Der Kunsthistoriker Rudolf Eitelberger äußert sich zu Entwicklungen
in der Philosophie im Allgemeinen und über die Philosophien von Karl
Krause und Heinrich Ahrens im Besonderen. Rudolf Eitelberger
verteidigt darin Ahrens gegen diverse Anschuldigungen. Eitelberger
wünscht sich, dass man Ahrens von Seiten des Ministeriums
verteidige, weil der Angriff auf ihn als ein grundsätzlicher Angriff
auf die Philosophie gedeutet werden müsse. Eitelberger geht dann auf
die Situation der Philosophie im Allgemeinen ein: Seit der
Reformation sei die Philosophie zu einer Wissenschaft der Laien
geworden, während die Theologen – anders als bis dahin – seither
keine besonderen philosophischen Leistungen erbracht hätten. Dann
skizziert er einige grundlegende Entwicklungen der Philosophie in
England und Frankreich. Anschließend geht er auf Deutschland ein.
Beginnend mit Kant sieht er dort eine Hochphase der Philosophie.
Eine ähnliche Blüte der Philosophie habe es nur im antiken
Griechenland gegeben. Eitelberger berichtet dann über verschiedene
Kritiker von Ahrens Philosophie. Diese kämen besonders aus Belgien
und Italien. In Belgien erschienen in den 1830er Jahren mehrere
Artikel gegen Ahrens in der Revue de Bruxelles, in Italien war es
insbesondere der Professor für Philosophie an der Universität Padua,
Angelo Bigoni, der Ahrens einer strengen Kritik unterzogen habe.
Eitelberger ist jedoch der Ansicht, dass weder die belgischen
Autoren noch Bigoni Ahrens richtig verstanden hätten, wenn sie ihn
etwa als Pantheisten bezeichneten. Aus der Sicht von Eitelberger
zeige die Kritik von Bigoni überdies, dass es in Italien schlecht um
die Philosophie bestellt sei. Grundsätzlich, so glaubt Eitelberger,
sei die Philosophie aber wieder in einem allgemeinen Aufschwung
begriffen, besonders die Anregungen durch die Naturwissenschaften
böten neue Herausforderungen.
Zuletzt geht Eitelberger auf den
Unterricht der Geschichte der Philosophie in Österreich ein.
Eitelberger sagt, dass die Studenten die Lehr- und Lernfreiheit mit
Freude aufgenommen haben und nun die Hoffnung vorhanden sei, dass
Österreich zu einem wahren Kulturstaat werde. Er glaubt außerdem,
dass durch die Aufhebung der Zensur und die Lektüre von
philosophischen Werken im Verborgenen die Gefahr gebannt wurde, dass
die Jugend durch schlechte Lehren verführt werde.
Ahrens, die Revue de Bruxelles und Dr. Bigoni
I.
Ahrens kann nicht beurtheilt werden,
ohne daß zugleich ein Blick geworfen wird auf das System Krause’s, dem Ahrens huldigt, und auf den gegenwärtigen
Stand der deutschen Philosophie und der Philosophie überhaupt.
Was letztere
anbelangt so dürfte der Stand derselben in Kürze gesagt folgender sein. Seit
Baco von Verulam, Descartes und Spinoza ist die Philosophie eine Laien-Wissenschaft geworden.
Die Spaltungen, welche im Schoße der katholischen Kirche im 15ten und 16ten
Jahrhundert eingetreten sind, die Verflachung der Theologie, und in Folge
derselben der Umstand, daß die Theologen sich von den großen geistigen Kämpfen
auf dem Gebiete der Wissenschaft fast ganz zurückgezogen haben – mit Ausnahme
derer, welche gegen diese negativ – d.h. ihre Resultate bekämpfend aufgetreten
sind – alles dieses hat dazu beigetragen, daß die Philosophie im Ganzen und
Großen den Charakter einer Laienwissenschaft angenommen hat. Das ist eine,
ebenso unzweifelhafte, als für die Beurtheilung des gegenwärtigen Standes der
Philosophie wichtige Thatsache. In England hat sich die
Philosophie auf der von Baco
vorgezeichneten Lehre fortbewegt und in Übereinstimmung mit der Denkungsweise
des Volkes und den Institutionen des Landes, entweder die mit den
Naturwissenschaften verwandten Zweige der Philosophie gepflegt, oder Ethik,
Psychologie oder andere Theile der praktischen Philosophie im Sinn des
Sensualismus und auf den Prinzipien der Induktionslehre ausgebildet. In der
Gegenwart hat die Induktionsmethode ein hervorragendes Talent John Mill vielseitig behandelt, und mit
seiner Lehre auch in Deutschland, unterstützt durch Freiherr von Liebig auf manchen Hochschulen
Eingang gefunden.
Die Naturwissenschaften, welche mit ihrer Methode auf die
Bildung des Verstandes einen bedeutenden Einfluß auf die jetzige Generation
ausüben, kommen der Verbreitung von John
Mills Lehre sehr zu Statten.
Anders war in
Frankreich, anders in Deutschland die
Entwicklung der Philosophie. Die starre Centralisation im Staatswesen Frankreichs unter der Herrschaft Louis des XIVten, der Einfluß der Staatsgewalt
auf die Wissenschaft hat im verflossenen Jahrhundert diese, soweit sie
Philosophie ist, weit weggeführt von jenen Lehren, auf welchen die ächten
Philosophen zu allen Zeiten gewandelt sind. Ihr Blick war einst mehr nach
Aufwärts gerichtet, nicht nach Erforschung der Gesetze, welche die weise
Vorsehung in die sinnliche und geistige Welt gelegt hat, und welche die Bahnen
der gesammten Weltordnung bilden. Philosophen und philosophisch gebildete
Geister haben, die Bahn des Forschens verlassend, sich zu einem Kampfe mit der
Staatsgewalt aufgefordert gefühlt, der für den Staat ebenso verderblich werden
sollte, wie für die Philosophie als Wissenschaft. So wenig die Herrscher
Frankreichs ein höheres sittliches
Gesetz anerkennen wollten, ihr individuelles Ich und die Omnipotenz des Staates
in den Vordergrund stellten, ebenso wenig haben die Philosophen das Walten einer
höheren Weltordnung anerkannt, sie haben auf Grundlage ihrer Subjektivität eine
neue staatliche Ordnung der Dinge proklamiert, die Philosophie Frankreichs bot das Schauspiel von frei und
schrankenlos waltenden Geistern, die unmittelbar in das Leben eingriffen. Die
Philosophie als Wissenschaft ging dabei unter.
