Hermann Bonitz teilt Leo Thun mit, dass er einen Ruf nach Schulpforta erhalten habe, er dem Ruf jedoch nicht folgen werde. Er fühlt sich nämlich verpflichtet die Reform in Österreich fortzuführen, auch wenn er in Österreich als Ausländer immer wieder Benachteilungen erfahre und seine Leistungen nicht ausreichend geschätzt werden. Er möchte seinen Verbleib daher an einige Bedingungen knüpfen, damit er nicht später seine Entscheidung bereuen wird: Er möchte eine Zusicherung des Ministers, dass die Reform, zumindest an der philosophischen Fakultät, auf dem jetzigen Weg fortgesetzt wird. Außerdem möchte er, dass seine Stellung vor Angriffen von katholischer Seite geschützt und dass sein Gehalt aufgebessert wird. Er wünscht sich außerdem, ohne es zur Bedingung zu machen, dass die Leistung und die Stellung von anderen ausländischen Nicht-Katholiken von offizieller Seite mehr gewürdigt werde.
Dieser Brief ist als Konzept in der Universitätsbibliothek Breslau
erhalten: Universitätsbibliothek Breslau, Autograph, Haase 46.
Dort
findet sich auch das Original des in diesem Brief wiedergegebenen
Schreibens von Ludwig Adolf
Wiese an Hermann Bonitz. Berlin, 23. Juli 1855.
Das Konzept zu diesem Brief ist abgedruckt bei: Alfred Schneider, Briefe Österreichischer Gelehrter aus den Jahren 1849–1862. Beiträge zur Geschichte der österreichischen Unterrichtsreform, in: Archiv für österreichische Geschichte. Bd. 113/1936, S. 167–304, hier S. 200–204.1
Euer Excellenz!
Vor wenigen Tagen erhielt ich von dem Gh. Rath. Dr. L. Wiese (Ministerialrath im Kgl. Preußischen Unterrichtsministerium) ein Schreiben2, das ich vorläufig in wörtlicher Abschrift mitzutheilen mir erlaube, mit der ehrerbietigsten Bitte, Euere Excellenz wollen davon hochgeneigtest Kenntnis nehmen. Das Schreiben lautet so:
"Berlin, 23. Juli 1855
Verehrter Freund,
Deinen Brief vom Anfange des
vorigen Jahres zu beantworten, habe ich bis jetzt unterlassen, weil ich die
rechte Muse dazu erwartete: sie hat sich nicht eingestellt und auch heute ist es
ein anderer Gegenstand, über den ich zu schreiben habe.
Du weißt, daß
Schulpforta ohne Haupt ist,
als ich mit Anfang Juni eine Inspectionsreise nach der Provinz Preußen antrat,
kam Johann Schulze noch in Eile zu
mir, um mir die Nachricht von Kirchner's Tode zu bringen. Die Wiederbesetzung der Stelle
beschäftigte mich auf der ganzen langen Reise, und immer kamen meine Gedanken
wieder zu Dir. Du kennst und liebst die Anstalt, sie ist die erste in unserem
Staat, und ist sie nicht mehr was sie einst war, so bist Du der Mann, ein neues
Leben dort wieder zu erwecken. Als ich nach Hause kam, fand ich unter den
inzwischen eingegangenen Briefen auch einen von Schmieder*, dem es keine Ruhe
gelassen hatte, er mußte wegen Pforta schreiben, um Dich und nur Dich mir zu empfehlen, in der
liebevollsten Weise. Dieses Zusammentreffen unserer Gedanken freute mich sehr.
Ich trug darauf dem (abwesenden) Minister die Sache schriftlich vor, und er hat mir heute
geantwortet, und mich autorisiert, Dir die Stelle anzutragen. Dies ist es,
theurer Freund, eine für uns und wohl auch für Dich hochwichtige Sache. Überlege
Dir's nun und schreib mir bald eine Antwort, ob wir überhaupt darauf rechnen
können, daß Du kommst. Über das wann und alles Übrige wird
dann leicht eine Verständigung zu erreichen sein.
Ich habe es immer so
angesehen, Du seist eigentlich an Oesterreich nur geliehen und habe es beneidet um Dich. Es ist
nun, nachdem Du soviel dort gethan und erreicht, wohl Zeit, daß Du wieder an
Dein Vaterland denkst, wo man Deiner nicht
vergessen hat und wo Du allen willkommen sein wirst, und als Rector von Pforta auch denen, die noch Deine
Lehrer gewesen sind. Gott lenke Deine Entscheidung zu Deinem und unseres
Vaterlandes Heil!
Treulichst der Deinige L. Wiese.
