Der provisorische Landeschef der Bukowina, Adalbert Henniger, berichtet Leo Thun vom Verhalten und von den Charaktereigenschaften des Direktors des Gymnasiums in Czernowitz, Joseph Nahlowsky, sowie des Gymnasiallehrers Anton Schmied. Er beantwortet damit eine Anfrage Thuns, ob Schmied geeinget wäre, Direktor des Gymnasiums zu werden. Dabei kommt er zum Schluss, dass weder der aktuelle Direktor noch Schmied für den Direktorsposten geeignet seien. Zur Begründung seines Urteils führt Henniger insbesondere die schlechten Charaktereigenschaften Schmieds und dessen herrisches Auftreten an. Den aktuellen Direktor, Nahlowsky, beurteilt er wenig besser, indem er diesem vorwirft, sein Amt nur nachlässig zu führen, indes aber die Schüler und Lehrer auf unziemliche Weise ausspionieren lasse. Henniger spricht sich daher für die Wahl Adolph Fickers zum Direktor aus. Abschließend spricht der Landeschef seine Hoffnung aus, dass Thun an der Förderung des Gymnasiums in Czernowitz festhalten möge, damit dieses nicht neuerlich auf sein ursprünglich schlechtes Niveau absinke.
Verehrtester Freund!
Ich habe deinen Brief vom 6. dieses Monats erst nach meiner Rückkehr von
Lemberg, wohin ich wegen der Organisirung berufen
war, angetroffen, ich konnte nicht gleich antworten, weil ich mir erst
vollkommen genaue und grundhältige Daten über das Benehmen und Betragen des
Direktor Nahlowski sowie des
Prof. Schmid [Schmied] verschaffen,
dann auch von der Wahrheit derselben überzeugen wollte, um ja nicht partheiisch
vor dir zu erscheinen.
Was Schmid
anbelangt, so [ist] mir nicht so bald ein so leidenschaftlicher Mensch
vorgekommen, der deine Protektion mißbraucht, jeden, der nicht seiner Ansicht
beistimmt, mit dir schreckt und einzuschüchtern sucht und mit deinem Namen jeden
seiner Zwecke zu erreichen sucht. Schon die vorjährigen schmachvollen
Differenzen des Lehrköpers gaben mir die Überzeugung, daß Schmid, durch sein herrisches, hofmeisterndes
Auftreten Veranlasser derselben, den schwachen Direktor mißbrauche, ich gab mir
alle Mühe eine Versöhnung herbeizuführen, Schmid, nebst den andern Professoren zu mir um 7 Uhr abends
eingeladen, erschien erst um 8 Uhr, sein langes Ausbleiben gar nicht
entschuldigend, mit aller Bereitwilligkeit kamen die übrigen Professoren
Schmid versöhnend entgegen, er
benahm sich in einer Weise, welche zeigte, daß er eigentlich verlange, ihm
allein solle Recht gegeben und alle andern zur Unterwerfung unter seinen Willen
veranlaßt werden, die scheinbare Versöhnung erfolgte nur über die Nachgiebigkeit
der übrigen Professoren. Schmid benahm
sich nach dieser Versöhnung gegen seine Collegen zwar artig, belästigte sie aber
stets mit seiner Hofmeisterart. Prof. Wagner sah sich genöthiget ihm öffentlich zu erklären – er könne
keinen Vicedirektor anerkennen, selbst auf den Corridor, wo die Schüler immer
auf und abgehen, beleidigte er ihn, und in der Sitzung brach er die Gelegenheit
vom Zaume [sic!], ihn wegen der Anempfehlung der Neufferischen Übersetzung der
Aeneis1 an die Schüler zur Rede zu
stellen.
Die Bibliotheksfrage, welche dir aus meinem Berichte vom 26.
vorigen Monats Z. 4824 bekannt sein dürfte, erweckte in Schmid die höchste Indignation gegen alle
daran Betheiligten, weil ihm der Ruhm genommen, der erste Gründer einer
Gymnasialbibliothek zu sein, zur höchsten Leidenschaft wurde sie aber
gesteigert, als er nicht einmal Mitglied des Comité wurde, was er bloß seinem
die Gränzen des Anstandes bei Seite setzenden Benehmen während der Berathung
zuzuschreiben hat. Gleich nach dem ersten Zusammentreten in meiner Kanzlei am 4.
