Der Kunsthistoriker Rudolf Eitelberger erstattet Leo Thun Bericht über die kulturelle Situation und das Unterrichtswesen in Dalmatien. Zunächst weist er auf den unwürdigen Zustand des archäologischen Museums in Spalato hin und empfiehlt dringend Verbesserungsmaßnahmen, so dass ein der Größe Österreichs würdiges Museum geschaffen werde. In der Folge kommt er auf das ausgezeichnete Gymnasium und die Gymnasialbibliothek in Zara zu sprechen. Die Bibliothek ist die einzige öffentliche Bibliothek im ganzen Land. Aus diesem Grund wünscht der Direktor des Gymnasiums, dass die Bibliothek zur Landesbibliothek erklärt werde. Eitelberger verweist außerdem auf die zahlreichen Inschriften und Denkmäler des Landes. Diese müssten besser geschützt werden, etwa indem Teile derselben als kunstgeschichtliche Sammlung, als Lapidarium dem Gymnasium in Zara übergeben werden. Abschließend geht Eitelberger allgemein auf das Volksschulwesen in Dalmatien ein. Er gesteht allerdings ein, kein Fachmann auf dem Gebiet zu sein, dennoch erlaubt er sich das Urteil, dass das Schulwesen großen Nachholbedarf habe. Lobend äußert er sich hingegen über die Fortschritte bei der Verbreitung der deutschen Sprache im Land und spricht seine Hoffnung aus, dass Deutsch eines Tages zur gemeinsamen Landessprache werde.
Euer Excellenz!
Mit den nachfolgenden Zeilen erlaube ich mir über einige Wahrnehmungen, welche
ich in Dalmatien in Beziehung auf das Unterrichtswesen gemacht
habe, Bericht zu erstatten.
Dieser Bericht betrifft
1. das archäologische Museum zu Spalato
2. das Gymnasium und die Gymnasialbibliothek zu
Zara
und endlich
3. das
Volksschulwesen in Dalmatien
überhaupt
1.
Das archäologische Museum zu
Spalato
ist eine Gründung Kaiser Franz des I. Eine große Marmortafel am Gebäude
des Gymnasiums, mit welchem naturgemäß dieses verbunden ist, verkündigt das
große Ereignis der Gründung eines Museums dem Freunde des Alterthums und der
Geschichte des Landes. Nicht bloß Einheimische, sondern auch Ausländer haben
dieses Ereignis mit Begeisterung begrüßt, denn es war ein Strahl der Hoffnung in
einer den Wissenschaften sehr ungünstigen Zeitperiode. „Die Österreicher sind,
so sagt
Sir J[ohn] Gardner
Wilkinson
, einer der verdientesten Archäologen Englands, allerdings lange Zeit gleichgiltig gegen
die schätzbaren Überreste des Alterthums gewesen, die in
Salona verborgen lagen, aber der Vorwurf, dem sie
sich so lange ausgesetzt haben, wird sie nun bald nicht mehr treffen, und die in
Spalato angelegte Sammlung wird den Namen eines
Landesmuseums endlich verdienen.“
Wie ist nun der Alterthumsfreund
enttäuscht, wenn er, jetzt zwölf Jahre nach Wilkinson, an den Pforten des
Gymnasiums nach dem Museum forscht. Denn dort erfährt er, daß das Museum wegen
Mangel an Lokalitäten für den Unterricht in ein Depot der Finanzbehörde geworfen
und nachdem auch die Finanzbehörden diesen der österreichischen Regierung
unbequemen Ballast hinausgeworfen haben, dasselbe endlich in der kleinen Kirche
der heiligen Barbara eine Ruhestätte gefunden hat. Nach mehrtägigen Bemühungen
ist es mir gelungen, in den Besitz des Schlüssels des Museums zu gelangen, und
nachdem ich in dasselbe eingetreten, fand ich in zwei Zimmern Inschriften und
ähnliche Dinge, natürlich ohne Nummerierung, ohne Catalog, ohne Inventar an die Wand angelehnt, und in einem
dritten Zimmer die Inschriften auf einen Haufen beiläufig so, wie man schmutzige
Wäsche oder unnützes Gerümpel zusammenzuwerfen pflegt, und das geschieht unter
den Auspicien des k.k. Gymnasiums des Repräsentanten der Unterrichtsbehörde in
Dalmatien. Nun allerdings sind die Behörden allein daran
nicht Schuld; in diese theilen sich mehrere andere Personen. Vorerst haben
Einheimische den Werth und die Bedeutung der Ausgrabungen von
Salona weit überschätzt. Wenn diese von einem
österreichischen oder dalmatinischen Herkulanum
[Herkulaneum] und Pompeji
sprachen, so wußten sie wahrscheinlich nicht, was Herkulanum und
Pompeji wirklich den Freunden der Kunst und des
Alterthums bedeutet und sie wußten auch nicht, welchen Schaden sie anrichten,
wenn sie in Wien Erwartungen reege machten, die natürlich
in keiner Weise befriedigt werden konnten. Denn die heutigen Überreste von
Salona gehören einer verhältnismäßig späten Zeit und
einem relativ armen Orte an, und es können sich deswegen auch die Alterthümer
von Salona nie zu der Bedeutung erheben, welche
Herkulanum und Pompeji haben.
