Hermann Bonitz äußert sich zur Reform der Gymnasien. Er möchte seine bereits mündlich geäußerte Kritik an den jüngsten Entwicklungen in der Reform der Gymnasien wiederholen und hofft, dass der Minister seine offenen Worte gnädig annehmen werde. Bonitz betont, dass die Reform der österreichischen Gymnasien aus dem Jahre 1849 auf jahrelangen Vorarbeiten fuße. Daraus entstand ein in sich geschlossener Plan, der sich an festen Prinzipien orientiere. Eines dieser Prinzipien war, dass Schule und Leben eng verbunden sein müssen, daher solle im Gymnasium gelehrt werden, was zum Wohl des Volkes gereiche. Ein weiterer Grundgedanke des Planes war, dass diese Gegenstände zur rechten Zeit in der rechten Ordnung gelehrt werden. Bonitz ist davon überzeugt, dass gerade diese Schlichtheit, aber auch diese Konsequenz den Plan auszeichne. Seit seiner vorläufigen Genehmigung wurde er im Ausland daher auch mehrfach anerkennend gewürdigt. Auch im Inland ist der Zuspruch von Eltern und Lehrern gewachsen. Und anders als viele andere hastig geplante Reformen der vergangenen Jahre wurde die Gymnasialreform auch sanktioniert. Nun findet sich jedoch in eben dieser kaiserlichen Sanktion der Satz, dass der Unterricht in Latein mit besonderer Sorgfalt erfolgen solle. Daher wurde am Untergymnasium alsbald der Unterricht für Latein auf Kosten der naturhistorischen Fächer vermehrt. Diese Änderung wurde zwar durch einen Ministerialerlass zurückgenommen, nachdem er, Bonitz, und andere dagegen protestiert hatten, aber seitdem habe sich darüber mehrfach Streit entzündet. Zudem richtete sich der Ärger meist gegen ihn persönlich anstatt gegen das Ministerium. Gleichzeitig wurden einige Punkte des Organisationsplans den Schulräten zur Diskussion gestellt, um sie in diesem Jahr zu beraten. Dadurch wurde aus seiner Sicht die Unsicherheit noch weiter gesteigert. In der Folge geht er auf einige Punkte ein, die einer Klärung bedürfen: So soll etwa der Stellenwert des Lateins genauer definiert und der Spielraum für Änderungen geklärt werden, da ansonsten Spekulationen Tür und Tor geöffnet werde. In diesem Abschnitt geht Bonitz auch auf die Frage ein, ob Latein als gemeinsame Sprache in der ganzen Monarchie eine Zukunft habe. Anschließend betont er die Wichtigkeit des Griechischunterrichts, da ohne dieses Fach das Lateinstudium ohnehin nur geringen Erfolg haben werde. Außerdem spricht er sich für die Beibehaltung der Naturwissenschaften und der Geometrie im Untergymnasium, sowie des Fachlehrersystems aus. Bonitz bittet Thun am Schluss daher noch einmal nachdrücklich, den Organisationsentwurf als Ganzes zu schützen und einen klaren Rahmen für mögliche Änderungen vorzugeben. Gibt man nämlich einen Eckpfeiler der Reform preis, seien sowohl der Plan als auch die Glaubwürdigkeit im Ganzen gefährdet.
Euere Excellenz!
Das Gespräch, zu welchem Euere Excellenz vor wenigen Tagen mich zu berufen die Gnade hatten, hat mich seit jener Zeit fortwährend auf das lebhafteste beschäftigt. Nicht bloß das Bedauern darüber, daß ich eine Mißbilligung von Euerer Excellenz in einem Falle erfahren mußte, wo ich für die von Euerer Excellenz selbst zur Anerkennung gebrachten Grundsätze eingestanden zu sein mir sagen durfte, sondern vornehmlich die Überzeugung, daß es sich um einen Gegenstand von unberechenbaren Folgen handelt, war es, was meine Gedanken stets wieder auf diesen Punct zurückführte. Ich weiß aus Erfahrung, daß Euere Excellenz ein freies unverhohlenes Wort, das aus reiflich erwogener, fest bewahrter Überzeugung hervorgeht, mit einer Huld anhören, welche die Erhabenheit der Stellung Euerer Excellenz nicht als beengende Fessel empfinden lässt; von mir darf ich versichern, daß in den mehr als zwanzig Jahren meiner öffentlichen Lehrtäthigkeit die allgemeine Aufgabe des Unterrichts stets Gegenstand meines Nachdenkens gewesen ist und die Erfolge, deren ich mich in meinem speciellen Unterrichte erfreuen durfte, wesentlich daher rührten, weil ich zugleich den Blick unverwandt auf das Ganze gerichtet erhielt; und daß ich in den neun Jahren, seit ich Österreich angehöre, der consequenten und unermüdeten Mitwirkung für das österreichische Gymnasialwesen jeden andern Wunsch, selbst den der Ausführung begonnener wissenschaftlicher Arbeiten, freudig opferte. Dieses Bewußtsein gibt mir den Muth, über die Wichtigkeit und die Gefahr der gegenwärtig bewegten Fragen im Gymnasialwesen noch schriftlich einige Zeilen an Euere Excellenz zu richten; vergeben Hochdieselben, wenn die Menge der Puncte, an die ich nothwendig erinnern muß, es mir unmöglich macht, das Ganze in wenig Worte zusammenzudrängen.
