Johann Friedrich Schulte an Leo Thun
Prag, 20. April 1856
|

Regest

Der Jurist Johann Friedrich Schulte äußert sich zu einigen Personalfragen und teilt dem Minister in Auszügen den Inhalt eines Briefes von Friedrich Wilhelm Ritschl mit:
Ritschl schrieb ihm, dass er vom Tod Karl Grysars gelesen habe und sich dadurch an die Gespräche zwischen ihm und Schulte in Karlsbad erinnerte, in denen sie über Kandidaten für einen Lehrstuhl der klassischen Philologie in Österreich sprachen. Durch den Tod von Grysar sei diese Frage nun freilich wieder akut. Zunächst müsse sich der Minister aber entscheiden, ob man einen erfahrenen Professor oder eine Nachwuchskraft nach Wien berufen wolle. In der ersten Kategorie seien unter den katholischen Philologen nur Karl Halm und Karl Ludwig Urlichs denkbar. Ritschl glaube jedoch, dass beide ihre Stellen nicht aufgeben werden. Wolle man einen jungen Philologen berufen, empfehle Ritschl an erster Stelle seinen Schüler Johannes Vahlen, der sich trotz seines geringen Alters bereits große Verdienste erworben habe. Ritschl äußere sich außerdem positiv über die Berufung der Lehrer Franz Pauly und Eduard Goebel.
Schulte ergänzt dazu, dass auch er nur Gutes von Vahlen gehört habe, er ihn jedoch persönlich nicht kenne. Schulte glaubt außerdem auch Franz Winiewski aus Münster als möglichen Kandidaten empfehlen zu können. Schulte schreibt schließlich, dass er sich im Laufe des Sommers noch zu weiteren Kandidaten für das Gymnasiallehramt äußern werde. Vorerst müsse er allerdings noch zusätzliche Informationen zu einigen Kandidaten einholen und warnenden Hinweisen nachgehen. Zuletzt empfiehlt er den Juristen Eduard Buhl aus Prag für eine Professur an einer kleineren Universität der Monarchie.

Anmerkungen zum Dokument

Schlagworte

Edierter Text

Euer Excellenz

wollen gnädigst gestatten, daß ich Denselben von dem Folgenden Mittheilung mache, in der Absicht, nicht meinerseits die Schuld zu tragen, Hochderselben einen Dieselben sehr interessirenden Gegenstand vorzuenthalten.
Unterm 16. dieses Monats1 schreibt mir der Geheime Regierungsrath und Prof. der klassischen Philologie aus Bonn, Dr. Ritschl, von Wiesbaden also:

"Während ich hier gerade noch die letzten Ferientage verlebe, werde ich durch die Zeitungsnachricht von dem unerwarteten Tode des Prof. Grysar überrascht und dadurch lebhaft in Gedanken zurückversetzt in die mancherlei Gespräche, die wir in Karlsbad führten und an die bei diesem Anlaß wieder anzuknüpfen Sie mir wohl gestatten. Auf wen wird man sein Auge werfen, um einen so schönen Wirkungskreis würdig, und ich darf hinzusetzen mit noch mehr Aussicht auf eingreifenden Erfolg, auszufüllen? Die Wahl unter den gewiegten Philologen katholischer Confession ist nicht groß. Will man einen älteren Mann von schon fertigem Rufe, so ist dagegen nichts zu sagen; in diesem Falle wüßte ich kaum einen Dritten als entweder Halm in München oder Urlichs in Würzburg, – wenn sie gehen, was mir sehr zweifelhaft ist. Wollen Sie aber einen genannt haben, der gewiß geht und an dem Oesterreich nach meiner innigsten und gewissenhaftesten Überzeugung eine ganz vorzügliche Erwerbung machen würde, so ist das der Dr. Vahlen (Privatdozent) in Bonn, einer der 3 bis 4 ausgezeichnetesten Philologen, die ich seit zwei Decennien unter meinen Augen habe heranwachsen sehen; ein trefflicher Docent; in der litterarischen Welt durch seine sehr tüchtige Leistung „Ennianae poesis reliquiae“ bereits aufs Rühmlichste bekannt und anerkannt; übrigens nicht minder Gräcist als Latinist, besonders versirt in Aristotelischen Studien, wovon er auch kürzlich im „Rheinischen Museum“ eine schöne Probe gegeben hat. Selbst aufs Tüchtigste geschult, gäbe er die sichere Bürgschaft, wieder eine tüchtige Schule zu machen und Ihrem Staate junge Kräfte zuzuziehen, deren es noch in so reichlichem Maaße bedarf, um dem Bedürfnisse der Schulen zu genügen. Ich darf es dreist wagen, in diesem Falle für den Erfolg meine ganze philologische Ehre zum Pfande einzusetzen.“
„Können und wollen Sie nun in dieser Beziehung wirken, so soll mich das nicht minder als um des jungen Mannes willen, auch um der philologischen Studien willen von Herzen freuen. Wo nicht, so habe ich hiermit gethan, was zu unterlassen ich für ein Unrecht gehalten hätte und tröste mich mit meiner guten Absicht."
Im weiteren Verlaufe lobt Prof. Ritschl Dr. Pauly und Goebel ausnehmend und fügt hinzu, daß noch gleich gute Kräfte in der Rheinprovinz sein [sic!].

Euer Excellenz werden gewiß bei diesem Inhalte des Briefes, und weil ich überzeugt bin, daß man mich in Deutschland anfeindete, wollte ich keinen Gebrauch davon machen, die Mittheilung gnädigst entschuldigen. Auch ich habe von Dr. Vahlen wissenschaftlich nur Gutes gehört, kenne ihn persönlich nicht, da er erst nach mir sich in Bonn habilitirt hat, weiß aber, daß er Katholik ist und habe im Übrigen nichts Nachtheiliges über denselben vernommen. Daß Dr. Pauly auch für den Katheder ebenso geeignet ist, glaubt gewiß auch Prof. Ritschl. Zu den zwei älteren ließe sich übrigens mit vollem Rechte noch Prof. Dr. Winiewski in Münster, einer der talentvollsten Schüler von Böckh, beifügen; der, wie ich von Vielen weiß, auch ein sehr guter Docent ist, eine Eigenschaft, welche dem sonst schätzbaren Prof. Ritter in Bonn gänzlich abgeht.
Euer Excellenz erlaube ich mir schließlich noch die ganz ergebenste Mittheilung, daß ich zwar noch mehrere sehr ausgezeichnete Leute aus der Rheinprovinz für Gymnasien empfehlen könnte und glaube, daß Euer Excellenz vielleicht von anderer Seite werden angegangen werden, daß mir aber von 3–6 derartige moralisch verwerfliche Thatsachen als gewiß bekannt sind, die freilich Wenige kennen, daß es großer Vorsicht bedarf. Diejenigen, deren Integrität ich kenne, werde ich im Laufe des Sommers (und im August persönlich) zu gewinnen suchen; sollte ich auf irgend eine Weise die Bewerbung eines Verdächtigen erfahren, so gebe ich Euer Excellenz mein Wort darauf, dieselben sofort aufmerksam zu machen.
Geruhen Euer Excellenz den Ausdruck tiefster Hochachtung und Dankbarkeit entgegenzunehmen und gestatten gnädigst, daß ich den Dr. Buhl Euer Excellenz Gnade bestens empfehle, da derselbe ein ernstes Streben bekundet und für eine kleine Universität meines Erachtens wohl eine Professur ausfüllen könnte.

Hochgeborner Herr Graf!
Euer Excellenz
gehorsamster
Dr. Schulte

Prag, den 20. April 1856