Abschrift des Artikels „Die evangelische Kirche Deutschlands und ihre Lebensfragen im Jahr 1849“ eines nicht genannten Autors aus der Allgemeinen Kirchenzeitung, 1850
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Regest

In dem Aufsatz „Die evangelische Kirche Deutschlands und ihre Lebensfragen im Jahr 1849“ aus der Allgemeinen Kirchenzeitung von 1850 wird auf die jüngsten Verfassungs- und Rechtsentwicklungen mehrerer deutscher Länder eingegangen und dabei werden besonders die neuesten Entwicklungen der Kirchenverfassungen der evangelische Kirche besprochen. Behandelt werden Preußen, Hannover, Sachsen, die thüringischen Staaten, Lippe-Detmold, Kurhessen, Mecklenburg, Oldenburg, Bayern, Württemberg, Baden und Nassau. Für jedes dieser Länder beschreibt der Autor die Organisation der evangelischen Kirche und behandelt insbesondere die Frage nach der Leitung der Kirche in den einzelnen Ländern und der Einführung von Synodalverfassungen. Dabei wird die Frage nach der Wahl und Zusammensetzung der unterschiedlichen Organe und Synoden, sowie das Verhältnis von Kirche und Staat bzw. den Einfluss des Staates bei den leitenden Gremien der Kirche besprochen. Als besonders negativ bezeichnet der nicht namentlich genannte Autor die Entwicklung in Oldenburg, wo einerseits die Trennung von Kirche und Staat im bestehenden Entwurf für eine Synodalverfassung besonders weit getrieben wurde, gleichzeitig wurden dort aus seiner Sicht gefährliche demokratische Elemente in der Kirchenverfassung verankert. Als besonderes positive Beispiele nennt der Autor die Vorschläge der Kirche in Bayern und Württemberg. Diese werden am ausführlichsten besprochen. Die Verfasser des Artikels wünscht sich eine Adaption dieser Entwürfe für alle deutschen Staaten.

Anmerkungen zum Dokument

Der Text weist mehrere Anmerkungen am Rande auf. Die Zuordnung dieser Anmerkungen zu Leo Thun ist möglich, aber nicht einwandfrei gesichert.

Abgedruckt in: Allgemeine Kirchenzeitung. Ein Archiv für neueste Geschichte und Statistik der christlichen Kirche nebst einer kirchenhistorischen und kirchenrechtlichen Urkundensammlung, Bd. 29/1, 1850.

http://hdl.handle.net/21.11115/0000-000D-FA80-8

Schlagworte

Edierter Text

Die evangelische Kirche Deutschlands und ihre Lebensfragen im Jahr 1849
Allgemeine Kirchenzeitung 1850, Nr. 1 ff.

Preussen:
Im Königreich Preussen war im Jahre 1848 das kaum ins Leben getretene Oberkonsistorium aufgelöst worden. Abgesehen von der Zusammensetzung und den Rechten desselben war diese Auflösung darum nicht zweckgemäß, weil dieses Oberkonsistorium als eine rein kirchliche Behörde am leichtesten und sichersten in einen neuen Zustand hinüber leiten konnte;1 und zu dieser Ansicht scheint denn auch die preussische Staatsregierung gelangt zu sein, indem sie durch Verwendung vom 26. Januar 1849 eine neue vorläufige Behörde für die oberste Verwaltung der rein kirchlichen Angelegenheiten ernannt hat. Die schon bestehende evangelische Abtheilung des Ministeriums in Kirchensachen ist nemlich unabhängig von dem Cultusminister unter dem Vorsitz ihres Directors dazu autorisirt, die kirchlichen Angelegenheiten selbständig und kollegialisch zu bearbeiten. Sie soll sonach die zum Ressort der Consistorien gehörenden rein kirchlichen Angelegenheiten in zweiter Instanz entscheiden2 und zugleich das Organ sein, das die Maßregeln vermittelt3, welche es bedarf, um Art. 12 der Verfassung4, nach welcher die Kirche selbständig alle ihre Angelegenheiten ordnen soll, auf geordnetem Wege in Vollziehung zu setzen. Die äußere Kirchenverwaltung soll indessen vorläufig wie bisher unter Mitwirkung der Regierungen in erster und des Ministeriums in zweiter Instanz geführt werden. Von dieser Behörde ergingen nun an die evangelisch-theologischen Facultäten, an die Consistorien und an mehrere einzelne Kirchenrechtslehrer die Aufforderungen, sich in umfassenden Gutachten über die Maßregeln zu äußern, welche sie im Hinblicke auf die evangelische Kirche und die Verhältnisse der Gegenwart für erforderlich und geeignet hielten, um den Art. 12 in Vollziehung zu setzen. Die allgemeinen leitenden Grundsätze, welche sich durch diese nun sämmtlich eingegangenen Gutachten durchziehen, haben wir bereits berichtet und wir tragen nur nach, daß sich fast nur die Anhänger Schleiermachers für die sofortige Berufung einer constituirenden Synode erklärt und daß noch andere den Vorschlag machten, das Kirchenregiment zu bitten, die von der Generalsynode des Jahres 1846 beschlossenen Presbyterial- und Kreis- und Provinzialsynoden ins Leben zu rufen. Fast alle sprechen sich dabei entschieden gegen die völlige Trennung der Kirche und des Staates, gegen Urwahlen, dagegen aber für die Union und die Erhaltung constitorialer Elemente in der neuen Verfassung aus. Von Seiten des Kirchenregiments ist noch keine Erklärung deshalb erfolgt, nur hat der Cultusminister bei den Ständen mit Bestimmtheit erklärt, daß man nach Feststellung der politischen Verfassung rasch zu der Ordnung und Regelung der kirchlichen Verhältnisse übergehen werde.