Anders gestaltete sich die
Philosophie in Deutschland. Die Deutsche Nation, welche durch
viele Jahrhunderte hindurch auf dem Gebiete der Poesie, der bildenden Kunst, und
der Philosophie glänzende Proben eines wissenschaftlichen Ernstes oder einer
tieferen Weltauffassung gegeben hat, trat im verflossenen Jahrhundert nach dem
Wirken Leibnitz, nach dem
Aufschwunge der Literatur durch Lessing, Herder, Winkelmann u.a.m. in das Stadium philosophischer Reife. In
ununterbrochener Reihe treten von 1780–1830 Denker auf, durch welche die
Philosophie als Laienwissenschaft ihren Höhepunkt erreichte. In der Geschichte
der Philosophie kennt man nur Eine Epoche, die sich, was die Größe und den
Reichthum von Philosophen anbelangt, mit der deutschen Philosophie der
bezeichneten Epoche vergleichen ließe, das ist die Zeit von Anaxagoras bis Aristoteles bei den Griechen. In diese philosophische Bewegung
der Geister fällt Krause, vor und neben ihm wirkten in erster Linie Kant, Fichte, Schelling, Hegel und Herbart, in zweiter Jakobi, Oken, Steffens, Wagner, Schleiermacher, Baader, Adam
Müller, Haller,
Günther, und Stahl. Krause’s Wirksamkeit fällt
in die ersten Jahrzehnte dieses Jahrhundertes. Geboren zu
Eisenach 1781, lebte und wirkte er vorzugsweise zu
Göttingen und München, wo er
arm und dürftig 1832 starb. (Anmerkung: Seine vorzüglichsten Schriften sind. Das
Urbild der Menschheit 1811 (1819)1, Anleitung zur Metaphysik, 18042; das Naturrecht 18283; Logik, 1828; Vorlesung über
die Grundwahrheiten der Wissenschaft, 18294.) Seine Philosophie steht
in näherer Beziehung zu Schelling, Oken und
Hegel, als zu
Kant, Jakobi und Herbart. Dies hat mit dazu
beigetragen, daß jene Schriftsteller, welche in die Differenzen der drei Systeme
einzugehen nicht im Stande sind, wie die Herren Dr. Bigoni, Dr.
Giorgi und die Verfasser der Artikel in der Revue de Bruxelles,
die Vorwürfe, welche mit Recht oder Unrecht gegen Schelling und Hegel erhoben werden, auch
gegen Krause und
Ahrens schleudern. Wie es in dem
politischen Leben gewisse Schlagwörter giebt, die von jenen welche auf der
Heerstraße des öffentlichen Lebens gedankenlos wandeln, ununterbrochen im Munde
geführt werden, so haben sich auch in der Literatur aus dem philosophischen
Denken heraus eine Menge von Schlagwörtern gebildet, die sowohl von denen
benützt werden, welche die Philosophie und ihre Resultate nur als eine
Angriffswaffe gegen das Christenthum betrachten, als von denen, welche aus
wirklichem oder angeblichem Eifer für das Christenthum gegen die Philosophie als
solche einen ununterbrochenen Kampf führen. Zu den Schlagwörtern der letzteren
gehören vorzüglich die vieldeutigen Worte Rationalismus, Pantheismus u. a. m.,
von denen insbesondere Dr. Bigoni
reichlichen Gebrauch zu machen nicht ansteht. Und mir scheint, nach reiflicher
Überlegung aller Umstände, daß jedem der bestehenden philosophischen Systeme in
viel höherem Grade der Vorwurf des Rationalismus oder Pantheismus gemacht werden
kann, als dem Krause’s – außer man nimmt Rationalismus und Pantheismus in
einem Sinn, daß jede Philosophie als Laienwissenschaft darunter verstanden
werden kann. Zu demselben Resultate kommt man, wenn man die moderne Philosophie
von dem Standpunkte irgend einer Dogmatik (sei es nun katholisch oder
lutherisch) misst, dann wird sie mit leichter Mühe als Pantheismus oder als
Rationalismus verurtheilt werden.
Ob ein solches Verfahren gegen die
Philosophie, dem Staate, der Kirche, der menschlichen Kultur überhaupt zum Heile
gereiche, liegt ferne, hier beurtheilt zu werden. Es ist begreiflich, daß
katholische Dogmatiker wünschen, es möge die Philosophie den Charakter einer
Laienwissenschaft verlieren, es ist begreiflich, daß ihr Wunsch sich noch auf
andere wissenschaftliche Disziplinen, als Geologie, Geschichte, etc. ausdehne;
es ist der Wunsch begreiflich, daß die Philosophie wieder von katholischen
Theologen (protestantische Theologen haben ununterbrochen Philosophie getrieben
als: Schleiermacher,
Daub, Marheineke, Schwegler) mehr und mit besserem Erfolge
betrieben werde, als es gegenwärtig der Fall ist, es ist gar kein Zweifel, daß
die Theologie und die katholische Kirche großen Nutzen von einer solchen
Thätigkeit ihrer Glieder ziehen würde, aber Thatsache ist, daß in diesem Momente
es keine nennenswerthen katholischen Philosophen oder vielmehr philosophierende
Theologen giebt, und daß diese, wenn sie nur einigermaßen aus den hergebrachten
scholastischen Formen herausgetreten, von Rom selbst
desavouiert worden sind, oder nahe daran sind, es zu werden. Alle Versuche, die
der Art gemacht worden sind, haben die bestehende Scheidelinie zwischen
Theologie und Philosophie, welche durch den Proceß der Wissenschaft festgestellt
sind, verschoben, und mir scheint, daß von einer solchen verworrenen und
verwirrenden Auffassung der Philosophie und Theologie, von einer solchen
Zwitternatur, die weder Theologie noch Philosophie, der Staat und die Kirche
einen größeren Schaden empfindet, als von einer Philosophie, wenn sie nach
strengen und rein wissenschaftlichen Prinzipien gelehrt wird. Eine solche
Philosophie ist – wenn auch nur als Gymnastik des Geistes betrachtet, von
unberechenbarem Erfolge. In Deutschland hat diese alle
anderen Wissenschaften gehoben und geläutert.
