Rudolf Eitelberger empfiehlt Leo Thun-Hohenstein den jungen italienischen Schriftsteller Ruggiero Bonghi. Bonghi stammt aus Neapel und hat schon in jungen Jahren durch seine schriftstellerischen Leistungen Aufsehen erregt. Seit dem Jahre 1848 lebt er in Piemont, weil ihn die politischen Verhältnisse aus Neapel haben fliehen lassen. Durch seine Heirat ist er finanziell weitgehend unabhängig und kann sich wissenschaftlich und literarisch betätigen. Zuletzt hat er eine Studie zur Situation der italienischen Literatur herausgegeben. Derzeit versucht er, durch die Herausgabe einiger Übersetzungen aktueller ausländischer Werke das Studium der klassischen Philologie auch in Italien zu fördern. Eitelberger glaubt, dass man Bonghi für den österreichischen Staatsdienst gewinnen könnte. Unabhängig von einer möglichen Beschäftigung Bonghis ist Eitelberger grundsätzlich der Auffassung, dass die Regierung größere Anstrengungen unternehmen müsse, junge italienische Gelehrte und Literaten für ihre Sache zu gewinnen. Er glaubt zwar, dass es gut sei, dass die Regierung Persönlichkeiten wie etwa Cesare Cantù auf ihre Seite ziehen konnte, aber Eitelberger ist davon überzeugt, dass diese Männer des Ancien Régime nicht die geistige Kraft besäßen, um die Jugend anzusprechen. Eitelberger empfiehlt daher, die junge wissenschaftliche Elite zu unterstützen anstatt sie zu unterdrücken. Schließlich berichtet Eitelberger von seinen weiteren Plänen, das Königreich zu bereisen, um kunsthistorische Studien zu betreiben.
Euer Excellenz!
Aus dem Schreiben des Grafen Franz
Thun glaube ich entnehmen zu können, daß es Euer Excellenz nicht
unwillkommen sein dürfte, wenn ich Ihre Aufmerksamkeit auf einen jüngeren
italienischen Schriftsteller lenke, der den besten Kräften des Landes beigezählt
zu werden verdient; und dessen literarische Zukunft, wenn nicht alle Anzeichen
täuschen eine glänzende zu werden verspricht. Es ist dieß Ruggiero Bonghi, ein Neapolitaner von
Geburt, der gegenwärtig sich in Stresa am Lago maggiore
(in Piemont) niedergelassen hat. Bei Nennung dieses Namens
werden vielleicht manche Bedenklichkeiten rege werden, – eben deshalb muß ich um
die Erlaubnis bitten, etwas ausführlicher schreiben zu dürfen, ausführlicher
vielleicht als es Euer Excellenz angenehm sein mag.
Ich kenne R[uggiero] Bonghi nicht persönlich, aber
ich weiß, daß er bei den besten Männern des Landes einen sehr guten Klang hat,
und daß alle ernsteren denkenden Schriftsteller Italiens auf diesen jungen Mann mit Achtung blicken. Er ist, wie
erwähnt Neapolitaner, und hat schon in seinem 19. Lebensjahre eine Übersetzung
des Platonischen Gespräches Philebus veröffentlicht, die mit Beifall aufgenommen
wurde. Zur Zeit der konstituierenden Regierung in Neapel
wurde er an eine Gesandtschaft nach Florenz (wenn ich
nicht irre) berufen, nach dem Sturze derselben exilierte er sich freiwillig in
Piemont, wo er in Zurückgezogenheit einzig den
Wissenschaften lebt. So viel ich höre, stünde ihm kein Hindernis in den Weg,
nach Neapel ungefährdet zurückzukehren, er zieht es unter
den gegenwärtigen Verhältnissen, die in Neapel nicht eben
die angenehmsten für die gebildeten Schichten der Gesellschaft sind, vor in
Piemont zu bleiben. Seine Mittel erlauben ihm, seitdem er sich vermählt hat,
ziemlich unabhängig zu leben. Die erste Frucht seiner literarischen Thätigkeit
war eine Ausgabe der Metaphysik des Aristoteles
1, die auch in deutschen Kreisen mit großem Beifalle
aufgenommen wurde. Vor wenigen Monaten hat er in Mailand
„lettere critiche“2
veröffentlicht, die mit großer Sachkenntnis und mit Geist geschrieben, die Frage
behandeln, warum die Lektüre der klassischen Literatur Italiens gegenwärtig in
den Hintergrund getreten ist. Gleichzeitig hat er eine vollständige Übersetzung
Platons vollendet, die nur eines geistigen Impulses von Außen bedarf, um dem
Drucke übergeben werden zu können.
