Der klassische Philologe Ludwig Lange berichtet einem nicht näher bezeichneten Ministerialrat, dass er Minister Thun einen Brief geschrieben und darin die Gründe für die Annahme der Professur an der Universität Gießen geschildert habe. Er versichert, dass ihm dieser Schritt sehr schwer gefallen sei, aber der ständige Kampf mit Constantin Höfler habe keinen anderen Ausweg zugelassen. Er schildert dabei die angespannte Lage an der Universität Prag und die feindliche Stimmung, die ihm allgemein entgegengebracht wurde. Lange erklärt sich bereit, bis zum Ende des Sommersemesters in Prag zu bleiben, falls Thun dies wünschen sollte. Andernfalls könnte Jan Kvičala die Vorlesungen fortsetzen. Weiters wiederholt er auch seine Bereitschaft zur Abfassung eines Gutachtens über die Wiederbesetzung der Professur und äußert die Bitte, ihn direkt oder durch Hermann Bonitz darüber zu instruieren. Anschließend empfiehlt Lange seinen Schüler Eduard Novotny. Dieser habe bereits 1857 die Lehramtsprüfung mit Auszeichnung abgelegt und bewerbe sich seitdem erfolglos um eine Anstellung. Lange vermutet, dass Vorbehalte von Schulrat Franz Effenberger gegen ihn, Lange, daran Schuld seien. Zuletzt bedankt er sich für die bisherige und langjährige Unterstützung des Ministerialrats.
Hochzuverehrender Herr Ministerialrath!
Euer Hochwohlgeboren
werden bereits durch Prof. Bonitz
erfahren haben, daß ich einen Ruf an die Universität Giessen [Gießen] erhalten und angenommen habe. Ebenso
darf ich voraussetzen, daß Euer Hochwohlgeboren bereits von den Motiven
unterrichtet sind, die mich zur Annahme des Rufes bestimmt haben. Ich glaube
daher mich der unerquicklichen Wiederholung derselben überheben zu dürfen und
bemerke nur, daß ich am 28. April an Seine
Excellenz einen Privatbrief mit ausführlicher Motivierung meines
Entschlusses abgeschickt habe.2
Vielleicht ist es Euer Hochwohlgeboren angenehm zu wissen, was ich Seiner Excellenz geschrieben habe. Nach
einer kurzen Erwähnung des thatsächlichen Vorganges der Berufung habe ich 1.
erklärt, daß der pecuniäre Gesichtspunct für mich nicht entscheidend gewesen
sei; 2. auseinandergesetzt, daß die Gießener Stelle vor meiner hiesigen insofern den Vorzug verdiene,
als ich dort das Recht der Promotion und die Pflicht, namens der Universität
Programme zu schreiben besitze. Ich habe den Mangel des Promotionsrechts
besonders stark betont, weil darin eine Zurücksetzung nicht meiner Person, nicht
meiner Confession, sondern der Philologie liegt, und darauf aufmerksam gemacht,
daß diese Zurücksetzung ihren Grund in der Stellung des philosophischen
Doctorencollegiums habe, während in der juridischen Facultät die Stellung des
juridischen Doctorencollegiums eine andere, mit dem Promotionsrechte aller
ordentlichen Professoren verträglicher sei. Sodann habe ich 3. die Vorzüge der
Gießener Stelle in Bezug auf
Recotrat, Decanat und Mitgliedschaft des Senates erwähnt; Rechte, von denen ich
hier als Protestant ausgeschlossen sei. Ich habe aber sofort hinzufügt, daß
diese Zurücksetzungen für mich nicht entscheidend gewesen seien, weil ich einer
Regelung der Verhältnisse der Protestanten im Allgemeinen vertrauensvoll
entgegensähe und überzeugt sei, daß der Charakter der Universitäten als
Staatsanstalten immer ungetrübter anerkannt werde. Dagegen habe ich 4. gesagt,
daß die trüben persönlichen Erfahrungen, die ich hier gemacht hätte, von großem
Einflusse auf meinen Entschluß gewesen seien und dabei ausdrücklich den Prof.
Höfler genannt und
deutlich zu verstehen gegeben, daß seinetwegen sowohl Schleicher als ich zu diesem Entschlusse
gekommen seien. Endlich habe ich 5. den dringenden und für mich maßgebenden
Wunsch meiner Mutter erwähnt, mich näher
bei Hannover zu wissen, da sie alt ist und im Fall der
Verschlimmerung der Krankheit meines Bruders, die zu ernsten Besorgnissen Anlaß
gibt, meiner Stütze bedarf. Den ganzen Brief habe ich nach bestem Wissen in
ehrerbietigster Form und ehrerbietigstem Tone gehalten, aber andererseits auch
unverhohlen meine Meinung gesagt; ich hielt das für eine Pflicht gegen mich wie
gegen die Sache, welche ich hier zu vertreten hatte und die ich, wie ich ohne
Anmaßung behaupten darf, frei von Menschenfurcht vertreten habe, so gut ich
konnte.