Um nun zu Krause zurückzukehren, so
muß bemerkt werden, daß das Leben dieses Denkers ein stilles, bescheidenes, in
sich gekehrtes war. Er entging glücklicher Weise den Augen einer die Philosophie
zu ihren Staatszwecken ausbeutenden Staatsgewalt im Norden
Deutschlands, seine Lehre wurde nicht, wie die
Hegels und
Schellings als
Staatsphilosophie proklamiert, deswegen auch nicht als Staatsphilosophie
verdammt. Dazu kam, daß Krause in seinen Schriften eine schwerfällige Sprache schreibt,
daß seine Terminologie nicht viel einfacher und verständlicher ist, als die
berühmten oder vielmehr ihrer Unverständlichkeit wegen berüchtigten
Terminologien Hegels
und Schellings; daß er
von seinen Schülern einen so strengen Grad von Gesittung und Gesinnung
verlangte, daß während seinem Leben nur einige von seiner Lehre Notiz nahmen,
und diese nur in kleinen Kreisen Anhänger erwarb. Erst seine Schüler: Lindemann, Leonhardi, Röder und Ahrens (Lindemann, Lehre vom Menschen
18445; Anthropologie 18486; Röder, Rechtslehre 18467; Ahrens Psychologie und
Naturrecht (trak. in französischer Sprache)8 haben sie
in weiteren Kreisen bekannt gemacht. Insbesondere sind es die beiden
letztgenannten, welche durch ihre Gabe einer verständlichen und glänzenden
Sprache dem System Krauses Anerkennung verschafft haben, Röder in Heidelberg, Ahrens in Göttingen,
Belgien und Frankreich. (Es sei mir
erlaubt aus meiner allerdings kurzen Erfahrung über die Geistesrichtung der
hiesigen Juristen zu bemerken, daß Ahrens unter den jüngeren und vorzugsweise unter den besseren,
christlich denkenden Juristen zahlreiche Anhänger hat, die sich von der
Gefühlswärme und dem idealen Schwunge des Ahrens natürlich mehr angezogen fühlten, als durch die kühlen
rationalistischen rechtsphilosophischen Prinzipien von Edlauer, Pachmann etc.)
Krause’s System steht dem
Hegel'schen insofern direkt gegenüber, daß bei ihm das pantheistische Prinzip
verschwindet und der bloß negative Begriff der Persönlichkeit aufgegeben wird.
Sein Standpunkt ist kein pantheistischer, sondern ein theoretischer, sein
Prinzip (und selbstverständlich das seiner Schüler) „sei gottinnig und ahme Gott
im Leben nach“. Sollten Euer Excellenz wünschen, diese Hauptpunkte in Krause’s
Lehre, durch wörtliches Citat aus seinen Werken nachzuweisen, so stehe ich
bereit dazu. Sie finden sich ausführlich in den „Grundwahrheiten der
Wissenschaft“ p. 533–542; Urbild der Menschheit p. 330 u. a. Werken mehr.
In
seinem Naturrecht (die Grundlage des Rechts erschien 1803, das System selbst
1828)9 geht Krause von dem bloß formalen Standpunkte, auf dem Dr. Giorgi und Dr. Bigoni stehen bleiben, von dem
Standpunkte Kants, auf eine positive
Bestimmung über; er bezeichnet die Idee des Rechtes „als das organische Ganze
aller äußeren Bedingungen des vernunftgemäßen Lebens oder der Vernünftigkeit“
noch weiter in der, wie mir scheint, sehr lobenswerthen Richtung geht Ahrens. Das allerdings hat letzterem den
Hass der Rechtsgelehrten zugezogen, die es gewissermaßen als einen Eingriff in
ihr Handwerk betrachten, wenn irgend ein anderes Menschenkind, ohne Zuhülfenahme
der Digesten, Pandekten und des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches, gar nur
ein Philosoph zu bestimmen sich erlaubt, was Recht ist. Als ob des Recht nur
durch und nicht trotz der rechtsgelehrten Herren in die Welt gekommen
wäre?
Nach Krause
ist es die göttliche Schöpferthat, wodurch Gott mit Freiheit und bewusstem
Willen jedem endlich selbstbewussten Wesen das ihm Gute, seine ewige endliche
Bestimmung, ihm einlebt, und auch in den von Außen ihm stammenden
Lebensbedingungen das Sein ihm einverleibt. Jenes innerlich Gute jedes Wesens,
die ewige Bedeutung, die jedem Einzelwesen im Organismus der göttlichen
Weltordnung zukommt, ist sein inneres, die Gesammtheit dieser äußerlichen
Bedingung, sein äußeres Recht, Gott der Urgrund, wie der reale Hervorbringer der
beiden in der unendlichen Zeit. Gott ist die ewige (Welt-)Gerechtigkeit.
