Laurenz Hannibal Fischer an Leo Thun
Frankfurt, 30. November 1855
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Regest

Laurenz Hannibal Fischer, ehemals Regierungspräsident des zum Großherzogtum Oldenburg gehörenden Fürstentums Birkenfeld, bittet um Aufnahme in den österreichischen Staatsdienst und schildert dazu seine Lebensstationen und besonderen Leistungen: Dabei geht er unter anderem auf seine Tätigkeit bei der Aufhebung der deutschen Flotte nach 1848 ein, wobei er besonders auf seine damals bewiesene Charakterfestigkeit hinweist. Er – als Protestant – trat auch zur Verteidigung des Jesuitenordens auf, weil dieser von protestantischer Seite zur Diffamierung Österreichs und der katholischen Kirche benutzt worden war. Anschließend war er Minister des Fürsten von Lippe, dieser hatte ihn jedoch bald entlassen und ihm Gehalt und Pension entzogen. Er beschreibt sich als Mann von großer Charakterstärke und strikt konservativer Haltung. Diese Gesinnung lässt ihn auch hoffen, im Kaiserstaat ein neues Betätigungsfeld zu finden. Durch seine Kenntnisse und bisherigen Tätigkeiten würde er sich besonders für das Kultusministerium eignen. Gerade seine vermittelnde Haltung zwischen den Konfessionen, die er mehrfach unter Beweis gestellt habe, wäre dabei von Vorteil. Bei Bedarf könne man sich auch bei Fürst Metternich oder anderen konservativen Männern über ihn informieren.

Anmerkungen zum Dokument

Am Beginn des Briefes fehlen eine oder mehrere Seiten.