Der „Entwurf der Organisation der österreichischen Gymnasien“ ist nicht ein
Elaborat, das, wie es in Zeiten großer Bewegungen wohl zu geschehen pflegt, auf
einige – richtige oder unrichtige – Theoreme erbaut wäre, ohne Kenntnisse der
thatsächlichen Verhältnisse und ohne Rücksicht auf dieselben. Ein volles
Jahrzehnt vor der Arbeit an diesem Entwurfe hatten gewisse Mängel der damaligen
Einrichtung zu allgemeiner Anerkennung gebracht, in allen Ländern des
österreichischen Staates; auf allen Stufen der Behörden, die höchste
Unterrichtsbehörde eingeschlossen, in allen Kreisen des gebildeten Publicums.
Die vollständigste Kenntnis dieser Vorgänge war bei den Berathungen der
Organisation nicht allein Dank des Vorhandenseins der Acten aus dieser Zeit,
sondern noch viel wirksamer dadurch gesichert, daß derjenige Mann mit dem Entwurfe der Neugestaltung
beauftragt war, der Jahre lang schon an dem früheren Berathungen theilgenommen
hatte und deren Seele gewesen war. Daß aus der gewißenhaften Rücksicht auf die
sicher constatirten Mängel nicht ein wirres Allerlei von Abhilfen gegen jeden
einzelnen hervorgieng, sondern ein in sich zusammenhängender Plan, der einer
Neugestaltung auf dem bestehenden Grunde dienen konnte, dafür sorgte desselben
Mannes tiefe Einsicht und consequente Überlegung, welche nur noch von dem Adel
seines sittlichen Characters übertroffen wurde. So sind es denn bei der
vollständigsten Rücksicht auf das Bestehende und auf die historisch anerkannten
Mängel der nächsten Vergangenheit bestimmte Grundgedanken, welche den ganzen
Entwurf durchdringen. Schule und Leben, das ist der eine Grundgedanke, dürfen
nicht außer einander liegen; was die Entwicklung eines Volkes zu einem
wesentlichen Momente allgemeiner Bildung gemacht hat, das hat im Gymnasium sein
Recht. Indem das Gymnasium zu einer höheren allgemeinen Bildung nach dem
wissenschaftlichen Stande und Bedürfnisse der Gegenwart den Grund zu legen sich
zur Aufgabe macht, ist es für die verschiedenen auf höheren Studien namentlich
an der Universität beruhenden Berufsarten die gemeinsame Vorstufe. Es bringt
diesen Nutzen, obgleich, ja weil es ihn nicht als seine höchste Aufgabe
verfolgt; es dient jedem Stande, weil es sich keinem einzelnen zum Sklaven
macht. Jeder Unterricht, der nicht auf den bloßen Schimmer einer
Prüfungsleistung hinarbeiten, sondern seine Folgen über das ganze Leben
erstrecken will, kann nur allmählich von dem ersten Auffassen des
Thatsächlichen, Einzelnen zu dessen Sammlung, Combination, Begründung
fortschreiten, daß es so mit dem ganzen Gedankenkreise in unlösbare Verbindung
trete; das Versäumen der Zeit der ersten frischen Empfänglichkeit ist nicht
minder verderblich, als die Verstiegenheit in Allgemeinheiten von Worten, zu
denen den Hörenden und Nachsprechenden der Gedankeninhalt fehlt. Jener erstere
Gedanke führt zur Erwägung über Wahl und gegenseitige Abmessung der
Lehrgegenstände, dieser zweite zur Überlegung ihres naturgemäßen Lehrganges.