Bonghi dürfte gegenwärtig dreißig Jahre zählen und nach seinen
bisherigen Leistungen zu den besten produktiven Kräften gerechnet werden. Er hat
sich mit Prof. Müller in Pavia und anderen Gelehrten Oberitaliens
so eben associiert, um bei Le Monier in Florenz eine
Übersetzerbibliothek von Werken moderner Schriftsteller über das
griechisch-römische Alterthum herauszugeben und das Studium der klassischen
Literatur in Italien zu beleben.
Ob Bonghi selbst geneigt ist, in österreichische Staatsdienste zu
treten, kann ich nicht sagen. Sollten Euer Excellenz geneigt sein, mit Bonghi Verbindungen anzuknüpfen, so müßte
dies mit großer Vorsicht geschehen, damit sich nicht die Regierung in die
unangenehme Lage versetzt sieht, eine abschlägige Antwort zu empfangen. Aus der
Unterredung mit zweien seiner Freunde glaube ich, vermuthen zu können, daß er
dazu nicht abgeneigt ist.
Mir scheint, daß die Heranziehung von Bonghi, überhaupt von jüngeren Kräften für
den Unterricht und die Wissenschaft von großem Gewinn wäre. Bis jetzt hat die
Regierung nur sehr wenig Kräfte gewonnen, und die meisten Schriftsteller des
österreichischen Italiens leben isoliert, meist
in direkter Opposition mit dem Gouvernement. Man ist hier sehr vergnügt,
Ces[are] Cantù zu den „Unseren“
rechnen zu können. Möglich, daß man sich nicht täuscht. Aber Ces[are] Cantù! – der Führer der Guelfen,
dessen geschichtliche Studien die historischen Traditionen untergraben, auf
denen das deutsche Gouvernement in Italien gebaut ist; ein Mann, von großer
literarischer Tüchtigkeit, französischer Beweglichkeit des Geistes, ungeheurer
Produktionskraft und sehr geringer Gelehrsamkeit, großen poätischen und geringen
moralischen Anlagen; ein Mann der Vergangenheit und nicht der Zukunft, und in
den Augen Vieler, vielleicht der besten des Landes, ein todter Mann. Die
Regierung hat sicher sehr wohl daran gethan, diesen Schriftsteller zu gewinnen,
aber ich glaube, daß es viel richtiger ist, jüngere hoffnungsvolle Männer an
sich zu ziehen, als Gelehrte, erzogen in dem ancienne regime, d.h. in einer
Zeit, die ein tiefes schwer zu vertilgendes Gefühl der Verbitterung bei fast
allen Gelehrten hervorgerufen, und die moralische Mitschuld trägt, daß die
Lombardie in geistiger Beziehung nicht
das ist, was sie unter der goldenen Zeit der Maria Theresia, ja selbst unter dem einst so gehaßten
französischen Gouvernement war. Wo sind gegenwärtig die Männer – so frägt sich
hier jedermann – die es mit Conte
Giulini, Verri, Beccaria, Muratori, Fumagalli, Volta, Caffi oder mit Visconti und den Celebritäten der französischen Zeit aufnehmen
können? Mit Ausnahme zweier großer lebender Celebritäten, des greisen Gherardini und des geistvollen
Übersetzers der griechischen Tragiker Bellotti, die ihre Bildung nicht der franzisceischen Zeit
verdanken, hat Mailand gegenwärtig keinen
Geschichtsprofessor oder Geschichtsschreiber, keinen Literarhistoriker und
Philologen, keinen Ästhetiker oder Philosophen, welcher der Welt als Autorität
der literarischen Gesellschaft Mailands als
Mittelpunkt dienen könnte. Was sich hier regt, ist entweder Frucht jugendlicher
Bestrebungen, die sich meist abseits des Gouvernements und der öffentlichen
Schulen, d.h. oppositionell bewegen, oder es geht von älteren Leuten aus, die
ihre Wissenschaft dilettantisch behandeln, weil sie nicht in den Stand gesetzt
wurden, sich in Besitz der wissenschaftlichen Methoden zu setzen. Die Zahl der
letzteren ist sehr groß; ihre Wirksamkeit aber strenge genommen unfruchtbar. Was
diese für sich beanspruchen können, ist einzig und allein, daß sie die
Traditionen, die Anregung zu Studien in einer Zeit aufrechterhalten haben,
welche denselben sehr ungünstig war und einer besseren Zukunft aufbewahrt haben.
