Hermann Bonitz an Leo Thun
Wien, 30. Juli 1855
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Regest

Hermann Bonitz teilt Leo Thun mit, dass er einen Ruf nach Schulpforta erhalten habe, er dem Ruf jedoch nicht folgen werde. Er fühlt sich nämlich verpflichtet die Reform in Österreich fortzuführen, auch wenn er in Österreich als Ausländer immer wieder Benachteilungen erfahre und seine Leistungen nicht ausreichend geschätzt werden. Er möchte seinen Verbleib daher an einige Bedingungen knüpfen, damit er nicht später seine Entscheidung bereuen wird: Er möchte eine Zusicherung des Ministers, dass die Reform, zumindest an der philosophischen Fakultät, auf dem jetzigen Weg fortgesetzt wird. Außerdem möchte er, dass seine Stellung vor Angriffen von katholischer Seite geschützt und dass sein Gehalt aufgebessert wird. Er wünscht sich außerdem, ohne es zur Bedingung zu machen, dass die Leistung und die Stellung von anderen ausländischen Nicht-Katholiken von offizieller Seite mehr gewürdigt werde.

Anmerkungen zum Dokument

Dieser Brief ist als Konzept in der Universitätsbibliothek Breslau erhalten: Universitätsbibliothek Breslau, Autograph, Haase 46.
Dort findet sich auch das Original des in diesem Brief wiedergegebenen Schreibens von Ludwig Adolf Wiese an Hermann Bonitz. Berlin, 23. Juli 1855.

Das Konzept zu diesem Brief ist abgedruckt bei: Alfred Schneider, Briefe Österreichischer Gelehrter aus den Jahren 1849–1862. Beiträge zur Geschichte der österreichischen Unterrichtsreform, in: Archiv für österreichische Geschichte. Bd. 113/1936, S. 167–304, hier S. 200–204.1

http://hdl.handle.net/21.11115/0000-000B-DCA9-F

Schlagworte

Edierter Text

Euer Excellenz!

Vor wenigen Tagen erhielt ich von dem Gh. Rath. Dr. L. Wiese (Ministerialrath im Kgl. Preußischen Unterrichtsministerium) ein Schreiben2, das ich vorläufig in wörtlicher Abschrift mitzutheilen mir erlaube, mit der ehrerbietigsten Bitte, Euere Excellenz wollen davon hochgeneigtest Kenntnis nehmen. Das Schreiben lautet so:

"Berlin, 23. Juli 1855
Verehrter Freund,
Deinen Brief vom Anfange des vorigen Jahres zu beantworten, habe ich bis jetzt unterlassen, weil ich die rechte Muse dazu erwartete: sie hat sich nicht eingestellt und auch heute ist es ein anderer Gegenstand, über den ich zu schreiben habe.
Du weißt, daß Schulpforta ohne Haupt ist, als ich mit Anfang Juni eine Inspectionsreise nach der Provinz Preußen antrat, kam Johann Schulze noch in Eile zu mir, um mir die Nachricht von Kirchner's Tode zu bringen. Die Wiederbesetzung der Stelle beschäftigte mich auf der ganzen langen Reise, und immer kamen meine Gedanken wieder zu Dir. Du kennst und liebst die Anstalt, sie ist die erste in unserem Staat, und ist sie nicht mehr was sie einst war, so bist Du der Mann, ein neues Leben dort wieder zu erwecken. Als ich nach Hause kam, fand ich unter den inzwischen eingegangenen Briefen auch einen von Schmieder*, dem es keine Ruhe gelassen hatte, er mußte wegen Pforta schreiben, um Dich und nur Dich mir zu empfehlen, in der liebevollsten Weise. Dieses Zusammentreffen unserer Gedanken freute mich sehr. Ich trug darauf dem (abwesenden) Minister die Sache schriftlich vor, und er hat mir heute geantwortet, und mich autorisiert, Dir die Stelle anzutragen. Dies ist es, theurer Freund, eine für uns und wohl auch für Dich hochwichtige Sache. Überlege Dir's nun und schreib mir bald eine Antwort, ob wir überhaupt darauf rechnen können, daß Du kommst. Über das wann und alles Übrige wird dann leicht eine Verständigung zu erreichen sein.
Ich habe es immer so angesehen, Du seist eigentlich an Oesterreich nur geliehen und habe es beneidet um Dich. Es ist nun, nachdem Du soviel dort gethan und erreicht, wohl Zeit, daß Du wieder an Dein Vaterland denkst, wo man Deiner nicht vergessen hat und wo Du allen willkommen sein wirst, und als Rector von Pforta auch denen, die noch Deine Lehrer gewesen sind. Gott lenke Deine Entscheidung zu Deinem und unseres Vaterlandes Heil!