Hannover:
Im Königreich Hannover sind zwar keine entschiedenen Maßregeln getroffen oder äußere Schritte geschehen, doch sind mehrere Entwürfe ausgearbeitet, die wohl bald zur Ausführung kommen. Nach diesen soll der kirchliche Organismus von dem Kirchenrath (d. h. der kirchlichen Gemeindeobrigkeit) zu der Kreissynode, Provinzialsynode bis zur Landessynode aufsteigen. Der Kirchenrath wird von allen volljährigen männlichen Einwohnern gewählt, auch die Mitglieder der Kreissynode wählt (mit Ausnahme der Superintenden[ten]) das Volk. Die Provinzialsynode ist theils aus landesherrlichen Deputirten, theils aus Deputirten der Kreissynoden (durch indirecte Wahlen) zusammengesetzt, die Landessynode besteht aus landesherrlichen Deputirten und Volksdeputirten, aus den Wahlen der Provinzialsynoden hervorgegangen. Die Synode übt mit dem Landesherrn die gesetzgebende Gewalt. Die vollziehende Gewalt hat in dem Kreis ein von der Kreissynode gewählter permanenter Ausschuß derselben, in der Provinz das Provinzialconsistorium, welches neben den landesherrlichen Räthen zwei Volksbeamte in seiner Mitte hat, in dem Kirchengebiet des ganzen Landes das Oberconsistorium, aus welchem zwei von der Synode gewählte Deputirte Theil nehmen. Die Geistlichen werden von den Gemeinden gewählt. Nach diesen Entwürfen scheint das demokratische Princip wenigstens in Bezug auf die Wahlen zwar eine ziemliche Ausdehnung zu erhalten, auch vermischt man Bestimmungen über die Qualität der zu wählenden Vertreter, doch ist durch die indirecten Wahlen manchen möglichen Auswüchsen vorgebeugt und Staat und Kirche sind nicht absolut von einander getrennt. Übrigens ist ein competentes Urtheil über die projectirte kirchliche Verfassung Hannovers erst dann möglich, wenn die Entwürfe in ihrer Ausdehnung zur Öffentlichkeit kommen.

Sachsen:
In Sachsen haben die politischen Verhältnisse ein rascheres Vorgehen unmöglich gemacht. Früher hatte der ehemalige sächsische Minister von der Pfordten die Mitwirkung der Landstände bei Schaffung eines kirchlichen Organs in Anspruch genommen, stellte man aber von der Rechtsseite her die Competenz dieser Corporation in Abrede. Doch hat man in den hohen und höchsten Behörden den Gegenstand nicht aus den Augen verloren. Dies beweisen die Äußerungen, welche der sächsische Minister Zschinský [Zschinsky] in der im November eröffneten Kammer gethan: „Daß die Regierung mehrere Gesetzentwürfe vorbereitet habe, um die Kirche nach den Bedürfnissen der Gegenwart zu ordnen und daß durch den ersten dieser Entwürfe über die Wahl von Kirchenvorständen den evangelischen Kirchgengemeinden ein Organ zur erweiterten und geregelten Theilnahme an der Verwaltung ihrer Angelegenheiten gegeben und die Grundlage geschaffen werden solle, auf welche, sobald die staatlichen Verhältnisse eine festere Gestaltung genommen, die neue Verfassung der Kirche aufgebaut werden könne. Also auch hier das Princip, von Unten nach Oben zu bauen.

Thüringische Staaten:
In den thüringischen Staaten hat man ernstere Vorbereitungen getroffen. Die Staatsregierungen (die schwarzburgischen und reussischen Fürstenthümer hatten übrigens keine Abgeordneten gesandt) haben ein Comité von Geistlichen und Laien ernannt, welche am 26. Juni in Meiningen zu einer gemeinschaftlichen Berathung zusammengetreten sind, um einen Verfassungsentwurf für die thüringischen Fürstenthümer zu bearbeiten, welcher einer später zu berufenden Synode als Grundlage ihrer Thätigkeit dienen sollte. Die Conferenz hat jedoch die Überzeugung ausgesprochen, der Aufbau der Kirchenverfassung müsse von Unten anfangen, hat von der Berufung einer allgemeinen Synode abgesehen und nur eine Presbyterialordnung entworfen. Als bemerkenswerth aus derselben heben wir nur hervor, daß Wähler für die Presbyterien jeder 25jährige Selbstständige und Unbescholtene, wählbar aber nur der, welcher 30 Jahre alt ist und kirchlichen Sinn bewährt hat. Eröffnungen von Seiten des Kirchenregiments auf diese Vorschläge sind bis jetzt noch nicht erfolgt.