Ich, der ich mich hier viel in jenen Kreisen bewegt habe, die der
Opposition angehören und ihre Stimmung ziemlich genau kenne, habe die feste
Überzeugung, daß es der Regierung gelingen kann, die besseren Elemente an sich
zu ziehen, ohne Mittel der Korruption anzuwenden, die vielleicht nothwendig, in
jedem Falle aber verwerflich sind. Mit jenem Theile der Opposition, die im
Grunde nichts anderes will, als die Lombardie
auf dem Höhepunkt geistiger Entwicklung emporziehen und sie der Früchte der
modernen Civilisation theilhaftig werden will, mit jener Opposition, der ein
vielleicht übertriebenes, in jedem Falle aber ehrenhaftes Gefühl, dem Lande aus
reinen Motiven und im Interesse der Wissenschaft und der Kunst zu dienen, mit
einer solchen Opposition kann sich wohl jede Regierung verständigen.
An
allen Orten der Lombardie habe ich unter
Geistlichen wie unter Weltlichen Männer gefunden, die sich mit Liebe, mit
Aufopferung mit ihrem Lande, ihrer Geschichte, ihren Monumenten beschäftigen,
die aber vereinsamt leben, eingeschüchtert entweder durch die Traditionen des
alten 40jährigen Gouvernementes oder ignoriert von dem Gouvernement in einer
mehr oder minder feindseligen Regierung. Aus diesen zahlreichen, einflußreichen
und achtenswerthen Schichten der Gesellschaft kann eine Regierung eben so leicht
eine Waffe für sich schaffen, als sie diese zu einer gefährlichen oder
wenigstens unbequemen Opposition drängen kann. Ich bin vielleicht in meinen
Bemerkungen schon weiter gegangen, als es mir, als Untergebener Euer Excellenz
gestattet ist, kann aber nicht verhehlen, daß es nicht bloß die
Unterrichtsanstalten, die Euer Excellenz unterstehen, in dieser Beziehung dem
Land und dem Gouvernement einen großen Dienst leisten können, daß aber noch mehr
auf jene Kreise gewirkt werden muß, die außerhalb des eigentlichen Unterrichtes
stehen, und die mit Wissenschaft und Kunst in naher Verbindung stehen. Sollten
Euer Excellenz nach meiner Rückkunft in Wien geneigt
sein, über diese Punkte meine vielleicht vorlauten Ansichten zu hören, so bin
ich bereit, über diese ausführlicher und mit bestimmter Rücksicht auf Zustände
und Personen zu sprechen.
Ich werde mich Ende dieses Monates nach
Verona begeben, und den ganzen Juli
Verona und die Umgebung,
Brescia und Mantua besonders
in kunsthistorischer Beziehung durchforschen. Ich war Anfangs Willens gewesen,
ganz Piemont und Genua in gleicher
Absicht zu bereisen, muß aber nach den Erfahrungen, die ich in der Lombardie in Bezug auf den Kostenpunkt gemacht
habe, meine Reise dahin aufgeben. Sollten aber Euer Excellenz glauben, daß ein
Ausflug nach Stresa, um Bonghi kennen zu lernen, in irgend einer Beziehung vom Nutzen
sei, so bitte ich mir nach Verona eine Andeutung zu geben
– der Ausflug würde mir nicht mehr als 6 oder 8 Tage kosten.
Ich danke
ergebenst für die empfehlenden Schreiben an die verschiedenen Bischöfe; sie
waren mir in mancher Beziehung von Nutzen. Ich werde mich gleich nach meiner
Ankunft in Verona vom Neuen dem dortigen hochwürdigen
Herrn Bischof vorstellen,
einem ebenso liebenswürdigen als gefälligen Herrn, der mir schon vor mehreren
Wochen versprach, mich in meinen Studien bestens zu fördern.
Mit dem
Ausdrucke tiefster Ergebenheit zeichnet sich
Euer Excellenz ergebenster
Eitelberger Professor
Mailand den 21. Juni 1857