George Phillips an Leo Thun
Wien, 24. Januar 1852
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Regest

Der Jurist George Phillips teilt Leo Thun die gewünschten Informationen über Michael Fertig mit, die er bei einem Bekannten in Erfahrung bringen konnte. Fertig ist ein möglicher Kandidat für eine Professur der Geschichte an einer österreichischen Universität. Phillips gibt in dem Brief mehrere Passagen aus dem Schreiben seines Vertrauensmanns wieder. Dieser betont zunächst, dass Fertig die Stelle wohl nicht annehmen werde, da er bereits im fortgeschritten Alter und durch Heirat finanziell unabhängig sei. Der Schreiber ist jedoch davon überzeugt, dass Fertig durch seine umfassenden Kenntnisse mehr als geeignet wäre, da er nicht nur in der alten Geschichte, sondern auch besonders in der klassischen Philologie äußerst bewandert sei. Was Fertigs kirchliche und katholische Haltung betrifft, so hält ihn der Vertrauensmann jedoch nicht für uneingeschränkt empfehlenswert. Der Vertrauensmann nützte außerdem die Gelegenheit, um den jungen Philologen Georg Bippart zu empfehlen. Phillips ist indes davon überzeugt, dass Bippart zwar ein guter Philologe sei, er glaubt jedoch, dass er für die betreffende Professur nicht geeignet sei, sondern lediglich für die Zukunft als Kandidat in Frage käme.

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Schlagworte

Edierter Text

Hochgeborner Herr Graf!