Lippe-Detmold:
In Lippe-Detmold hat die Kirchenbehörde die Geistlichen aufgefordert zur Vorbereitung und zu gemeinsamen Besprechungen in mehreren Kreisen zusammen zu treten, über einzelne vorgelegte Fragen mit ihren Presbyterien zu conferiren und zuletzt aus den kleinern Gemeinden je einen, aus den größern je zwei Mitglieder der Presbyterien zu den Kreisversammlungen hinzuziehen.5 Unter den vorgelegten Fragen waren namentlich: ob die kirchliche Executivgewalt, wie die gesetzgebende und richterliche, ganz an die kirchliche Behörde übergehen solle? Wie das Verhältnis zwischen Geistlichen und Laien auf der Synode festzusetzen sei? Welcher Wahlmodus der passendste wäre? usw. Über die Art der Beantwortung dieser Fragen und die weitern Schritte des Kirchenregiments ist nichts zur Öffentlichkeit gelangt.

Kurhessen:
In Curhessen hatte schon im vorigen Jahre eine nach Kassel berufene Commission ein Wahlgesetz entworfen, das auf dem Privatwege veröffentlicht ward, ohne daß die Regierung irgend eine Entscheidung deshalb traf. Im Laufe des Jahres hat sich nun eine ziemlich bedeutende Zahl von Geistlichen zu Jesberg versammelt und in einem Memorandum die Bitte gestellt, die Staatsregierung möge das Kirchenregiment an das geistliche Amt beziehungsweise an die Superintenden[ten] und Inspectoren abgeben und diese sollten die zur fernern äußern Gestaltung der Kirchenverfassung erforderlich erscheinenden Einleitungen treffen.6 Dagegen ist eine andere Petition im Namen von 70 bis 80 Geistlichen überreicht worden, in welcher die Bitte gestellt wird, die Kirchengewalt nicht an die Superintendenten abzugeben, sondern in ihrer Ausübung so lange zu verharren, bis die Kirche in einer sie wahrhaft repräsentirenden Synode sich über die oberste Leitung ihrer Angelegenheiten ausgesprochen habe, doch möge die Staatsregierung schon jetzt die Staatsbehörden, welche bisher kirchliche Angelegenheiten besorgt, den Auftrag dazu entziehen und eine oberste Kirchenbehörde für die ganze Landeskirche einsetzen.7 Von Seiten der Staatsregierung ist auf diese Petitionen weder direct noch indirect eine Erwiederung erfolgt. Wir fürchten nicht, daß sie den Absendern des Memorandums Gehör schenken werde, ihre Bitte will uns weder rechtlich begründet, noch weniger im bessern Sinne des Wortes zeitgemäß scheinen.

Meklenburg:
In Meklenburg hatte man eine konstituirende Synode in Aussicht genommen. Aber der in Schwerin versammelte Ausschuß der Vertrauensmänner der Kirchenconferenz erklärte in seinem Bericht: „Eine constituirende Synode heiße nichts anderes, als das Princip der Revolution auch auf das kirchliche Gebiet hinüberpflanzen, sie widerspreche entschieden dem Recht und dem Interesse der Kirche und sie dürfe unter keinen Umständen zusammenkommen, da durch sie die heiligsten Güter der Kirche auf das Spiel gesetzt würden.“

Oldenburg:
In Oldenburg ist das Verfassungswerk unter allen deutschen Staaten am weitesten gekommen. Dort war nicht nur wirklich eine konstituirende Synode versammelt, sie hat eine Verfassung berathen, definitiv beschlossen, ja, diese Verfassung ist nun schon ins Leben getreten. Aber freilich ist diese Verfassung auch der beste Beweis, was von konstituirenden Versammlungen zu erwarten steht. Schon der Entwurf der Verfassung hatte manche bedenkliche Seite, war aber im Allgemeinen doch noch gemäßigt; die auf der Synode beschlossene Verfassung hat aber fast alle natürliche Grenzen überschritten. In ihr ist nicht allein Kirche und Staat vollständig von einander getrennt, auch die Demokratie und Anarchie ist gesetzlich in die Kirche verpflanzt. Wir machen, um dies zu beweisen, auf folgende Bestimmungen derselben aufmerksam. Schon in der Einleitung heißt es: „Die evangelische Kirche des Herzogthums Oldenburg duldet keine Beschränkung der Glaubens- und Gewissensfreiheit weder durch Bekenntnisschriften noch durch kirchliche Anordnungen und Einrichtungen.“ In der Weise hat noch keine Kirche die Bekenntnisschriften und selbst kirchliche Anordnungen und Einrichtungen verworfen. Wie steht es denn da mit der Lehrfreiheit, natürlich ist sie auch eine unbegrenzte, ist ja nicht einmal die heilige Schrift hier erwähnt. Die Landessynode besteht aus 2/3 Weltlichen und 1/3 Geistlichen. Stimmberechtigt ist jedes Mitglied der allgemeinen Gemeindeversammlung, zu welcher alle volljährigen Männer der Pfarrgemeinde gehören; wählbar aber alle weltlichen Mitglieder der evangelischen Kirche und alle ordinirten Geistliche. Von irgend einer Qualität der Wählbaren ist keine Rede, nicht einmal von der bürgerlichen Unbescholtenheit, geschweige vom kirchlichem Sinn. Die Synode hat gesetzgebende Gewalt. Ihre Beschlüsse erlangen Gesetzkraft durch die Verkündigung des Oberkirchenraths, welcher die höchste Behörde der Landeskirche ist. Zwar kann diese die Beschlüsse bis zur nächsten Synode suspendiren, aber wenn hier keine Verständigung erfolgt, so wird eine außerordentliche Synode berufen, welche in letzter Instanz entscheidet. Der Oberkirchenrath besteht aus drei ordentlichen (einem theologischen und zwei weltlichen) und zwei außerordentlichen (einem weltlichen und einem geistlichen) Mitgliedern und wird von der Synode theils auf Lebenszeit, theils für eine bestimmte Reihe von Jahren gewählt. Die Bewerber um geistliche Stellen melden sich beim Oberkirchenrath, die Besetzung derselben geschieht durch die Wahl der Gemeinde in allgemeiner Gemeindeversammlung, und die Gemeinde hat unter allen Bewerbern zu wählen. Der Tag wird es lehren, ob man in Oldenburg auf dem Grund, der gelegt ist, Gold, Silber, Edelstein oder Holz, Heu und Stoppeln gebaut hat.