Beiderlei Erwägungen haben einen sittlichen Werth; denn nicht allein durch
Handhabung einer ernsten Disciplin und durch Einführung in die Lehre und den
Glauben der Kirche wirkt die Schule zur Bildung des sittlichen Characters,
sondern wesentlich auch dadurch, daß die rechten Gegenstände zur rechten Zeit in
der rechten Ordnung die geistige Thätigkeit des Schülers in Anspruch
nehmen.
Diese Grundgedanken tragen den gesammten Gymnasialplan; sie sind es,
welche Euere Excellenz, als ein segensreicher Entschluß Seiner Majestät das
Unterrichtswesen Österreichs in Dero Hände
legte, nach langer reiflicher Überlegung billigten und mit einer Ausdauer und
Energie durchführten, welche nur aus fester Überzeugung hervorgehen
können.
Ein Plan, der auf solchen Grundlagen ruht, konnte nicht durch irgend
welche Glanzpuncte bestechen; er konnte auch nicht, da er alle vorher
constatirten Mängel gleichmäßig in Betracht zog, von irgend einer Seite mit dem
Jubel, daß ihr recht gegeben sei, begrüßt werden. Geräuschlos wurde er zur
Wirksamkeit vorläufig zugelassen; auswärts ward seine Wichtigkeit nicht
verkannt; in Österreich selbst über den
sonstigen, äußerlich hervortretenden Veränderungen, die gleichzeitig vorgiengen,
kaum bemerkt; höchstens, daß ein paar öffentliche Organe es als
Höflichkeitspflicht betrachteten, ein Nachhall der von außen vernommenen Stimmen
der Anerkennung oder des Tadels zu werden.
Die innere Kraft, die eines
glänzenden ersten Auftretens nicht bedarf, hat sich durch den Erfolg bewiesen.
Während fast alle organischen Einrichtungen, welche das Jahr 1849 schnell
hervorgerufen hatte, längst verschwunden waren, hatten Euere Excellenz den Ruhm,
das gründlich Erwogene und unerschütterlich Vertheidigte durch kaiserliche
Sanction zum Gesetze erhoben zu sehen. Während man im außerösterreichischen
Deutschland sich gewöhnt hatte, die Unterrichtszustände
Österreichs mit einem mitleidigen
Lächeln selbstbewußter Überlegenheit zu betrachten, hat man sich, so schwer es
manchen ankam, entschließen müssen, deren Ebenbürtigkeit, ja in mancher Hinsicht
ihren Vorzug anzuerkennen. Während es endlich bei uns eine erklärbare, aber
beklagenswerthe Gewohnheit ist, das gesetzlich Bestehende, wenn man ja es kennen
zu lernen sich die Mühe nimmt, nicht mit patriotischem Stolze zu betrachten,
sondern mit kleinlicher Geringschätzung zu bekritteln, hat die Neugestaltung der
Gymnasien allmählich in dem Kreise gebildeter Eltern, die durch ihre Söhne an
der Einrichtung der Gymnasien ein nahes Interesse haben, sich Achtung
verschafft; Eltern aus solchen Ständen, die es sonst für unpassend gehalten
hätten, ihre Söhne öffentlich studieren zu lassen, schicken dieselben jetzt aufs
Gymnasium und sprechen dadurch nicht bloß in Worten, sondern in der That ihr
Vertrauen und ihre Achtung vor der jetzigen Einrichtung aus.
In jener
hochwichtigen kaiserlichen Sanction nun findet sich ein kurzer fast
unscheinbarer Satz:
„Der Ausbildung der Schüler in der lateinischen Sprache ist besondere Sorgfalt zuzuwenden.“
Aber
dieser Satz hat eine solche Elasticität, daß Bestrebungen und Einrichtungen,
welche mit dem Wesen der sancionirten Organisation unvereinbar sind, ihn zum
Panier nehmen können.
Eine solche Gefahr trat schon unmittelbar nach der
Ertheilung der kaiserlichen Sanction ein. Denn in dem unter dem 28. Dec. 1854 an
die Schulräthe zur Äußerung erlassenen Circulare (Gymnasialzeitschrift 1855, S.