* Schmieder, Religionslehrer und Prediger in
Schulpforta, als ich dort Schüler war; jetzt meines Wissens Director des
Predigerseminars in Wittenberg."
Es ist Euerer Excellenz bekannt, daß die Freude an meinem Beruf selbst und, ich
darf es ohne den Schein der Anmaßung sagen, an den Erfolgen meiner Thätigkeit
mich über das mannigfache Schmerzliche und Verletzende, das mich seit meiner
Anstellung an der hiesigen
Universität betroffen hat und fortwährend betrifft, emporzuheben
vermochte. Hätte ich nicht Anlaß gehabt, diese Gesinnung Euer Exzellenz in
wichtigen Fällen auszusprechen, so würde schon die Weise, wie ich meinem Berufe
lebe, dafür Zeugnis geben. Indem ich an dem großen und segensreichen Werke der
Neugestaltung des Unterrichts in Österreich für ein wichtiges Gebiet von den ersten Berathungen an bis zur
Verwirklichung und Ausbildung im Einzelnen einen ununterbrochen thätigen Antheil
genommen habe, so ist es mit meinem ganzen Wesen so verwachsen, als habe es
ursprünglich meinem Lebensberuf angehört, so daß ich aus eigenem Antriebe eine
Änderung nie gesucht habe und ohne dringenden Anlaß eine solche nicht in
Erwägung ziehen würde.
In eine andere Lage versetzt mich das mitgetheilte
Schreiben. Der Staat, dem ich durch die Geburt
angehöre, dem ich meine Bildung verdanke, dem ich durch meine Confession
verwandt bin, dieser Staat ruft mich in der vertrauensvollsten und ehrendsten
Weise zu einer Tätigkeit, welche meinem gesammten Lebensgange angemessen ist
und, wie ich hoffe, meine Kräfte nicht übersteigt. Der Antrag ist ehrenvoll;
denn in die Blüthe von Schulpforta setzt Preußen selbst besondere
Ehre und hat mit seltenen Ausnahmen Männer von der Universität zur Leitung
berufen. Auf das im Schreiben erwähnte freundliche Entgegenkommen des
Lehrercollegiums, das für die Erfüllung solcher Aufgabe von Bedeutung ist, darf
ich nach meiner Kenntnis der Verhältnisse und Personen mit Zuversicht zu
rechnen. Die im Antrage nicht erwähnten äußeren Verhältnisse sind durchaus
günstig, indem abgesehen von einer umfassenden, gut gelegenen Wohnung der fixe
Gehalt in Thalern Silber die gleiche Ziffer erreicht, wie mein gegenwärtiger in
Gulden B.V. und dies in einer Gegend, wo vermöge der herrschenden Fruchtbarkeit
die meisten Bedürfnisse zu billigen Preisen bestritten werden.
Einem solchen
Rufe gegenüber muß ich allerdings auch die Kehrseite meiner hiesigen Stellung in
Erwägung ziehen. Daß keine, auch nicht die aufopferndste erfolgreichste
Thätigkeit für Österreich mir Österreich
zum Vaterlande werden läßt, sondern ich immer als "Ausländer"
und Eindringling betrachtet werde, darüber muß ich, so bitter und verletzend es
sich oft geltend macht, hinwegsehen und mich mit dem Gedanken zu trösten suchen,
daß es meine Thätigkeit doch nicht in den wesentlichsten Beziehungen
beeinträchtigt. Anders steht es mit der aus der Confession
hervorgehenden Schwierigkeit. Da meine Confession zum Vorwande genommen ist –
ich spreche durch dieses Wort nicht bloß meine subjective Überzeugung aus – wo
es sich um die Übertragung der äußerlichen Geschäfte und um einen Namen
handelte, so kann sie bei günstiger Gelegenheit mit viel mehr Recht zum Anlaß
genommen werden, um das Wesentliche meiner Stellung meine Lehrtätigkeit,
aufzuheben oder zu einem bloßen Schatten zu machen. Ich muß mich fragen, ob
gegen diese Gefahr, die nicht in meiner Einbildung, sondern, durch unverhohlene
Absichten bekundet, in der Wirklichkeit vorhanden ist, sich mir eine andere
dauernde Garantie bietet als das persönliche Wohlwollen, dessen Euer Exzellenz
mich huldvollst würdigen. – Ferner, der Erfolg der ernstlichsten Tätigkeit im
Unterricht ist wesentlich dadurch bedingt, daß die allgemeinen Einrichtungen
nicht principielle Hindernisse setzen. Daß ein solches Hindernis, in der zu
erwartenden definitiven Organisation der Universitäten,
wenigstens innerhalb der philosophischen Facultät, nicht liegen werde, ist noch
immer nur ein Gegenstand der Hoffnung. – Endlich die so erheblich günstigere äußere Stellung außer Betracht zu lassen, könnte ich, wenn
ich es für meine Person gleichgültig ertrüge, meiner Familie gegenüber, der ich
Sorge schuldig bin, und gegenüber der Regierung, welche die mitgetheilte Anfrage
an mich gestellt hat, nicht verantworten.
