Der Philologe Georg Bippart bittet Leo Thun, ein Exemplar seines jüngst erschienenen Buches über das griechische Altertum entgegen zu nehmen. Das Buch wird ihn demnächst per Post erreichen. Dem Paket ist ein zweites Exemplar beigelegt, das Bippart dem Kaiser zum Geschenk machen möchte. Bippart hofft, mit dem Lehrbuch die Intentionen Thuns umgesetzt zu haben. Er entschuldigt sich gleichzeitig für die Verspätung, mit der das Werk erschienen ist. Diese rühre daher, dass die Auswahl der Texte für ein Schulbuch wohl durchdacht werden musste. Außerdem vertrete er in zahlreichen Aspekten andere Ansichten als viele seiner Kollegen, daher musste er bei der Abfassung große Sorgfalt aufwenden, zumal für eine wissenschaftliche Argumentation in einem Lehrbuch nicht ausreichend Raum vorhanden sei. Um dies nachzuholen, möchte er bei Gelegenheit ein ausführliches Werk zur griechischen Mythologie verfassen. Zuletzt spricht Bippart erneut seine Hoffnung aus, mit dem vorgelegten Werk Thuns Ansprüchen gerecht geworden zu sein und damit auch seine Berufung aus dem Ausland gerechtfertigt zu haben.
Euer Excellenz
wollen in Gnaden die in diesen Tagen eintreffenden zwei Exemplare meiner soeben
vollendeten Schrift1 über das griechische Alterthum entgegennehmen und
geruhen das eine als Zeichen meiner Verehrung und Dankbarkeit zu behalten, das
andere, sofern die Gabe nicht allzu gering erscheinen sollte, Seiner Majestät
unserem Allergnädigsten Kaiser und Herrn zukommenlassen zu wollen.
Möge es
mir gelungen sein, Euer Excellenz weise Intentionen richtig verstanden und zu
Dero Zufriedenheit ausgeführt zu haben. Dann dürfte ich vielleicht hoffen, für
die Verspätung dieser Leistung Verzeihung und für die Vollendung des zweiten
Bandes, welcher das römische Alterthum behandeln wird, noch eine kleine Frist zu
erhalten.
Zu meiner Entschuldigung wage ich folgendes zu bemerken. Um der
mir gewordenen Weisung gemäß nicht bloß einen gewöhnlichen Abriß der
Antiquitäten und Mythologie, sondern ein gründliches und anziehendes, für
Schüler und Lehrer nützliches Lesebuch zu liefern, waren in Bezug auf Auswahl,
Anordnung und Darstellung große Schwierigkeiten zu überwinden. Es verging
geraume Zeit, ehe ich mit dem Plane im Reinen war; bei der Ausarbeitung mußten
fast alle Partien mehrfach umgeformt und verkürzt werden. Dazu kam, daß ich, auf
einem anderen Standpunkte stehend als die Mehrzahl der jetzt tonangebenden
Philologen, vieles in einem anderen Lichte schaute und häufig zu anderen
Resultaten gekommen war. Unter solchen Umständen war es doppelt geboten, die
Quellen wiederholt zu durchforschen, die Ansichten der Neueren mehrfach zu
prüfen und nur mit der größten Vorsicht von denselben abzuweichen, zumal da mir
eine streng wissenschaftliche Beweisführung nicht vergönnt war, und der längst
gehegte Plan, eine wissenschaftliche Mythologie zu schreiben, so lange
verschoben werden muß, bis ich durch Gottes Hilfe und Euer Excellenz gütiger
Fürsorge einmal in der Lage sein werde, mit ungetheilterer Kraft und frischerem
Muthe der Wissenschaft leben zu können. Denn, um anderes nicht zu erwähnen, so
kann ich endlich nicht unterlassen in Anschlag zu bringen, daß der Bereich,
welcher mir von Euer Excellenz anvertraut worden, und welchen unausgesetzt und
pünktlich zu erfüllen ich für heilige Pflicht halte, – besonders wegen der
Correctur der lateinischen Seminararbeiten – meine Zeit und Kraft so in Anspruch
nimmt, daß mir zu literarischen Arbeiten nur die Ferien übrig bleiben.
Mögen also Euer Excellenz alles dieses mit gewohnter Umsicht und Milde
erwägen und die Verspätung wie mannigfachen Mängel meines Buches zum Theil der
Schwierigkeit der Aufgabe und der Umstände zuschreiben. Übrigens schätze ich
mich glücklich, an Euer Excellenz nicht nur einen nachsichtigen, sondern auch
weisen und sachverständigen Beurtheiler zu haben; und ergreife mit Freuden die
Gelegenheit, mich Euer Excellenz einmal ohne Mittelsperson mit einer Leistung
nahen zu können. Indem ich mich der Hoffnung hingebe, dieselbe werde bei Euer
Excellenz eine gnädige Aufnahme finden und mich in Dero Augen den übrigen aus
dem Auslande berufenen Professoren in geistiger wie wissenschaftlicher Beziehung
nicht ganz unebenbürtig erscheinen lassen, verharre ich in tiefster Ehrfurcht
und vollkommenster Hochachtung
Euer Excellenz gehorsamster
Georg Bippart
Prag 18. October 1857