Anton Gindely an Leo Thun
Paris, 20. August 1860
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Regest

Der Historiker Anton Gindely berichtet Leo Thun über die Fortschritte seiner Forschungen zur österreichischen Geschichte des 17. Jahrhunderts in den Archiven in Brüssel, Den Haag und Paris sowie über die anfänglichen Schwierigkeiten bei der Benützung der französischen Archive. Besonders für die Benützung des Archivs im Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten waren vorab einige aufwendige Formalitäten zu erledigen, wobei ihm allerdings ein Empfehlungsschreiben Thuns zugutekam. Die Resultate seiner Forschungen sind sehr erfreulich und so bedeutend, dass sich Gindely veranlasst sieht, seine Studien auszudehnen und deshalb noch die Archive in München, Wien und Dresden aufsuchen muss. Zusätzlich möchte er seine Aufmerksamkeit auf die Frage der Wallensteinschen Katastrophe richten und muss hierfür auch im Archiv in Spanien forschen. Dann teilt er Thun mit, dass er im Zuge seiner Recherchen in Brüssel den Grafen Antoine Villermont kennenlernte. Dieser wünschte einige Exemplare seines Werkes über Tilly nach Österreich zu senden. Auf Anregung Gindelys übersandte Villermont auch Thun ein Exemplar. Durch jenen erfuhr Gindely auch einiges über die politischen Verhältnisse in Belgien, worüber er Thun ein andermal berichten wird. Abschließend stellt Gindely freudig fest, dass die Veröffentlichung seiner Quellen einen wesentlichen Beitrag zur Kenntis der neueren Geschichte leisten wird und die österreichische wie die deutsche Geschichte eine neue Gestaltung erfahren werde.

Anmerkungen zum Dokument

Schlagworte

Edierter Text

Euer Excellenz,
Hochgeborner Herr Graf!