Baiern et Würtemberg:
Weit erfreulicher als bei Oldenburg ist das Resultat, wenn wir auf die beiden süddeutschen Königreiche, auf Bayern diesseits des Rheins und Würtemberg, blicken. Zwar ist noch in keinem der genannten Länder eine verbesserte oder neue Kirchenverfassung ins Leben getreten, aber in Bayern hat die in Ansbach versammelte Generalsynode, die überhaupt ein erhebendes Bild und ein schönes Zeugnis für die in der evangelischen Kirche noch wurzelnde Lebenskraft abgelegt hat, die Grundzüge einer Verfassung gegeben, ja, eine solche fast gänzlich entworfen, welche dem wirklichen Bedürfnisse der evangelischen Kirche in unserer Zeit die gebührende Rechnung trägt und in der umsichtigen Erwägung und Beachtung aller Verhältnisse so wie in ihren einzelnen wahrhaft kirchlichen und christlichen Bestimmungen andern Staaten zum Muster dienen kann; in Würtemberg hat eine zusammenberufene Conferenz einen Entwurf veröffentlicht, der im Allgemeinen ganz dasselbe Zeugnis verdient. Daß in beiden Ländern die Angelegenheit diese erfreuliche Wendung genommen, dafür liegt in Baiern ohne Zweifel hauptsächlich der Grund darin, daß man dort nicht nöthig hatte, an eine constituirende Synode zu denken, daß vielmehr schon eine Synode, zwar nur als berathender Körper bestand, die aber in ihrer Zusammensetzung, aus kirchlichen Elementen bestehend, den Weg der weitern Entwickelung und naturgemäßen Fortbildung einschlagen konnte; in Würtemberg war zwar bis jetzt eine Synodalverfassung nicht da – denn die dort sogenannte Synode war eigentlich nur eine aus den höchsten Würdenträgern der Kirche gebildet, von Zeit zu Zeit sich versammelnde berathende Conferenz, welche in keiner Weise eine wirkliche Vertretung der Kirche genannt werden konnte – aber der kirchliche Sinn, der bekanntlich mehr als in irgend einem Lande noch in Würtemberg herrscht und den auch alle demokratischn Wühlereien wohl erschüttern, momentan auch zurückdrängen, aber keineswegs ausrotten konnten, ist es sicherlich mehr als alles andere gewesen, das die Commission von allen extremen Ansichten und Plänen zurückgehalten hat und auch die, welche später definitiv über den Entwurf zu entscheiden haben, davon zurückhalten wird. Beide Entwürfe stimmen aber im Allgemeinen und Wesentlichen fast ganz überein.
Eine kurze Vergleichung der wichtigsten Bestimmungen wird uns davon überzeugen.
Der würtembergische Entwurf hat gleich an der Spitze den Satz: „Die Kirche bleibt auf dem Grund der heiligen Schrift im Einverständnis mit den Bekenntnissen der deutschen Reformation, vornehmlich der augsburgischen Confession.“ So ausdrücklich und bestimmt spricht sich der baierische Entwurf zwar nicht aus, daß er jedoch ebenso fest auf diesem Prinzipe steht, zeigt die in ihm vorkommende Bestimmung, daß sich Oberconsistorien und Generalsynoden auf dem Boden des Bekenntnisses bewegen müßten so wie die andern, daß man bei den Vertretern der Kirche das Stehn im Glauben und im Bekenntnis der Kirche voraussetze. Ähnlich ist die Übereinstimmung in Bezug auf das Verhältnis zwischen Kirche und Staat; von einer völligen Trennung derselben hat man in beiden Ländern abstrahirt und in der Person des Staatsoberhaupts eine Verbindung festzuhalten versucht.8 In Baiern gehen die gefaßten Beschlüsse darauf hinaus, daß das landesherrliche Kirchenregiment nicht aufgehoben, sondern mit wesentlichen Modifikationen beizubehalten sei; die in demselben liegenden Rechte sollen durch eine oberste Kirchenbehörde, das Oberconsistorium, unter geeigneter Mitwirkung der Synode ausgeübt werden und die Sanctionirung des Königs hat in allen den Fällen, wo das Oberconsistorium bei dem jus in sacra sie einzuholen hat, nur nach den Anträgen der obersten Kirchenbehörde und in Übereinstimmung mit derselben zu erfolgen. Diese Fälle sind jedoch gerade zu bestimmen. Außerdem kommt dem König das Recht zu, sämmtliche Kirchenbehörden bis zu den Decanen incl. herab nach den Vorschlägen des Oberconsistoriums zu besetzen, die übrigen Amtsstellen werden von dem Oberconsistorium besetzt und nur vom König bestätigt. In Würtemberg ist man, und wie wir glauben mit Recht, einen Schritt weiter gegangen. Von einem landesherrlichen Kirchenregiment oder Summespiscopat ist dort nicht mehr die Rede, dem König werden nur als dem Höchstgestellten unter den Kirchengenossen höhere Befugnisse der Kirchenleitung vertrauet. Der König hat demnach die Beschlüsse der Landessynode über allgemeine Verordnungen zu genehmigen und erst durch seine Genehmigung erhalten sie Gesetzeskraft, dies jedoch auch ohne diese, wenn derselbe Beschluß auf drei nacheinander folgenden Synodalversammlungen, und zwar die beiden letztemale mit einer Mehrheit von 2/3 Stimmen, durchgegangen ist. Die Stellen bei dem Oberkirchenrath werden durch den König besetzt, welcher von den durch den Oberkirchenrath in