Euer Excellenz beehre ich mich im Nachfolgenden in Betreff des Dr. Fertig Bericht zu erstatten. Meine Erkundigungen in Betreff desselben, die ich bei einem äußerst gewissenhaften Manne1 eingezogen habe, sind nicht ganz nach meinem Wunsche ausgefallen, indem die Bedingung, unter welcher allein ich ihn zu einer Professur der Geschichte empfehlen könnte, nicht vorhanden ist. Doch ich lasse meinen Berichterstatter selbst sprechen:
„Ihre wichtige Anfrage vom 18. dieses will ich Ihrem Vertrauen entsprechend mit möglichster Gründlichkeit, der Wichtigkeit der Sache selber jedoch mit aller Offenheit zu beantworten trachten. Die Beobachtungen und Anschauungen, die ich während des sechsjährigen Aufenthaltes Dr. Fertigs an unserer Anstalt zu machen Gelegenheit genug gehabt haben dürfte, sollen die Grundlagen meines Urtheils bilden.“
„1. Ich glaube nicht, daß Dr. Fertig die fragliche Stelle annehmen werde. Er steht bereits im 51. Lebensjahre und ist ein wohlhabender Mann. Zudem hat er vor 3 Jahren hier eine reiche Braut gefunden; nun lebt er mit seinem Schwiegervater dahier ein so glückliches und gemüthliches Familienleben, daß ich nicht glauben kann, er werde diese angenehmen Verhältnisse so leicht verlassen. Auch glaube ich nie eine besondere Sympathie für Oesterreich an ihm bemerkt zu haben, viel eher das Gegentheil.“
„2. Was die Kenntnisse anbelangt, so wäre Dr. Fertig ganz der Mann für diesen Posten. Er lehrt jetzt in seiner Klasse alte Geschichte ausgezeichnet, und ich zweifle nicht, daß er auch die allgemeine ebenso gut vorzutragen im Stande ist, wenngleich sein fränkischer Dialekt ihn den hiesigen Schülern für den Anfang etwas unverständlich macht und sein mündlicher Vortrag etwas Eigenthümliches hat. Außerdem ist er in der classischen Philologie ausnehmend bewandert, an hiesiger Anstalt wohl der beste Philolog und selbst im Sanskrit gründlich gebildet, weswegen ihn auch die Würzburger Universität zur Anerkennung seiner trefflichen Übersetzung und gelehrten Erklärung einer Episode aus dem Mahabarata2 1841 honoris causa mit dem Doktordiplom beehrt hat. Er gibt heuer am hiesigen Gymnasium zum ersten Mal Unterricht in Sanskrit mit vielem Erfolge.“
„3. Was aber seine kirchliche, katholische Gesinnung betrifft, so glaube ich nach reiflicher Überlegung und ernstlichem Gebete entschieden aussprechen zu müssen, daß ich in dieser Beziehung Dr. Fertig für diese Stellung nicht für geeignet halte. Directe und auffallende Beweise von Antikirchlichkeit kann ich nicht aufführen, aber auch gar keine für seine Kirchlichkeit. Er war einige Zeit Candidat der Theologie, verließ sie und steht wie so viele, ja die meisten Philologen, auf antikphilologischem Standpunkte der Bildung, und daher getraue ich mir für den Geist, in welchem er die Geschichte des Mittelalters oder der Reformation vortragen würde, nicht zu garantiren; wenigstens ist ihm das gesammte Alterthum in Vorbereitung auf Christus nie und nirgends noch erschienen. Ihm ist das Höchste in der Geschichte der römische Staat und seine politische Entwicklung. Das zu zeigen versteht er meisterlich. Ein christliches Element aber findet sich nicht, das glaube ich bestimmt aussprechen zu können; für das katholische Prinzip wird er sicher keine Lanze einlegen, geschweige brechen: eher für die liberale Parthei und ihre Ansichten.“
„Übrigens führt Herr Dr. Fertig ein gelehrtes zurückgezogenes, abgeschlossenes Leben seit langer Zeit, wodurch sein Äußeres und seine Manieren etwas Schroffes und Hartes verrathen, das seinem Herzen zwar fremd ist, aber für die Stellung im historisch-philologischen Seminar manche Schwierigkeit bieten dürfte.“
„So erscheint mir die Sache, auch nachdem ich heute bei der heiligen Messe sie Gott nochmals empfohlen habe. Zur Ehre Bayerns wünschte ich die Berufung sehr, und mir würde eine Stelle leer, worauf schon lange so manche alte verdiente Lehrer warten; fragen Sie mich aber über katholische Gesinnung und kirchlichen Geist mit Freiheit und Klugheit gepaart, so glaube ich nicht anders antworten zu können, als es geschehen ist.“
„Nachschrift. Während ich mit der Abfassung beiliegenden Briefes beschäftigt war, kam unvermuthet von Jena ein Schreiben. Ich legte es bei Seite und vollendete den Brief. Nun begann ich die Lesung mit der Unterschrift Dr. Georg Bippart außerordentlicher Professor in Jena. Den hatte ich auf der letzten Philologenversammlung in Erlangen kennengelernt und ihm auf seine dringenden Bitten eine Audienz bei dem Erzbischof in Bamberg erwirkt. Seine Bescheidenheit, womit er seinen Vortrag über die Metra beim Pindar und in den Chören der Tragiker gegen Böckh vertheidigte und diesem greisen Philologen alle Ehre seiner neuen Ansichten zuschrieb, hat mich außerordentlich für den jungen Mann eingenommen. Am nächsten Morgen trafen wir wieder im Dom zu Bamberg zusammen, ich am Altar, er in der Kirche. Sein ganzes Wesen erregte in mir damals die Ahnung von dem, was in seiner Seele vorging. Ich bitte Sie herzlich, lesen Sie den Bericht vom Lebenslaufe Dr. Bipparts und schicken Sie mir seinerzeit dieses Denkmal der göttlichen Vorsehung und Liebe zurück.“
Ich habe nun dem Wunsche meines Correspondenten gemäß den höchst interessanten Bericht gelesen, kann aber der Meinung desselben, daß Bippart, der ein ausgezeichneter Philologe sein muß, sich für die vacante Stelle qualificire, nicht beistimmen. Um indessen nichts zu versäumen, lege ich Euer Excellenz obigen Bericht bei, vielleicht könnte später einmal der junge Professor Oesterreich ersprießliche Dienste leisten.
Mit der ausgezeichnetsten Hochachtung beharre ich als

Euer Excellenz

unterthänigster Diener
Dr. G. Phillips

Wien, 24. Januar 1852