Ein weiterer Grund der
Verstimmung lag in dem Charakter der Eingebornen selbst; die Einheimischen, die
sich in die Reihe von Sachkennern stellen, bekriegen und denunziren sich so viel
sie können und insbesondere wird der Erste, welcher mit den Ausgrabungen in
Salona betraut wurde, im ganzen Lande des Diebstahls
beschuldigt. Natürlich kam bei einer solchen Gebahrung das Institut selbst im
Lande in Mißkredit, weil es ein lautes Geheimnis war, daß die besten Sachen
davon geschleppt werden; die beste Periode war noch jene, wo Dr. Fr[anz] Carrara das Museum um die
Ausgrabungen leitete; denn Carrara war
ohne Zweifel der am meisten unterrichte[te] Mann, den Dalmatien
in letzten Jahrzehnten auf diesem Felde hervorgerufen hat. Nach seinem Tode aber
trat eine völlige Gleichgültigkeit ein, bis endlich das Museum zu jenem Grade
der Verkommenheit herabkam, in dem es sich gegenwärtig zur Schande Oesterreichs befindet.
Wenn daher in dieser
Angelegenheit etwas Erfolgreiches geschehen soll, so muß
Erstens, ein ordentliches auch auf die kleineren Objekte sich
bezügliches Inventar abgefaßt werden, von dem eine Abschrift dem
Ministerium des
Unterrichtes
zur Ermöglichung der Controlle zuzuweisen
ist. Obwohl unsere Gymnasialprofessoren der Geschichte und lateinischen Sprache
im Ganzen eine sehr ungenügende archäologische Vorbildung besitzen, so wird sich
in Spalato doch Einer unter denselben befinden, der im
Stande ist, einen solchen Catalog zur Ermöglichung der Controlle abzufassen.
Bevor nicht ein solcher Catalog gemacht ist, wird sich kein ehrlicher Mensch zur
Übernahme des Museums finden.
Zweitens. Müssen die
politischen Behörden aufgefordert werden, ein einigermaßen
anständiges Lokale zur Aufstellung eines von dem einzigen
österreichischen Kaiser angeordneten Museums, der das Kronland
Dalmatien eines Besuches gewürdigt hat, [zu
finden].
Drittens, müssen auf dem Wege der
Gesetzgebung Mittel gefunden werden, daß jene Inschriften, Basreliefs und andere
Kunstwerke, welche im Zaratiner Kreise der Zerstörung Preis gegeben sind, unter
dessen im Museum vorbehaltlich des Eigenthumsrechtes der einzelnen Besitzer gesetzlich deponirt werden, um diese vor Zerstörung zu
sichern. Denn es ist gar zu komisch, in Spalato ein
Museum [zu] errichten und nicht dafür [zu] sorgen, daß Inschriften und
Kunstdenkmäler, welche hundert Schritte davon entfernt sind, in dem Museum
selbst einen Schutz finden können.
Viertens endlich muß,
wenn man einen ehrlichen Menschen als Custos gefunden hat,
eine kleine Summe wenigstens für jene Epoche in Aussicht gestellt werden, wo die
Finanzen des Staates es erlauben werden.
Denn mit dem Transporte von
Inschriften, mit kleinen Entschädigungen, die bei solchen Gelegenheiten gegeben
werden, sind wenn auch noch so kleine Auslagen verbunden, die man dem Custos,
der doch das Amt unentgeltlich als Ehrensache bekleidet, billigerweise nicht
zumuthen kann.
2.
Was nun das Gymnasium von Zara
betrifft, so genießt dasselbe im ganzen Lande eines ausgezeichneten Rufes. Und
ich gestehe, daß nachdem ich in Ragusa das unglaublichste
gehört habe, was man im 19. Jahrhunderte noch irgend einer Lehranstalt nachsagen
kann, und in Spalato das akademische Museum gesehen habe,
ich ordentlich aufathmete, als ich in Zara den Turnplatz,
die Bibliothek und das Naturalienkabinett sah. Da herrscht Ordnung, Verstand und
jener Anstand, der für höhere Bildungsanstalten eine pädagogische Nothwendigkeit
ist. Um die Bedeutung der Bibliothek von Zara zu
würdigen, bitte ich die Zustände des Buchhandels in Dalmatien
in‘s Auge zu fassen; mit Ausnahme von
Zara
gibt es in ganz
Dalmatien keinen Buchhändler und in ganz
Dalmatien keine öffentliche Bibliothek, welche [sich] mit
der Geschichte des Landes beschäftigt. Das Ausleihen eines Buches von Privaten
wird als eine besondere Begünstigung betrachtet und wer ein neues Buch haben
will, der muß sich directe nach Triest wenden. Im
Franziskaner und Dominikaner Kloster zu Ragusa gab es
zwar im verflossenen Jahrhundert Bibliotheken, aber die Gleichgültigkeit gegen
die Wissenschaft ist so groß, daß ich in einem dieser Klöster die
Pergamentmanuscripte an einem Orte fand, der allen möglichen Unwettern ausgesetzt
ist, und in dem andern Kloster eine berühmte Bibliothek, zu welcher ein
geistvoller Dr. der Medizin aus eigenem Antrieb ohne Entschädigung den Catalog
gemacht hat, ohne daß es den Geistlichen je eingefallen wäre, die Abschrift oder
auch nur die Einsicht in den Catalog von dem Verfasser zu verlangen. Unter
diesen Umständen war es sicher ein richtiger, auf der Erkenntnis der
Bedürfnis[se] des Landes beruhender Gedanke des Gymnasialdirectors G[eorg] Pullich
gewesen,
eine „Bibliotheca Patria“ am Gymnasium zu
Zara zu errichten und es geht der Wunsch desselben
dahin
1. daß diese Bibliothek als Landesbibliothek erklärt würde, wie es
auch in Csernowitz [Czernowitz] geschah, damit sich
Private an dieser Bibliothek im höheren Grade betheiligen, denn diese sind, so
lange eine Bibliothek bloß eine Gymnasialbibliothek ist, von der Furcht
beherrscht, es könnte diese Bibliothek einmal in die unglücklichen Hände eines
protegirten Ordens kommen und gemachte Geschenke dann jeden Nutzen für das Land
selbst verlieren.
