Melchior Diepenbrock bedauert, dass es gegen die beabsichtigte Abhaltung einer Generalversammlung der deutschen Katholikenvereine in Wien Widerstände gibt. Er verstehe nicht, warum der Wiener Fürsterzbischof eine solche Versammlung verbieten sollte. Fürstbischof Diepenbrock will sich für diese Versammlung einsetzen, da er die Zusammenarbeit von katholischen Vereinen und Bischöfen, wie sie auf der Generalversammlung in Breslau stattgefunden hatte, für wichtig erachtet. Im zweiten Teil des Briefes äußert sich Diepenbrock zu einer Anfrage von Leo Thun über die Eignung von Anton Kahlert zur Leitung eines Gymnasiums. Diepenbrock betont, dass er diesen für eine solche Aufgabe nicht geeignet halte. Er stützt sich in seinem Urteil auf die Aussagen von Personen, die Kahlert kennen und ihn als eitel und wenig geistvoll beschreiben.
Ratibor, 30. August 1849
Hochgeborener Graf!
Hochzuehrender Herr Staatsminister!
Eurer Excellenz geehrtes Schreiben vom 27. dieses [Monats] habe ich heute hier in
Ratibor, wo ich mich auf einer Firmungsreise befinde,
zu erhalten die Ehre gehabt und säume nicht, dasselbe alsbald ergebenst zu
beantworten.
Es thut mir in aller Hinsicht sehr leid, daß man der
beabsichtigten Abhaltung einer Generalversammlung der deutschen
Katholikenvereine in Wien, dort Hindernisse
entgegensetzt. Weder von kirchlicher noch von politischer Seite sehe ich dazu
eine genügende Veranlassung; ich sehe vielmehr in jeder Hinsicht Gründe für das
Gegentheil. Die Versammlung österreichischer Bischöfe hat die katholischen
Vereine als ein wichtiges und heilsames Förderungsmittel der edelsten Zwecke in
dieser Zeit anerkannt und der Herr Fürsterzbischof hat dieser Anerkennung seine Zustimmung
ertheilt; ich sehe also nicht ein, warum er gegen die Generalversammlung in
Wien principiell sich erklären sollte. Seiner
Autorität wird das Verbot (und man glaubt allgemein, dass es von ihm allein oder vorzüglich ausgeht) unendlich mehr
schaden, als vielleicht eine vorlaute Äußerung, die ein Einzelner etwa sich
erlauben könnte, die aber von der Gesammtheit gewiß in ihrem und ihrer Sache
eigenem Interesse alsbald zum Schweigen gebracht werden wird. Die Vereine hatten
allerdings ihre bedenkliche Seite; allein alle gewichtigen katholischen Stimmen
haben auf die Gefahren aufmerksam gemacht, und die große Mehrzahl der
Vereinsglieder, der einflußreichen zumal, ist alles Ernstes beflissen, diese
Gefahren gründlich zu beseitigen. Graf Joseph Stolberg’s Programm, das er mir auch hier mitgetheilt,
ist in dieser Hinsicht ganz vortrefflich; und es wird gewiß überall angenommen
werden. Am sichersten werden alle Gefahren gehoben, wenn die Bischöfe durch
Vertrauen und Entgegenkommen sich der Leitung der Vereine bemächtigen; aber neue
Gefahren werden geschaffen, wenn ein engherziges Mißtrauen, ein kaltes
Zurückweisen ihnen dort begegnet, wo sie auf Anerkennung und Unterstützung
rechnen zu dürfen überzeugt sind. Die letzte Generalversammlung in
Breslau ist in der befriedigendsten würdigsten Weise
abgehalten worden; alle guten Katholiken sind dadurch erfreut und erbaut worden,
und die Protestanten haben kein Wort der Anschuldigung dagegen vorzubringen
gewußt, vielmehr verrathen, daß die Sache ihnen nicht wenig imponirt hat. Mein
bischöfliches Ansehen hat in der Versammlung volle Anerkennung gefunden; und
dasselbe würde gewiß auch in Wien der Fall seyn. Politisch würde es in ganz Deutschland und
darüber hinaus das Vertrauen auf die österreichische Staatsregierung bei allen
wohldenkenden, den Namen werthen Katholiken sehr schwächen,
ja erschüttern, wenn auch von ihrer Seite den Katholikenvereinen Hindernisse
gelegt würden, und mir scheint, daß diese Rücksicht auch alle Beachtung
verdient. Sollten die Vereine jemals eine falsche Bahn einschlagen, so wird eine
officielle Erklärung der Bischöfe, daß und warum sie sie nicht mehr als katholisch ansehen können, zwingen, ihnen den Hauptnerv zu
durchschneiden.
Den Prof. K[ahlert]
in L[eobschütz], nach welchem Eure
Excellenz sich erkundigen, halte ich nicht für eine besonders wünschenswerthe
Acquisition. Seine Schriften verrathen wenig Geist und Kern; hier, wo man ihn
kennt, genießt er wenig Vertrauen und zur Leitung eines Gymnasiums halten ihn
Urtheilsfähige nicht für geeignet; er ist sehr eitel und unverträglich. Von
irgendeiner namenswerthen politischen Wirksamkeit, die er in Francfurt geübt, haben weder ich noch andere,
die länger mit ihm dort waren, das mindeste wahrgenommen; für den Absatz
schlesischer Leinwand hat er sich einige Mühe gegeben, um seine Wähler zu
befriedigen. Entschuldigen Euer Excellenz diese flüchtige Schrift; ich bin sehr
gedrängt und beeilt.
Mit ausgezeichnetster Hochachtung
Euer Excellenz
ergebenster Diener
Melchior Fürstbischof