162)1 war eine
Erhöhung der Stundenzahl für den lateinischen Unterricht vorgeschlagen, zwar an
sich von äußerst geringen Maße, aber zu solcher Benachtheiligung des
physikalischen Unterrichtes am Untergymnasium, daß dieser, unfähig gemacht etwas
brauchbares zu leisten, dann bald hätte ganz aus dem Untergymnasium weichen
müssen. Von Euerer Excellenz selbst in einer Audienz ermuthigt, ja aufgefordert
legte ich meine Gründe gegen den Vorschlage in einem Aufsatze dar,
Gymnasialzeitschrift 1855, S. 337–3692 (hieher gehört
besonders S. 364). In einem modificirten Circulare vom Mai 1855 wurde unter
ausdrücklicher Bezugnahme auf die von mehreren Schulräthen und von mir
vorgebrachten Gründe jene Benachtheiligung des physikalischen Unterrichts am
Untergymnasium aufgegeben, ebenso in der darauf erlassenen wichtigen Verordnung
vom 10. Sept. 1855, welche als vollständige Verwirklichung der kaiserlichen
Sanction zu betrachten ist. Die durch diese Verordnung festgesetzte Vertheilung
der Lehrstunden unterscheidet sich von der von mir vorgeschlagenen
(Gymnasialzeitschrift 1855, S. 367) nur dadurch, daß die eine der obersten
Classe des Gymnasiums zufließende Mehrstunde nicht, wie von mir, der
lateinischen Sprache, sondern (an katholischen Gymnasien) dem
Religionsunterrichte zugewiesen ist. Die Verringerung der Stundenzahl, welche
damals der naturgeschichtliche Unterricht erfuhr (gegen die unmittelbar
vorausgegangene Einrichtung von 11 auf 9 Stunden, gegen den ursprünglichen
Organisationsentwurf, von höchstens 10 Stunden – wenn man die der obersten
Classe bestimmten Gegenstände als rein naturhistorisch betrachtet – auf 9
Stunden) war durch die Erklärung einer wissenschaftlichen Autorität über
gewisse, nothwendig der Universität vorzubehaltende, vorher aber dem Gymnasium
zugedachte Partien der Naturgeschichte und war überdies durch das Verhältnis der
Stundenzahl für den naturhistorischen zu den für den physikalischen Unterricht
gerechtfertigt. Der Unwille, der demnach darüber bei manchen entstand, richtete
sich lieber gegen meine Person, als gegen das hohe Ministerium; in dem
Bewußtsein der Gründe, die ich redlich und ohne mir ein Wissen in fremdem
Gebiete anzumaßen ausgesprochen hatte, konnte ich es ruhig ertragen, daß darüber
privatim und in öffentlichen, selbst politischen Zeitungen bis noch vor kurzem
giftige Verunglimpfungen über mich ergiengen.
Die Benachtheiligung, welche
nach dem Inhalte des Circulares vom 28. Dec. 1854 dem physikalischen Unterricht
am Untergymnasium erwachsen sollte, aber in dem Circulare vom Mai 1855 und in
der Verordnung vom 10. Sept. 1855 wieder aufgegeben wurde, diese
Benachtheiligung ist nur der erste Keim derjenigen Änderungen, welche durch das
Circular des letztverflossenen Sommers den Schulräthen zur Äußerung vorgelegt
sind. Wenn Euere Excellenz die Vorschläge des Circulars von Dec. 1854 sammt den
von mir dagegen dargelegten Gründen mit den Vorschlägen des letzten
ministeriellen Circulars vergleichen; wenn Euere Excellenz dazu noch in Erwägung
ziehen, daß dieses letzte Circular im wesentlichen als ministerielles Programm
für die in diesem Jahre zu berufende Commission an die Schulräthe gegeben ist:
so werden Hochdieselben ermessen, warum mich dieser Vorgang mit der äußersten
Besorgnis erfüllt hat. Ich sehe durch jenen Schritt nicht nur den nach langer
Anstrengung Euerer Excellenz durch die kaiserliche Sanction
gewonnenen gesetzlichen Boden preisgegeben, sondern die Frage der
Gymnasien in eine viel größere und gefährlichere Ungewissheit
versetzt, als dies zunächst vor dem Erscheinen der
kaiserlichen Sanction der Fall war. Gestatten Euere Excellenz
huldvollst, daß ich auf einige Hauptpuncte in Inhalt und Form der Vorschläge
hinweise, um diese meine Überzeugung zu begründen.