Treulichst der Deinige L. Wiese.
* Schmieder, Religionslehrer und Prediger in Schulpforta, als ich dort Schüler war; jetzt meines Wissens Director des Predigerseminars in Wittenberg."

Es ist Euerer Excellenz bekannt, daß die Freude an meinem Beruf selbst und, ich darf es ohne den Schein der Anmaßung sagen, an den Erfolgen meiner Thätigkeit mich über das mannigfache Schmerzliche und Verletzende, das mich seit meiner Anstellung an der hiesigen Universität betroffen hat und fortwährend betrifft, emporzuheben vermochte. Hätte ich nicht Anlaß gehabt, diese Gesinnung Euer Exzellenz in wichtigen Fällen auszusprechen, so würde schon die Weise, wie ich meinem Berufe lebe, dafür Zeugnis geben. Indem ich an dem großen und segensreichen Werke der Neugestaltung des Unterrichts in Österreich für ein wichtiges Gebiet von den ersten Berathungen an bis zur Verwirklichung und Ausbildung im Einzelnen einen ununterbrochen thätigen Antheil genommen habe, so ist es mit meinem ganzen Wesen so verwachsen, als habe es ursprünglich meinem Lebensberuf angehört, so daß ich aus eigenem Antriebe eine Änderung nie gesucht habe und ohne dringenden Anlaß eine solche nicht in Erwägung ziehen würde.
In eine andere Lage versetzt mich das mitgetheilte Schreiben. Der Staat, dem ich durch die Geburt angehöre, dem ich meine Bildung verdanke, dem ich durch meine Confession verwandt bin, dieser Staat ruft mich in der vertrauensvollsten und ehrendsten Weise zu einer Tätigkeit, welche meinem gesammten Lebensgange angemessen ist und, wie ich hoffe, meine Kräfte nicht übersteigt. Der Antrag ist ehrenvoll; denn in die Blüthe von Schulpforta setzt Preußen selbst besondere Ehre und hat mit seltenen Ausnahmen Männer von der Universität zur Leitung berufen. Auf das im Schreiben erwähnte freundliche Entgegenkommen des Lehrercollegiums, das für die Erfüllung solcher Aufgabe von Bedeutung ist, darf ich nach meiner Kenntnis der Verhältnisse und Personen mit Zuversicht zu rechnen. Die im Antrage nicht erwähnten äußeren Verhältnisse sind durchaus günstig, indem abgesehen von einer umfassenden, gut gelegenen Wohnung der fixe Gehalt in Thalern Silber die gleiche Ziffer erreicht, wie mein gegenwärtiger in Gulden B.V. und dies in einer Gegend, wo vermöge der herrschenden Fruchtbarkeit die meisten Bedürfnisse zu billigen Preisen bestritten werden.
Einem solchen Rufe gegenüber muß ich allerdings auch die Kehrseite meiner hiesigen Stellung in Erwägung ziehen. Daß keine, auch nicht die aufopferndste erfolgreichste Thätigkeit für Österreich mir Österreich zum Vaterlande werden läßt, sondern ich immer als "Ausländer" und Eindringling betrachtet werde, darüber muß ich, so bitter und verletzend es sich oft geltend macht, hinwegsehen und mich mit dem Gedanken zu trösten suchen, daß es meine Thätigkeit doch nicht in den wesentlichsten Beziehungen beeinträchtigt. Anders steht es mit der aus der Confession hervorgehenden Schwierigkeit. Da meine Confession zum Vorwande genommen ist – ich spreche durch dieses Wort nicht bloß meine subjective Überzeugung aus – wo es sich um die Übertragung der äußerlichen Geschäfte und um einen Namen handelte, so kann sie bei günstiger Gelegenheit mit viel mehr Recht zum Anlaß genommen werden, um das Wesentliche meiner Stellung meine Lehrtätigkeit, aufzuheben oder zu einem bloßen Schatten zu machen. Ich muß mich fragen, ob gegen diese Gefahr, die nicht in meiner Einbildung, sondern, durch unverhohlene Absichten bekundet, in der Wirklichkeit vorhanden ist, sich mir eine andere dauernde Garantie bietet als das persönliche Wohlwollen, dessen Euer Exzellenz mich huldvollst würdigen. – Ferner, der Erfolg der ernstlichsten Tätigkeit im Unterricht ist wesentlich dadurch bedingt, daß die allgemeinen Einrichtungen nicht principielle Hindernisse setzen. Daß ein solches Hindernis, in der zu erwartenden definitiven Organisation der Universitäten, wenigstens innerhalb der philosophischen Facultät, nicht liegen werde, ist noch immer nur ein Gegenstand der Hoffnung. – Endlich die so erheblich günstigere äußere Stellung außer Betracht zu lassen, könnte ich, wenn ich es für meine Person gleichgültig ertrüge, meiner Familie gegenüber, der ich Sorge schuldig bin, und gegenüber der Regierung, welche die mitgetheilte Anfrage an mich gestellt hat, nicht verantworten.
