Der Historiker Anton Gindely berichtet Leo Thun über die Fortschritte seiner Forschungen zur österreichischen Geschichte des 17. Jahrhunderts in den Archiven in Brüssel, Den Haag und Paris sowie über die anfänglichen Schwierigkeiten bei der Benützung der französischen Archive. Besonders für die Benützung des Archivs im Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten waren vorab einige aufwendige Formalitäten zu erledigen, wobei ihm allerdings ein Empfehlungsschreiben Thuns zugutekam. Die Resultate seiner Forschungen sind sehr erfreulich und so bedeutend, dass sich Gindely veranlasst sieht, seine Studien auszudehnen und deshalb noch die Archive in München, Wien und Dresden aufsuchen muss. Zusätzlich möchte er seine Aufmerksamkeit auf die Frage der Wallensteinschen Katastrophe richten und muss hierfür auch im Archiv in Spanien forschen. Dann teilt er Thun mit, dass er im Zuge seiner Recherchen in Brüssel den Grafen Antoine Villermont kennenlernte. Dieser wünschte einige Exemplare seines Werkes über Tilly nach Österreich zu senden. Auf Anregung Gindelys übersandte Villermont auch Thun ein Exemplar. Durch jenen erfuhr Gindely auch einiges über die politischen Verhältnisse in Belgien, worüber er Thun ein andermal berichten wird. Abschließend stellt Gindely freudig fest, dass die Veröffentlichung seiner Quellen einen wesentlichen Beitrag zur Kenntis der neueren Geschichte leisten wird und die österreichische wie die deutsche Geschichte eine neue Gestaltung erfahren werde.
Euer Excellenz,
Hochgeborner Herr Graf!
Da die erbetenen Empfehlungsschreiben richtig in meine Hände gekommen sind, so
erlaube ich mir dafür meinen unterthänigsten Dank auszudrücken. Daß ich dies
nicht gleich nach dem Empfang derselben gethan habe, geschah aus der Ursache,
weil ich zugleich mittheilen wollte, in wie weit sie mir den Zutritt zu den
Archiven erleichtert haben.
In Deutschland,
Belgien und den Niederlanden war mir
der Zutritt zu den Archiven überall gestattet, in Haag
und in Brüssel konnte ich sogar meine
Arbeiten an dem Tag vornehmen, wo ich in diesen Städten anlangte. Nur bezüglich
Frankreich’s bekam ich überall ziemlich
unerfreuliche Nachrichten und man sagte mir besonders in
Belgien voraus, daß es mir unmöglich sein würde, Zutritt
zu dem Archiv des Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten in
Paris zu erlangen. Vornehmlich also, um in
Paris allen Schwierigkeiten zu begegnen, wünschte ich
die Intercession von Euer Excellenz.
In Paris langte
ich nun in der ersten Woche des Monats August an und suchte Herrn Champollion, der für
seine Forschungen auf dem Gebiete der österreichischen Geschichte das
Ritterkreuz des Franz-Josephsordens erhalten hat, auf und erbat mir von ihm die
nöthigen Mittheilungen sowohl über die Beschaffenheit der französischen Archive
als über die Wege in dieselben zu gelangen. Herr Champollion kam meinen
Bitten auf das bereitwilligste nach, machte mich nicht nur mit den Schätzen der
kaiserlichen Bibliothek, so weit dies für die nächsten Forschungen nothwendig
war, bekannt, sondern führte mich auch zum Direktor des französischen
Staatsarchivs, dem Grafen Laborde, und
erwirkte mir so durch seine freundliche Vermittlung die Erlaubnis in demselben
arbeiten zu dürfen, ohne daß ich durch sonst übliche Formalitäten zu leiden
hatte. Immerhin blieb aber auch das schwierigste übrig, noch mußte ich mir
nämlich den Zutritt zu jenem Archiv erwirken, welches sich im Ministerium der
auswärtigen Angelegenheiten befindet.