1. Latein. Die Klagen
über die mangelhaften Richtungen der Gymnasien in Latein, welche in den
angeführten Worten des allerhöchsten Handschreibens die Bürgschaft ihrer
Berücksichtigung finden dürfen, richten sich, genauer betrachtet, nicht
eigentlich dagegen, daß das durch den Organisationsentwurf bezeichnete Ziel
dieses Unterrichts nicht erreicht werde oder selbst nach Besetzung aller
Lehrstellen mit gesetzlich qualificirten Lehrern nicht erreicht werden könnte,
sondern man sucht unverwandt ein anderes Ziel zu
substituiren. Die vormals erstrebte oder erreichte Geläufigkeit im Sprechen
eines „meist barbarischen Idioms“3 kann
oder will man nicht vergessen. Nicht eine Stimme unter jenen Klagen hat einen
wirklichen erheblichen Übelstand, die Beschränkung, welche die Lectüre im
Obergymnasium durch die eng bemessene Zeit unterliegt, auch nur einer gleich
starken Betonung gewürdigt. Man weist jetzt auf Preußen hin
(Aufsatz des Schulraths Král, 1858 Heft II )4, welches die Naturwissenschaften am
Gymnasium noch unter die früher geduldete Kümmerlichkeit hinabdrückt, Latein und Griechisch noch über das frühere Maß verstärkt; aber man
achtet nicht darauf, daß nach sicheren, unverhohlen kundgegebenen Indicien diese
Form der Gymnasien dort keine Haltbarkeit hat. Man beruft sich oft in dem Tone
des Patriotismus auf die Wichtigkeit, welche speciell für Österreich
das Latein habe. Vergeblich
habe ich bisher nach einer präcisen Formulirung des Inhaltes dieses für mich
geheimnisvollen Ausdruckes gesucht. Soll die Vielsprachigkeit Österreichs dem
Latein diese specifische Bedeutung geben? Das Band unter den Nationen
verschiedener Zunge im österreichischen Kaiserstaate für den amtlichen,
gesellschaftlichen, geschäftlichen, wissenschaftlichen Verkehr, kann nicht die
lateinische, kann einzig die deutsche Sprache sein. Oder soll
das Vorherrschen der römisch-katholischen Kirche der lateinischen Sprache diese
specifische Wichtigkeit geben? Für den Klerus Frankreichs und Italiens, ja für
den Mittelpunct der römisch-katholischen Kirche selbst, hat thatsächlich die
lateinische Sprache diese Bedeutung nicht, obwohl überwiegend von dem Klerus
eben dieser Länder die eingreifendsten Anregungen auf katholisch kirchlichem
Gebiete ausgegangen sind. Und zugegeben, daß die Bildung des Klerus dem Latein
eine unbedingt privilegirte Stellung zuzuschreiben fordere; die Erfordernisse
der Bildung eines Standes können nicht zur Beschränkung aller übrigen werden,
sondern können höchstens dazu führen, daß seine Fachbildung
schon um ein paar Jahre früher von der allgemeinen
Gymnasialbildung sich abzweige. Und sogar endlich zugegeben, dem Latein am
Gymnasium müsse allgemein eine fast schrankenlose Bevorzugung gegeben werden:
die Vorschläge des Circulars können nicht den Erfolg haben, die lebhaft
gewünschte stilistische Gewandtheit merklich zu fördern. Das Latein erhält mehr
Zeit da, wo es deren nach widerholten amtlichen Erklärungen nicht bedarf; und es
wird dagegen da, wo es eines Zuwachses von Stunden bedarf und ihn am
fruchtreichsten verwerthen könnte, durch die Last der mit einem Male in ganzem
Gewichte und ganzem Umfange eindringenden Realien erdrückt (Weiteres hierüber im
Aufsatz des Prof. Hochegger, 1858, Heft II ).5
Vor jedem Vorschlage über
das Latein muß die Erklärung vorausgehen, ob es bei dem durch den
Organisationsentwurf bezeichneten, durch die kaiserliche Sanction anerkannten
Ziele des lateinischen Unterrichts sein Bewenden hat. Das
Schweigen hierüber läßt sich, bei der Unklarheit, die in den Gedanken und
Wünschen auf diesem Gebiete herrscht und gepflegt wird, keineswegs als eine
Anerkennung des Verbleibens betrachten. Wird nicht durch ausdrückliche Erklärung
über diesen Punct Zweck und Grenze der möglichen Modificationen bestimmt
vorgezeichnet, so ist jeder Vorschlag nur ein unsicheres Flattern nach dem Winde
der eben am lautesten verkündeten Meinungen.