Ich befürchte nicht, daß Euere Excellenz in dem zuletzt erwähnten Umstande die eigentliche Absicht dieser Mittheilung finden, als wollte ich die Gelegenheit eines anderweitigen Antrages zur Erlangung einer Gehaltserhöhung benützen. Euerer Excellenz wird es ja nicht unbekannt sein, daß ich nach mehreren Richtungen hin das Doppelte meiner Pflicht erfüllt habe – gegen die Sitte und gegen den Rath nur nach gegebenen Verhältnissen urtheilender Praktiker – ohne irgend welche Ansprüche darauf zu gründen. Übrigens setze ich es allerdings als etwas keiner Schwierigkeit unterliegendes und selbstverständliches voraus, daß, wenn meine bisherige Tätigkeit der Anerkennung durch die That und meine fernere Thätigkeit der Erhaltung werth scheint, der österreichische Kaiserstaat an seiner ersten Universität mich nicht ungünstiger stellen würde, als es Preußen an seinem geachtetsten Gymnasium thut.
Die Absicht dieser Mittheilung ist vielmehr, Euerer Excellenz das Gewicht der Gründe, die ich in Erwägung ziehen muß, unverhohlen darzulegen und um deren Würdigung zu bitten. Es handelt sich nicht um einen Antrag, wie deren leicht noch mehr erfolgen könnten, sondern um einen solchen, dessen Ablehnung zugleich eine unbedingte Ablehnung jeder Berufung außerhalb Österreichs für immer ist. Wenn ich einen so vertrauensvoll, so ehrend, so äußerlich günstig gestellten Ruf in mein Vaterland zurückweise, so liegt darin die thatsächliche Erklärung: ich finde mich an Österreich durch so feste Bande gebunden, daß jene Gründe nicht fähig sind, sie zu lösen. Nun kennt und würdigt man in dem nichtösterreichischen Deutschland – wahrlich ohne mein Zuthun – dasjenige, was ich hier gethan habe mehr, als in Österreich. Dem gegenüber weiß man nicht von irgend einer thatsächlichen Anerkennung meiner Bemühungen, sondern nur von thatsächlichen Beweisen der Unsicherheit meiner Stellung und einer durch Stillschweigen gebilligten oder doch ermuthigten Bekämpfung derselben. Euere Excellenz werden ohne weitere Ausführung erkennen, in welchem Lichte mein Verfahren erscheinen würde, wenn ich den mir gestellten Antrag ablehnte, ohne die Ablehnung durch die Hinweisung auf eine gesicherte und ehrenvolle Stellung motiviren zu können, als diejenige ist, in der ich mich gegenwärtig befinde. Ein solcher Schritt ließe sich nur durch eine entschiedene Abneigung gegen meine Heimath und die dortigen Verhältnisse erklären – ein Gedanke, dem ich in keiner Weise Raum zu gewähren wünschte.
Aus dem Dargelegten werden Euere Excellenz zugleich ersehen, unter welchen Voraussetzungen ich besonnener und ehrenhafter Weise den mir gewordenen Antrag ablehnen kann.
Was zunächst die definitiven Einrichtungen der Universität betrifft, so weiß ich sehr wohl, daß eine authentische Erklärung darüber im Augenblick noch nicht möglich ist. Ich kann daher nur fragen, ob Euere Excellenz selbst die feste Überzeugung haben, daß wenigstens im Bereiche der philosophischen Facultät nicht irgend eine wesentliche Änderung wird getroffen werden. Ich muß mir diese Frage erlauben, weil mit irgend einer derartigen Änderung meine Stellung hier factisch unhaltbar wird, so daß es besser ist, sie freiwillig aufgegeben zu haben, so lange es noch an der Zeit ist.
