Rudolf Eitelberger an Leo Thun
Mailand, 21. Juni 1857
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Regest

Rudolf Eitelberger empfiehlt Leo Thun-Hohenstein den jungen italienischen Schriftsteller Ruggiero Bonghi. Bonghi stammt aus Neapel und hat schon in jungen Jahren durch seine schriftstellerischen Leistungen Aufsehen erregt. Seit dem Jahre 1848 lebt er in Piemont, weil ihn die politischen Verhältnisse aus Neapel haben fliehen lassen. Durch seine Heirat ist er finanziell weitgehend unabhängig und kann sich wissenschaftlich und literarisch betätigen. Zuletzt hat er eine Studie zur Situation der italienischen Literatur herausgegeben. Derzeit versucht er, durch die Herausgabe einiger Übersetzungen aktueller ausländischer Werke das Studium der klassischen Philologie auch in Italien zu fördern. Eitelberger glaubt, dass man Bonghi für den österreichischen Staatsdienst gewinnen könnte. Unabhängig von einer möglichen Beschäftigung Bonghis ist Eitelberger grundsätzlich der Auffassung, dass die Regierung größere Anstrengungen unternehmen müsse, junge italienische Gelehrte und Literaten für ihre Sache zu gewinnen. Er glaubt zwar, dass es gut sei, dass die Regierung Persönlichkeiten wie etwa Cesare Cantù auf ihre Seite ziehen konnte, aber Eitelberger ist davon überzeugt, dass diese Männer des Ancien Régime nicht die geistige Kraft besäßen, um die Jugend anzusprechen. Eitelberger empfiehlt daher, die junge wissenschaftliche Elite zu unterstützen anstatt sie zu unterdrücken. Schließlich berichtet Eitelberger von seinen weiteren Plänen, das Königreich zu bereisen, um kunsthistorische Studien zu betreiben.

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Schlagworte

Edierter Text

Euer Excellenz!