Um auch dahin zu gelangen, wendete ich
mich an die hiesige österreichische Gesandtschaft, theilte dem ersten Sekretär
derselben, dem Grafen Mulinen, mein
Anliegen mit und überreichte ihm mein Empfehlungsscheiben. Gestern erhielt ich
nun die Nachricht, daß die nöthigen Schritte bei der französischen Regierung
geschehen und daß mir die Erlaubnis zur Benützung des erwähnten Archivs in
einigen Tagen gewährt werden würde. In Folge des Empfehlungsschreibens von Euer
Excellenz leistet auch die hiesige Gesandtschaft für mich die nöthige
Bürgschaft, vermöge welcher ich aus der kaiserlichen Bibliothek Bücher und
Handschriften mir zum häuslichen Gebrauch ausleihen kann. Wie wichtig dies für
mich ist, geht daraus hervor, daß fast die Hälfte der diplomatischen
Korrespondenzen von 1600–1648 durch Zufälle aller Art in der kaiserlichen
Bibliothek und nicht in den Archiven aufbewahrt wird. Ich kann auf diese Weise
meinen Aufenthalt in Paris wenigstens um einen Monat
abkürzen.
Euer Excellenz werden diese Tage aus Prag
einige Nummern des Journals Universel zugeschickt erhalten haben, in welchem
meine Broschüre über den Prager Fenstersturz von 16181 übersetzt sich
vorfindet, und welche Übersetzung ich mir zuzusenden erlaubte, falls dieselbe
als Familienerinnerung für Seine Excellenz den Herrn Grafen Martinitz einigen
Werth haben sollte. Die Übersetzung, von deren Existenz ich erst in Brüssel erfuhr, rührt vom Grafen Villermont her, den ich während
meiner Studien in dieser Stadt kennen zu lernen Gelegenheit hatte. Herr von Villermont, einer französischen
Familie angehörig, aber in Belgien begütert, ist neben dem
Grafen Merode einer der Chefs der
Katholiken von Belgien und vertritt seine Sache sowohl in
politischer wie in wissenschaftlicher Beziehung. Im vorigen Jahr veröffentlichte
derselbe ein auf Studien im Brüsseler
Archiv beruhendes Werk über Tilly, das vor kurzem auch ins Deutsche übersetzt
wurde.2 Er sprach mir gegenüber den Wunsch
aus, einige Exemplare seines Werkes nach Oesterreich zum
Zeichen seiner Sympathie absenden zu können und wenn Euer Excellenz ein Exemplar
erhalten haben, so bitte ich es nicht übel zu nehmen, daß es über meine Anregung
geschehen.3
Durch Herrn von Villermonts
Vermittlung konnte ich mich übrigens auf ziemlich eingehende Weise über die
politischen und Journalverhältnisse Belgiens
orientiren. Die französische Aggression hat daselbst in nicht wenigen Kreisen
eine stärkere Hinneigung zu Oesterreich erzeugt und man
klagte deshalb, daß man sich mit uns so wenig in eine Verbindung setzen könne,
daß Aufforderung zur politischen Korrespondenz in einem
Oesterreich ganz günstigen Sinne größtentheils
unbeantwortet bleiben. Ich hoffe Euer Excellenz später näher berichten zu
können, was ich in dieser Beziehung gethan. Von Brüssel wurde ich nach Paris an den
Grafen Montalembert
empfohlen, da ich jedoch noch zu sehr mit mancherlei Schwierigkeiten zu kämpfen
habe, um mit Muße allen meinen Studien hier obzuliegen, so konnte ich von dieser
Empfehlung noch nicht Gebrauch machen. Ich werde es jedoch auch hier nicht
unterlassen, so weit es meine Studien erlauben, die Menschen und ihre Meinungen
in unmittelbarer Nähe kennen zu lernen. Von meinen Studien selbst will ich nur
einiges wenige mittheilen. Denn einen ausführlichen Bericht werde ich nach
meiner Rückkehr durch den Druck veröffentlichen. Durch die höchst bedeutenden
Resultate meiner Forschungen in Bernburg ward ich
