Der Jurist Johann Friedrich Schulte äußert sich zu einigen Personalfragen
und teilt dem Minister in Auszügen den Inhalt eines Briefes von
Friedrich Wilhelm Ritschl mit:
Ritschl schrieb ihm, dass er vom Tod
Karl Grysars gelesen habe und sich dadurch an die Gespräche zwischen ihm
und Schulte in Karlsbad erinnerte, in denen sie über Kandidaten für
einen Lehrstuhl der klassischen Philologie in Österreich sprachen. Durch
den Tod von Grysar sei diese Frage nun freilich wieder akut. Zunächst
müsse sich der Minister aber entscheiden, ob man einen erfahrenen
Professor oder eine Nachwuchskraft nach Wien berufen wolle. In der
ersten Kategorie seien unter den katholischen Philologen nur Karl Halm
und Karl Ludwig Urlichs denkbar. Ritschl glaube jedoch, dass beide ihre
Stellen nicht aufgeben werden. Wolle man einen jungen Philologen
berufen, empfehle Ritschl an erster Stelle seinen Schüler Johannes
Vahlen, der sich trotz seines geringen Alters bereits große Verdienste
erworben habe. Ritschl äußere sich außerdem positiv über die Berufung
der Lehrer Franz Pauly und Eduard Goebel.
Schulte ergänzt dazu, dass
auch er nur Gutes von Vahlen gehört habe, er ihn jedoch persönlich nicht
kenne. Schulte glaubt außerdem auch Franz Winiewski aus Münster als
möglichen Kandidaten empfehlen zu können. Schulte schreibt schließlich,
dass er sich im Laufe des Sommers noch zu weiteren Kandidaten für das
Gymnasiallehramt äußern werde. Vorerst müsse er allerdings noch
zusätzliche Informationen zu einigen Kandidaten einholen und warnenden
Hinweisen nachgehen. Zuletzt empfiehlt er den Juristen Eduard Buhl aus
Prag für eine Professur an einer kleineren Universität der
Monarchie.
Euer Excellenz
wollen gnädigst gestatten, daß ich Denselben von dem Folgenden Mittheilung mache,
in der Absicht, nicht meinerseits die Schuld zu tragen, Hochderselben einen
Dieselben sehr interessirenden Gegenstand vorzuenthalten.
Unterm 16. dieses
Monats1 schreibt mir der Geheime
Regierungsrath und Prof. der klassischen Philologie aus Bonn, Dr. Ritschl, von
Wiesbaden also:
"Während ich hier gerade noch die letzten Ferientage verlebe, werde ich durch die
Zeitungsnachricht von dem unerwarteten Tode des Prof. Grysar überrascht und dadurch lebhaft in Gedanken
zurückversetzt in die mancherlei Gespräche, die wir in
Karlsbad führten und an die bei diesem Anlaß wieder
anzuknüpfen Sie mir wohl gestatten. Auf wen wird man sein Auge werfen, um einen
so schönen Wirkungskreis würdig, und ich darf hinzusetzen mit noch mehr Aussicht
auf eingreifenden Erfolg, auszufüllen? Die Wahl unter den gewiegten Philologen
katholischer Confession ist nicht groß. Will man einen älteren Mann von schon
fertigem Rufe, so ist dagegen nichts zu sagen; in diesem Falle wüßte ich kaum
einen Dritten als entweder Halm in
München oder Urlichs in Würzburg, – wenn sie gehen, was mir sehr zweifelhaft ist. Wollen
Sie aber einen genannt haben, der gewiß geht und an dem Oesterreich nach meiner innigsten und
gewissenhaftesten Überzeugung eine ganz vorzügliche Erwerbung machen würde, so
ist das der Dr. Vahlen (Privatdozent)
in Bonn, einer der 3 bis 4
