Rudolf Eitelberger an Leo Thun
Wien, 28. Oktober 1859
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Regest

Der Kunsthistoriker Rudolf Eitelberger erstattet Leo Thun Bericht über die kulturelle Situation und das Unterrichtswesen in Dalmatien. Zunächst weist er auf den unwürdigen Zustand des archäologischen Museums in Spalato hin und empfiehlt dringend Verbesserungsmaßnahmen, so dass ein der Größe Österreichs würdiges Museum geschaffen werde. In der Folge kommt er auf das ausgezeichnete Gymnasium und die Gymnasialbibliothek in Zara zu sprechen. Die Bibliothek ist die einzige öffentliche Bibliothek im ganzen Land. Aus diesem Grund wünscht der Direktor des Gymnasiums, dass die Bibliothek zur Landesbibliothek erklärt werde. Eitelberger verweist außerdem auf die zahlreichen Inschriften und Denkmäler des Landes. Diese müssten besser geschützt werden, etwa indem Teile derselben als kunstgeschichtliche Sammlung, als Lapidarium dem Gymnasium in Zara übergeben werden. Abschließend geht Eitelberger allgemein auf das Volksschulwesen in Dalmatien ein. Er gesteht allerdings ein, kein Fachmann auf dem Gebiet zu sein, dennoch erlaubt er sich das Urteil, dass das Schulwesen großen Nachholbedarf habe. Lobend äußert er sich hingegen über die Fortschritte bei der Verbreitung der deutschen Sprache im Land und spricht seine Hoffnung aus, dass Deutsch eines Tages zur gemeinsamen Landessprache werde.

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Edierter Text

Euer Excellenz!

Mit den nachfolgenden Zeilen erlaube ich mir über einige Wahrnehmungen, welche ich in Dalmatien in Beziehung auf das Unterrichtswesen gemacht habe, Bericht zu erstatten.
Dieser Bericht betrifft
1. das archäologische Museum zu Spalato
2. das Gymnasium und die Gymnasialbibliothek zu Zara und endlich
3. das Volksschulwesen in Dalmatien überhaupt

