Josef Dittrich teilt Leo Thun seine Ansichten zur Nachbesetzung des
Bischofsstuhls im Prager Erzbistum mit. Zunächst muss der Vikar
jedoch eingestehen, dass er zu wenig mit dem tschechischen Klerus
vertraut sei, um einen Rat geben zu können. Aus diesem Grund hat
Dittrich den Prager Kanonikus Peter Kreycy um seine Meinung und
einen Hinweis auf geeignete Kandidaten gebeten. Er werde dessen
Ansichten dann umgehend mitteilen. Der Vikar befürchtet allerdings,
dass Thun in seiner Wahl nicht vollkommen frei sein werde,
insbesondere dann, wenn die Kenntnisse der böhmischen Sprache nicht
als notwendige Voraussetzung für die Kandidatur erachtet
werden.
Im zweiten Teil des Briefes äußert sich Dittrich zur
Frage des zukünftigen Verhältnisses von Kirche und Staat. Dittrich
glaubt, dass das Unterrichtsministerium bzw. der Staat im
Allgemeinen vor der schwierigen Aufgabe stünden, einen Ausgleich
zwischen den Wünschen der Bischofsversammlung und den eigenen
Ansprüchen zu finden. Er persönlich glaubt, dass eine größere
Freiheit der Kirche unbedingt notwendig sei. Gleichzeitig betont er,
dass der Staat sich einen gewissen Einfluss auf die Belange der
Kirche bewahren müsse. Dittrich spricht sich zudem dafür aus, dass
die Kirche ihren Einfluss auf das Volksschulwesen bewahren
solle.
Hochzuverehrender Herr Staatsminister,
hochgeborner Herr Graf!
Zuvor meinen aufrichtigen Glückwunsch, daß es der göttlichen Fürsehung gefallen
hat, Ihnen, hochverehrter Freund, neuerdings einen Wirkungskreis anzuweisen, in
welchem Sie des Guten überaus viel zu thun vermögen. Gott schenke nur dem lieben
Oesterreich Ruhe und Frieden und es wird mit seiner Gnade
den Männern, die gegenwärtig an der Spitze dieser Monarchie stehen, hoffentlich
gelingen, die längst gehegten Wünsche aller Gutgesinnten zu erfüllen.
Wie
sehr ich es bedaure, daß Ihre werthen Schreiben von
Tetschen und Görlitz erst den
5. August, als ich in Budussin wieder eintraf, in meine
Hände gekommen sind, kann ich nicht genug ausdrücken. Den 4. als Sie durch
Dresden und Budussin
[Bautzen] passirten, war ich eben in
Dresden durch ein Unwohlseyn noch festgehalten, würde
aber Ihren werthen Besuch mit Freuden angenommen haben.
Irgend einen Rath zu
geben, auf wen allenfalls bei Besetzung des Prager
Erzbisthums die Aufmerksamkeit gerichtet werden könne, ist
überhaupt sehr schwer, vorzüglich aber für mich, wo ich mit dem czechischen
Clerus viel zu wenig bekannt bin. Dem Prager
Canonicus Kreyčy, der einer der
ältesten unter den 6 jüngeren Domherren ist und den Bezirksvikär des
Reichenberger Distriktes, Johann
Pažaut, Pfarrer und Personaldechant zu Laukow,
kann ich zwar als zwei untadelige, eifrige, geschäftskundige, und
wissenschaftlich-gebildete czechische Geistliche namhaft machen; allein ob einer
oder der andere von ihnen einen so hohen und einflußreichen Posten gehörig
auszufüllen geeignet seyn würde, kann ich nicht mit Gewißheit sagen. Man lobt
auch den Weihbischof von Olmütz, Herrn von Thysenbert, und rühmt von ihm, daß er sich durch seinen
Eifer, seine Tugend und wissenschaftliche Bildung vor allen übrigen Olmützer Canonici auszeichne; allein ich habe
nicht die Ehre, ihn näher zu kennen und kann mir deshalb auch kein Urtheil über
ihn erlauben. Auch weiß ich nicht verlässig, ob er der czechischen Sprache
kundig ist. Der oben genannte Canonicus Kreycy dürfte als Consitorialrath eine sehr genaue Kenntnis von
den Bezirksvikären der Prager Erzdiözese
besitzen und ich habe ihn deshalb mit Beobachtung der gebührenden Vorsicht
ersuchet, mir aus denselben diejenigen, welche einem größeren Wirkungskreise
gewachsen seyn dürften, sobald als thunlich gefälligst zu nennen. Was ich
hierüber erfahre, werde ich ungesäumt mittheilen. Übrigens fürchte ich, daß auch
Sie, hochverehrter Freund, bei Ihrem Vorschlage nicht ganz frei werden verfügen
können, besonders, wenn die Bedingung, daß der Zuerwählende der böhmischen
Sprache kundig seyn müsse, nicht als unbedingt nothwendig erkannt werden
sollte.