ausgezeichnetesten Philologen, die ich seit zwei Decennien unter meinen Augen
habe heranwachsen sehen; ein trefflicher Docent; in der litterarischen Welt
durch seine sehr tüchtige Leistung „Ennianae poesis reliquiae“ bereits aufs
Rühmlichste bekannt und anerkannt; übrigens nicht minder Gräcist als Latinist,
besonders versirt in Aristotelischen Studien, wovon er auch kürzlich im
„Rheinischen Museum“ eine schöne Probe gegeben hat. Selbst aufs Tüchtigste
geschult, gäbe er die sichere Bürgschaft, wieder eine tüchtige Schule zu machen
und Ihrem Staate junge Kräfte zuzuziehen, deren es noch in so reichlichem Maaße
bedarf, um dem Bedürfnisse der Schulen zu genügen. Ich darf es dreist wagen, in
diesem Falle für den Erfolg meine ganze philologische Ehre zum Pfande
einzusetzen.“
„Können und wollen Sie nun in dieser Beziehung wirken, so soll
mich das nicht minder als um des jungen Mannes willen, auch um der
philologischen Studien willen von Herzen freuen. Wo nicht, so habe ich hiermit
gethan, was zu unterlassen ich für ein Unrecht gehalten hätte und tröste mich
mit meiner guten Absicht."
Im weiteren Verlaufe lobt Prof. Ritschl
Dr. Pauly und Goebel ausnehmend und fügt hinzu, daß noch
gleich gute Kräfte in der Rheinprovinz sein [sic!].
Euer Excellenz werden gewiß bei diesem Inhalte des Briefes, und weil ich
überzeugt bin, daß man mich in Deutschland anfeindete, wollte
ich keinen Gebrauch davon machen, die Mittheilung gnädigst entschuldigen. Auch
ich habe von Dr. Vahlen
wissenschaftlich nur Gutes gehört, kenne ihn persönlich nicht, da er erst nach
mir sich in Bonn habilitirt hat, weiß
aber, daß er Katholik ist und habe im Übrigen nichts Nachtheiliges über
denselben vernommen. Daß Dr. Pauly auch
für den Katheder ebenso geeignet ist, glaubt gewiß auch Prof. Ritschl. Zu den zwei
älteren ließe sich übrigens mit vollem Rechte noch Prof. Dr. Winiewski in
Münster, einer der talentvollsten Schüler von
Böckh, beifügen; der, wie ich von
Vielen weiß, auch ein sehr guter Docent ist, eine Eigenschaft, welche dem sonst
schätzbaren Prof. Ritter in Bonn gänzlich abgeht.
Euer Excellenz
erlaube ich mir schließlich noch die ganz ergebenste Mittheilung, daß ich zwar
noch mehrere sehr ausgezeichnete Leute aus der Rheinprovinz für Gymnasien
empfehlen könnte und glaube, daß Euer Excellenz vielleicht von anderer Seite
werden angegangen werden, daß mir aber von 3–6 derartige moralisch verwerfliche
Thatsachen als gewiß bekannt sind, die freilich Wenige kennen, daß es großer
Vorsicht bedarf. Diejenigen, deren Integrität ich kenne, werde ich im Laufe des
Sommers (und im August persönlich) zu gewinnen suchen; sollte ich auf irgend
eine Weise die Bewerbung eines Verdächtigen erfahren, so gebe ich Euer Excellenz
mein Wort darauf, dieselben sofort aufmerksam zu machen.
Geruhen Euer
Excellenz den Ausdruck tiefster Hochachtung und Dankbarkeit entgegenzunehmen und
gestatten gnädigst, daß ich den Dr. Buhl
Euer Excellenz Gnade bestens empfehle, da derselbe ein ernstes Streben bekundet
und für eine kleine Universität meines Erachtens wohl eine Professur ausfüllen
könnte.
Hochgeborner Herr Graf!
Euer Excellenz
gehorsamster
Dr. Schulte
Prag, den 20. April 1856