2. Griechisch. Das Lob, welches direct und indirect widerholt den
Leistungen der Gymnasien im Griechischen ertheilt ist, sollte mich insofern
erfreuen, als bereits nicht wenige unter den Lehrern des Griechischen Schüler
von mir sind. Aber ein Lob, das mit zur Rechtfertigung der Stundenschmälerung
dienen soll, hat einen zweideutigen Klang. Überdies, die Erfahrungen über die
mangelhaften Leistungen der Gymnasien im Griechischen, die ich in den
schonendsten Ausdrücken (Gymnasialzeitschrift 1855, S. 363) angesprochen, und
die damals thatsächliche Berücksichtigung durch die Belassung der damals schon
bedrohten Stundenzahl des Griechischen gefunden haben, sind durch nichts
widerlegt; sie sind auch dadurch nicht aufgewogen, daß Männer diese Leistungen
rühmen, von denen zweifelhaft ist, ob sie die Bedingungen eines elementaren
Wissens auf diesem Gebiete kennen und zu erkennen vermögen. Daß ferner eine
angebliche Pflege der lateinischen Philologie ohne eine entsprechende
gleichzeitige Pflege der griechischen Philologie zu keinen haltbaren Resultaten
führt, ist eine historisch sichere Thatsache; wird sie nicht beachtet, so darf
man dann wenigstens über die mit Sicherheit zu erwartenden Folgen, das
Verschrumpfen des Lateintreibens zu kümmerlicher Gestalt herab, nicht verwundert
sein.
3. Naturwissenschaften und Geometrie. Über die
innere Unzuläßigkeit des Gedankens, die Naturwissenschaften aus dem
Untergymnasium zu entfernen, ist so Gründliches geschrieben und von Euerer
Excellenz mit Beistimmung gelesen, daß ich in dieser Hinsicht nichts hinzufügen
darf. Auf eine äußerliche Folge aber möchte ich hinweisen, durch Erinnerung an
die Verhandlungen über das Studienwesen besonders seit dem Jahre 1840. Nachdem
acht Jahre für die Aufnahme der Naturwissenschaften schon in den unteren Classen
des Gymnasiums das Verlangen allseitig sich ausgesprochen hat und von der
damaligen höchsten Behörde als vollkommen begründet anerkannt ist; nachdem
andere acht Jahre lang dieser Unterricht unter der allseitig anerkannten
lebhaften Theilnahme der lernenden Jugend Aufnahme gefunden hat; soll genau nach
dem früheren Punct zurückgegangen werden – doch wohl um denselben Kreislauf, nur
in kürzerer Zeit, widerholt zu sehen, wenn man nicht vielmehr größere
Studienumwälzungen dadurch hervorruft. Daß die Entfernung der Physik selbst bei
manchen Lehrern eben dieses Faches Befürwortung findet, ist mir sehr wohl
bekannt. Es sind dies in der Regel dieselben Lehrer, die im Obergymnasium
vortragen, nicht unterrichten, und den Anspruch keiner anderen Disciplin
daneben, namentlich nicht der philologischen, anerkennen. Im Wissen des
Gegenstandes allein liegt noch nicht die Bürgschaft für ein
didaktisches Urtheil. Daß der Gymnasialunterricht in Geometrie namentlich am
Untergymnasium bisher wenig gelungen ist, kann Niemandem auffallen, der die
Vernachläßigung der Geometrie an den Universitäten und die
Beschaffenheit der für den geometrischen Unterricht am Untergymnasium
verwendeten Lehrmittel betrachtet. Es wäre sehr schmerzlich, wenn nunmehr, wo
aus der einsichtig benützten Praxis selbst zuerst ein schätzenswerthes
Lehrmittel hervorgegangen ist (von Gernerth6)
auf Grund des sehr erklärbaren anfänglichen Mängel der natürliche Gang des
Unterrichts aufgegeben werden sollte.
4. Fachlehrer,
Classenlehrer. Es ist in den Vorschlägen noch nicht angesprochen, aber
es ist eine nicht zu vermeidende Consequenz derselben, daß man im Untergymnasium
zum Systeme der Classenlehrer zurückkehrt. Die Erfolge, welche bisher von dem
Grundsatze der Abgrenzung bestimmter, innerlich zusammenhängender Wissensgruppen
für die Qualification der einzelnen Lehrer und für deren Verwendung nur
innerhalb dieser Gruppe in Erfahrung gebracht sind, darf man noch nicht als
reine Ergebnisse des Grundsatzes selbst betrachten. Mannigfache Umstände haben
bisher dahin gewirkt, unter den Lehrern derselben Classe die unbefangene
Verständigung, das ideale Band der Einheit statt der vorherigen persönlichen
Einheit zu erschweren, ja fast unmöglich zu machen. Die Erfolge des Systems der
Classenlehrer leben noch in der Erinnerung vieler Zeugen. Mit einem Schritte
dieser Art werden die Gymnasien in der für Schulanstalten keineswegs
gleichgiltigen Wertschätzung des nachdenkenden Publicums unter die Realschulen herabgesetzt.