Ich befürchte nicht, daß Euere
Excellenz in dem zuletzt erwähnten Umstande die eigentliche Absicht dieser
Mittheilung finden, als wollte ich die Gelegenheit eines anderweitigen Antrages
zur Erlangung einer Gehaltserhöhung benützen. Euerer Excellenz wird es ja nicht
unbekannt sein, daß ich nach mehreren Richtungen hin das Doppelte meiner Pflicht
erfüllt habe – gegen die Sitte und gegen den Rath nur nach gegebenen
Verhältnissen urtheilender Praktiker – ohne irgend welche Ansprüche darauf zu
gründen. Übrigens setze ich es allerdings als etwas keiner Schwierigkeit
unterliegendes und selbstverständliches voraus, daß, wenn
meine bisherige Tätigkeit der Anerkennung durch die That und meine fernere
Thätigkeit der Erhaltung werth scheint, der österreichische Kaiserstaat an
seiner ersten Universität mich nicht
ungünstiger stellen würde, als es Preußen an seinem geachtetsten Gymnasium thut.
Die
Absicht dieser Mittheilung ist vielmehr, Euerer Excellenz das Gewicht der
Gründe, die ich in Erwägung ziehen muß, unverhohlen darzulegen und um deren
Würdigung zu bitten. Es handelt sich nicht um einen Antrag, wie deren leicht
noch mehr erfolgen könnten, sondern um einen solchen, dessen Ablehnung zugleich
eine unbedingte Ablehnung jeder Berufung außerhalb Österreichs für immer ist. Wenn ich einen so vertrauensvoll, so
ehrend, so äußerlich günstig gestellten Ruf in mein
Vaterland zurückweise, so liegt darin die thatsächliche Erklärung:
ich finde mich an Österreich durch so feste Bande gebunden,
daß jene Gründe nicht fähig sind, sie zu lösen. Nun kennt und würdigt man in dem
nichtösterreichischen Deutschland – wahrlich ohne mein Zuthun – dasjenige, was
ich hier gethan habe mehr, als in Österreich. Dem gegenüber
weiß man nicht von irgend einer thatsächlichen Anerkennung
meiner Bemühungen, sondern nur von thatsächlichen Beweisen der Unsicherheit
meiner Stellung und einer durch Stillschweigen gebilligten oder doch ermuthigten
Bekämpfung derselben. Euere Excellenz werden ohne weitere Ausführung erkennen,
in welchem Lichte mein Verfahren erscheinen würde, wenn ich den mir gestellten
Antrag ablehnte, ohne die Ablehnung durch die Hinweisung auf eine gesicherte und
ehrenvolle Stellung motiviren zu können, als diejenige ist, in der ich mich
gegenwärtig befinde. Ein solcher Schritt ließe sich nur durch eine entschiedene
Abneigung gegen meine Heimath und die dortigen Verhältnisse erklären – ein
Gedanke, dem ich in keiner Weise Raum zu gewähren wünschte.
Aus dem
Dargelegten werden Euere Excellenz zugleich ersehen, unter welchen
Voraussetzungen ich besonnener und ehrenhafter Weise den mir gewordenen Antrag
ablehnen kann.
Was zunächst die definitiven Einrichtungen der
Universität betrifft, so weiß ich sehr wohl, daß eine authentische
Erklärung darüber im Augenblick noch nicht möglich ist. Ich kann daher nur
fragen, ob Euere Excellenz selbst die feste Überzeugung haben, daß wenigstens im
Bereiche der philosophischen Facultät nicht irgend eine wesentliche Änderung
wird getroffen werden. Ich muß mir diese Frage erlauben, weil mit irgend einer
derartigen Änderung meine Stellung hier factisch unhaltbar wird, so daß es
besser ist, sie freiwillig aufgegeben zu haben, so lange es noch an der Zeit
ist.
