Justin Linde an Leo Thun
Frankfurt, 4. Dezember 1856
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Regest

Zurückkommend auf ein früheres Schreiben möchte der hessische Staatsrat Justin Linde dem Minister einen nicht näher genannten Kandidaten für einen Lehrstuhl der Deutschen Reichs- und Rechtsgeschichte vorschlagen. Linde hat diesen jungen Mann kürzlich persönlich kennengelernt. Er stammt aus einer adeligen Familie aus Westfalen, ist Katholik und hat seine Studien in Bonn und Berlin absolviert. Linde schreibt, dass diesem durch seine ausgezeichneten Studienergebnisse in Preußen alle Türen offen stünden, obschon er Katholik sei. Daher müsse man zwar rasch, aber im Verborgenen handeln. Linde glaubt, dass er keine unbescheidenen Ansprüche stellen werde, allerdings wohl nicht dazu zu bewegen sei, nach Krakau oder Pest zu gehen. Linde betont außerdem, dass der Abschluss des Konkordates den Wunsch des jungen Mannes, in Österreich eine Stelle zu erlangen, verstärkt habe. In einem beiliegenden Schreiben wird Emil Rösslers Verhalten in der Frankfurter Paulskirche geschildert. Der Schreiber geht dabei besonders auf dessen Verhalten bei der Kaiserwahl ein, von der sich Rössler – auch wenn öffentlich das Gegenteil verlautete – enthalten hatte. Die Gründe dafür kann der Schreiber nicht ermitteln. Ob Rössler Anhänger der Gothaer Partei sei, kann der Schreiber ebenfalls nicht sagen, allerdings pflege Rössler Umgang mit Anhängern dieser Gruppe. Über Rösslers wissenschaftliche Leistungen will er weitere Erkundigungen einziehen.

Anmerkungen zum Dokument

Schlagworte

Edierter Text

Frankfurt, den 4. Dezember 1856

Schon in einem früheren gehorsamsten Schreiben habe ich mir die Freiheit genommen, Eurer Excellenz vorzutragen, daß ich einige tüchtige junge Männer zu Professoren für deutsches Recht und deutsche Reichs- und Rechtsgeschichte, so wie für canonisches Recht vorzuschlagen im Stande sei. Wiewohl ich darauf ohne hohe Entschließung geblieben, so halte ich mich doch, durch das Schreiben1 Eurer Excellenz an den Herrn Grafen Rechberg, verpflichtet, darauf um so mehr zurückzukommen, als es sich ja nicht blos darum handeln kann, Bedenklichkeiten zu erregen, sondern auch Besseres vorzuschlagen.
Kürzlich hatte ich Gelegenheit, die nähere Bekanntschaft eines jungen Gelehrten zu machen, der, katholischer Religion, aus einer alten adlichen Familie Westfalens stammend, die jetzt am Rheine lebt, und der in Preußen, Bonn und Berlin studirt und alle juristischen Examina und Vorbereitungen zum Staatsdienste mit Auszeichnung bestanden hat, eben im Begriffe steht, die Doctorwürde zu nehmen, um sich dann sofort dem Katheder zu widmen. Bei seinen gründlichen Kenntnissen, seinem sonst empfehlenden Äußern und vorzüglicher gesellschaftlicher Bildung, und da es ihm weder an vorzüglichem Vortrage noch an Empfehlungen fehlt, würde er in Preußen, trotz dessen, daß er ein sehr guter Katholik ist, schnell zum Ziele kommen; aber dann auch um so schwerer für einen auswärtigen Dienst zu acquiriren sein; weil ihn, der überhaupt ein ungewöhnlich honetter Mann ist, dann noch Pflichten der Dankbarkeit und Erwiederung des Vertrauens an den Beruf in seinem nächsten Vaterlande enger binden dürften. Dieser Herr wird etwa 28 Jahre alt sein, und ich kann dafür einstehen, daß er den Erwartungen ungefähr in derselben Weise, wie Professor Schulte in Prag entsprechen dürfte. Dabei hat seine ganze äußere Erscheinung etwas sehr Edles. Seit in der österreichischen Monarchie durch das Concordat alle Augen auf das Kaiserreich gerichtet sind, leuchtet auch bei diesem Herrn der Wunsch durch, an einer österreichischen Universität einen Wirkungskreis angewiesen zu bekommen, und ich zweifle nicht daran, daß wenn ich ihm bestimmte Aussichten eröffnen könnte, er jetzt noch sie mit großem Danke annehmen würde. Um eine förmliche Bewerbung darf ich ihn nicht angehen, weil, wenn dieses verlautete, und er keine sicheren Aussichten in Oesterreich hätte, schon der Versuch ihm demnächst in Preußen Mißtrauen und damit Hindernisse bereiten würde.
Da ich nun für diesen Herrn in jeder Hinsicht die ganze Bürgschaft dafür, daß er eine wahre Acquisition für den kaiserlichen Dienst sein wird, übernehmen kann, so bitte ich Eure Excellenz ganz gehorsamst, mir eröffnen zu wollen: ob und welche Aussichten und an welche Universität ich demselben eröffnen darf. Daß er keine unbescheidenen Ansprüche macht, davon bin ich im Voraus gewiß, nur zweifle ich, daß er auf eine Anstellung in Pesth oder Krakau leicht eingehen würde.