Der
jüngere Fichte hat nicht
Unrecht, wenn er die durch Krause angebahnte Richtung der Reichsidee, die „tiefste
Auffassung“ nennt, welche von Recht überhaupt gewonnen geworden ist. Auch darin
hat Fichte junior Recht, daß
Krause’s System,
keine Schule in dem Sinn gebildet hat, wie Hegel, Günther etc. die [?] auftritt, als Koterie
in der Wissenschaft erscheint – es ist dies ein Vorzug des Systems, das anregend
auf die Wissenschaft gewirkt hat, und noch wirken wird.
Krause ist bei einer bloß
theoretischen Auffassung einzelner Theile der Philosophie nicht stehen
geblieben. Ihm war die Philosophie nicht bloß eine Aufgabe für das Denken,
sondern auch für das Leben, sie sollte den Menschen nicht bloß klüger und
verständiger, sondern auch frommer und besser machen. Diese seine „Lebenslehre“
hat Krause in
mehreren Werken entwickelt, in seiner „Philosophie der Geschichte“ seinem
„Urbild der Menschheit“ u. a. m. Hier zeigt sich im vollsten Maaße sein
theocentrischer, fast theosophisch-mystischer Standpunkt. Diese Werke voll
idealen Schwunges und edler reiner Auffassung. Er schildert in den verschiedenen
Lebensaltern die höchsten Aufgaben der Menschheit, und findet die „Hochzeit des
Menschheitlebens“ in dem jedes geistige Dasein seinen Culminationspunkt zu
erreichen vermag, in der Möglichkeit der höchsten und tiefsten individuellen
Einigung mit Gott. Diese Richtung, die sich in seinen Schülern abgeklärt hat,
ist nicht frei von Schwärmerei. Sie steht nicht inmitten christlicher Ekstase,
christlicher Mystik, wie es bei manchen Denkern des Mittelalters der Fall war,
sie betrachtet „den Platonismus wie das Christenthum“ nur als Vorstufe jenes
Zeitpunktes. In dieser Beziehung ist Krause’s Lehre nicht
positiv, in dieser Beziehung kann man sie auch rationalistisch nennen; – aber
wie gesagt so weit und noch mehr ist es jede andere Philosophie. Die gesammte
Philosophie wird aber dagegen protestieren, auch das System rationalistisch zu
nennen, was bis zur Theosophie und Mystik sich steigert.
Auf einen Punkt in
Krause’s Lehre
erlaube ich mir hinzudeuten, der, wenn er den belgischen und italienischen
Anklägern des Ahrens bekannt gewesen
wäre, sicher zu Diatriben aller Art Anlaß gegeben hätte.
Krause theilt mit J.J. Wagner (einem in
Österreich wenig bekannten aber höchst geistvollen Denker
(geb. 1775 gest. 1841) die von Fichte heruntergekommene Vorliebe für Versuche zur Verbesserung
des Menschengeschlechtes, für sogenannte sozialistische Ideen. Der Gedanke eines
philosophischen Menschheitsbundes schwebte Krause vor, ein Gedanke,
den er nicht bloß in seinem Werke „das Urbild der Menschheit“, sondern auch in
seinem Werke „die drei ältesten Urkunden der Freimauer-Bruderschaft,
mitgetheilt, bearbeitet, und in einem Lehrfragmente urvergeistigt. Dresden
1819–21“10 weiter ausspinnt. Zur
praktischen That ist aber dieser Gedanke weder bei dem stillen Denker Krause, noch bei einem
seiner Schüler – meines Wissens nach – geworden.
Was nun die Schriften des
Ahrens betrifft, so sind mir
durch eigene Lektüre nur sein Naturrecht in der deutschen Übersetzung von
Wirk und dann die in
Wien erschienen Werke bekannt, die sich insbesondere
durch Verständlichkeit des Ausdruckes und Wärme der religiösen Überzeugung
auszeichnen. Von den Schriften gegen Ahrens habe ich nur die französischen und die italienische des
Dr. Bigoni benützt.
Giorgi’s Werk liegt mir in jeder
Beziehung zu fern, es ist nur für Jesuiten und von einem Jesuiten, und nach
allgemeinem Urtheile ohne Erheblichkeit.
Ich beginne mit der Revue de
Bruxelles:
II.
Die Revue de Bruxelles
Die Revue de Bruxelles Jahrgang 1838 et 39 bringt zwei verschiedene Artikel über
Ahrens, die sich sämmtlich und
ausschließlich mit dem Werke von Ahrens „Cours de Psychologie. 2 vol. 8. 836 et
838“ beschäftigten, ausschließlich die Frage behandeln „ist Ahrens Pantheist
oder nicht“ von zwei verschiedenen Verfassern herrühren.
Im Jännerheft des
Jahrgangs 838 der genannten Revue ist ein anonymer Artikel, von dem die
Redaktion behauptet, daß nur Bescheidenheit den Verfasser bestimmt habe, seinen
Namen nicht zu nennen, daß aber sonst der Name desselben das Gewicht der Gründe
nur vermehrt haben würde. Die Überschrift des Artikels bezeichnet seinen Zweck,
sie lautet „Sur le systeme pantheiste de M. Ahrens.“11 Dieser Aufsatz untersucht eigentlich nur
die zehnte und eilfte Vorlesung des genannten Werkes. Die zehnte Vorlesung
bestimmt den Begriff des Wesens (être), den Ahrens in derselben in ziemlich populärer Fassung auf folgende
Weise feststellt: „Der Begriff des Wesens ist ohne Zweifel der allgemeinste, der
Alles umfasst was existiert. Ich verstehe unter demselben nicht nur das Zeitwort
être, ich begreife darunter alle Wesen mit ihren Attributen. Man sagt in der
Regel, der Begriff des Wesens sei der Abstrakteste, aber er ist keineswegs eine
(bloße) Abstraktion.“
Darauf führt der Verfasser das an, was Ahrens „la
raison d’une chose“ nennt, und was er nicht verwechselt haben will mit der Idee
der Causalität. Der erstere Begriff ist ihm von der höchsten Wichtigkeit, er
drückt aus den „rapport du contenant au contenu“ oder „quel raison est ce dont
l’essence renferme l’essence et l’existence d’une autre chose“. Durch ihn kommen
wir zu der Erkenntnis: „daß alles in Gott enthalten ist, welcher die höchste
Vernunft ist.“ Von diesen Grundsätzen ausgehend versucht Ahrens den Begriff Gottes
festzustellen.