1.
Das archäologische Museum zu Spalato ist eine Gründung Kaiser Franz des I. Eine große Marmortafel am Gebäude des Gymnasiums, mit welchem naturgemäß dieses verbunden ist, verkündigt das große Ereignis der Gründung eines Museums dem Freunde des Alterthums und der Geschichte des Landes. Nicht bloß Einheimische, sondern auch Ausländer haben dieses Ereignis mit Begeisterung begrüßt, denn es war ein Strahl der Hoffnung in einer den Wissenschaften sehr ungünstigen Zeitperiode. „Die Österreicher sind, so sagt Sir J[ohn] Gardner Wilkinson , einer der verdientesten Archäologen Englands, allerdings lange Zeit gleichgiltig gegen die schätzbaren Überreste des Alterthums gewesen, die in Salona verborgen lagen, aber der Vorwurf, dem sie sich so lange ausgesetzt haben, wird sie nun bald nicht mehr treffen, und die in Spalato angelegte Sammlung wird den Namen eines Landesmuseums endlich verdienen.“
Wie ist nun der Alterthumsfreund enttäuscht, wenn er, jetzt zwölf Jahre nach Wilkinson, an den Pforten des Gymnasiums nach dem Museum forscht. Denn dort erfährt er, daß das Museum wegen Mangel an Lokalitäten für den Unterricht in ein Depot der Finanzbehörde geworfen und nachdem auch die Finanzbehörden diesen der österreichischen Regierung unbequemen Ballast hinausgeworfen haben, dasselbe endlich in der kleinen Kirche der heiligen Barbara eine Ruhestätte gefunden hat. Nach mehrtägigen Bemühungen ist es mir gelungen, in den Besitz des Schlüssels des Museums zu gelangen, und nachdem ich in dasselbe eingetreten, fand ich in zwei Zimmern Inschriften und ähnliche Dinge, natürlich ohne Nummerierung, ohne Catalog, ohne Inventar an die Wand angelehnt, und in einem dritten Zimmer die Inschriften auf einen Haufen beiläufig so, wie man schmutzige Wäsche oder unnützes Gerümpel zusammenzuwerfen pflegt, und das geschieht unter den Auspicien des k.k. Gymnasiums des Repräsentanten der Unterrichtsbehörde in Dalmatien. Nun allerdings sind die Behörden allein daran nicht Schuld; in diese theilen sich mehrere andere Personen. Vorerst haben Einheimische den Werth und die Bedeutung der Ausgrabungen von Salona weit überschätzt. Wenn diese von einem österreichischen oder dalmatinischen Herkulanum [Herkulaneum] und Pompeji sprachen, so wußten sie wahrscheinlich nicht, was Herkulanum und Pompeji wirklich den Freunden der Kunst und des Alterthums bedeutet und sie wußten auch nicht, welchen Schaden sie anrichten, wenn sie in Wien Erwartungen reege machten, die natürlich in keiner Weise befriedigt werden konnten. Denn die heutigen Überreste von Salona gehören einer verhältnismäßig späten Zeit und einem relativ armen Orte an, und es können sich deswegen auch die Alterthümer von Salona nie zu der Bedeutung erheben, welche Herkulanum und Pompeji haben.
Ein weiterer Grund der Verstimmung lag in dem Charakter der Eingebornen selbst; die Einheimischen, die sich in die Reihe von Sachkennern stellen, bekriegen und denunziren sich so viel sie können und insbesondere wird der Erste, welcher mit den Ausgrabungen in Salona betraut wurde, im ganzen Lande des Diebstahls beschuldigt. Natürlich kam bei einer solchen Gebahrung das Institut selbst im Lande in Mißkredit, weil es ein lautes Geheimnis war, daß die besten Sachen davon geschleppt werden; die beste Periode war noch jene, wo Dr. Fr[anz] Carrara das Museum um die Ausgrabungen leitete; denn Carrara war ohne Zweifel der am meisten unterrichte[te] Mann, den Dalmatien in letzten Jahrzehnten auf diesem Felde hervorgerufen hat. Nach seinem Tode aber trat eine völlige Gleichgültigkeit ein, bis endlich das Museum zu jenem Grade der Verkommenheit herabkam, in dem es sich gegenwärtig zur Schande Oesterreichs befindet.
Wenn daher in dieser Angelegenheit etwas Erfolgreiches geschehen soll, so muß
Erstens, ein ordentliches auch auf die kleineren Objekte sich bezügliches Inventar abgefaßt werden, von dem eine Abschrift dem Ministerium des Unterrichtes zur Ermöglichung der Controlle zuzuweisen ist. Obwohl unsere Gymnasialprofessoren der Geschichte und lateinischen Sprache im Ganzen eine sehr ungenügende archäologische Vorbildung besitzen, so wird sich in Spalato doch Einer unter denselben befinden, der im Stande ist, einen solchen Catalog zur Ermöglichung der Controlle abzufassen. Bevor nicht ein solcher Catalog gemacht ist, wird sich kein ehrlicher Mensch zur Übernahme des Museums finden.
Zweitens. Müssen die politischen Behörden aufgefordert werden, ein einigermaßen anständiges Lokale zur Aufstellung eines von dem einzigen österreichischen Kaiser angeordneten Museums, der das Kronland Dalmatien eines Besuches gewürdigt hat, [zu finden].
Drittens, müssen auf dem Wege der Gesetzgebung Mittel gefunden werden, daß jene Inschriften, Basreliefs und andere Kunstwerke, welche im Zaratiner Kreise der Zerstörung Preis gegeben sind, unter dessen im Museum vorbehaltlich des Eigenthumsrechtes der einzelnen Besitzer gesetzlich deponirt werden, um diese vor Zerstörung zu sichern. Denn es ist gar zu komisch, in Spalato ein Museum [zu] errichten und nicht dafür [zu] sorgen, daß Inschriften und Kunstdenkmäler, welche hundert Schritte davon entfernt sind, in dem Museum selbst einen Schutz finden können.
Viertens endlich muß, wenn man einen ehrlichen Menschen als Custos gefunden hat, eine kleine Summe wenigstens für jene Epoche in Aussicht gestellt werden, wo die Finanzen des Staates es erlauben werden.
Denn mit dem Transporte von Inschriften, mit kleinen Entschädigungen, die bei solchen Gelegenheiten gegeben werden, sind wenn auch noch so kleine Auslagen verbunden, die man dem Custos, der doch das Amt unentgeltlich als Ehrensache bekleidet, billigerweise nicht zumuthen kann.