In confessioneller Hinsicht dagegen macht der Umstand, daß trotz meiner gewissenhaftesten Vorsicht vor der Übernahme und in der Führung meines Amtes, dennoch ohne meine Schuld meine Person zur Zielscheibe bestimmter Parteibestrebungen geworden ist, eine ausdrückliche Sicherstellung für mich nöthig. Ich bedarf in dieser Hinsicht einer authentischen Erklärung, daß wie auch die Verhältnisse der evangelischen Glaubensverwandten im allgemeinen mögen festgesetzt werden, meine Stellung als Universitätslehrer an hiesiger Universität gegen jeden Angriff aus confessionellem Grunde gesichert und in keinerlei Weise der meiner katholischen Collegen nachgesetzt ist oder künftig nachgesetzt werden wird.
Ebenso bedürfte ich in ökonomischer Hinsicht der ämtlichen Zusicherung, daß mein fester Gehalt dem der angetragenen Stellung gleichgesetzt würde.
Nur unter der Voraussetzung, daß meine Stellung nach den bezeichneten Richtungen in ehrender Weise rechtlich gesichert und finanziell verbessert wird, daß überdies, was bis jetzt allein möglich ist, die gegründete Erwartung Euerer Excellenz über die principiellen Universitätseinrichtungen Beruhigung gibt, bin ich in der Lage, den mich gerichteten Antrag ablehnen zu können, ohne spätere Reue besorgen zu müssen.
Nicht berührt habe ich hierbei den oben erwähnten Druck, der den „Ausländer“, d.h. den nicht aus Österreich gebürtigen Deutschen als solchen betrifft, deshalb, weil derselbe nicht aus dem Verfahren der Regierung, sondern aus der öffentlichen Meinung hervorzugehen scheint. Daß es nur so scheine, ist gewiß mehr als bloß eine subjective Ansicht, da dieses feindselige Treiben in Wirklichkeit sich von oben her ermuthigt glaubt. Indem die Regierung die Berufung von akatholischen Nichtösterreichern an Lehrstellen als eine Sache der Noth und des Dranges der Umstände zur Erreichung bestimmter Zwecke darstellt, betrachtet sie dieselben als Arbeitskräfte, die man hinzuzieht, weil man ihrer eben nicht entbehren kann; sie erweckt daher die Erwartung, daß dieselben Männer, die man jetzt im Drange der Noth verwendet, dann, wenn sie selbst durch ihre Thätigkeit sich entbehrlich gemacht und ihre Kräfte so weit aufgerieben haben, daß sie eine neue Lebensstellung sich nicht gründen können, als gleichgiltig und ausgenützt werden bei Seite geschoben werden. Ich kann nicht erwarten, daß hierüber Euere Excellenz eine wahrhaft beruhigende Versicherung zu geben vermögen; aber das glaube ich hoffen zu dürfen, daß Euere Excellenz, welcher die betreffenden Verhältnisse genau bekannt sind, die Folgen ernst erwägen wollen, welche daraus entspringen müssten, wenn mir eine Zuversicht in die Zukunft geboten würde, die sich zuletzt doch nur als eine neue schmerzliche Täuschung erwiese.
Das Vertrauen, dessen Euere Excellenz mich in bedeutenden Dingen gewürdigt haben, machte es mir zur Pflicht, diesen Gegenstand Euerer Excellenz vorzutragen, ehe ich durch eine bindende Rückantwort auf den Antrag einen entscheidenden Schritt gethan habe. Die Aufforderung zu baldiger Antwort, die mir gestellt ist, wird die ehrerbietigste Bitte rechtfertigen, Euere Excellenz wollen nach Überlegung der Sache, Ihre Äußerung nicht verzögern. Ich habe in vollster Offenheit alle diejenigen Seiten meiner hiesigen Stellung bezeichnet, die ich in solchem Falle gewissenhaft in Betracht ziehen muß. Die Überzeugung von dem wahrhaft edlen Charakter Euerer Excellenz, von der ich tief durchdrungen bin, macht es mir gewiß, daß diese offene Freimüthigkeit gewürdigt wird und daß ich als Erwiderung auf meine Fragen auch nicht ein Wort mehr werde zu hören bekommen, als Euere Excellenz mit unverbrüchlicher Sicherheit vertreten können. Ist es möglich, mir in allen den bezeichneten Richtungen volle Beruhigung zu geben, dann wird es mir zur innigsten Freude gereichen, dem Werke, dem ich unermüdet fast sieben Jahre hindurch meine gesammten Kräfte gewidmet habe, auch ferner mit gleicher Hingebung angehören zu können.

Genehmigen Euere Excellenz den Ausdruck der tiefsten Ehrerbietung, mit welcher sich zeichnet

Euerer Excellenz

unterthänigster
H. Bonitz

Wien, 30. Juli 1855