Daß bei der in Aussicht gestellten Neugestaltung der Kirche und
Schule das Cult- und Unterrichtsministerium eine schwere Aufgabe werde zu lösen
haben, ist leicht zu begreifen. Die Vorschläge, welche die versammelt gewesenen
hochwürdigen Herren Bischöfe der Staatsregierung gemacht haben, sind mir zwar
unbekannt, und ich will hoffen, daß der vernünftigere Theil, welcher die viel
gerühmte kirchliche Freiheit näher beleuchtet hat, die Majorität erlangt habe;
indes wie auch diese Vorschläge beschaffen seyn mögen, die Staatsregierung wird
dieselben in jedem Falle mit großer Vorsicht zu prüfen haben, wenn die
vorliegenden schwierigen Fragen zum Heile des Staates, der Kirche und Schule
gelöset werden sollen. Daß die katholische Kirche in
Oesterreich von der allzu ängstlichen Staatsaufsicht
erlöset werde, ist durchaus nothwendig; sie muß sich in Betreff ihrer inneren
Angelegenheiten freier bewegen können. Aber nicht minder nothwendig ist es, daß
die Staatsregierung der Kirche überall, wo sie es bedarf, den nöthigen Schutz
durch die Administrativ-Behörden gewähre und sie nicht etwa in eine bloß
privatrechtliche Stellung verweise, sodaß sie alle Hilfe nur auf dem Amtswege zu
suchen hat. Auch ist es höchst erwünschlich, daß die Staatsregierung sich einen
Einfluß wahre auf die Entwicklung des kirchlichen Lebens, insbesondere auf die
vollständige Herstellung der Synodalverfassung, wie sie durch das Tridentinum
angeordnet ist. Die päpstliche Antwort auf die diesen Gegenstand betreffende
Eingabe der Würzburger bischöflichen
Versammlung ist eben nicht sehr günstig und scheint fast darauf berechnet zu
seyn, die alte Lethargie wieder geltend zu machen. Es ist ferner nothwendig, daß
die uralte Verbindung zwischen der Kirche und der Volksschule bewahrt werde,
weil eine gänzliche Trennung beider, der einen wie der andern, nur Unheil
bringen würde; aber es ist ebenso nothwendig, daß die jungen Theologen sowohl
während der Studienjahre als auch in der Zeit ihres praktischen Wirkens sich mit
der Pädagogik, Didaktik, Katechetik viel mehr vertraut machen und hiermit zur
Aufsichtführung über die Volksschulen sich mehr befähigen müßten. Doch der Raum
gebiethet zu schließen. Eine baldige Fortsetzung versprechend bitte ich die
Versicherung ganz besonderer Hochachtung zu genehmigen, mit der ich bin des
Herrn Staatsministers
treuergebener Freund
Jos. Dittrich
Bischof Vic. Apostol.
Budussin, den 10. August 1849
P.S. Die Aufforderung, die ausgeliehenen Bücher aus der Bibliothek des verstorbenen Prof. Bolzano einzuliefern, könnte vielleicht Excellenz Doctor Bretschneider erlassen.