Euer Hochwohlgeboren werden meiner Versicherung Glauben schenken,
daß ich mit schwerem Herzen um meine Entlassung nachgesucht habe. Wie gern würde
ich alles ertragen und geduldet haben, wenn ich nicht fühlte, daß der Kampf
zwischen Höfler und mir
mit gar zu ungleichen Waffen geführt wird, und befürchten müßte, daß mir zu
einer Zeit, wo ich dann keinen Ruf zu acceptieren hätte, der Boden unter den
Füßen weggezogen werden könnte. Ich weiß, daß meine Zuhörer, einzelne meiner
Collegen und verschiedene achtbare Männer in Prag meinen
Fortgang aufrichtig bedauern; wie sehr es aber gelungen ist, die Literaten,
Journalisten und das von ihnen beherrschte große Publikum gegen mich
einzunehmen, zeigt die Art, wie der gestrige Tagesbote meinen Fortgang angezeigt
hat. Freilich kann ich nicht erwarten, daß ein urtheilsloses Publikum, welches
Höfler für einen
großen und „geistreichen“ Historiker hält, was in ganz
Deutschland bekanntlich außer einigen baierischen
Ultramontanen Niemand thut, unbefangene Anerkennung für mich besitzt, der ich
nie geschmeichelt und stets die Wahrheit gesagt habe. Aber eben diese
Urtheilslosigkeit des Prager Publicums, so
gleichgültig sie mir angesichts der Anerkennung, die in der Thatsache einer
Berufung liegt, ist, läßt mich an der Möglichkeit zweifeln, daß die hiesigen
Zustände jemals besser werden können. Charlatanerie wird hier immer besser
gedeihen als ernste Wissenschaft.
Der Tagesbote hat an die Nachricht von
meiner Berufung auch die Notiz angeknüpft, daß Prof. Stein danach trachte, die in
Berlin erledigte Professur der
Zoologie zu bekommen. Auch daraus können Euer Hochwohlgeboren sehen, wessen sich
ein Ausländer, wenn er sich auch noch so bescheiden zurückhält, hier zu versehen
hat. Denn die Professur in Berlin
ist gar nicht erledigt; Prof. Stein denkt gar nicht daran, nach Berlin berufen zu werden oder gar
directe Schritte deshalb zu thun. Der Einsender der Notiz hat also die Sache
rein aus der Luft gegriffen, um die Ausländer zu verdächtigen. Geradeso war,
etwa 1 Jahr vor Chambon‘s Tode über
diesen ausgesprengt, er trachte nach Gießen zu kommen, während in Gießen für ihn durchaus keine Vacanz war.
Ich fühle mich
verpflichtet Euer Hochwohlgeboren zu bitten, an damalige Verdächtigungen der
Ausländer nicht zu glauben. Es ist möglich, daß mein Fortgang verletzt und eine
gewisse Antipathie gegen die Ausländer erzeugt oder, wo sie schon vorhanden ist,
nährt. Sehr schmerzlich würde es mir sein, wenn mein College Stein, der nur für seine Familie und
die Wissenschaft lebt und z. B. gerade jetzt ein großes und bedeutendes Werk
über die Infusorien schreibt, das ihm in Berlin eher
Feinde als Freunde erwerben wird, weil es gegen Ehrenberg gerichtet ist, darunter
leiden müßte, daß ich einen Ruf bekommen habe.
In meinem Briefe an Seine Excellenz habe ich zum Schlusse
rücksichtlich des Zeitpunctes meiner Entlassung mich Seiner Excellenz zur Verfügung
gestellt. Obwohl man in Gießen
wünscht, daß ich sofort komme, habe ich mir in dieser Hinsicht die Hand frei
behalten und werde es als eine freudig zu erfüllende Pflicht ansehen, wenn
Seine Excellenz befehlen, daß
ich bis Ende des Sommersemesters da bleiben soll. Euer Hochwohlgeobren werden
hierin wenigstens einen schwachen Versuch meiner Dankbarkeit erkennen; denn ich
möchte um keinen Preis weder Seiner
Excellenz noch Ihnen, Hochgeehrtester Herr Ministerialrath, durch
ein rasches und rücksichtsloses, auch unzeitgemäßes Fortgehen Anlaß geben, mich
mit Recht für undankbar zu halten. Ich habe bereits die Inscriptionen der
Studierenden begonnen und gedenke in den nächsten Tagen, sobald die Zahl sich
einigermaßen gesammelt hat, anzufangen zu lesen.
Sollte wider mein Erwarten
Seine Excellenz wünschen, daß
ich sofort gehe, so kann dann Kvičala,
wenn es Ihnen zweckmäßig scheint, die Vorlesungen zu Ende führen und das
griechische Seminar dirigieren. Zufällig sind die Gegenstände meiner diesmaligen
Vorlesungen solche, in welche sich Kvičala sehr rasch wird hineinfinden können: sowohl Grammatik
als Plato sind ihm Lieblingsfächer. Ob in diesem Falle Kvičala auch mit der Abhaltung der bereits am
26. Mai beginnenden Lehramtsprüfung zu beauftragen sei, darüber will ich mir
kein vorgreifendes Urtheil erlauben. Für fähig halte ich ihn dazu, aber
vielleicht könnte ich, auch wenn ich die Entlassung auf sofort bekäme, die
Prüfung noch selbst abhalten, da ich in diesem Falle nicht vor Anfang Juni meine
Übersiedelung bewerkstelligen könnte.