http://hdl.handle.net/21.11115/0000-000B-DC3F-8

Schlagworte

Edierter Text

[...] streng conservativen Princip des historischen Rechts möglichste Geltung zu erringen. Eine ausführliche Schrift über den deutschen Adel, meine Consulentendienste bei den Reclamationen der süddeutschen Standesherrn, sind dessen Zeuge. Als der Bundestag in seiner restaurirten Kräftigkeit es unternahm, ein Schoßkind der Revolution, die deutsche Flotte zu beseitigen, und zum Vollzug eines solchen Auftrags, welcher vorzugsweise einen charakterfesten der öffentlichen Meinung trotzgebietenden Mann in Anspruch nahm, kaum ein Concurrent vorhanden war, übernahm ich dieses Geschäft mit unverzagtem Eifer und ertrug die damit verbundenen zahllosen Ergüsse des Volkshasses im Bewußtsein gerechter Sache mit stoischem Gleichmuth.
Bekanntlich gehörte es zu den Anstrebungen der auf dem politischen Felde niedergedrückten Demokratie, ihre feindseligen Tendenzen auf das Gebiet religiöser Aufreizungen zu richten und Oestreich als eine Macht zu verdächtigen, deren Streben nur auf Verdrängung des Protestantismus gerichtet sei, um einer anderen rivalisirenden Macht die ausschließliche Sympathie des protestantischen Deutschland zuzuwenden.
Da die Verhältnisse des Jesuitenordens zu diesen Verdächtigungen schlau benützt wurden, so nahm ich keinen Anstand auch diesen böswilligen Tendenzen der Ruhestörer durch eine gewissenhafte und unpartheiische Beleuchtung der gegen den Jesuitenorden gerichteten unbegründeten Angriffe entgegen zu treten. Durfte ich mich doch der gerechten Erwartung hingeben, daß mein Urtheil, als Ausspruch eines Protestanten jedenfalls des Verdachtes der Partheilichkeit für die katholische Kirche enthoben sein müsse.
Mein anerkannter Eifer für die Sache der Monarchie bestimmte den Fürsten zur Lippe mich zu seinem Minister zu erheben. Auch dort hatte ich neben dem Kampfe mit der Demokratie noch den mit der religiösen Unduldsamkeit zu bestehen. Durchdrungen von der Überzeugung, daß ächte Religiosität, in welcher Form sie auch auftrete, die festeste Grundsäule des Staatsverbandes bilde, begann meine ministerielle Thätigkeit mit der Beordnung der kirchlichen Verhältnisse in der Einsetzung sowohl der lutherischen als katholischen Kirche in vollständigste Rechtsgleichheit mit der herrschenden reformirten. Mit nicht minder kräftigen Erfolg gelangen mir die nothwendigen Reformen in allen Theilen der Landesverwaltung und die Erwerbung der unzweideutigsten Zufriedenheit des Fürsten wie des Landes.
Da betrafen mich ohne irgend eine gerechte Veranlassung mehrere Unfälle.
Die Behörden des Herzogs von Sachsen Coburg unterwarfen mich einer unerhörten schmerzlichen Behandlung. Der Großherzog von Oldenburg entzog mir uneingedenk meiner von seinem Vater anerkannten ausgezeichneten Diensttreue, Gehalt und Pension. Der Fürst zur Lippe nahm mir ohne Angabe eines Grundes Amt und Gehalt.
Alle diese Umstände erläutert die anliegende Druckschrift, um deren hochgeneigte Einsichtnahme ich unterthänig bitte. Meinen Schmerz muß noch der Umstand erhöhen, daß diese Unbilden gerade von denen ausgegangen sind, für deren Rechte ich in Treue und unermüdeter Ausdauer gekämpft und geduldet habe. Hoffnungslos überblicke ich die ganze Reihe der deutschen Fürsten zweiten und dritten Ranges und erblicke nur mit wenigen Ausnahmen willenlose unter der Maske des Constitutionalismus, von den Schlingen der Demokratie gefesselte Persönlichkeiten, die sich nicht zu dem Muth erheben können, selbst bei der augenscheinlichsten Überzeugung ihres Bedürfnisses einen Mann erprobter conservativer Gesinnung in Dienst zu nehmen.
In dieser ungünstigen Lage bleibt mir die einzige Hoffnung, im Dienste des hohen Kaiserhauses, eine, meinen Grundsätzen und Eigenschaften angemessene Verwendung zu finden.
Mich unbedingt zu jeder staatsdienstlichen Beschäftigung zur Disposition stellend wage ich es, Euer Excellenz vorzugsweise eine Verwendung im Ministerium des Cultus zur gnädigen Berücksichtigung zu bezeichnen.
In meinem vielseitigen Dienstleben habe ich mich nicht ohne einige Vorliebe mit dem Kirchen- und öffentlichen Unterrichtswesen beschäftigt und würde ich in einer angemessenen Stellung im protestantischen Kirchenwesen dem östreichischen Staate nützliche Dienste zu leisten, der bescheidenen Hoffnung mich hingeben dürfen. Meine nähere praktische Kenntnisnahme der kirchlichen und kirchenrechtlichen Verhältnisse beider protestantischer Confessionen, wie solche die anliegende Schrift andeutet, dürften bei der Qualifikationsfrage nicht ungünstig für mich sprechen. Es ist aber noch ein Punkt, den ich Euer Excellenz zur besonderen hohen Erwägung stelle.
In einem Staate, wo die katholische Confession im Vergleich mit der protestantischen in einem so überwiegenden Verhältnisse steht, wie im östreichischen Kaiserstaate, muß der Regierung gewiß viel daran liegen, daß die Leitung des protestantischen Kirchenwesens nicht schroff oppositionellen Händen anvertraut werde, welche im Kampfe mit der vorherrschenden Kirche ihre Hauptaufgabe darin suchen, mehr auf dem Wege hochgesteigerter Prätensionen, als evangelischer Milde und Nachgiebigkeit aufzutreten. Es dürfte diese Bemerkung nicht ganz unberücksichtigungswerth sein, zu einer Zeit, wo die protestantische Presse schon im eifrigsten Zuge ist, den östreichischen Protestanten das soeben abgeschlossene päpstliche Concordat als ein beängstigendes Schreckbild auszumalen. Ich bin ein überzeugungstreuer Anhänger der Kirche, in welcher ich geboren und erzogen bin. Dieses hat mich jedoch nicht davon abhalten können, der römisch katholischen Mutterkirche in allen Beziehungen die gebührende Achtung zu beweisen und diese bei vielen mir zu Gebote stehenden Gelegenheiten aufrichtig zu bethätigen. Schon vor dreißig Jahren verdankten die Katholiken in der sächsischen Residenzstadt Hildburghausen meiner Wirksamkeit in dem dasigen Consistorium nicht nur die Bildung einer förmlichen Gemeinde, sondern auch die Überweisung einer eigenen Kirche unter einen katholischen Obern, dem Bischof zu Würzburg. In dem Fürstenthum Birkenfeld habe ich die Aufrechtshaltung der unbeschränkten Religionsgleichheit zur strengsten Obliegenheit genommen und selbst im Conflict mit den protestantischen Behörden dem Deutschkatholicismus den Eingang versagt. Im Fürstenthum Lippe war, wie ich oben berührt habe, die Rechtseinsetzung der katholischen Kirche einer der ersten Acte meiner Thätigkeit.
Die Bischöfe von Würzburg, Trier und Paderborn haben mir auch von jeher eine besondere Anerkennung meiner Gerechtigkeit und freundlichen Handlungsweise gegen die katholische Kirche bewiesen. Ich glaube gleichwohl nicht besorgen zu dürfen, daß meine Confessionsverwandten in diesem meinem Benehmen irgend ein Zeichen gleichgültigen Indifferentismus oder Verleugnung des protestantischen Standpunktes beargwohnen durften.
Indem ich übrigens hinsichtlich meiner persönlichen Arbeitskräftigkeit und sonstigen Verhältnisse auf die anliegende Schrift weise, dürfte ich mich auch wohl in Bezug auf meinen persönlichen Charakter auf das Urtheil mehrerer hochgestellten Gönner namentlich der Fürsten Metternich und Windischgrätz und der Herrn Grafen von Thun-Hohenstein und von Rechberg beziehen.
Mögte Euer Excellenz gnädiges Wohlwollen geruhen durch Unterstützung meines Wunsches, einen dem Schmerzgefühl fast erliegenden Mann wieder zu der verlorenen Lebensfreudigkeit zu erheben. Mein unwandelbarer innigster Dank würde mit den Gesinnungen der tiefsten Verehrung sich vereinigen, in welcher ich verharre

Euer Excellenz unterthäniger Diener
Dr. L. H. Fischer
Fürstlich Lippischer wirklicher Geheimrath und Cabinetts-Minister a. D.

Frankfurt, den 30. November 1855