Verbindung mit dem Synodalausschuß gemeinschaftlich Vorgeschlagenen einen wählt. Vorstand des Oberkirchenraths und Stellvertreter desselben werden von dem König ernannt. Auch die Pfarrstellen werden auf Antrag des Oberkirchenraths von dem König besetzt. In Bezug auf die Besetzung der Pfarrstellen ist indessen noch weiter bestimmt, daß der Oberkirchenrath dem Ortskirchenrath 3–5 Bewerber bezeichnet, worüber sich dieser auszusprechen hat, auch etwaige weitere Wünsche vortragen kann, die möglichst zu berücksichtigen sind, während man in dieser Beziehung in Bayern der Gemeinde ein motivirtes Widerspruchsrecht zugestehen will. Die gesetzgebende Gewalt in allen rein kirchlichen Angelegenheiten gehört nach beiden Entwürfen ausschließlich der Kirche; sie übt sie durch die Generalsynode aus, die Vollziehung kommt der obersten Kirchenbehörde zu (in Bayern Oberkonsistorium, in Würtemberg Oberkirchenrath genannt), welche unmittelbar mit dem König in Benehmen tritt, aber der Synode verantwortlich ist. Die Generalsynode besteht zur Hälfte aus geistlichen, zur Hälfte aus weltlichen Mitgliedern, zu diesen kommt noch in Baiern ein Abgeordneter der Universität Erlangen, in Würtemberg ein Abgeordneter der Universität Tübingen und fünf von den Ephoren und Professoren der 5 evangelischen Seminarien zusammen gewählte Abgeordnete.
Ähnlich wie bei den besprochenen Gegenständen gehen die beiden Verfassungsentwürfe in dem so überaus wichtigen Puncte der Wahlen von wesentlich gleichen Grundsätzen aus. Die Wahlen der Kirchenvorstände geschehen durch alle Glieder der Gemeinde. In Baiern sind zur activen Wahl alle selbstständign Pfarrgemeindeglieder nach zurückgelegtem 21. Jahre berechtiget, in Würtemberg alle Männer, die über 25 Jahre alt oder Familienväter sind und sich durch Theilnahme an der Wahlhandlung als Mitglieder der evangelischen Kirche bekennen, auch nicht des gemeindebürgerlichen Wahlrechts verlustig geworden sind. Der Unterschied in der Bestimmung des Lebensalters ist, irren wir nicht, durch die Verschiedenheit bedingt, welche in beiden Ländern in Bezug auf den Eintritt der Majorennität statt findet. Wählbar zu Mitgliedern des Kirchenvorstandes sind in Baiern alle, die 25 Jahre alt, selbstständig und kirchlich sind und dies letztere durch einen christlich sittlichen Lebenswandel und durch Theilnahme am öffentlichen Gottesdienst und dem Abendmahle beweisen, in Würtemberg, die über 30 Jahre alt sind und durch ihren Wandel und Theilnahme am öffentlichen Gottesdienst ihren christlichen Sinn beweisen. Die Wahl der weltlichen Mitglieder für die Diöcesansynoden (sämmtliche wirkliche Pfarrer sind durch ihr Amt Mitglieder der Synoden), deren Zahl der der Geistlichen gleich ist, geschieht nicht durch Urwahlen, sondern durch die Kirchenvorstände. Der würtembergische Entwurf hat noch die Bestimmung, daß die einzelnen Kirchenvorstände aus ihrer Mitte wählen. Die Abgeordneten zur Generalsynode werden durch die stimmberechtigten Mitglieder der Diöcesansynode erwählt. In Baiern ist dazu wählbar jedes 25jährige selbstständige Pfarrgemeindeglied, welches die zum Eintritt in den Kirchenvorstand erforderlichen Qualitäten besitzt, in Würtemberg ist eine engere, wir glauben zu enge, Bestimmung getroffen; hier sind nemlich zu Abgeordneten der Generalsynode nur wählbar, welche ein Amt im Kirchendienst bekleiden oder als Älteste bekleiden oder bekleidet haben. Als dem würtembergischen Entwurf eigenthümlich bemerken wir noch, daß das Amt eines Superintendenten in der neuen Verfassung noch eine Stelle hat, während dasselbe in den meisten Entwürfen aufgegeben scheint. Dort aber sollen die Superintendenten die geistlichen Vorsteher der 4 Kirchensprengel der Landeskirche und zugleich die geistlichen Mitglieder des Oberkirchenraths sein, haben die Dekane zu investiren und zu visitiren und sich zugleich besonders der wissenschaftlichen und practischen Fortbildung der Geistlichen ihres Sprengels zu widmen. Wir erkennen darin die ernste Würdigung des hohen Werthes, welchen ein persönlicher Verkehr der geistlichen Vorgesetzten mit ihren Untergebenen hat und die rechte Achtung vor einem Institut der evangelischen, insonderheit der lutherischen Kirche, in welcher sie das Heilsame des katholischen Episcopats beibehielt, ohne den Auswüchsen desselben Bürgerrecht gestatten zu wollen. Im Allgemeinen können wir jedoch unsere Betrachtung der baierischen und würtembergischen Verfassungsentwürfe nicht schließen, ohne zugleich den Wunsch auszusprechen, daß sie doch in allen deutschen Staaten die Beachtung finden möchten, die sie verdienen, ja wir würden es als ein höchst erfreuliches Ereignis betrachten, wenn man diese Entwürfe mutatis mutandis geradezu adaptirte. Freilich werden uns darin viele Glieder der evangelischen Kirche nicht gerade beistimmen, aber was haben sie denn Besseres zu bieten?