Durch die Anwendung der „Idee de la raison“ sagt er, werden
wir uns erheben zum Begriff des Wesens, welcher der Grund ist alles dessen, was
existiert.
Während Ahrens
behauptet, daß Gott nicht ein Gemisch oder eine Zusammenfassung aller Wesen ist,
daß er nicht das All ist (le tout, le πάν) daß er vor allem Eins ist, und daß
auf diese Weise die Erkenntnis des höchsten Wesens zu der wir gekommen sind,
nicht einen Pantheismus, sondern einen Monotheismus festsetzt: „erklärt er
weiter das Verhältnis der Natur und des Geistes zum höchsten Wesen, in dem er
zwar Gott nicht mit der Natur verwechselt haben will, und ihn über die Welt
stellt, doch die Welt nicht von ihm trennen will, und aus ihm gewissermaßen
durch das Attribut Unendlichkeit und der Totalität die Natur und durch das
Attribut des Absoluten (de l’absolu) und der Spontaneität den Geist hervorgehen
lässt.“
Aus den angeführten Stellen geht hervor, daß Ahrens bemüht ist, in Übereinstimmung mit
der Lehre seines Meisters, den Begriff der Persönlichkeit Gottes auf
philosophischem Wege festzustellen. Nichts desto weniger findet der Verfasser
des Artikels nicht bloß, daß es ihm nicht gelungen, sondern daß seine
Begriffsfeststellung nur eine Maske sei, um den Pantheismus zu verbergen.
Zweideutig wird Ahrens durch die
populären Beispiele, um seine Ideen der an philosophisches Denken nicht
gewöhnten französischen Lesewelt seine Begriffe näher zu rücken, aber diesen
Versuch des Ahrens den Monotheismus
zu restituieren, den Pantheismus von sich wegzuweisen, wer, der nur einigermaßen
Krause kennt,
wird es wagen können, ohne Versuch eine bloße Maske zu nennen! Besonderen Anstoß
erregte jene Stelle wo Ahrens sich
ausdrückt, „daß der menschliche Geist durch diese Methode, durch seine eigene
Kraft zur Erkenntnis des höchsten Wesens sich erheben kann und von jeder
Autorität in göttlichen Dingen sich befreien“.
Diesem Artikel folgen im
Jahrgang 839 drei andere von dem Abbée A.
Tits Professor der Philosophie im Seminair in
Rolduc unterzeichnet, welche dieselbe Frage
behandeln, und das Werk von Ahrens
als eine neue Methode betrachten den Pantheismus wieder herzustellen.
Dem
genannten Abbée ist es kein Zweifel, daß
alle Doctrinen welche in Deutschland seit Kant aufgestellt wurden pantheistisch sind.
Vor allem die Ansichten Fichte’s, Schellings, Hegels und Krauses, welchen Letzteren bekanntlich Ahrens folgt.
Von den drei genannten
Aufsätzen bewegen sich die zwei ersten, welche den Titel führen „Un lecon de
Mrs. Ahrens“ rein auf dem Gebiete der Methaphisik; es wurde darin die Begriffe
des Wesens, der Einheit, der Identität, der Substantialität und Totalität
analisiert und am Ende gefunden, daß sie mit ihren Resultaten identisch sei, mit
den pantheistischen Resultaten von Schelling und Hegel. Bei all diesen Untersuchungen über deutsche Systeme
scheint Mrs. Abbé Tits diese aus den
Quellen gar nicht gekannt zu haben, nur ein einzige Mal wird ein deutsches Werk
citiert und das ist: „Günthers, Die
Juste-Milieu in der deutschen Philosophie gegenwärtiger Zeit“12. Am meisten scheint er die
französischen Werke von Ancillon und Cousin
benützt zu haben; dies geht insbesondere aus dem dritten und letzten Artikel
hervor, der den Titel führt: „Les nouvelles doctrines pantheistiques –
Schelling, Hegel, Krause, Ahrens.“13
In wie weit, die über Krause ausgesprochenen
Ansichten begründet oder nicht begründet sind, habe ich mir erlaubt, Euer
Exzellenz im Verlaufe des Berichtes darzulegen.
Es darf nicht Wunder nehmen,
daß ein französischer Abbé all die
genannten Systeme pantheistisch nennt; in Deutschland selbst
wurde noch vor zwanzig Jahren Krause verhältnismäßig sehr wenig gelesen, seine Ausdrucksweise
ist nichts weniger als anziehend. Die Sucht nach eigenthümlichen Worten
verhältnismäßig noch größer, sicher nicht geringer als bei Hegel und seiner Schule, erst
in den letzten Jahren ist er durch seine eher genannten Schüler Lindemann, Röder und Ahrens in weiteren Kreisen bekannt
geworden.
In allen diesen Artikeln von Abbé
Tits wird aber im Grunde kein neuer wesentlicher Einwurf
hervorgehoben, der nicht schon in dem ersten Heft der genannten Revue angedeutet
gewesen wäre. Von den Arbeiten des Dot.
Bigoni zeichnen sich aber die belgischen Artikel, trotz der
Heftigkeit des Ausdruckes durch Einhalten der Schranken des Anstandes aus,
welchen man einem literarischen Gegner in der gebildeten Welt schuldig
ist.