2.
Was nun das Gymnasium von Zara betrifft, so genießt dasselbe im ganzen Lande eines ausgezeichneten Rufes. Und ich gestehe, daß nachdem ich in Ragusa das unglaublichste gehört habe, was man im 19. Jahrhunderte noch irgend einer Lehranstalt nachsagen kann, und in Spalato das akademische Museum gesehen habe, ich ordentlich aufathmete, als ich in Zara den Turnplatz, die Bibliothek und das Naturalienkabinett sah. Da herrscht Ordnung, Verstand und jener Anstand, der für höhere Bildungsanstalten eine pädagogische Nothwendigkeit ist. Um die Bedeutung der Bibliothek von Zara zu würdigen, bitte ich die Zustände des Buchhandels in Dalmatien in‘s Auge zu fassen; mit Ausnahme von Zara gibt es in ganz Dalmatien keinen Buchhändler und in ganz Dalmatien keine öffentliche Bibliothek, welche [sich] mit der Geschichte des Landes beschäftigt. Das Ausleihen eines Buches von Privaten wird als eine besondere Begünstigung betrachtet und wer ein neues Buch haben will, der muß sich directe nach Triest wenden. Im Franziskaner und Dominikaner Kloster zu Ragusa gab es zwar im verflossenen Jahrhundert Bibliotheken, aber die Gleichgültigkeit gegen die Wissenschaft ist so groß, daß ich in einem dieser Klöster die Pergamentmanuscripte an einem Orte fand, der allen möglichen Unwettern ausgesetzt ist, und in dem andern Kloster eine berühmte Bibliothek, zu welcher ein geistvoller Dr. der Medizin aus eigenem Antrieb ohne Entschädigung den Catalog gemacht hat, ohne daß es den Geistlichen je eingefallen wäre, die Abschrift oder auch nur die Einsicht in den Catalog von dem Verfasser zu verlangen. Unter diesen Umständen war es sicher ein richtiger, auf der Erkenntnis der Bedürfnis[se] des Landes beruhender Gedanke des Gymnasialdirectors G[eorg] Pullich gewesen, eine „Bibliotheca Patria“ am Gymnasium zu Zara zu errichten und es geht der Wunsch desselben dahin
1. daß diese Bibliothek als Landesbibliothek erklärt würde, wie es auch in Csernowitz [Czernowitz] geschah, damit sich Private an dieser Bibliothek im höheren Grade betheiligen, denn diese sind, so lange eine Bibliothek bloß eine Gymnasialbibliothek ist, von der Furcht beherrscht, es könnte diese Bibliothek einmal in die unglücklichen Hände eines protegirten Ordens kommen und gemachte Geschenke dann jeden Nutzen für das Land selbst verlieren.
2. Im Zaratiner Kreise sind Inschriften und Denkmäler des Alters und Mittelalters der Zerstörung und der Verschleppung Preis gegeben (wie es vor recht langer Zeit mit der Sammlung des Conte Pellegrini geschah). Es wäre wünschenswerth daß,
erstens die Communen und die Privaten des Zaratiner Kreises mit Berufung auf ihren Patriotismus und die Ehre des Landes aufgefordert würden, jene Inschriften und Denkmäler, die gefunden, der Zerstörung preisgegeben werden können, dem Gymnasium von Zara entweder als Geschenk zu übergeben oder mit Vorbehalt des Eigenthumsrechtes zu deponiren und zweitens
das Gymnasium in Zara sollte ermächtigt sein, solche Geschenke und Depositen anzunehmen und verpflichtet werden, in dem Programme des Gymnasiums jährlich darüber ausführlichen Bericht zu erstatten. Der große Saal des Gymnasiums und die dem Wetter nicht ausgesetzte Seite des Gymnasialhofes sind ganz geeignet, Inschriften aufzunehmen.
Zu diesem konnte auch ein Rundschreiben an die Conservatoren vieles beitragen.
Gar kein Land der österreichischen Monarchie hat so viel Elemente zur Bildung eines für die Geschichte und die Palläografie gleich interessanten „Museo Lapidario“ als eben in Dalmatien, und es ist kaum zu verantworten, daß man bisher diese so günstige Gelegenheit zur Gründung einer solchen Anstalt hat ungenützt vorüber gehen lassen.

3.
Was nun den Volksunterricht betrifft, so habe ich viel zu wenig Erfahrungen, um darüber in das Detail Bemerkungen machen zu können. Im Allgemeinen ist es gewiß, daß von einem Volksunterrichte, wie er bei uns stattfindet, in Dalmatien keine Rede ist. Es finden sich im Lande Capovilas vermögliche Leute aller Art, die weder Lesen noch Schreiben können. Von einem Sie[g] der slavischen Rasse über die romanische ist bei der Verkümmerung des Volksunterrichtes nicht zu denken , insbesondere aus diesem Grunde, weil bei einer so gearteten Volkserziehung das Intresse für Zivilisation und Lektüre vorherrschend bei der romanischen Rasse zu Hause ist und weil die italienische Litteratur gegenwärtig wohl die einzige ist, welche diesem Bedürfnisse Genüge zu leisten im Stande ist. Es sind zwar reiche nationale Enthusiasten, besonders in Agram, die schon zu einer bestehenden südslavischen Civilisation in Dalmatien sprechen; daß im früheren Mittelalter oder auch in späteren Zeiten eine größere Civilisation vorhanden war als gegenwärtig, das erleidet wohl keinen Zweifel; aber heut zu Tage von einer großen Civilisation reden, ist wirklich kindisch und verhindert bloß die Erkenntnis in die Nothwendigkeit jener Maßregeln, welche zur Förderung der dalmatinischen Civilisation nothwendig sind.
Schließlich erlaube ich mir noch die Bemerkung, daß die deutsche Sprache in den letzten fünf Jahren, in denen ich Dalmatien nicht sah, bedeutende Fortschritte gemacht hat, daß sie geeignet ist, ein Ersatzmittel der italienischen Sprache für die vorgeschrittenere Bildung einzelner Klassen zu werden und daß sie eine Aussicht haben kann, Landessprache zu werden [und] von den einheimischen Slaven und Italienern ohne Mißtrauen betrachtet wird.

Euer Excellenz

ergebenster
Prof. R. v. Eitelberger

Wien, 28. Oktober 1859