Ganz am Schlusse meines Briefes an
Seine Excellenz habe ich
gebeten, Excellenz möchten mir dadurch einen Beweis der Zufriedenheit mit meiner
Wirksamkeit geben, daß Sie mich, wie früher den Prof. Curtius, auffordern ließen, mich gutachtlich
über die Wiederbesetzung der Professur zu äußern. Euer Hochwohlgeboren werden
diese Form hoffentlich billigen; wenn mein Wunsch erhört wird, so darf ich wohl
an Euer Hochwohlgeboren die Bitte richten, entweder selbst oder durch Prof.
Bonitz mich rücksichtlich
derjenigen Gesichtspuncte instruieren zu lassen, die mir vielleicht entgehen
könnten.
Zu den trüben Erfahrungen, die ich hier gemacht habe und die ich
nicht sämmtlich Seiner Excellenz
aufzählen konnte, gehört auch die mit Candidat Novotny. Dieser ausgezeichnete junge Mann, den Schleicher, Curtius, Bippart,
Hattala und ich einstimmig für
außerordentlich tüchtig halten und erklärt haben, der auf unsern Vorschlag mit
einem Stipendium auf 1 Jahr in Bonn gewesen ist, der eine
ausgezeichnete Prüfung 1857 abgelegt hat, muß jetzt nach einer Anstellung als
Lehrer förmlich betteln. Als er sich Herbst 1858 dem Schulrathe Effenberger zur Verfügung
stellte, hat dieser erklärt, ihn nicht gebrauchen zu können, während er viel
unfähigere Leute brauchen konnte. Er nahm dann eine Supplentenstelle in
Preßburg mit der Hoffnung auf
Anstellung daselbst an; stattdessen hat die erledigte philologische Stelle ein
Physiker erhalten. Seitdem bewirbt sich Novotny um eine Stelle nach der andern und wird immer fort
abgewiesen. Ich habe Grund zu vermuthen, daß der Schulrath Effenberger ihn aus Gereiztheit
über mich nicht genommen hat; denn gereizt ist dieser Herr, weil die Thatsache
der Vorbereitungsabtheilung im Widerspruch steht mit dem Glauben, daß die
böhmischen Gymnasien bereits den gesetzlichen Erwartungen genügten. Was der
Grund ist, weshalb Novotny auch
anderwärts zurückgestoßen wird, weiß ich nicht. Aber welche Aussicht ist das,
wenn ich mir sagen muß, daß meine tüchtigsten Schüler um meinetwillen verstoßen
werden; wenn ich mir sagen muß, daß ich deshalb Anstoß errege, weil ich
ungeschminkt die Wahrheit eingestehe und auf Abhülfe denke und nicht gefügig
genug bin, glänzende Resultate da zu finden, wo noch keine sind.
In der
That, hochgeehrtester Herr Ministerialrath, ich bedauere ein Land, in dem das
Scheinwesen eine solche Ausbreitung hat finden können; ich habe geglaubt, die
ganze Unabhängigkeit meiner Stellung dem gegenüber geltend machen zu müssen,
aber ich habe mich leider immer mehr überzeugen müssen, daß der Einzelne zu
schwach ist. In Wien stehen die Sachen ohne Zweifel
anders und wesentlich besser; aber in Prag ist abgesehen
von der Jugend, die ja empfänglich ist und Hoffnungen erweckt, ein durchaus
ungünstiger Boden.
Es erübrigt mir nur noch Euer Hochwohlgeboren persönlich
meinen innigsten und ehrerbietigsten Dank auszusprechen für die Unterstützung,
die ich in meiner Wirksamkeit stets bei Ihnen gefunden habe. Es waren immer
wahre Lichtblicke für mich, wenn ich die Resultate Ihrer Bemühungen wahrnahm und
jetzt ist kein Gedanke, der mehr auf mir lastet als der, daß ich durch die
unglücklichen Verhältnisse gezwungen bin, die kleine Zahl derjenigen Männer
betrüben zu müssen, die unsere Sache mit unermüdlicher Ausdauer unter Gefahren
und Schwierigkeiten aller Art hochhalten. Möge Ihnen, hochgeehrtester Herr
Ministerialrath, die Freude vergönnt sein, diese Sache siegreich durzuführen!
Möchte mir es möglich sein, auch aus der Ferne mitzukämpfen!
Mit der
vorzüglichsten Hochachtung und unwandelbaren Verehrung zeichne ich,
Euer Hochwohlgeboren
ganz ergebenster
Dr. Ludwig Lange
Prag, 1. Mai 1859