Aus dem Schreiben des Grafen Franz Thun glaube ich entnehmen zu können, daß es Euer Excellenz nicht unwillkommen sein dürfte, wenn ich Ihre Aufmerksamkeit auf einen jüngeren italienischen Schriftsteller lenke, der den besten Kräften des Landes beigezählt zu werden verdient; und dessen literarische Zukunft, wenn nicht alle Anzeichen täuschen eine glänzende zu werden verspricht. Es ist dieß Ruggiero Bonghi, ein Neapolitaner von Geburt, der gegenwärtig sich in Stresa am Lago maggiore (in Piemont) niedergelassen hat. Bei Nennung dieses Namens werden vielleicht manche Bedenklichkeiten rege werden, – eben deshalb muß ich um die Erlaubnis bitten, etwas ausführlicher schreiben zu dürfen, ausführlicher vielleicht als es Euer Excellenz angenehm sein mag.
Ich kenne R[uggiero] Bonghi nicht persönlich, aber ich weiß, daß er bei den besten Männern des Landes einen sehr guten Klang hat, und daß alle ernsteren denkenden Schriftsteller Italiens auf diesen jungen Mann mit Achtung blicken. Er ist, wie erwähnt Neapolitaner, und hat schon in seinem 19. Lebensjahre eine Übersetzung des Platonischen Gespräches Philebus veröffentlicht, die mit Beifall aufgenommen wurde. Zur Zeit der konstituierenden Regierung in Neapel wurde er an eine Gesandtschaft nach Florenz (wenn ich nicht irre) berufen, nach dem Sturze derselben exilierte er sich freiwillig in Piemont, wo er in Zurückgezogenheit einzig den Wissenschaften lebt. So viel ich höre, stünde ihm kein Hindernis in den Weg, nach Neapel ungefährdet zurückzukehren, er zieht es unter den gegenwärtigen Verhältnissen, die in Neapel nicht eben die angenehmsten für die gebildeten Schichten der Gesellschaft sind, vor in Piemont zu bleiben. Seine Mittel erlauben ihm, seitdem er sich vermählt hat, ziemlich unabhängig zu leben. Die erste Frucht seiner literarischen Thätigkeit war eine Ausgabe der Metaphysik des Aristoteles 1, die auch in deutschen Kreisen mit großem Beifalle aufgenommen wurde. Vor wenigen Monaten hat er in Mailand „lettere critiche“2 veröffentlicht, die mit großer Sachkenntnis und mit Geist geschrieben, die Frage behandeln, warum die Lektüre der klassischen Literatur Italiens gegenwärtig in den Hintergrund getreten ist. Gleichzeitig hat er eine vollständige Übersetzung Platons vollendet, die nur eines geistigen Impulses von Außen bedarf, um dem Drucke übergeben werden zu können.
Bonghi dürfte gegenwärtig dreißig Jahre zählen und nach seinen bisherigen Leistungen zu den besten produktiven Kräften gerechnet werden. Er hat sich mit Prof. Müller in Pavia und anderen Gelehrten Oberitaliens so eben associiert, um bei Le Monier in Florenz eine Übersetzerbibliothek von Werken moderner Schriftsteller über das griechisch-römische Alterthum herauszugeben und das Studium der klassischen Literatur in Italien zu beleben.
Ob Bonghi selbst geneigt ist, in österreichische Staatsdienste zu treten, kann ich nicht sagen. Sollten Euer Excellenz geneigt sein, mit Bonghi Verbindungen anzuknüpfen, so müßte dies mit großer Vorsicht geschehen, damit sich nicht die Regierung in die unangenehme Lage versetzt sieht, eine abschlägige Antwort zu empfangen. Aus der Unterredung mit zweien seiner Freunde glaube ich, vermuthen zu können, daß er dazu nicht abgeneigt ist.
Mir scheint, daß die Heranziehung von Bonghi, überhaupt von jüngeren Kräften für den Unterricht und die Wissenschaft von großem Gewinn wäre. Bis jetzt hat die Regierung nur sehr wenig Kräfte gewonnen, und die meisten Schriftsteller des österreichischen Italiens leben isoliert, meist in direkter Opposition mit dem Gouvernement. Man ist hier sehr vergnügt, Ces[are] Cantù zu den „Unseren“ rechnen zu können. Möglich, daß man sich nicht täuscht. Aber Ces[are] Cantù! – der Führer der Guelfen, dessen geschichtliche Studien die historischen Traditionen untergraben, auf denen das deutsche Gouvernement in Italien gebaut ist; ein Mann, von großer literarischer Tüchtigkeit, französischer Beweglichkeit des Geistes, ungeheurer Produktionskraft und sehr geringer Gelehrsamkeit, großen poätischen und geringen moralischen Anlagen; ein Mann der Vergangenheit und nicht der Zukunft, und in den Augen Vieler, vielleicht der besten des Landes, ein todter Mann. Die Regierung hat sicher sehr wohl daran gethan, diesen Schriftsteller zu gewinnen, aber ich glaube, daß es viel richtiger ist, jüngere hoffnungsvolle Männer an sich zu ziehen, als Gelehrte, erzogen in dem ancienne regime, d.h. in einer Zeit, die ein tiefes schwer zu vertilgendes Gefühl der Verbitterung bei fast allen Gelehrten hervorgerufen, und die moralische Mitschuld trägt, daß die Lombardie in geistiger Beziehung nicht das ist, was sie unter der goldenen Zeit der Maria Theresia, ja selbst unter dem einst so