Wenn hie und da Ahrens des
Sozialismus beschuldigt wird, so ist dabei nicht zu vergessen, daß darunter
nicht der moderne französische Sozialismus verstanden werden kann, sondern ein
Versuch gemacht sein will, die Bedeutung der Gesellschaft und ihrer Glieder für
die Wissenschaft zu gewinnen. Die Lehre vom Eigenthum, dem Erbrecht u. s. f. wie
sie in seinem Naturrecht (Braunschweig 1846)14 abgehandelt werden, zeigen hinreichend, wie
verschieden die Lehre des Ahrens von
der der französischen Communisten und Sozialisten ist. Daß seine Socialtheorie
in der von Krause
aufgestellten Lehre wurzelt, ist bei einem Schüler Krause’s
selbstverständlich.
III.
Ang. Bigoni: Analisi degli errori circa
la religione contenuti nella traduzione italiana del corso di diritto naturale
del Prof. E. Ahrens, stampato in Milano 1851–1852.15
Auf einem ganz anderen Standpunkte, als die
erwähnten Gegner des Ahrens in Belgien, steht theol.
Dr. Bigoni. Er stellt sich nicht
als Philosoph dem Philosophen gegenüber, sondern als Theologe. Er hat nur einen
Gesichtspunkt, den eines katholischen Dogmatikers, den festzuhalten er sich
deswegen verpflichtet fühlt, weil das Buch von Ahrens „so horrende Maximen in
Beziehung auf Religion“ aufstellt, „daß er dieselben widerlegen zu müssen
glaubt, um das künftige Übel abzuwenden und das schon Geschehene zu verbessern
(„riparare“). Er analysiert nur einige Stellen des 3ten Theiles, die nach seiner
Meinung „alle Absurditäten vereinigen, um nicht bloß der katholischen Kirche
sondern jeder geoffenbarten Religion den Todesstoß zu versetzen“. Man sieht, die
Gefahr dünkt dem Dr. Bigoni keine
geringe, doch scheint die Gefahr keine wirkliche zu sein, die von „Absurditäten“
einen Todesstoß gegen eine geoffenbarte Religion erwartet.
Auch ist es im
hohen Grade auffallend, daß erst die neue Mailänder Übersetzung, und das Buch
des Dr. Giorgi
16, ein mittelmäßiges, breitgeschriebenes
Opus, die Aufmerksamkeit Bigonis auf
Ahrens gelenkt haben. Ahrens war
in Italien längst bekannt und – wie es scheint – selbst im katholischen und
absolutistischen Neapel geduldet. Denn schon im Jahre 1840 erschien eine
italienische Übersetzung17 des franz. Originales von Trinchera, welche als Einleitung eine Korrespondenz des
Grafen Mamiani della
Rovere und des Prof. der Rechte in Neapel
Mancini enthält, und von
der eine 2te Auflage kurz nach dem Erscheinen der ersten nöthig wurde. Ahrens Werk ist daher schon mindestens 14
Jahre in Italien bekannt. Philosophen und Theologen hätten genug Gelegenheit
gehabt, wenn ihnen die entsprechenden Mittel geistiger Bildung zu Gebote
gestanden wären, den angeblich gefährlichen Irrthümern des Ahrens entgegen zu treten. Sie hätten gar
nicht nöthig gehabt, zu polizeylichen oder ähnlichen Maßregeln zu drängen, die,
wenn sie nöthig gewesen wären, die österreichische Regierung anzuwenden nicht
gesäumt hätte, die aber in rein wissenschaftlichen Fragen den Antragstellern
immer ein testimonium paupertatis in Beziehung auf seinen Geist geben. Doch, das
mag sein, wie es wolle, Dr. Bigoni mag
gedacht haben, „besser spät, als gar nicht“ und so hat er sich entschlossen,
sieben Seiten des Werkes von Ahrens
auf dem anständigen Raume von 131 Seiten zu refutieren.
Ich habe diese 131
Seiten mehr als einmal durchgelesen, und kann nicht umhin zu gestehen, daß mich
ein Gefühl überkommen hat, das an Ekel gränzt. Eine so rohe Art, philosophische
Materien zu behandeln, eine so grobe Unkenntnis des gegenwärtigen Standes der
Philosophie und der Denkungsweise der Gebildeten, ist wohl selten vorgekommen.
Es muß mit der Theologie in Italien schlecht bestellt sein, wenn sie solche
Kämpfer mit solchen Waffen auftreten läßt.
Er theilt seine Analysis in
sieben Kapitel, wovon das 1te über die Offenbarung, das 2te über die
Inkarnation, das 3te über Religion, das 4te über den Kultus, das 5te über die
Kirche, das 6te Kirche und Staat, und das 7te über die Ehe handelt.