Rhein-Baiern (Pfalz):
Wenden wir nun unsere Aufmerksamkeit von dem diesseits des Rheins gelegenen Baiern auf die jenseitigen Theile des Staates, auf die Pfalz, so ist zwar das Resultat über die Lage der Kirchenverfassungsangelegenheit nicht so erfreulich, doch ist in dem dort vorliegenden Entwurfe immer noch mehr Mäßigung zu bemerken, als man in einer politisch und theilweise auch kirchlich so aufgeregten Provinz erwarten sollte. In der Pfalz hat nemlich die im Jahre 1848 abgehaltene Generalsynode einen Ausschuß, aus zwei Geistlichen und zwei Weltlichen bestehend, ernannt, um eine neue Kirchenverfassung auszuarbeiten. In dem nun vollendeten und veröffentlichten Entwurfe ist nun zwar der von der letzten Generalsynode ausgefertigte, ziemlich demokratische Wahlmodus beibehalten, aber eine völlige Trennung der Kirche vom Staate ist nicht ausgesprochen. Die pfälzische Kirche erkennt vielmehr nicht nur das weltliche Schutz- und Aufsichtsrecht des Staates an, sie gesteht auch dem Staatsoberhaupt die Ernennung der von dem Consistorium vorgeschlagenen Mitglieder dieser Behörde und selbst die Bestätigung der einzelnen Pfarrer, welche die höchste Kirchenbehörde ihm vorschlägt, in unwiderruflicher Eigenschaft zu. Bei der Besetzung dieser Stelle dürfen zwar die Presbyterien schriftlich ihre Wünsche äußern und Decane und Decanatsausschüsse haben im Einzelnen Vorschläge zu machen, aber diese alle bilden doch nur eine niedere Instanz. Übrigens haben schon im Laufe des verflossenen Sommers die Diözesansynoden den Entwurf besprochen, doch keine von allen ihre unbedingte Beistimmung erklärt, für die unveränderte Beibehaltung des Alten hatte sich jedoch auch keine mit Einstimmigkeit entschieden. Zugleich sind bereits die Wahlen für die Generalsynode abgehalten worden, die eigentlich im Laufe des verflossenen Jahres zusammentreten sollte; man behauptet, sie seien sehr demokratisch ausgefallen. Daß auf den Antrag der Synode von 1848 der König von Baiern die Trennung des Consistorialbezirks Speyer von dem Wirkungskreis des protestantischen Oberconsistoriums in München genehmigt und beschlossen hat, daß von nun an das protestantische Consistorium in Speyer für die vereinigte protestantische Kirche der Pfalz das oberste Episcopat nach den Bestimmungen der Verfassung ausüben sollte, ist unsern Lesern bereits hinreichend bekannt.

