Der evangelische Superintendent Georg Paul Binder bittet den Kaiser, die von der evangelischen Kirche in Siebenbürgen beantragte rechtliche Neuordnung der Kirchenverfassung zu bestätigen. Die Kirche hatte bereits im Jahr 1851 einen solchen Antrag eingebracht, bisher war über diesen aber noch nicht entschieden worden. Zur Untermauerung des Antrags weist Binder insbesondere auf das seit jeher gute Verhältnis der evangelischen Kirche zu den staatlichen Autoritäten hin. Außerdem verweist er auf die treue Haltung der Siebenbürger Sachsen während der Revolution von 1848. Binder hebt auch besonders hervor, dass durch die Neuordnung der Kirchenverfassung staatliche Rechte nicht eingeschränkt werden würden.
Euer Kaiserliche Königliche Apostolische Majestät!
Allergnädigster Kaiser und
Herr!
Schon seit der Reformation nahmen bei den Evangelischen A. C. in Siebenbürgen die Geistlichen und Weltlichen
stets gleichen Antheil an der äußeren Verwaltung der Kirche namentlich des
Kirchenvermögens, und dieses Verhältniß wurde auch in der im Jahr 1807 von
Allerhöchst Seiner Majestät Kaiser Franz,
dem Ersten, glorreichen Andenkens, genehmigten neuesten Kirchenverfassung oder
Vorschrift für die Consistorien A. C. aufrecht erhalten. Die Mitwirkung der
Weltlichen aber und die Vertretung der Kirchengemeinden fand mit der politischen
Verfassung der sächsischen Nation, deren Mitglieder dem Augsburgischen
Glaubensbekenntnisse anhangen, in dem engsten Zusammenhang, denn die Vorsteher
und Mitglieder der Ortsbehörden waren zugleich auch die verfassungsmäßigen
Mitglieder der Ortskirchenräthe (Localconsistorien), die Kreisvorsteher –
Stuhls- und Distriktsbeamten – waren Mitglieder der Kreiskirchenräthe
(Domesticalconsistorien) und die Deputirten zur Nationsuniversität waren
Beisitzer des Oberkirchenrathes (Oberconsistorien). Alle diese Beamten und
Deputirten aber gingen aus der Wahl des Volkes hervor, desselben Volkes, welches
sonst ausschließlich dem Augsburger Glaubensbekenntnisse angehört. Die Kirche
hatte daher keine Veranlassung, dieses Laienelement als mit dem geistlichen
Stande gleichberechtigt nicht anzuerkennen, zumal dasselbe Laienelement die
vollziehende Gewalt in Händen hatte, mithin zur Durchführung von Beschlüßen, zu
deren Fassung es mitgewirkt hatte, das brachium civile mit aller
Bereitwilligkeit ertheilte.
Diese Ordnung der Dinge ist durch die politische
Organisationsverfügung der hohen Regierung von Grund aus abgeändert worden und
es sind durch dieselben in der Zusammensetzung der Gemeindekirchenräthe, der
Kreiskirchenräthe und des Oberkirchenrathes so bedeutende Lücken entstanden, daß
das deutsche Kirchen- und Schulwesen in Siebenbürgen von Staatswegen mit
Desorganisation und Anarchie im höchsten Grade bedroht erscheint. Und wenn bis
zur Stunde Symptome der Anarchie nicht zu Tage treten, so erklärt sich diese
Erscheinung lediglich aus dem eingelebten, von den bisherigen Institutionen
genährten "Sinn für Ordnung und Gesetzlichkeit", welchen auch Euer Majestät
gleich Allerhöchst Ihren Erlauchten Vorfahren, der sächsischen Nation
nachzurühmen im Allerhöchsten Patente vom 21. Dezember 18481 die aufmunternde Gnade gehabt haben. Wohl
aber begegnet der Freund der Ordnung auch auf kirchlichem Gebiete in Folge der
durch die neue Staatsorganisation theilweise herbeigeführten Auflösung des
Kirchenregiments schon vielfacher Lähmung des kirchlichen Lebens; und es
erscheint aber deshalb bei dem durch Jahrhunderte geheiligten Zusammenhange
zwischen Kirche und Schule auch der Bestand der deutschen Schulen von
Regierungswegen in Frage gestellt, von Schulen, welche sich bewährt und der
hohen Regierung niemals, aber niemals, in Hinsicht ihrer politischen Richtung
zur Unzufriedenheit Veranlassung geboten haben. Euer Majestät geruhen mir
Allergnädigst zu gestatten, auf die Haltung der unter der evangelischen Kirche
A. C. stehenden deutschen Jugend im Jahre 1848 ehrerbietigst hinzuweisen. Vom
Schäßburger Gymnasium allein
scharten sich in dem beklagenswerthen Jahre sonst allgemeinen Abfalles sieben
und zwanzig Studirende unter den kaiserlichen Fahnen, um in ihrer Treue gegen
das angestammte Herrscherhaus sogar das Leben einzusetzen. Und diesem Schulwesen,
welches solche Früchte getragen, droht große Gefahr, indem in Folge der
Organisationsacte der hohen Regierung die Schulpatronate im Zustande der
theilweisen Auflösung sich befinden.
Allergnädigster Kaiser und Herr! Die
sächsische Nation hat bis zur Erschöpfung ihrer Kräfte Hab und Gut ihrer
Anhänglichkeit für Österreich geopfert. Die
sächsische Nation hat ihre wichtigsten, durch keinen Treubruch verwirkten,
Rechte der Idee einer vollkommen einheitlichen Organisierung Neuösterreichs zum
Opfer gebracht. Vom theuren Erbe der Väter ist ihr nur die Schule und Kirche
geblieben. Aber auch diesem einzigen Erbgute droht große Gefahr, wenn die durch
Verfügungen der hohen Regierung herbeigeführten Lücken im Kirchenregimente nicht
bald ausgefüllt werden. Dieses Unglück abzuwenden hat Euer Majestät treue
evangelische Landeskirche A. C. in Siebenbürgen bereits unter dem 28. Mai 1851 die nöthigen
kirchlichen Organisationsvorlagen gemacht, und noch immer – nach beinahe drei
Jahren – harret die treue evangelische Kirche A. C. in Siebenbürgen deren günstiger Erledigung. Dieser
Zustand einer Angelegenheit, welche der Kirche als eine heilige erscheinen muß,
beängstigt um so mehr die Gemüther, je mehr sich die evangelische Kirche A. C.
in Siebenbürgen vollkommen bewußt ist, jene
Rechte, welche in den Staatsverträgen und Gesetzen als Majestätsrechte
bezeichnet werden, auch in den erwähnten Organisationsvorlagen von 1851 nicht im
Mindesten auch nur bezweifelt zu haben.
Geruhen daher Allerhöchst Euer
Majestät durch eine Allergnädigste Entschließung die treue evangelische Kirche
A. C. in Siebenbürgen zu beglücken und
Allergnädigst zu verfügen, daß die Euer Majestät stets getreue evangelische
Kirche nicht gehindert werde, die durch Organisationsmaßregeln der hohen
Regierung in ihrem Kirchenregimente herbeigeführten Lücken auszufüllen, um so
mehr, als auch die vorerwähnten Vorlagen Zeugenschaft geben dürften, daß die
Kirche keinem Rechte des Staates auch nur im Mindesten zu nahe getreten
sei.
Der ich in homagialischer Unterwürfigkeit verharre
Euer Kaiserlichen Königlichen Apostolischen Majestät
treugehorsamster
Unterthan
Georg Binder
Superintendent der evangelischen Landeskirche A.
C. in Siebenbürgen
Wien, am 18. Mai 1854