In confessioneller Hinsicht dagegen macht der
Umstand, daß trotz meiner gewissenhaftesten Vorsicht vor der Übernahme und in
der Führung meines Amtes, dennoch ohne meine Schuld meine
Person zur Zielscheibe bestimmter Parteibestrebungen geworden ist, eine
ausdrückliche Sicherstellung für mich nöthig. Ich bedarf in dieser Hinsicht
einer authentischen Erklärung, daß wie auch die Verhältnisse
der evangelischen Glaubensverwandten im allgemeinen mögen festgesetzt werden,
meine Stellung als Universitätslehrer an hiesiger Universität gegen jeden Angriff
aus confessionellem Grunde gesichert und in keinerlei Weise der meiner
katholischen Collegen nachgesetzt ist oder künftig nachgesetzt werden
wird.
Ebenso bedürfte ich in ökonomischer Hinsicht der
ämtlichen Zusicherung, daß mein fester Gehalt dem der angetragenen Stellung
gleichgesetzt würde.
Nur unter der Voraussetzung, daß meine Stellung nach
den bezeichneten Richtungen in ehrender Weise rechtlich gesichert und finanziell
verbessert wird, daß überdies, was bis jetzt allein möglich ist, die gegründete
Erwartung Euerer Excellenz über die principiellen Universitätseinrichtungen
Beruhigung gibt, bin ich in der Lage, den mich gerichteten Antrag ablehnen zu
können, ohne spätere Reue besorgen zu müssen.
Nicht berührt habe ich hierbei
den oben erwähnten Druck, der den „Ausländer“, d.h. den nicht aus
Österreich gebürtigen Deutschen als solchen betrifft,
deshalb, weil derselbe nicht aus dem Verfahren der Regierung, sondern aus der
öffentlichen Meinung hervorzugehen scheint. Daß es nur so
scheine, ist gewiß mehr als bloß eine subjective Ansicht, da dieses feindselige
Treiben in Wirklichkeit sich von oben her ermuthigt glaubt. Indem die Regierung
die Berufung von akatholischen Nichtösterreichern an Lehrstellen als eine Sache
der Noth und des Dranges der Umstände zur Erreichung bestimmter Zwecke
darstellt, betrachtet sie dieselben als Arbeitskräfte, die man hinzuzieht, weil
man ihrer eben nicht entbehren kann; sie erweckt daher die Erwartung, daß
dieselben Männer, die man jetzt im Drange der Noth verwendet, dann, wenn sie selbst durch ihre Thätigkeit sich entbehrlich gemacht und
ihre Kräfte so weit aufgerieben haben, daß sie eine neue Lebensstellung sich
nicht gründen können, als gleichgiltig und ausgenützt werden bei Seite geschoben
werden. Ich kann nicht erwarten, daß hierüber Euere Excellenz eine wahrhaft
beruhigende Versicherung zu geben vermögen; aber das glaube ich hoffen zu
dürfen, daß Euere Excellenz, welcher die betreffenden Verhältnisse genau bekannt
sind, die Folgen ernst erwägen wollen, welche daraus entspringen müssten, wenn
mir eine Zuversicht in die Zukunft geboten würde, die sich zuletzt doch nur als
eine neue schmerzliche Täuschung erwiese.
Das Vertrauen, dessen Euere
Excellenz mich in bedeutenden Dingen gewürdigt haben, machte es mir zur Pflicht,
diesen Gegenstand Euerer Excellenz vorzutragen, ehe ich durch
eine bindende Rückantwort auf den Antrag einen entscheidenden Schritt gethan
habe. Die Aufforderung zu baldiger Antwort, die mir gestellt
ist, wird die ehrerbietigste Bitte rechtfertigen, Euere Excellenz wollen nach
Überlegung der Sache, Ihre Äußerung nicht verzögern. Ich habe in vollster
Offenheit alle diejenigen Seiten meiner hiesigen Stellung bezeichnet, die ich in
solchem Falle gewissenhaft in Betracht ziehen muß. Die
Überzeugung von dem wahrhaft edlen Charakter Euerer Excellenz, von der ich tief
durchdrungen bin, macht es mir gewiß, daß diese offene Freimüthigkeit gewürdigt
wird und daß ich als Erwiderung auf meine Fragen auch nicht ein Wort mehr werde
zu hören bekommen, als Euere Excellenz mit unverbrüchlicher Sicherheit vertreten
können. Ist es möglich, mir in allen den bezeichneten
Richtungen volle Beruhigung zu geben, dann wird es mir zur
innigsten Freude gereichen, dem Werke, dem ich unermüdet fast sieben Jahre
hindurch meine gesammten Kräfte gewidmet habe, auch ferner mit gleicher
Hingebung angehören zu können.
Genehmigen Euere Excellenz den Ausdruck der tiefsten Ehrerbietung, mit welcher sich zeichnet
Euerer Excellenz
unterthänigster
H. Bonitz
Wien, 30. Juli 1855