Adalbert Henniger an Leo Thun
Czernowitz, 26. April 1851
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Regest

Der provisorische Landeschef der Bukowina, Adalbert Henniger, berichtet Leo Thun vom Verhalten und von den Charaktereigenschaften des Direktors des Gymnasiums in Czernowitz, Joseph Nahlowsky, sowie des Gymnasiallehrers Anton Schmied. Er beantwortet damit eine Anfrage Thuns, ob Schmied geeinget wäre, Direktor des Gymnasiums zu werden. Dabei kommt er zum Schluss, dass weder der aktuelle Direktor noch Schmied für den Direktorsposten geeignet seien. Zur Begründung seines Urteils führt Henniger insbesondere die schlechten Charaktereigenschaften Schmieds und dessen herrisches Auftreten an. Den aktuellen Direktor, Nahlowsky, beurteilt er wenig besser, indem er diesem vorwirft, sein Amt nur nachlässig zu führen, indes aber die Schüler und Lehrer auf unziemliche Weise ausspionieren lasse. Henniger spricht sich daher für die Wahl Adolph Fickers zum Direktor aus. Abschließend spricht der Landeschef seine Hoffnung aus, dass Thun an der Förderung des Gymnasiums in Czernowitz festhalten möge, damit dieses nicht neuerlich auf sein ursprünglich schlechtes Niveau absinke.

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Edierter Text

Verehrtester Freund!