Baden:
In dem der Pfalz benachbarten Großherzogthume Baden hat ganz natürlich durch die politischen Zustände desselben für die weitere Entwicklung der Verfassungsangelegenheit nur wenig geschehen können. Es liegt uns nur ein Ausschreiben des evangelischen Kirchenraths in Carlsruhe vor, welches darauf aufmerksam macht, daß vor einer definitiven Entscheidung über die Stellung des Staates zu den einzelnen Kirchengesellschaften eine Änderung der bestehenden Kirchenverfassung mit Erfolg nicht statt finden könne, weil gerade die erforderlichen und gewünschten Abänderungen meist von den Rechten abhängig seien, welche dem Staate der Kirche gegenüber auch in Zukunft verbleiben würden. Zugleich eröffnet die Behörde, daß sie bereits bei dem Ministerium die Ermächtigung nachgesucht einen Ausschuß von fachkundigen Männern geistlichen und weltlichen Standes einberufen zu dürfen, welcher gemeinschaftlich mit einigen Mitgliedern des Oberkirchenraths einen Entwurf über wesentliche Änderungen oder eine neue Verfassung auszuarbeiten habe, welcher den Specialsynoden und später der Generalsynode vorgelegt werden sollen.

Nassau:
Im Herzogthume Nassau haben sich schon im Jahre 1848 auf Anregung des Kirchenregiments die Diöcesansynoden zur Berathung über die zu wünschende Kirchenverfassung versammelt und die Ansichten, Wünsche und Anträge derselben sind zusammengestellt worden. Im August 1849 wurde darauf eine besondere Commission zur Begutachtung der Verfassungsangelegenheit nach Wiesbaden berufen und diese hat sich auf Grund und mit möglichster Berücksichtigung der Verhandlungen zu den Vorschlägen geeinigt: es möge eine Generalsynode berufen werden, sobald die bevorstehenden Reichstagsverhandlungen über diejenigen kirchlichen Fragen, welche in der deutschen Verfassung werden festgestellt werden, entschieden haben, sollte aber die Feststellung der staatlichen Verhältnisse wiederum auf Hindernisse stoßen, welche sie in unbestimmte Ferne rückten, so möge die Synode spätestens zu Pfingsten 1850 versammelt werden; die Synode möge je aus einem geistlichen und einem weltlichen Abgeordneten jedes Decanats bestehen, die Wahl sei indirect, gehe resp. von durch Urwahl ernannten Wahlversammlungen aus; die Bedingungen der Wahlberechtigung und Wählbarkeit seien so festzustellen, daß der Kirche die Wahl einsichtsvoller und würdiger Vertreter möglichst gesichert sei. Grundsatz müsse es bei einer künftigen Verfassung sein, daß in jedem der drei Glieder des kirchlichen Organismus, kirchlichen Gemeinden, kirchlichen Kreis- und Landeskirchen, die Ausübung der Kirchengewalt an ständige Verwaltungsbehörden und Versammlungen frei gewählter Organe der Gemeinschaft ausgeübt werden.