Da die erbetenen Empfehlungsschreiben richtig in meine Hände gekommen sind, so erlaube ich mir dafür meinen unterthänigsten Dank auszudrücken. Daß ich dies nicht gleich nach dem Empfang derselben gethan habe, geschah aus der Ursache, weil ich zugleich mittheilen wollte, in wie weit sie mir den Zutritt zu den Archiven erleichtert haben.
In Deutschland, Belgien und den Niederlanden war mir der Zutritt zu den Archiven überall gestattet, in Haag und in Brüssel konnte ich sogar meine Arbeiten an dem Tag vornehmen, wo ich in diesen Städten anlangte. Nur bezüglich Frankreich’s bekam ich überall ziemlich unerfreuliche Nachrichten und man sagte mir besonders in Belgien voraus, daß es mir unmöglich sein würde, Zutritt zu dem Archiv des Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten in Paris zu erlangen. Vornehmlich also, um in Paris allen Schwierigkeiten zu begegnen, wünschte ich die Intercession von Euer Excellenz.
In Paris langte ich nun in der ersten Woche des Monats August an und suchte Herrn Champollion, der für seine Forschungen auf dem Gebiete der österreichischen Geschichte das Ritterkreuz des Franz-Josephsordens erhalten hat, auf und erbat mir von ihm die nöthigen Mittheilungen sowohl über die Beschaffenheit der französischen Archive als über die Wege in dieselben zu gelangen. Herr Champollion kam meinen Bitten auf das bereitwilligste nach, machte mich nicht nur mit den Schätzen der kaiserlichen Bibliothek, so weit dies für die nächsten Forschungen nothwendig war, bekannt, sondern führte mich auch zum Direktor des französischen Staatsarchivs, dem Grafen Laborde, und erwirkte mir so durch seine freundliche Vermittlung die Erlaubnis in demselben arbeiten zu dürfen, ohne daß ich durch sonst übliche Formalitäten zu leiden hatte. Immerhin blieb aber auch das schwierigste übrig, noch mußte ich mir nämlich den Zutritt zu jenem Archiv erwirken, welches sich im Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten befindet.
Um auch dahin zu gelangen, wendete ich mich an die hiesige österreichische Gesandtschaft, theilte dem ersten Sekretär derselben, dem Grafen Mulinen, mein Anliegen mit und überreichte ihm mein Empfehlungsscheiben. Gestern erhielt ich nun die Nachricht, daß die nöthigen Schritte bei der französischen Regierung geschehen und daß mir die Erlaubnis zur Benützung des erwähnten Archivs in einigen Tagen gewährt werden würde. In Folge des Empfehlungsschreibens von Euer Excellenz leistet auch die hiesige Gesandtschaft für mich die nöthige Bürgschaft, vermöge welcher ich aus der kaiserlichen Bibliothek Bücher und Handschriften mir zum häuslichen Gebrauch ausleihen kann. Wie wichtig dies für mich ist, geht daraus hervor, daß fast die Hälfte der diplomatischen Korrespondenzen von 1600–1648 durch Zufälle aller Art in der kaiserlichen Bibliothek und nicht in den Archiven aufbewahrt wird. Ich kann auf diese Weise meinen Aufenthalt in Paris wenigstens um einen Monat abkürzen.
Euer Excellenz werden diese Tage aus Prag einige Nummern des Journals Universel zugeschickt erhalten haben, in welchem meine Broschüre über den Prager Fenstersturz von 16181 übersetzt sich vorfindet, und welche Übersetzung ich mir zuzusenden erlaubte, falls dieselbe als Familienerinnerung für Seine Excellenz den Herrn Grafen Martinitz einigen Werth haben sollte. Die Übersetzung, von deren Existenz ich erst in Brüssel erfuhr, rührt vom Grafen Villermont her, den ich während meiner Studien in dieser Stadt kennen zu lernen Gelegenheit hatte. Herr von Villermont, einer französischen Familie angehörig, aber in Belgien begütert, ist neben dem Grafen Merode einer der Chefs der Katholiken von Belgien und vertritt seine Sache sowohl in politischer wie in wissenschaftlicher Beziehung. Im vorigen Jahr veröffentlichte derselbe ein auf Studien im Brüsseler Archiv beruhendes Werk über Tilly, das vor kurzem auch ins Deutsche übersetzt wurde.2 Er sprach mir gegenüber den Wunsch aus, einige Exemplare seines Werkes nach Oesterreich zum Zeichen seiner Sympathie absenden zu können und wenn Euer Excellenz ein Exemplar erhalten haben, so bitte ich es nicht übel zu nehmen, daß es über meine Anregung geschehen.3 Durch Herrn von Villermonts Vermittlung konnte ich mich übrigens auf ziemlich eingehende Weise über die politischen und Journalverhältnisse Belgiens orientiren. Die französische Aggression hat daselbst in nicht wenigen Kreisen eine stärkere