Der Erzbischof von Wien, Joseph Othmar Rauscher, berichtet von den Verhandlungen für das Konkordat. Er schreibt, dass besonders die Frage der Regelung der Ehegesetze große Schwierigkeiten bereite. Auch die Frage der bischöflichen Seminare müsse noch weiter verhandelt werden – hier gäbe es aber Hoffnung auf eine Einigung auf die Grundsätze, die bereits die Bischofsversammlung im Jahr 1849 beschlossen hatte. Zuletzt spricht Rauscher seine Hoffnung aus, dass es zu einer Entspannung in der europäischen Politik komme. Dies sei auch deshalb notwendig, damit Österreich nicht noch weiter in Gefahr gerate, einen Staatsbankrott zu erleiden. Der drohende Staatsbankrott Österreichs sei im Übrigen auch für seine Verhandlungsposition ungünstig.
Rom, am 19. April 1855
Hochgeborner Graf!
Über P. Stengel weiß ich gar nichts, als was
ich aus dem übersandten Gesuche und seinen eigenen Briefen entnommen habe.
Allerdings wird die Wiederherstellung des kirchlichen Verkehrs mit Rom und den hier residierenden Ordensoberen im Anfange
mannigfache Schwierigkeiten hervorrufen; aber die Maßregel ist bei der
gegenwärtigen Sachlage eine ganz unvermeidliche und bei folgerechter
Durchführung wird sie sich auch als eine sehr heilsame erproben. Doch bedarf es
neben großer Vorsicht und Klugheit und Geduld auch großer Entschiedenheit zur
rechten Zeit; indessen behalte ich mir vor, darüber mündlich mich auszusprechen.
Die Ehefrage ist nach unsäglicher Arbeit zu Ende gelangt. Die Schwierigkeiten,
welche hinsichtlich des Concordats bleiben, sind von keinem großen Belange, aber
bei dem hiesigen Geschäftsgange kann ich nicht wissen, wie lange man damit noch
herumziehen werde.
Ich danke ergebenst für die gemachten Mittheilungen; sie
lauten in der Frage der katholischen Griechen nicht sehr erfreulich und es wird
an nach Rom geschickten Klagen nicht fehlen.
Übrigens habe ich das Versprechen durchgesetzt, daß man hinsichtlich dieses
fatalen Punctes, welcher in der bekannten Note vom 1. Juni vorigen Jahres sehr
herausgehoben wurde, sich damit begnügen werde, die Sache der Gnade Seiner Majestät anzuempfehlen.
Was den
Unterricht in den bischöflichen Seminarien betrifft, so war es unmöglich
dasjenige nicht zuzugestehen, was Baiern zu
einer der Kirche durchaus ungünstigen Zeit im Concordat vom Jahre 1818
zugesichert hat. Ich habe aber, nicht ohne große Schwierigkeit erhalten, daß in
der päpstlichen Instruction die Bischöfe werden ermahnt werden, sich über den in
ihren Seminarien zu beobachtenden Studienplan durch eine mit einander gepflogene
Berathung festzusetzen. Dadurch ist die Sache dem Einzelnen aus der Hand
genommen und von den Bischöfen der Versammlung von 1849 darf man hoffen, daß sie
ihre damaligen Erklärungen nicht zurücknehmen werden. Es wäre mir lieb gewesen,
wenn auch von den im Jahre 1849 gemachten Bestimmungen über den Studienplan
Etwas erwähnt worden wäre; allein darauf wollte man sich nicht einlassen. Man
sagt, dieß sey überflüssig: denn durch eine solche Ermahnung sey ohnehin schon
eine Gutheißung des im Jahre 1849 Geschehenen ausgesprochen. Der Grund der
Weigerung liegt anderswo; indessen ist es richtig, daß durch die beabsichtigte
Ermahnung das Princip, nach welchem man damals vorgegangen, anerkannt worden
seyn wird.
Seit drei Wochen bin ich mit den dringendsten und schwierigsten
Arbeiten so überhäuft, daß es mich wundert, daß meine Gesundheit noch aushält.
Lange darf es aber nicht mehr währen. Von dem zu St. Agnes eingebrochenen
Zimmerboden werden Euer Excellenz ohnehin schon genug gehört und gelesen haben.
Ich habe gar keine redenswerthe Verletzung erhalten. Ich verlor im Sinken das
Gleichgewicht nicht, sondern gelangte stehend in das untere Gemach, wo ich über
die Trümmer hin bald an Eines der ziemlich erhöhten Fenster hinaufkam, so daß
ich außer dem Gedränge war.
Gott gebe, daß in Betreff der europäischen Frage
sich bald eine entschiedene Politik Raum macht; Österreich erträgt es nicht solang Gewehr bei Fuß zu stehen. Der
Zustand der Finanzen thut dem Eindrucke einer so gewaltigen Bewaffnung großen
Eintrag. Man sagt: Wie lange wird Österreich es zahlen können? Sogar bei den Verhandlungen wurde
ganz unverholen der drohende Staatsbankerott in Anschlag gebracht und dieser
Umstand ist es, weshalb man auf Österreichs
Zukunft noch immer kein ernstes Vertrauen hat. Daß dieß für einen
Bevollmächtigten Seiner Majestät weder angenehm noch förderlich sey, brauche ich
Euer Excellenz nicht zu sagen.
Gott gebe, daß es mir bald vergönnt ist, den
Tag meiner Abreise festzusetzen! Indessen will ich Italien doch nicht verlassen ohne auf Neapel und Pompeji einen
Blick geworfen zu haben. Ich verharre mit der vollkommensten Verehrung,
Euer Excellenz gehorsamster Diener
J. Rauscher