denn die wahre Ursache, weshalb die
italienischen Gymnasialschüler bei dem so großen Vortheile, welchen sie über
die deutschen hinsichtlich der lateinischen Sprache voraushatten, in 6
Jahren nicht lernten, was sie in leicht in einem Jahre hätten lernen können,
liegt nicht allgemein in der Untüchtigkeit der Lehrer oder in der
Mangelhaftigkeit der Schulbücher, sondern sie lernten nichts, weil sie nicht
lernen wollten und weil sie wußten, daß sie dennoch ein, wenn auch nicht
eminentes, doch wenigst ein so gutes Zeugnis bekommen, um die Klasse, in der
sie waren, nicht repetiren zu müssen.
Was ich in diesen Blättern sagte,
ist keine Übertreibung. Nach Insbruck, Gratz und
Wien kommen alle Jahre Studenten, um dort den
Universitätsstudien zu obliegen, weil die Ältern hoffen und wünschen, daß
sie bei dieser Gelegenheit auch die deutsche Sprache erlernen, was aber
wieder nur den wenigsten gelingt, aus dem Grund, weil sie zu bequem dazu
sind und nur die Gesellschaft ihrer Landsleute suchen. Die Professoren jener
Universitäten werden zu sagen wissen, welcher Unterschied zwischen den
Italienern und Deutschen in Bezug auf Fortschritt und sittliches Verhalten
besteht und an diese appelire ich, nicht aber an die italienischen Scribler,
welche mir vorwerfen werden, daß ich die Zustände der italienischen
Gymnasien von einem deutschen und schwarzgelben Standpunkte aus beurtheilt
und daher ganz falsch gesehen und gesprochen habe. Aber darüber werde ich
mich leicht beruhigen.