Ich habe deinen Brief vom 6. dieses Monats erst nach meiner Rückkehr von Lemberg, wohin ich wegen der Organisirung berufen war, angetroffen, ich konnte nicht gleich antworten, weil ich mir erst vollkommen genaue und grundhältige Daten über das Benehmen und Betragen des Direktor Nahlowski sowie des Prof. Schmid [Schmied] verschaffen, dann auch von der Wahrheit derselben überzeugen wollte, um ja nicht partheiisch vor dir zu erscheinen.
Was Schmid anbelangt, so [ist] mir nicht so bald ein so leidenschaftlicher Mensch vorgekommen, der deine Protektion mißbraucht, jeden, der nicht seiner Ansicht beistimmt, mit dir schreckt und einzuschüchtern sucht und mit deinem Namen jeden seiner Zwecke zu erreichen sucht. Schon die vorjährigen schmachvollen Differenzen des Lehrköpers gaben mir die Überzeugung, daß Schmid, durch sein herrisches, hofmeisterndes Auftreten Veranlasser derselben, den schwachen Direktor mißbrauche, ich gab mir alle Mühe eine Versöhnung herbeizuführen, Schmid, nebst den andern Professoren zu mir um 7 Uhr abends eingeladen, erschien erst um 8 Uhr, sein langes Ausbleiben gar nicht entschuldigend, mit aller Bereitwilligkeit kamen die übrigen Professoren Schmid versöhnend entgegen, er benahm sich in einer Weise, welche zeigte, daß er eigentlich verlange, ihm allein solle Recht gegeben und alle andern zur Unterwerfung unter seinen Willen veranlaßt werden, die scheinbare Versöhnung erfolgte nur über die Nachgiebigkeit der übrigen Professoren. Schmid benahm sich nach dieser Versöhnung gegen seine Collegen zwar artig, belästigte sie aber stets mit seiner Hofmeisterart. Prof. Wagner sah sich genöthiget ihm öffentlich zu erklären – er könne keinen Vicedirektor anerkennen, selbst auf den Corridor, wo die Schüler immer auf und abgehen, beleidigte er ihn, und in der Sitzung brach er die Gelegenheit vom Zaume [sic!], ihn wegen der Anempfehlung der Neufferischen Übersetzung der Aeneis1 an die Schüler zur Rede zu stellen.
Die Bibliotheksfrage, welche dir aus meinem Berichte vom 26. vorigen Monats Z. 4824 bekannt sein dürfte, erweckte in Schmid die höchste Indignation gegen alle daran Betheiligten, weil ihm der Ruhm genommen, der erste Gründer einer Gymnasialbibliothek zu sein, zur höchsten Leidenschaft wurde sie aber gesteigert, als er nicht einmal Mitglied des Comité wurde, was er bloß seinem die Gränzen des Anstandes bei Seite setzenden Benehmen während der Berathung zuzuschreiben hat. Gleich nach dem ersten Zusammentreten in meiner Kanzlei am 4. März und der Ankündigung des Mikulischen Concertes schrieb er an Dr. Zotta, als ob der ganze Lehrkörper über den damals gefaßten Beschluß eine Landesbibliothek ins Leben zu rufen indignirt wäre, da doch außer Schmid und Nahlovski niemand das mindeste dagegen einzuwenden fand. In der Direktoratskanzlei vor mehreren Zeugen sagte er, „es sei eine Schmach und Schande, was da vorgehe“ und eiferte in den heftigsten Ausdrücken gegen die dabei betheiligten Professoren. Vor der von mir am 26. März letzten Jahres zuammengerufenen Versammlung über die Bibliotheksfrage sprach Schmid sich gegen Dr. Zotta, der ihm auf das freundlichste den wahren Sachverhalt auseinandersetzte, mit einer steigenden Leidenschaftlichkeit dahin aus, alles das sei Unrecht, ebenso, als wenn jemand dem andern etwas schenke und dann wegnehme, Prof. Ficker habe die Sache so gedreht, er aber werde nicht nachgeben. Nach beendeten Zusammentreten sagte er zu Prof. Popowicz, er sei der eigentliche Gründer dieses Unternehmens, und ihn schiebe man ganz bei Seite und verwende das Geld zu einem ganz andern Zweck, als wozu es gesammelt worden, er sprach sich dabei so drohend gegen Ficker aus, daß Popowicz für nöthig hielt, den letzteren zu warnen. Am 27. vorigen Monats wies er Ficker, der einer Besprechung ausweichen wollte, im Corridor des Schulgebäudes zu sich, frug in einer ganz gebieterischen Weise, ob sich die Herrn eines andern besonnen hätten, und fuhr dann fort: Es ist eine Schande, wenn sie es nicht thue, ich aber werde nicht ruhen, und wenn ich bis zum Ministerium oder zum Kaiser gehen muß. Dies so laut, daß es die Schüler hören konnten, an demselben Tage schrieb er mir einen Brief in ähnlicher Weise, auch ließ er mich durch Prof. Lewinski auffordern von meinem Projekte abzugehen, weil er an das Ministerium gehen werde, ich nur Unannehmlichkeiten mir bereite. Während meiner Abwesenheit in Lemberg am 30. vorigen Monats war der Privatlehrer des Zotta bei Schmid, diesem hielt er mehr als 3 Stunden Reden über diese Sache, worin unter andern vorkam: in dieser Sache sei alles illegal, jeder Rechtliche müsse so handeln, wie er es thue (diese Phrase führt Schmid übrigens tagtäglich und besonders in der fraglichen Angelegenheit im Munde), es sei durchaus nicht rathsam für die Professoren Ficker und Kolbe sich damit zu befassen, er werde diesem Betruge entgegentreten, wie er nur kann. Am 31. vormittags belästigte er wieder den Zotta mit seinen Reden, da dieser sich gegen Prof. Worobkiewicz bitterlich beklagte und ersuchte, man möchte dem Schmid rathen ruhig zu werden, weil die durch Fortsetzung seines Benehmens Gekränkten am Ende auch nicht schweigen würden. In einigen Tagen darauf sprach sich Schmid wieder im Corridor vor mehreren Collegen aus, es sei durchaus nicht ehrenhaft von Professoren, mit dieser Sache zu thun zu haben, und bezeichnete das Benehmen der Betheiligten als schmachvoll. An denselben Tage schrieb er an dich, ich ersehe aus deinem Briefe, daß er ganz falsche Reden angeführt, welche bei