gehaßten französischen Gouvernement war. Wo sind gegenwärtig die Männer – so frägt sich hier jedermann – die es mit Conte Giulini, Verri, Beccaria, Muratori, Fumagalli, Volta, Caffi oder mit Visconti und den Celebritäten der französischen Zeit aufnehmen können? Mit Ausnahme zweier großer lebender Celebritäten, des greisen Gherardini und des geistvollen Übersetzers der griechischen Tragiker Bellotti, die ihre Bildung nicht der franzisceischen Zeit verdanken, hat Mailand gegenwärtig keinen Geschichtsprofessor oder Geschichtsschreiber, keinen Literarhistoriker und Philologen, keinen Ästhetiker oder Philosophen, welcher der Welt als Autorität der literarischen Gesellschaft Mailands als Mittelpunkt dienen könnte. Was sich hier regt, ist entweder Frucht jugendlicher Bestrebungen, die sich meist abseits des Gouvernements und der öffentlichen Schulen, d.h. oppositionell bewegen, oder es geht von älteren Leuten aus, die ihre Wissenschaft dilettantisch behandeln, weil sie nicht in den Stand gesetzt wurden, sich in Besitz der wissenschaftlichen Methoden zu setzen. Die Zahl der letzteren ist sehr groß; ihre Wirksamkeit aber strenge genommen unfruchtbar. Was diese für sich beanspruchen können, ist einzig und allein, daß sie die Traditionen, die Anregung zu Studien in einer Zeit aufrechterhalten haben, welche denselben sehr ungünstig war und einer besseren Zukunft aufbewahrt haben.
Ich, der ich mich hier viel in jenen Kreisen bewegt habe, die der Opposition angehören und ihre Stimmung ziemlich genau kenne, habe die feste Überzeugung, daß es der Regierung gelingen kann, die besseren Elemente an sich zu ziehen, ohne Mittel der Korruption anzuwenden, die vielleicht nothwendig, in jedem Falle aber verwerflich sind. Mit jenem Theile der Opposition, die im Grunde nichts anderes will, als die Lombardie auf dem Höhepunkt geistiger Entwicklung emporziehen und sie der Früchte der modernen Civilisation theilhaftig werden will, mit jener Opposition, der ein vielleicht übertriebenes, in jedem Falle aber ehrenhaftes Gefühl, dem Lande aus reinen Motiven und im Interesse der Wissenschaft und der Kunst zu dienen, mit einer solchen Opposition kann sich wohl jede Regierung verständigen.
An allen Orten der Lombardie habe ich unter Geistlichen wie unter Weltlichen Männer gefunden, die sich mit Liebe, mit Aufopferung mit ihrem Lande, ihrer Geschichte, ihren Monumenten beschäftigen, die aber vereinsamt leben, eingeschüchtert entweder durch die Traditionen des alten 40jährigen Gouvernementes oder ignoriert von dem Gouvernement in einer mehr oder minder feindseligen Regierung. Aus diesen zahlreichen, einflußreichen und achtenswerthen Schichten der Gesellschaft kann eine Regierung eben so leicht eine Waffe für sich schaffen, als sie diese zu einer gefährlichen oder wenigstens unbequemen Opposition drängen kann. Ich bin vielleicht in meinen Bemerkungen schon weiter gegangen, als es mir, als Untergebener Euer Excellenz gestattet ist, kann aber nicht verhehlen, daß es nicht bloß die Unterrichtsanstalten, die Euer Excellenz unterstehen, in dieser Beziehung dem Land und dem Gouvernement einen großen Dienst leisten können, daß aber noch mehr auf jene Kreise gewirkt werden muß, die außerhalb des eigentlichen Unterrichtes stehen, und die mit Wissenschaft und Kunst in naher Verbindung stehen. Sollten Euer Excellenz nach meiner Rückkunft in Wien geneigt sein, über diese Punkte meine vielleicht vorlauten Ansichten zu hören, so bin ich bereit, über diese ausführlicher und mit bestimmter Rücksicht auf Zustände und Personen zu sprechen.
Ich werde mich Ende dieses Monates nach Verona begeben, und den ganzen Juli Verona und die Umgebung, Brescia und Mantua besonders in kunsthistorischer Beziehung durchforschen. Ich war Anfangs Willens gewesen, ganz Piemont und Genua in gleicher Absicht zu bereisen, muß aber nach den Erfahrungen, die ich in der Lombardie in Bezug auf den Kostenpunkt gemacht habe, meine Reise dahin aufgeben. Sollten aber Euer Excellenz glauben, daß ein Ausflug nach Stresa, um Bonghi kennen zu lernen, in irgend einer Beziehung vom Nutzen sei, so bitte ich mir nach Verona eine Andeutung zu geben – der Ausflug würde mir nicht mehr als 6 oder 8 Tage kosten.
Ich danke ergebenst für die empfehlenden Schreiben an die verschiedenen Bischöfe; sie waren mir in mancher Beziehung von Nutzen. Ich werde mich gleich nach meiner Ankunft in Verona vom Neuen dem dortigen hochwürdigen Herrn Bischof vorstellen, einem ebenso liebenswürdigen als gefälligen Herrn, der mir schon vor mehreren Wochen versprach, mich in meinen Studien bestens zu fördern.
Mit dem Ausdrucke tiefster Ergebenheit zeichnet sich

Euer Excellenz ergebenster
Eitelberger Professor

Mailand den 21. Juni 1857