Hinneigung zu Oesterreich erzeugt und man klagte deshalb, daß man sich mit uns so wenig in eine Verbindung setzen könne, daß Aufforderung zur politischen Korrespondenz in einem Oesterreich ganz günstigen Sinne größtentheils unbeantwortet bleiben. Ich hoffe Euer Excellenz später näher berichten zu können, was ich in dieser Beziehung gethan. Von Brüssel wurde ich nach Paris an den Grafen Montalembert empfohlen, da ich jedoch noch zu sehr mit mancherlei Schwierigkeiten zu kämpfen habe, um mit Muße allen meinen Studien hier obzuliegen, so konnte ich von dieser Empfehlung noch nicht Gebrauch machen. Ich werde es jedoch auch hier nicht unterlassen, so weit es meine Studien erlauben, die Menschen und ihre Meinungen in unmittelbarer Nähe kennen zu lernen. Von meinen Studien selbst will ich nur einiges wenige mittheilen. Denn einen ausführlichen Bericht werde ich nach meiner Rückkehr durch den Druck veröffentlichen. Durch die höchst bedeutenden Resultate meiner Forschungen in Bernburg ward ich veranlaßt, meine Studien etwas auszudehnen und nach diesem erweiterten Plan in Brüssel, Haag und Paris zu studieren. Obwohl ich nun deshalb noch München, Wien und Dresden wieder aufsuchen muß, so werde ich doch bei Tag und Stunde mit dem letzten September 1861 fertig, denn ich sah mich durch keine widrigen Zwischenfälle bisher veranlaßt, irgend eine Zeit meinen Arbeiten wegzunehmen und hoffe ebenso auch später begünstigt zu bleiben. Das Studium in Paris ist das schwierigste, dem ich mich bisher unterziehen mußte. Einerseits nämlich ist es keine Kleinigkeit in den, man möchte sagen, zahllosen Katalogen der kaiserlichen Bibliothek sich zurecht zu finden, andererseits kann man seine Studien nicht in einem einzigen Lokale koncentriren, sondern muß bald vom Archiv zur Bibliothek, bald von dieser zu jenem laufen, endlich muß man sich einer vollständigen Veränderung der Lebensweise, namentlich der Tageseintheilung gefallen lassen. Ich habe den Entschluß gefaßt, meine Aufmerksamkeit auch einer Frage zu widmen, deren Lösung sei es hier, sei es in Spanien gelingen kann. Ich gehe nämlich über das nächste Ziel meiner Studien hinaus und forsche in den Papieren des französischen Gesandten Feuquieres nach, was sich daselbst über Wallenstein und dessen Ende befindet. Es ist nicht wahrscheinlich, daß ich etwas Entscheidendes darin finde, weil diese Papiere von einem oder dem anderen französischen Gelehrten durchforscht worden sein mögen, der wohl nicht versäumt hätte, entscheidende Schriftstücke zu veröffentlichen. Größere Hoffnungen setze ich eben auf Spanien. Der spanische Gesandte in Wien, stets auf das genaueste von allen nöthigen Ereignissen in Oesterreich unterrichtet, referirte gewiß über alle Ursache und Umstände der Wallensteinischen Katastrophe und in dieser Beziehung ist das Archiv von Simancas in Spanien nie untersucht worden. Vielleicht könnte ich also ohne viel Mühe auf meiner Reise die Lösung eines historischen Räthsels finden.
Die Erweiterung, welche meine Studien erfahren haben, betrifft die Jahre 1606–1612. Im vorigen Jahre studierte ich nämlich die Zeit von 1600–1618 nur oberflächlich, so weit ich ihre Kenntnis zur Einleitung der Geschichte von 1608 und der Folgezeit nöthig hatte. Ich danke meinem Geschicke, daß ich von Lemberg an veranlaßt wurde, die Ereignisse von 1606–1612 genau zu studieren, ich sage mit vollem Bewußtsein der Tragweite dieser Worte: die österreichische Geschichte wie auch die deutsche bekommen eine ganz neue Gestaltung, wenn meine Quellen veröffentlicht sein werden. Ich berechne jetzt schon, daß ihre Publikation 8–10 Quartbände ausfüllen dürfte, kein Land in Europa soll sich rühmen dürfen einen glänzendern Quellenbeitrag zur Kenntnis der neuern Geschichte geliefert zu haben, als damit von Oesterreich aus geschehen wird. Verzeihen Euer Excellenz mir diesen Ausbruch innerer Befriedigung, der mich überkommt, wenn ich jetzt die Resultate ununterbrochener Forschungen ansehe.
In Paris glaube ich bis zum November oder Dezember bleiben zu müssen, in Spanien dürfte ich wohl bis zum März oder April 1861 verbleiben, einen Monat verwende ich auf Turin und den Rest widme ich der ergänzenden Durchforschung der Archive von München, Wien und Dresden.
Genehmigen Euer Excellenz den Ausdruck ausgezeichneter Hochachtung, mit der ich verbleibe dero

unterthänigster Diener
Anton Gindely

Paris, den 20. August 1860