der Sitzung geführt worden sein sollen. Baron Mustazza erwähnte, daß eine Landesbibliothek stets dem Lande bleibe, eine Gymnasialbibliothek aber zu dem Institute gehöre, daß es möglich [sei], da das Oberlandesgericht nach Stanislawow verlegt wurde, daß auch die höheren Lehranstalten dorthin bestimmt und somit die Bibliothek mitwandern müßte, er sei zwar überzeugt, daß dies nicht geschehen werde, daß dieser Fürgang aber ebenso eintreten könnte, als daß das von den Ständen gebaute Landhaus in Czernowitz vom Aerar mehr denn 50 Jahre unentgeltlich eingezogen wurde. Diese Beispiele hat Mustazza nicht bei der Sitzung, sondern nur en passant und nicht einmal zur Versammlung gesprochen, viel Böswilligkeit gehört dazu, Worten andere Bedeutung zu geben und einen schlechten Sinn zu unterschieben. Dabei benimmt sich Schmid fortwährend als Viceregens und das ist so bekannt, daß Professoren und Schüler sich an ihn wenden, um ihre Angelegenheit durchzuführen. Ich habe mich bei der Schilderung des Schmid und der Bibliotheksache etwas ausführlicher ausgesprochen, um meine Meinung, daß er nicht zum Direktor passe, zu begründen. Was Nahlowski anbetrifft, sehe ich mich verpflichtet dir in möglicher Kürze einige Daten zu liefern, welche meine bereits ausgesprochene Meinung, daß er zu einer selbstständigen Leitung nicht passe, bekräftigen dürften. Der Lektionsplan für 1851 wurde erst am 28. September bekannt gegeben, da die Collegien am 16. hätten beginnen sollen und nur durch das ebenfalls verspätete Ansuchen um die Vornahme gewisser Bauführungen hinausgeschoben worden war. Sitzungen werden nur, wenn sie unvermeidlich sind, gehalten und arten gewöhnlich in ein Chaos aus. Zu den häufigen Verhören werden nie andere Professoren als Schmid und Pöschel [Pöschl] beigezogen, wohl aber war bei solchen ein gewisser Czermak zugegen, ein Saufbruder des Klemsch, der für ein paar Gulden alles zu thun bereit ist, in der Stadt des schlechtesten Rufes genießt, sich aber rühmt durch den Direktor eine Professur in Suczawa sicher zu erhalten. Die Genannten, mit Ausnahme Schmids, sind die geheime Polizei des Direktors, gehen in den Gast- und Bierhäusern herum, um die Studenten zu überwachen. Der Oktavist Orobko wurde vom Direktor über Neubauer vollständig ausgefragt und gegen ihn ein ungünstiges Urtheil über den Professor ausgesprochen. Während der Direktor sehr selten eine Vorlesung besucht, ist ein vollständiges Spionirsystem gegen die Professoren und Schüler innerhalb und außerhalb der Schule organisirt. Das vom Ministerium für die Gymnasialbibliothek vor mehr als einem Jahre bewilligte Geld ist noch größtentheils unverwendet, und die Verwendung rührt fast ganz von Bestellungen des Kral her, nachdem Ficker schon seit September vorigen Jahres um eine besondere Sitzung für diese Sache gebeten, hat endlich am 11. April seine Vorschläge schriftlich eingegeben, kam am 18. diesen Monats eigens vom Lande zurück, weil die Sitzung darüber sein sollte, sie fand bisher nicht statt.
Vom Lektionsplan für 1852, der Ende April vorgelegt werden soll, ist keine Rede, sodaß er wieder aus Mangel an Zeit nur schleunigst ohne Besprechung angenommen werden muß. Mit vieler Mühe brachten ihn die Professoren dahin, 2 Stunden wöchentlich Vorlesung zu geben, während er mit Übernahme von 3 Stunden viele Verlegenheit erspart hätte, jene gibt er sehr unregelmäßig, prüfte Logik bis 11. April, sodaß im II. Semester ein Fertigwerden kaum abzusehen ist. Gegen alle Verordnungen ist noch kein Kreuzer Schulgeld für den II. Semester eingehoben, und im I. mußten endlich die Klassenlehrer, auf die überhaupt alles gehäuft wird, die Juxten schreiben, um nur einige Ordnung in das Geschäft zu bringen. Noch ist kein Katalog fertig und die zur Beendigung nothwendige allgemeine Konferenz nicht einmal angesagt.
In einem gewöhnlichen bübischen Auftreten der Oktava gegen Prof. Wagner trat Nahlowski so leidenschaftlich taktlos auf, untersuchte mehrere Wochen, wollte durchaus eine politische Tendenz herausbringen, drohte alle Schüler assentiren oder wenigstens wegzujagen, sodaß ich von allen Seiten um meine Intervenirung gebeten wurde, endlich kam fast nichts heraus. Die hiesige Anstalt gehört nach den ihr durch deine liebevolle Theilnahme zugewendeten Kräften nunmehr zu den besten, es wäre mir unendlich leid, wenn sie wieder zu dem früheren schlechten Ruf zurückkehren würde, ich verehre dich zu sehr, um dir nicht offen und ehrlich den wunden Fleck unserer Anstalt zu schildern.
Unter den hiesigen Professoren halte ich außer Ficker keinen fähig, den Direktorsposten im vollen Sinne auszufüllen. Fickers verständiges, ruhiges Benehmen hat mich sehr für ihn eingenommen, sein politisches Betragen ist frei von jedem Vorwurfe, seine Geschicklichkeit wird sehr gerühmt.
Ich nehme mir die Freyheit in der angenehmen Hoffnung, daß zur Vergrößerung des Fondes der Bibliothek die Bewilligung ertheilt, dir einige Aufrufe zu senden und die Bitte beizufügen, als oberster Protektor dieser Anstalt unsere bescheidene Lotterie mit einigen Gaben zu verstärken, vielleicht werden einige Damen die entfernten Bukowiner, die Wächter gegen Osten, mit ihrer Hände schönen Arbeiten erfreuen wollen. Da ich übrigens für den böhmischen Kunstverein Mitglieder gewann, so hoffe [ich], daß Bruder Franz auch so gut sein wird einige Theilnehmer zu werben – ich bitte dich ihn freundlichst zu grüßen.
Deiner ferneren freundschaftlichen Gesinnung empfiehlt sich

dein aufrichtiger Freund

Henniger

Czernowitz, 26. April [1]851