2. Im Zaratiner Kreise sind Inschriften
und Denkmäler des Alters und Mittelalters der Zerstörung und der Verschleppung
Preis gegeben (wie es vor recht langer Zeit mit der Sammlung des Conte
Pellegrini geschah). Es wäre wünschenswerth daß,
erstens
die Communen und die Privaten des Zaratiner Kreises mit Berufung auf ihren
Patriotismus und die Ehre des Landes aufgefordert würden,
jene Inschriften und Denkmäler, die gefunden, der Zerstörung preisgegeben werden
können, dem Gymnasium von Zara entweder als Geschenk zu
übergeben oder mit Vorbehalt des Eigenthumsrechtes zu deponiren und zweitens
das Gymnasium in Zara
sollte ermächtigt sein, solche Geschenke und Depositen
anzunehmen und verpflichtet werden, in dem Programme des
Gymnasiums jährlich darüber ausführlichen Bericht zu erstatten. Der große Saal
des Gymnasiums und die dem Wetter nicht ausgesetzte Seite des Gymnasialhofes
sind ganz geeignet, Inschriften aufzunehmen.
Zu diesem konnte auch ein Rundschreiben an die Conservatoren vieles beitragen.
Gar
kein Land der österreichischen Monarchie hat so viel Elemente zur Bildung eines
für die Geschichte und die Palläografie gleich interessanten „Museo Lapidario“ als eben in Dalmatien, und es ist
kaum zu verantworten, daß man bisher diese so günstige Gelegenheit zur Gründung
einer solchen Anstalt hat ungenützt vorüber gehen lassen.
3.
Was nun den Volksunterricht betrifft, so habe ich viel
zu wenig Erfahrungen, um darüber in das Detail Bemerkungen machen zu können. Im
Allgemeinen ist es gewiß, daß von einem Volksunterrichte, wie er bei uns
stattfindet, in Dalmatien keine Rede ist. Es finden sich im
Lande Capovilas vermögliche Leute aller Art, die weder Lesen noch Schreiben
können.
Von einem Sie[g] der slavischen Rasse über
die romanische ist bei der Verkümmerung des Volksunterrichtes nicht zu
denken
, insbesondere aus diesem Grunde, weil bei einer so
gearteten Volkserziehung das Intresse für Zivilisation und Lektüre vorherrschend
bei der romanischen Rasse zu Hause ist und weil die italienische Litteratur
gegenwärtig wohl die einzige ist, welche diesem Bedürfnisse Genüge zu leisten im
Stande ist. Es sind zwar reiche nationale Enthusiasten, besonders in
Agram, die schon zu einer bestehenden südslavischen
Civilisation in Dalmatien sprechen; daß im früheren Mittelalter
oder auch in späteren Zeiten eine größere Civilisation vorhanden war als
gegenwärtig, das erleidet wohl keinen Zweifel; aber heut zu Tage von einer
großen Civilisation reden, ist wirklich kindisch und verhindert bloß die Erkenntnis in die Nothwendigkeit jener Maßregeln,
welche zur Förderung der dalmatinischen Civilisation nothwendig
sind.
Schließlich erlaube ich mir noch die Bemerkung, daß die deutsche Sprache in den letzten fünf Jahren, in denen ich
Dalmatien nicht sah, bedeutende Fortschritte gemacht hat,
daß sie geeignet ist, ein Ersatzmittel der italienischen Sprache für die
vorgeschrittenere Bildung einzelner Klassen zu werden und daß sie eine Aussicht
haben kann, Landessprache zu werden [und] von den einheimischen Slaven und
Italienern ohne Mißtrauen betrachtet wird.
Euer Excellenz
ergebenster
Prof. R. v. Eitelberger
Wien, 28. Oktober 1859