Die
Methode, nach der Dr. Bigoni vorgeht,
ist eine sehr einfache. Er hebt eine Ansicht, eine Definition aus dem Werke
heraus, ohne sich über den Zusammenhang mit dem ganzen System den Kopf zu
beschweren, untersucht, ob dieselbe mit dem positiven Dogma der katholischen
Kirche und mit seiner subjektiven Art über philosophische Dinge zu denken,
übereinstimme, und verwirft sie dann, ohne die Gründe dazu auf einem anderen
Gebiete zu suchen, als auf dem rein dogmatischen. So behandelt er z.B. gleich im
ersten Kapitel den Begriff der Religion: Ahrens sagt: „secondo la odierna opinione ogni religione, per
avere una base solide ed inconcussa, deve fondarsi sopra una rivelazione divina,
unica qualità per preservarla dalle umane vicissitudini.“ Es scheint doch
deutlich, daß Ahrens den Begriff der
Religion im Allgemeinen feststellen will, ohne Beziehung auf irgend eine
bestimmte Religion, er sagt, daß jede Religion auf einer Offenbarung beruhe,
natürlich ohne anzugeben, welche eine wahre, welche eine falsche sei:
Was
macht nun Dr. Bigoni? Er beanstandet
doppeltes, den Begriff der Offenbarung, und daß jede Religion auf Offenbarung
beruhe, in folgendem Räsonnement: „Nach der wahren Vernunft kann nur Eine
Religion die wahre sei, und deswegen nur Eine Religion die Offenbarung zu ihrer
Basis haben. Da Gott nur Einer ist und die einzige Wahrheit seiner Wesenheit
nach ist, so kann er den Menschen nicht entgegengesetzte Dogmen und nicht
entgegengesetzte sich widersprechende Kultus geoffenbart haben. Deswegen sagt
der Apostel: Unus Deus, una fides, unum baptisma. Zu sagen daher „jede Religion
kann zu der Vorrausetzung verleiten, daß verschiedene Religionen wahr sein
können.“
Einer nicht minder einfachen Räsonnement unterzieht er den Begriff
der Offenbarung, den Ahrens
(ebenfalls ohne Rücksicht auf irgendeine bestimmte) aufstellt. Ahrens sagt: „Die Offenbarung kann
betrachtet werden, als ein wesentliches Element der Religion, wenn man die ganze
Welt, als eine Manifestation des göttlichen Wesens betrachtet, und den Geist
insbesondere, dem sich Gott ununterbrochen mit den großen Ideen des Guten und
des Wahren offenbart, die sich eine Bahn eröffnen, und sich unter die Menschen
verbreiten.“
Dr. Bigoni meint,
daß von einem wahrhaft vernünftigen Menschen, weder die Offenbarung durch die
Natur, nach die Offenbarung durch die individuelle Vernunft angenommen werden
kann; nicht die erstere, weil sie nichts beweisen würde, als das Vorhandensein
einer ersten Ursache, und nicht seine Natur, ihre Attribute, die Beschaffenheit
des Cultus, den man von den Menschen verlangen kann, nicht die Pflichten der
Moral; nicht die zweite, weil sie verwechselt werden kann mit den Illusionen des
Geistes, und weil mit der Veränderung des Zustandes der individuellen Vernunft,
sie sich in ihren Konsequenzen (deduzioni) verändern würde.“
Welches
philosophische System der Gegenwart würde nicht, auf solcher Waage gewogen, zu
leicht befunden werden?
In ähnlicher Weise geht nun Dr. Bigoni die genannten Kapitel durch, und
häuft Vorwürfe über Vorwürfe. Nicht bloß, daß er ihm, dem Ahrens, Rationalismus vorwirft, ihn
anklagt, die Basis der geoffenbarten Religion zerstört zu haben, er schiebt ihm
auch Tendenzen unter, die Ahrens so
wenig, wie irgend ein anderer Philosoph hat. Er sagt nämlich S. 67 (in fine)
„cade adunque la base, su cui il Sig.
Ahrens credeva di erigere un culto razionalista eliminando
l’unico vero culto, a Dio gradito, del Cristianesimo.“
Wie ein Gespenst
verfolgt die Phantasie des Dr. Bigoni
die Vorstellung, Dr. Ahrens wolle –
etwa wie die Rongianer, Deutschkatholiken etc. – einen nationalistischen Kultus
gründen, und das Christenthum zerstören! Daß Ahrens mehr als ein anderer Philosoph die Ideen des
Christenthums in sich aufgenommen hat – wie insbesondere die deutsche in Wien
erschienene Ausgabe von dem Naturrecht von Ahrens zeigt, daß die gesammte deutsche Philosophie fern steht
dem Treiben derer, die Religionswühlereien zu ihrem Geschäft, die Gründung eines
neuen Kultus zu ihrer Lebensaufgabe gemacht haben, das alles weiß Dr. Bigoni nicht, oder will es wenigstens
nicht wissen. Aber das sollte er aus der Kirchengeschichte der letzten 3
Jahrhunderte gelernt haben, daß nicht Philosophen von Fach und Beruf, so
feindlich auch ihre Stellung zum Christenthum gewesen sein mag, sondern halbe
und schlechte Theologen sich mit der Stiftung neuer Confessionen beschäftigt
haben. Wie zur Zeit der Religionswirren des 16. Jahrhunderts abgefallene Mönche
und Theologen gewesen sind, welche der katholischen Kirche durch Gründung neuer
Konfessionen entgegengetreten sind so waren es in unseren Tagen schlechte
protestantische Theologen, abgefallene katholische Priester, philosophisch halb
und schlecht gebildete Laien gewesen, welche sich mit der Gründung von einem
rationalistischen Kultus beschäftigt haben. Kein Philosoph von Bedeutung ist
ihnen beigetreten, wenige mittelmäßige Denker haben sie gebilligt, die meisten
förmlich ignoriert oder verdammt. Kein Philosoph hat einen rationalistischen
Kultus gründen wollen; Ahrens so
wenig als irgend ein anderer, als Fichte, Trendelenburg, Hartenstein, Chalybäus, Waitz,
und wie auch immer die lebenden Vertreter der Philosophie heißen. Was der Kirche
Schaden bringt, ist vorzüglich die geringe Bildung der Theologen, und von der
Seite und von der eigentlich allein droht in Italien der Kirche Gefahr. Der
Rationalismus und der rationalistische Kultus den Bigoni in Ahrens
verfolgt, ist wie gesagt ein Gespenst, wie überhaupt dem Ahrens in Italien mehr Bedeutung beigelegt
wird, als in Deutschland. Ahrens ist
ein sehr achtbarer Denker, in der Gegenwart nur ein Denker zweiten Ranges, in
Österreich aber nach Günther ohne Zweifel der bedeutendste; mit ihm dürften Lott, Löwe, Zimmermann,
Hasner auf ziemlich
gleicher Höhe stehen. Daß man in Italien ein so großes
Gewicht auf ihn legt, zeigt, wie wenig man mit dem gegenwärtigen Stande der
Philosophie in den transalpinen Ländern vertraut ist, wenn nicht bei dem
gegenwärtig Sturm gegen Ahrens – wie
ich vermuthe – ganz andere Motive mitwirken, als jene, welche öffentlich an das
Tageslicht treten.