März und der Ankündigung des Mikulischen Concertes schrieb er an Dr. Zotta, als ob der ganze Lehrkörper über
den damals gefaßten Beschluß eine Landesbibliothek ins Leben zu rufen indignirt
wäre, da doch außer Schmid und
Nahlovski niemand das
mindeste dagegen einzuwenden fand. In der Direktoratskanzlei vor mehreren Zeugen
sagte er, „es sei eine Schmach und Schande, was da vorgehe“ und eiferte in den
heftigsten Ausdrücken gegen die dabei betheiligten Professoren. Vor der von mir
am 26. März letzten Jahres zuammengerufenen Versammlung über die
Bibliotheksfrage sprach Schmid sich
gegen Dr. Zotta, der ihm auf das
freundlichste den wahren Sachverhalt auseinandersetzte, mit einer steigenden
Leidenschaftlichkeit dahin aus, alles das sei Unrecht, ebenso, als wenn jemand
dem andern etwas schenke und dann wegnehme, Prof. Ficker habe die Sache so gedreht, er aber werde nicht nachgeben.
Nach beendeten Zusammentreten sagte er zu Prof. Popowicz, er sei der eigentliche
Gründer dieses Unternehmens, und ihn schiebe man ganz bei Seite und verwende das
Geld zu einem ganz andern Zweck, als wozu es gesammelt worden, er sprach sich
dabei so drohend gegen Ficker aus, daß
Popowicz für nöthig hielt,
den letzteren zu warnen. Am 27. vorigen Monats wies er Ficker, der einer Besprechung ausweichen
wollte, im Corridor des Schulgebäudes zu sich, frug in einer ganz gebieterischen
Weise, ob sich die Herrn eines andern besonnen hätten, und fuhr dann fort: Es
ist eine Schande, wenn sie es nicht thue, ich aber werde nicht ruhen, und wenn
ich bis zum Ministerium oder zum Kaiser gehen muß. Dies so laut, daß es die
Schüler hören konnten, an demselben Tage schrieb er mir einen Brief in ähnlicher
Weise, auch ließ er mich durch Prof. Lewinski auffordern von meinem Projekte abzugehen, weil er an
das Ministerium gehen werde, ich nur Unannehmlichkeiten mir bereite. Während
meiner Abwesenheit in Lemberg am 30. vorigen Monats war
der Privatlehrer des Zotta bei
Schmid, diesem hielt er mehr als 3
Stunden Reden über diese Sache, worin unter andern vorkam: in dieser Sache sei alles illegal, jeder Rechtliche müsse
so handeln, wie er es thue (diese Phrase führt Schmid übrigens tagtäglich und besonders in der fraglichen
Angelegenheit im Munde), es sei durchaus nicht rathsam für die Professoren
Ficker und Kolbe sich damit zu befassen, er werde diesem
Betruge entgegentreten, wie er nur kann. Am 31.
vormittags belästigte er wieder den Zotta mit seinen Reden, da dieser sich gegen Prof. Worobkiewicz bitterlich beklagte und
ersuchte, man möchte dem Schmid rathen
ruhig zu werden, weil die durch Fortsetzung seines Benehmens Gekränkten am Ende
auch nicht schweigen würden. In einigen Tagen darauf sprach sich Schmid wieder im Corridor vor mehreren
Collegen aus, es sei durchaus nicht ehrenhaft von
Professoren, mit dieser Sache zu thun zu haben, und bezeichnete das Benehmen der
Betheiligten als schmachvoll. An denselben Tage schrieb er an
dich, ich ersehe aus deinem Briefe, daß er ganz falsche Reden angeführt, welche
bei der Sitzung geführt worden sein sollen. Baron Mustazza erwähnte, daß eine Landesbibliothek stets dem
Lande bleibe, eine Gymnasialbibliothek aber zu dem Institute gehöre, daß es
möglich [sei], da das Oberlandesgericht nach Stanislawow
verlegt wurde, daß auch die höheren Lehranstalten dorthin bestimmt und somit die
Bibliothek mitwandern müßte, er sei zwar überzeugt, daß dies nicht geschehen
werde, daß dieser Fürgang aber ebenso eintreten könnte, als daß das von den
Ständen gebaute Landhaus in Czernowitz vom Aerar mehr
denn 50 Jahre unentgeltlich eingezogen wurde. Diese Beispiele hat Mustazza nicht bei der Sitzung, sondern nur
en passant und nicht einmal zur Versammlung gesprochen, viel Böswilligkeit
gehört dazu, Worten andere Bedeutung zu geben und einen schlechten Sinn zu
unterschieben. Dabei benimmt sich Schmid fortwährend als Viceregens und das ist so bekannt, daß
Professoren und Schüler sich an ihn wenden, um ihre Angelegenheit durchzuführen.
Ich habe mich bei der Schilderung des Schmid und der Bibliotheksache etwas ausführlicher
ausgesprochen, um meine Meinung, daß er nicht zum Direktor passe, zu begründen.
