Der Konzipist im Unterrichtsministerium, Josef Haferl, berichtet über die Gremialhandelsschule in Wien. Die Schule wurde im Jahr 1849 von der Wiener Handelskammer als private Stiftung gegründet und soll Lehrlingen aus dem Bereich des Handels die Möglichkeit bieten sich weiterzubilden. Damit steht die Schule in einer Reihe mit anderen Schulen, die als Ergänzung zu den Volksschulen und den Gymnasien gegründet worden sind. In Deutschland gibt es solche und ähnliche Schulen seit mehr als 40 Jahren, auch in Österreich folgte man mit der Gründung der Realschulen und den technischen Instituten diesem Beispiel und hatte großen Erfolg damit. Die Wiener Gremialhandelsschule besteht derzeit aus vier Klassen, unterrichtet wird sonntagnachmittags. Der Unterricht ist für alle Lehrlinge verpflichtend. Haferl berichtet dann von den guten Ergebnissen der bisherigen Jahresprüfungen und betont, dass sich damit auch der Erfolg der Schule zeige. Abschließend spricht er seine Hoffnung aus, dass man auch in anderen Städten dem Wiener Beispiel folgen werde.
Wien, den 26. Jän.
Dem Bedürfnisse einer tieferen und mehrseitigen Bildung, als die Volks- und
Elementarschulen gewähren können, haben die sogenannten Mittelschulen ihre
Entstehung zu verdanken.
Der höhere Bürgerstand kann sich mit dem Maß von
Kenntnissen, wie es dem Landmann und dem Kleingewerbebürger genügen kann, nicht
begnügen, und so entstanden neben den Gymnasien und Volksschulen schon vor 40
und mehreren Jahren in Deutschland, wie in
Berlin, München, Augsburg usw. Schulen, in welchen
außer den Sprachen Geographie, Geschichte, Mathematik, Naturgeschichte und
Naturlehre, Technologie usw. gelehrt wurden.
Diese Schulen, obwohl von der
gelehrten Welt von allen Seiten befeindet, haben sich aber nicht nur behauptet,
sondern ihre Zahl hat sich in neuester Zeit beträchtlich vermehrt, ein Beweis,
daß ihr Bedürfnis kein eingebildetes, sondern ein in der Natur begründetes war
und daß sie das leisten, was man von ihnen zu erwarten berechtigt war.
Auch
in Oesterreich hat die Staatsverwaltung, ferner die
Landstände von Böhmen,
Steiermark, Mähren und
Schlesien durch Errichtung
von technischen Instituten und damit verbundenen Realschulen diesem Bedürfnisse
zu entsprechen gesucht und neben diesen Mittelschulen entstanden nach und nach
auch solche, die ihre Entstehung einzelnen Gemeinden oder Körperschaften, ja
sogar Stiftungen einzelner Personen zu verdanken haben.
Zu dieser Klasse
gehört die Gremialhandelsschule in Wien. Sie wurde im
Jahr [1]849 von dem hiesigen Handelsgremium aus eigenen Mitteln gegründet und
nach Bestätigung ihrer Statuten am 18. März [1]849 zum ersten Male
eröffnet.
Der Unterricht, der in dieser Handelsschule ertheilt wird, umfaßte
ursprünglich 3 Klassen, die aber vor kurzem zum Behufe eines zweckmäßigeren
Unterrichtes auf 4 erweitert wurden. Für diese 4 Klassen bestehen nach den
Statuten dieser Gremialhandelsschule 4 Sectionen, von denen bereits 3 Sectionen
eröffnet sind.
Die Unterrichtsgegenstände sind: Religion, Schönschreiben,
kaufmännischer Styl und Correspondenz, kaufmännische Arithmetik, Münz-, Maß- und
Gewichtkunde und Arbitragerechnung, Handelsgeographie, Waarenkunde, Wechselrecht
und kaufmännische Buchhaltung.
Das Lehrpersonale ist sowohl bezüglich der
Zahl als Auswahl der Individuen von der Oberleitung der Schule mit gleicher
Munifizenz und Einsicht gewählt. An der Spitze desselben steht ein
Direktor.
Der Unterricht wird an Sonntagen nachmittags von 3 bis halb 6 Uhr
ertheilt und es sind alle Lehrlinge verpflichtet ihm ohne Unterbrechung
beizuwohnen; jedem Commis aber steht es frei gegen einen Jahresbeitrag von 3 fl
daran theilzunehmen.
Die Leitung des Unterrichtes in allen Klassen und
Sectionen liegt dem Direktor ob.
Zur Aufrechthaltung der Ordnung und
Disziplin dienen die trefflichen Controllseinrichtungen, denen zufolge die
Senioren, Repräsentanten und Mitglieder des bürgerlichen Handelsgremiums
abwechselnd während der Lehrstunden die Oberaufsicht führen.
Die Schülerzahl
betrug im ersten Schuljahr im Jahr [1]849 932, worunter sich 177 Commis
befanden.
Im Schuljahr [1]850 stieg die Schülerzahl auf 940. Die
Jahresprüfungen werden immer im Monat Dezember öffentlich abgehalten.
Die
erste Prüfung, die am 8. Dez. [1]849 abgehalten wurde, gab ein günstiges
Resultat, was um so mehr anerkannt werden mußte, wenn man die Kürze des
Bestandes dieser Schule berücksichtigte. Es wurden 39 Schüler mit Prämien
betheilt und 28 erhielten das Accessit.
Die zweite öffentliche Prüfung aber,
die am 15. Dez. [1]850 im Sophienbadsaale stattfand, lieferte noch günstigere
Resultate, denn es wurden 82 Schüler mit Prämien belohnt und 47 erhielten das
Accessit. Die Prämien bestehen in werthvollen, nützlichen und lehrreichern
Büchern.
Dieses günstige Resultat, das diese Handelsschule in so kurzer Zeit
bereits lieferte, ist dem Eifer der Lehrer, unter denen Ditscheiner besonders zu erwähnen
ist, ferner den eifrigen und umsichtigen Direktor Nigris und ganz besonders den unermüdlichen, keine Kosten und
Opfer scheuenden Vorstehern
A[nton]
Duck und A[ngelo]
Bearzi
zu verdanken.
Jeder, der dieser Prüfung
beiwohnte, muß die Überzeugung geschöpft haben, daß diese Gremialhandelsschule
eine wahre Pflanzschule für den Handelsstand ist und daß der Saame, den diese
Schule ausstreut, in weiteren Kreisen seine segensreichen Früchte tragen wird.
Den Gründern dieser Anstalt müssen aber alle Menschenfreunde den wärmsten Dank
zollen für ihre mit so viel Mühe und Kosten verbundenen Anstrengungen, wodurch
es ihnen gelang eine Schule ins Leben zu rufen, die die Jugend des
Handelsstandes mit jener Bildung erfüllt, welche sie in ihrem künftigen
speziellen Berufe als Vermittler zwischen Produzenten und Consumenten und bei
den sich täglich erweiternden Kreisen des Handelswesens so sehr benöthigt. Möge
diese nützliche und segensreiche Anstalt wie in Prag auch an anderen Orten die verdiente Nachahmung finden!
Haferl