Was gegen Ahrens gesagt wird, kann man gegen jeden Philosophen mit sehr
geringen Ausnahmen sagen, heute bekämpft man den Ahrens, morgen die ganze Philosophie; vor den Augen des
Dr. Bigoni, und derer, die hinter
und neben ihm stehen, werden auch die Art und Weise, wie Philologie und
Geschichte gegenwärtig gelehrt werde, keine Gnade finden.
Diesen ist die
ganze Bildung, die ganze Wissenschaft des 19. Jahrhunderts ein
Gräuel.
Sollten Euer Excellenz noch ein detailierteres Referat über
Bigoni wünschen, so bitte ich mir
es anzudeuten. Ich habe mich, um nicht zu lange zu werden, so kurz als möglich
gefasst.
IV.
Schließlich seien mir einige Bemerkungen über den gegenwärtigen Stand der
Philosophie mit Rücksicht auf Oesterreich
erlaubt.
Die Philosophie ist in einer Art Regeneration begriffen. Die Ideen
angeregt vorzüglich durch Kant,
Schelling und
Hegel, haben ihren
Kreislauf verbracht, sie sind entweder in den Bildungsprozeß der Gegenwart ganz
übergegangen, oder von diesem zersetzt und verflüchtigt worden.
Der Haß
gegen das Christenthum, angefacht durch die französischen Sozialisten und
getragen durch einige Hegel’sche Ultras Bruno
Bauer, Ruge, Feuerbach etc. erlischt, oder ist im
Erlöschen. In den Kämpfen des Jahres 1848 sind fast alle Philosophen auf Seiten
der Konservativen Parthei gestanden. Ein großer Theil derselben befasst sich,
angeregt durch die sittliche Verwilderung und die Verwirrung der Ideen über
Recht und Sittlichkeit mit den Prinzipien der Ethik, als Hartenstein in
Leipzig, Chalybäus in Kiel, Fichte jun. in
Tübingen. Auch Lott in Wien und Ahrens und Gratz pflegen in ihren Vorträgen diese Seite mit Ernst.
Auf
der anderen Seite wird die Methode des Philosophierens mit mehr Ruhe und mit
dialektischer Spitzfindigkeit betrieben, als vor wenigen Jahrzehnten zur Zeit
der fast ausschließlichen Herrschaft der Junghegelianer der Fall war. Man
verdankt dies vorzugsweise der Wirksamkeit Herbarts und seiner Schule der
Hartenstein, Drobisch, Exner (in Österreich) und vorzüglich des
Trendelenburg in
Berlin.
Von der Populärphilosophie ist keine Rede
mehr. Philosophie ist kein exoterische Wissenschaft, sondern eine esoterische.
Eine Nothwendigkeit für die Hochgebildeten, ist sie für das Volk von
untergeordnetem Werth. Sie gehört der Aristokratie des Geistes an. Es war für
Ahrens in mehr als Einer
Beziehung schlimm und verhängnisvoll, daß er in der französischen Sprache
schreiben muß, um verstanden zu werden, populärer schreiben musste, als er
sollte.
Ein neues Moment in der Philosophie ist von dem Eingreifen der
naturwissenschaftlichen Methode zu erwarten. Der Richtung John Mill's ist schon gedacht worden.
Waitz in
Hessen, Botz, Oesterlei in
Göttingen bahnen dieser Richtung den Weg. Diese
Richtung bewegt sich jetzt noch auf rein theoretischem Gebiet.
Auch die
Geschichte der Philosophie wird sowohl von philologisch, als philosophisch
gebildeten Geistern gepflegt, zu ersteren gehören Heinrich Ritter in
Göttingen, Zeller in Tübingen, Röth in
Heidelberg, u. s. f. zu letzteren, Fortlage in Jena,
Chalybäus, Strümpell (Von Strümpell ist ein Werk im
Druck begriffen, von dem man sich viel erwartet) in
Dorpat, Deutinger u. a. m.
In Österreich wird
Geschichte der Philosophie nur vom philologischen Standpunkte von Bonitz in Wien betrieben.
In Österreich hat
Philosophie fast gar nicht existiert. Nur kleine, schüchterne Versuche sind in
beengten Gränzen vordem gestattet worden die Philosophie bedarf eines bewegteren
literarischen und geistigen Lebens, innerhalb dessen sich Gegensätze nähren und
gestalten dürfen. Das war vordem unmöglich. Der Jüngling, der wohl wusste in wie
engen Kreise der Lehrer sich bewegen konnte, misstraute seinen Worten. Er wurde
in Österreich Autodidakt; die traurigste
Erscheinung auf dem Gebiete der Philosophie. Er flüchtete sich aus den Hörsälen
in die Privatlektüre, und wählte dafür – wie leicht begreiflich – das flachste,
extremste verbotenste. So rächte sich die Verbannung der Weltweisheit von
unseren Lehrkanzeln an unserer Jugend; sie hat alle Thorheit der Welt in vollen
Zügen zu sich genommen und ihr der Welt auch geoffenbart.
Jetzt ist es
anders. Ernstere, denkende Männer, Philosophen von Fach und Beruf lehren
wenigsten an drei Hochschulen Philosophie, Leonhardi, Löwe, Zimmermann in
Prag, Lott in Wien,
Ahrens in Gratz.
Die Jugend hat den Glauben
gewonnen, daß Österreich in die Reihe der Kulturstaaten einzutreten entschlossen
ist. Es wird die Wissenschaft überall mit größerem Ernste betrieben, die
schlechte Literatur (vordem fast ihre einzige Lektüre) ist aus ihren Händen.
Möchte sie in ihrem Glauben nicht getäuscht werden durch eine Maßregel, die
vielleicht nur gegen einen Philosophen nominell gerichtet ist, aber in Wahrheit
die ganze Philosophie treffen würde!
Die Anklage, die gegen Ahrens in
Belgien, Padua und Pavia erhoben wurde, und sie hier vielleicht einen Widerhall
gefunden haben, treffen nicht bloß Ahrens den Philosophen, sondern auch Ahrens den Fremden und Ahrens den Protestanten!