Was Nahlowski anbetrifft,
sehe ich mich verpflichtet dir in möglicher Kürze einige Daten zu liefern,
welche meine bereits ausgesprochene Meinung, daß er zu einer selbstständigen
Leitung nicht passe, bekräftigen dürften. Der Lektionsplan für 1851 wurde erst
am 28. September bekannt gegeben, da die Collegien am 16. hätten beginnen sollen
und nur durch das ebenfalls verspätete Ansuchen um die Vornahme gewisser
Bauführungen hinausgeschoben worden war. Sitzungen werden nur, wenn sie
unvermeidlich sind, gehalten und arten gewöhnlich in ein Chaos aus. Zu den
häufigen Verhören werden nie andere Professoren als Schmid und Pöschel [Pöschl] beigezogen, wohl aber war
bei solchen ein gewisser Czermak zugegen, ein
Saufbruder des Klemsch, der
für ein paar Gulden alles zu thun bereit ist, in der Stadt des schlechtesten
Rufes genießt, sich aber rühmt durch den Direktor eine Professur in
Suczawa sicher zu erhalten. Die Genannten, mit
Ausnahme Schmids, sind die geheime
Polizei des Direktors, gehen
in den Gast- und Bierhäusern herum, um die Studenten zu überwachen. Der Oktavist
Orobko wurde vom Direktor über Neubauer vollständig ausgefragt und
gegen ihn ein ungünstiges Urtheil über den Professor ausgesprochen. Während der
Direktor sehr selten
eine Vorlesung besucht, ist ein vollständiges Spionirsystem gegen die
Professoren und Schüler innerhalb und außerhalb der Schule organisirt. Das vom
Ministerium
für die Gymnasialbibliothek vor mehr als einem Jahre bewilligte Geld ist noch
größtentheils unverwendet, und die Verwendung rührt fast ganz von Bestellungen
des Kral her, nachdem Ficker schon seit September vorigen Jahres um
eine besondere Sitzung für diese Sache gebeten, hat endlich am 11. April seine
Vorschläge schriftlich eingegeben, kam am 18. diesen Monats eigens vom Lande
zurück, weil die Sitzung darüber sein sollte, sie fand bisher nicht
statt.
Vom Lektionsplan für 1852, der Ende April
vorgelegt werden soll, ist keine Rede, sodaß er wieder aus Mangel an Zeit nur
schleunigst ohne Besprechung angenommen werden muß. Mit vieler Mühe brachten ihn
die Professoren dahin, 2 Stunden wöchentlich Vorlesung zu geben, während er mit
Übernahme von 3 Stunden viele Verlegenheit erspart hätte, jene gibt er sehr
unregelmäßig, prüfte Logik bis 11. April, sodaß im II. Semester ein Fertigwerden
kaum abzusehen ist. Gegen alle Verordnungen ist noch kein Kreuzer
Schulgeld für den II. Semester eingehoben, und im I. mußten endlich die
Klassenlehrer, auf die überhaupt alles gehäuft wird, die Juxten schreiben, um
nur einige Ordnung in das Geschäft zu bringen. Noch ist kein Katalog fertig und
die zur Beendigung nothwendige allgemeine Konferenz nicht einmal
angesagt.
In einem gewöhnlichen bübischen Auftreten der Oktava gegen Prof.
Wagner trat Nahlowski so leidenschaftlich
taktlos auf, untersuchte mehrere Wochen, wollte durchaus eine politische Tendenz
herausbringen, drohte alle Schüler assentiren oder wenigstens wegzujagen, sodaß
ich von allen Seiten um meine Intervenirung gebeten wurde, endlich kam fast
nichts heraus. Die hiesige Anstalt gehört nach den ihr durch deine liebevolle
Theilnahme zugewendeten Kräften nunmehr zu den besten, es wäre mir unendlich
leid, wenn sie wieder zu dem früheren schlechten Ruf zurückkehren würde, ich
verehre dich zu sehr, um dir nicht offen und ehrlich den wunden Fleck unserer
Anstalt zu schildern.
Unter den hiesigen Professoren halte ich außer
Ficker keinen fähig, den
Direktorsposten im vollen Sinne auszufüllen. Fickers verständiges, ruhiges Benehmen hat mich sehr für ihn
eingenommen, sein politisches Betragen ist frei von jedem Vorwurfe, seine
Geschicklichkeit wird sehr gerühmt.
Ich nehme mir die Freyheit in der
angenehmen Hoffnung, daß zur Vergrößerung des Fondes der Bibliothek die
Bewilligung ertheilt, dir einige Aufrufe zu senden und die Bitte beizufügen, als
oberster Protektor dieser Anstalt unsere bescheidene Lotterie mit einigen Gaben
zu verstärken, vielleicht werden einige Damen die entfernten Bukowiner, die
Wächter gegen Osten, mit ihrer Hände schönen Arbeiten erfreuen wollen. Da ich
übrigens für den böhmischen Kunstverein Mitglieder gewann, so hoffe [ich], daß
Bruder Franz auch so gut
sein wird einige Theilnehmer zu werben – ich bitte dich ihn freundlichst zu
grüßen.
Deiner ferneren freundschaftlichen Gesinnung empfiehlt sich
dein aufrichtiger Freund
Henniger
Czernowitz, 26. April [1]851