5. Denkschrift
zur Erwirkung der allerhöchsten Sanction der gegenwärtigen
Gymnasialeinrichtung. Zur Rechtfertigung des Organisationsentwurfs ist
im Jahre 1853 oder 1854 auf Euerer Excellenz Befehl eine Denkschrift
ausgearbeitet worden zur Überreichung an Seine k.k. apostolische Majestät, an
die Mitglieder des hohen Reichsrathes und an die Herren Minister. Ich weiß von
dem Inhalte dieser Denkschrift nur im allgemeinen aus damaligen gelegentlichen
Äußerungen ihrer Bearbeiter, daß sie den Zusammenhang der neuen Organisation mit
den vorhergegangenen Einrichtungen, Wünschen, Vorschlägen und die Erfahrungen
über die bereits erreichten Erfolge der neuen Einrichtungen darlegte. Aber es
haben mir Männer, denen jene Denkschrift von Mitgliedern des Reichsrathes mit
der Aufforderung zum Durchlesen gegeben war, Stellen aus derselben wörtlich
angeführt, welche, ein Zeugnis über die Erfolge des naturwissenschaftlichen und
geometrischen Unterrichts im Untergymnasium enthaltend, mit Äußerungen in den
Motiven der Vorschläge vom letztverflossenen Sommer in directem Widerspruche zu
stehen scheinen. Es bedarf gewiß keiner weitern Ausführung, welche Folgen von
solchem Widerspruche zu besorgen sind; mit der Stichhaltigkeit der Begründung
der Sanction wird diese selbst in Frage gestellt. Dies führt mich zugleich auf
den letzten Punct:
6. Die Commission des Jahres 1858.
Eine Commission, berufen dazu „etwaige Verbesserungen“ des gesetzlich
bestehenden Lehrplanes auf Grundlage der gemachten Erfahrungen in Antrag zu
bringen, kann segensreich wirken zum Ausbau der Unterrichtseinrichtungen, wenn
die Grundsätze, die festzuhalten sind, die Grenzen, in denen sich die Anträge zu
bewegen haben, fest bestimmt sind. Wo dies nicht der Fall ist, taugt eine
Commission zum Zerstreuen und Zerstören, nicht zum Aufbauen. Einen Plan
entwerfen kann nur Einer oder sehr wenige, die in der engsten
geistigen Harmonie sich gegenseitig ergänzen und als gegenseitige Ergänzungen
sich anerkennen. Aber in dem Fall, einen neuen Lehrplan statt
des gegenwärtigen zu entwerfen, wird sich, gegen die ursprüngliche Absicht ihrer
Einberufung, die Commission des Jahres 1858 versetzt sehen. Das ministerielle
Circular, zur Vorbereitung der Commissionsarbeiten bestimmt, lobt die Grundsätze
des Organisationsentwurfes und hebt sie zugleich in wesentlichen Theilen auf, es
erschüttert den gesetzlichen Boden, ohne einen andern zu geben oder geben zu
können. Unterdessen wird bis vor der Einberufung der Commission der seit fast
einem Jahre vorbereitete, jetzt seinem Abschluße nahe, von dem Inhalte des
ministeriellen Circular wesentlich verschiedene neue Gymnasialplan des
Episcopates Seiner Majestät unterbreitet werden und direct durch amtliche
Mittheilung oder indirect durch sein Bekanntwerden auf die Berathungen der
Commission einwirken. In solchem Gewirre mannigfacher Vorlagen, nicht gehalten
durch feste Grenzen des Gesetzes, werden die Arbeiten der Commission, welcher
durch das allerhöchste Handschreiben vom Dec. 1854 eine hohe Bedeutung gesichert
ist, und mit ihnen das Wohl und Wehe der Gymnasien, dem Zufall
preisgegeben sein. Dies der Grund, warum ich auf die durch das
allerhöchste Handschreiben der Commission vorgezeichneten Grenzen mit dem vollen
Nachdruck hingewiesen habe, zu welchem das Interesse für die österreichischen
Gymnasien mich antrieb.