Großherzogthum Hessen:
In unserm nächsten Vaterlande, in dem Großherzogthume Hessen, war, wie bereits früher gemeldet, zu Ende des Jahres 1848 eine zum Theil von dem Kirchenregimente ernannte, zum Theil von sämmtlichen Geistlichen des Landes frei gewählte Commission versammelt, um eine Presbyterial- und Synodalverfassung zu entwerfen. Am Schluße des genannten Jahres hat die Commission sich vertagt und ihre Referenten mit näherer Ausarbeitung mehrerer Theile des Entwurfs beauftragt, um diese Arbeiten, nachdem sie von den Behörden erwägt und begutachtet seien, im nochmaligen Zusammentreten zu berathen. Im Laufe des Sommers gingen nun von mehreren Decanaten Addressen und Petitionen an die Staatsbehörde ein, welche die Fortsetzung und Beschleunigung des Verfassungswerkes als dringende Bitte aussprachen, während sich andere Stimmen dafür erhoben, die Regierung möge vorerst und vorläufig allein zur Bildung von Presbyterien schreiten, aus denen die Bezirkssynoden und allmählich eine Landessynode hervorgehen sollten. Im November des laufenden Jahres erschien nun eine Bekanntmachung und Verordnung der Regierung, worin dieselbe erklärt, daß sie fortwährend, so weit der Drang der Zeit es gestatte, mit der Prüfung der eingelangten Arbeiten beschäftigt sei und sobald thunlich die Kommission wieder zusammenberufen werde, um dem vorgezeichneten Plane gemäß weiter zu verfahren; da indeß auf diesem Wege, der auf ein wohlerwogenes Resultat berechnet sei, die Verfassung nicht so bald zu Stande kommen könne, als man es wünsche, so sollten vorläufig einige Änderungen der seitherigen Einrichtungen eintreten, um dem nächsten Bedürfnisse entgegen zu kommen und die Synode vorzubereiten. Diese Änderungen beziehen sich auf die Kirchenvorstände, die Verwaltung des Kirchenvermögens und die Decanatsausschüsse.
Auch das Kirchenregiment im Großherzogthume ist also der Überzeugung, daß man das Werk der Verfassung nicht übereilen und nicht mit einer constituirenden Synode beginnen, sondern erst einen tüchtigen und guten Unterbau legen müsse. Nach dem, was wir oben bemerkt, können wir uns in diesem Principe nur conform mit demselben erklären, vorausgesetzt – und zu dieser Voraussetzung glauben wir die besten Gründe zu haben – daß das Kirchenregiment nicht mit dem Unterbaue enden, durch denselben nur dem Drang des Augenblicks nachgeben und diesem einige Befriedigung geben wolle, sondern daß es unausgesetzt daran denkt und dahin wirkt, daß ein ganzer, und zwar ein der Kirche und dem Staate gedeihlicher Bau darauf entstehe. Sehen wir indessen das Gegebene und Verordnete an, so sind wir nicht im Stande den unbedingten Apologeten desselben zu machen. Die Verordnung scheint uns zunächst im Allgemeinen zu wenig zu geben, eben so aber auch in dem Einzelnen wesentliche und wichtige Puncte nicht genügend zu berühren oder ganz zu übergehen, außerdem aber manche Bestimmungen zu enthalten, die uns nicht unbedenklich erscheinen und vielleicht für die Zukunft nicht erfreuliche Consequenzen haben möchten. Die Verordnung gibt zu wenig, denn sie bezieht sich fast nur auf die Kirchenvorstände oder Presbyterien. Warum war es nicht möglich, zugleich Kreis- oder Bezirkssynoden vorläufig ins Leben zu rufen? Sie hätten wirkliche Regsamkeit und frisches Leben in die Kirche gebracht, was wir von den modificirten Kirchenvorständen nicht erwarten. Die nach der Verordnung zu bildenden Decanatsausschüsse ersetzen dies in keiner Weise, denn ihr Wirkungskreis und ihre Competenz ist in der That gar zu beschränkt. Außerdem, daß in Rechnungssachen eine Appellation von Seiten des Kirchenvorstandes an sie ergehen kann, sind sie nur berufen, auf Aufforderung der obern kirchlichen Behörden Gutachten über kirchliche Angelegenheiten abzugeben oder auch selbstständig Anträge zu stellen, aber wohlbemerkt hinsichtlich der kirchlichen Angelegenheiten ihres Bezirks. Sie versammeln sich auf Einladung ihres Dekans, sobald sich Veranlassung dazu ergibt. Von ihr erwarten wir daher in der That wenig Erfolg. Aber auch in den einzelnen Bestimmungen über die Kirchenvorstände scheint uns Wesentliches zu fehlen. Was haben eigentlich dieselben für neue, seither ihnen nicht zukommenden Rechte und Attribute? Sie werden nicht mehr durch Cooptation des Vorstandes selbst ergänzt, sondern von den Gemeinden gewählt, sie haben größern Antheil an der Verwaltung des Kirchenvermögens und die Anstellung der niedern Kirchenbeamten ist ihnen überlassen. Die beiden ersten Puncte sind allerdings nicht unerheblich, der letztere ziemlich ohne Bedeutung. In den übrigen Bestimmungen, Rechten und Pflichten des Kirchenvorstandes über Kirchenzucht, Pflege des christlichen Lebens und der Ordnung beim Gottesdienste sowie ihre Thätigkeit bei kirchlichen Handlungen bleibt es ausdrücklich bei den geltenden Vorschriften und den bestehenden Gebräuchen; hinsichtlich ihrer Betheiligung bei der örtlichen Unterstützung der Armen sollen noch besondere Bestimmungen erfolgen, während das wohl ein Punct war, der gerade in unserer Zeit mehr als vieles andere schleunigst Rücksicht und Erledigung bedurfte; und von irgend einer Mitwirkung desselben bei der Besetzung der geistlichen Ämter in den Gemeinden, die ihm überall unter den nöthigen Restrictionen beigelegt wird, ist gar nicht die Rede. Bedenklich scheinen uns aber die Bestimmungen über die Wahlen der Kirchenvorsteher. Daß alle Glieder der Gemeinde, welche 25 Jahre alt und nicht von der Theilnahme an den landständischen Wahlen ausgeschlossen sind, das active Wahlrecht besitzen, das ist wohl als zweckmäßig anzuerkennen, aber daß alle, die für wählbar erklärt werden, welche 30 Jahre alt, nicht von der Wählbarkeit zu den landständischen Wahlen ausgeschlossen sind und im Rufe der Rechtlichkeit und guter Sitten stehen, dagegen muß ernster Widerspruch eingelegt werden. Zwar heißt es zugleich in der Verordnung, an die Wähler solle die Mahnung ergehen, zugleich auf frommen und kirchlichen Sinn Rücksicht zu nehmen, aber mit der Mahnung zur Rücksicht ist unsers Bedünkens hier nichts gethan. Kirchlicher Sinn, der sich in dem Besuche des Gottesdienstes und an der Theilnahme am heiligen Abendmahle äußerlich documentirt, ist hier nothwendiges Requisit und ist auch in den meisten Verfassungen oder Verfassungsentwürfen als solches anerkannt und aufgestellt worden. Außerdem aber will uns die Bestimmung bedenklich scheinen, daß, wenn die Wahl eines Kirchenvorstehers wegen Mangel am Rufe der Rechtlichkeit und guter Sitten beanständet wird, die Entscheidung der Regierungscommission und in höherer Instanz dem Oberconsistorium zukomme? Dadurch wird einer rein bürgerlichen Behörde ein unangemessener Einfluß auf die innern Angelegenheiten der Kirche gestattet. Die Entscheidung würden wir nur dem Kirchenvorstande oder, wenn dies bedenklich sein sollte, einem aus der kirchlichen Gemeinde gebildeten Sittengerichte zutheilen; und sollte noch eine höhere Instanz als nothwendig erscheinen, so könnten dies nur die Decanatsausschüsse sein. Außer diesem allem können wir in Bezug auf die obige Verordnung nicht bergen, daß die vielen reglementärn und formellen Bestimmungen über Wahl und Kirchenvermögen nur allzu sehr in das Detail gehen, während die Puncte, auf welche es doch vorzugsweise ankommt, mit auffallender Kürze behandelt werden.
Möchte daher das hessische Kirchenregiment – dessen redlichen Eifer und reinen Willen nur der Befangene zu verkennen vermag – recht bald die obige Verordnung durch die Bildung von Bezirks- und Decanatssynoden ergänzen, möchte es den Wirkungskreis derselben erweitern, wie ihn das Bedürfnis erheischt, möchte es insbesondere dieselben zur sorgfältigen und allseitigen Berathung einer künftigen Verfassung auffordern und damit diese mit Erfolg statt finden kann, die vertagte Commission wieder berufen, ihr Werk zu Ende bringen zu lassen und den Diöcesansynoden zur Begutachtung vorlegen. Zugleich möchte auch diesen, wie man in Preußen beantragt hat, die Bestimmung überlassen bleiben, wann der rechte Zeitpunct der Einführung einer Synodalverfassung – denn sie ist einmal unläugbares Bedürfnis der Zeit – eingetreten sein wird. Wir glauben damit die Stimme aller gemäßigten Geistlichen und Glieder der Kirche ausgesprochen zu haben.