veranlaßt, meine Studien etwas auszudehnen und nach diesem erweiterten Plan in
Brüssel, Haag
und Paris zu studieren. Obwohl ich nun deshalb noch
München, Wien
und Dresden wieder aufsuchen muß, so werde ich doch bei
Tag und Stunde mit dem letzten September 1861 fertig, denn ich sah mich durch
keine widrigen Zwischenfälle bisher veranlaßt, irgend eine Zeit meinen Arbeiten
wegzunehmen und hoffe ebenso auch später begünstigt zu bleiben. Das Studium in
Paris ist das schwierigste, dem ich mich bisher
unterziehen mußte. Einerseits nämlich ist es keine Kleinigkeit in den, man
möchte sagen, zahllosen Katalogen der kaiserlichen Bibliothek sich zurecht zu
finden, andererseits kann man seine Studien nicht in einem einzigen Lokale
koncentriren, sondern muß bald vom Archiv zur Bibliothek, bald von dieser zu
jenem laufen, endlich muß man sich einer vollständigen Veränderung der
Lebensweise, namentlich der Tageseintheilung gefallen lassen. Ich habe den
Entschluß gefaßt, meine Aufmerksamkeit auch einer Frage zu widmen, deren Lösung
sei es hier, sei es in Spanien gelingen kann. Ich gehe
nämlich über das nächste Ziel meiner Studien hinaus und forsche in den Papieren
des französischen Gesandten Feuquieres nach, was sich daselbst über Wallenstein und dessen Ende befindet.
Es ist nicht wahrscheinlich, daß ich etwas Entscheidendes darin finde, weil
diese Papiere von einem oder dem anderen französischen Gelehrten durchforscht
worden sein mögen, der wohl nicht versäumt hätte, entscheidende Schriftstücke zu
veröffentlichen. Größere Hoffnungen setze ich eben auf
Spanien. Der spanische Gesandte in Wien, stets auf das
genaueste von allen nöthigen Ereignissen in Oesterreich
unterrichtet, referirte gewiß über alle Ursache und Umstände der
Wallensteinischen Katastrophe und in dieser Beziehung ist das Archiv von
Simancas in Spanien nie untersucht
worden. Vielleicht könnte ich also ohne viel Mühe auf meiner Reise die Lösung
eines historischen Räthsels finden.
Die Erweiterung, welche meine Studien
erfahren haben, betrifft die Jahre 1606–1612. Im vorigen Jahre studierte ich
nämlich die Zeit von 1600–1618 nur oberflächlich, so weit ich ihre Kenntnis zur
Einleitung der Geschichte von 1608 und der Folgezeit nöthig hatte. Ich danke
meinem Geschicke, daß ich von Lemberg an veranlaßt wurde,
die Ereignisse von 1606–1612 genau zu studieren, ich sage mit vollem Bewußtsein
der Tragweite dieser Worte: die österreichische Geschichte wie auch die deutsche
bekommen eine ganz neue Gestaltung, wenn meine Quellen veröffentlicht sein
werden. Ich berechne jetzt schon, daß ihre Publikation 8–10 Quartbände ausfüllen
dürfte, kein Land in Europa soll sich rühmen dürfen einen
glänzendern Quellenbeitrag zur Kenntnis der neuern Geschichte geliefert zu
haben, als damit von Oesterreich aus geschehen wird.
Verzeihen Euer Excellenz mir diesen Ausbruch innerer Befriedigung, der mich
überkommt, wenn ich jetzt die Resultate ununterbrochener Forschungen
ansehe.
In Paris glaube ich bis zum November oder
Dezember bleiben zu müssen, in Spanien dürfte ich wohl bis
zum März oder April 1861 verbleiben, einen Monat verwende ich auf
Turin und den Rest widme ich der ergänzenden
Durchforschung der Archive von München,
Wien und
Dresden.
Genehmigen Euer Excellenz den Ausdruck
ausgezeichneter Hochachtung, mit der ich verbleibe dero
unterthänigster Diener
Anton Gindely
Paris, den 20. August 1860