Wenn Euere Excellenz huldvollst die Geduld gehabt haben, denjenigen Erwägungen,
die ich im obigen anzudeuten versuchte, Dero Aufmerksamkeit zu schenken, so
werden Hochdieselben ermessen, warum mich der durch das Circular des
verflossenen Sommers gethane Schritt mit banger Sorge erfüllt hat. Mir diese
Sorge einzuflößen kommt zu der thätigen Theilnahme an dem Gedeihen der
österreichischen Gymnasien, welche anzuerkennen Euere Excellenz immer die Gnade
gehabt haben, noch die aufrichtige Ergebenheit für Euere Excellenz selbst. An
den Namen des Herrn Grafen Thun knüpft sich die wohlbegründete Dankbarkeit des
Vaterlandes für die tiefe Einsicht und die überzeugensfeste Energie, durch
welche das Unterrichtswesen einen großartigen, Früchte bereits tragenden, noch
größere versprechenden Aufschwung gewonnen hat. Es ist
möglich, daß das reiflich überlegte, bisher glücklich gepflegte Werk
dem von irgend einer fremden Seite dagegen gerichteten
Angriffe für den Augenblick unterliegt. Durch eine solche Niederlage schwände
nicht das dankbare Vertrauen zu Euerer Excellenz, nicht die Möglichkeit, das
augenblicklich verlorene bald wieder herzustellen. Zerfiele dagegen das Werk
durch eigene Unsicherheit, durch Mangel an innerer
Folgerichtigkeit der Unterrichtsbehörden selbst, den die verschiedenen Gegner
jeder zu seinem Zwecke ausbeuten würden, so wäre das Vertrauen allgemein
geschwunden und der Zufall unberechenbarer Umstände begönne sein gefährliches
Spiel.
Nicht um Euere Excellenz über einen nun einmal gethanen Schritt mit
unnützen Klagen zu behelligen, habe ich um Dero geneigte Aufmerksamkeit gebeten,
sondern um darzuthun, warum ich durch denselben ein segensvolles und ruhmreiches
Werk Euerer Excellenz in die größte Gefahr gebracht finde. Wenn Euere Excellenz
selbst sich überzeugen, daß durch jenes Circulare zu allen
sonstigen Schwierigkeiten noch eine selbstgeschaffene Gefahr hinzugekommen ist,
so wird es – ich hoffe zuversichtlich – noch möglich sein, durch einen
entgegengesetzten zweiten Schritt die Gefahr zu mindern oder zu beseitigen,
nämlich durch ein nachträgliches ministerielles Programm, das, ohne den
Grundsätzen des Organisationsentwurfes irgend Eintrag zu thun, den begründeten
und schon in dem allerhöchsten Handschreiben berücksichtigten Wünschen
vollkommen Rechnung trägt. Nur eine solche in naher Zeit erfolgende Erklärung
würde im Stande sein, der Aufregung, ja ich muß es so nennen, der Agitation
gegen den gesetzlich bestehenden Lehrplan ein Ziel zu setzen und die Grenzen zu
bezeichnen, innerhalb deren sich die Commission mit Erfolg
bewegen kann. Wenn es als anerkannt betrachtet wird, daß Mängel in den Erfolgen
des lateinischen Unterrichts sich nur durch Erhöhung der Stundenzahl beseitigen
lassen – aber Erhöhung an der Stelle, wo der Unterricht ihrer bedarf und sie
verwerthen kann – so ist durch eine solche Änderung der
Organisationsentwurf nicht bedroht, sondern nur vollständiger in Ausführung
gebracht; ein gleiches gilt von der Sicherung des geographischen Unterrichts
ohne Erhöhung seines Zieles. Wenn dagegen die Naturwissenschaften und die
Geometrie aus dem durch die allerhöchste Sanction ihnen gesicherten Rechte
verdrängt und zu einem kümmerlichen Scheinleben herabgesetzt werden sollen: so
ist hierdurch das Wesen der gegenwärtigen Organisation aufgehoben, ohne daß hierzu in der allerhöchsten Sanction ein Anhaltspunct gegeben
und ohne daß es möglich wäre, die erschütterten Grundfesten durch etwas anderes
zu ersetzen. Daß es möglich ist, für die erstere Seite förderlich zu wirken,
ohne in die andere vernichtend einzugreifen und ohne doch die Gesammtzahl der
Stunden bedeutend zu erhöhen, ist meine feste Überzeugung, die zu begründen ich
stets bereit sein würde.
In tiefster Ehrerbietung
Euerer Excellenz unterthänigster
H. Bonitz
Wien 4. Feb. 1858