Dr. Linde

Was Herrn Dr. Rößler anbetrifft, so dürfte es auf einen Irrthum beruhen, daß derselbe für die Wahl des Königs von Preußen zum deutschen Kaiser gestimmt habe. Dafür, daß die Kaiserwürde einem Fürstenhause erblich übertragen werden solle, hat Dr. Rößler allerdings gestimmt; aber bei der Kaiserwahl selbst, hat er ausdrücklich erklärt, nicht zu wählen. Überhaupt hat er in der Nationalversammlung in Frankfurt keine irgend bemerkbar gewordene active Thätigkeit an den Tag gelegt. Er kommt bei Gelegenheit der Verhandlung über die österreichische-slavische Frage in der 29. Sitzung am 1. Juli 1848 als Redner auf der Tribüne vor, wo er nichts Gefährliches vorgebracht hat. Sodann war er Schriftführer der 9. Abtheilung.
Hiernach kann das Benehmen Rößlers bei der Abstimmung über die Kaiserwahl nicht schwer gegen ihn in die Wagschale fallen, und es dürfte höchstens der Vermuthung Raum geben, daß er die politische Bedeutung der Frage: ob die Nationalversammlung berechtigt war, einen Kaiser zu wählen? nicht begriffen hat, weil er durch seine Abstimmung bis zur wirklichen Wahl mit den Kaisermachern allerdings gemeinschaftliche Sache machte und sich so gerirte, als wenn die Nationalversammlung berechtigt wäre zu wählen; aber gleichwohl bei der Wahl selbst ausdrücklich erklärte: ich wähle nicht. Aus welchem Grunde diese letztere, äußerlich ganz correkte Haltung von ihm eingehalten, bleibt freilich ungewiß, da er nicht, wie so viele andere, darüber eine ausdrückliche Erklärung in das Protokoll niedergelegt hat.
Davon verschieden ist nun aber der Punkt: ob der Kandidat aus der Gothaischen Partei, und ob er mit Bewußtsein in derselben gestanden habe; und dem Einfluße der wissenschaftlichen Männer dieser Parthei noch nicht entrückt sei? Wenn das der Fall wäre, dann würde eine Anstellung allerdings eine Wirksamkeit vermitteln, die das grade Gegentheil bewirkte und das Lehrfach der deutschen Reichs- und Rechtsgeschichte bietet dafür nach jeder Richtung die passendste und eindringlichste Gelegenheit.
Gab es im Frankfurter Parlamente auch dem Namen nach noch keine Gothaer Parthei, so bestanden doch die Grundsätze und die Vertreter, die man später so bezeichnete. Und da läßt sich nicht in Abrede stellen, daß der Candidat in seinen Abstimmungen bei Gelegenheit der Kaisermacherei sich zu jenen Grundsätzen geneigt hat; ob mit Bewußtsein oder aus Mangel an Einsicht oder Interesse; wer kann das wissen.
Die Übersiedlung nach Göttingen, in die Nähe des dortigen Publizisten Zacharia, einem der entschiedensten Gothaer, der mehr wie irgend ein anderer die Ansichten dieser Parthei, wissenschaftlich zu vertreten und zu verbreiten bemüht gewesen ist, läßt nicht weniger als eine Empfehlung durch Savigny vermuthen, daß die gothaische Parthei ihren Sauerteig einzumischen die unveränderte Absicht hat. Seitdem es einem Haupte der Partei, das bei seinem Ausscheiden aus dem Frankfurter Parlamente öffentlich vor ganz Deutschland zu Protokoll erklärte:
„Daß er zu seinem tiefen Schmerze erfahre, daß die Hoffnungen des deutschen Volkes, welche so nahe ihrer Erfüllung gewesen die mächtigste deutsche Krone (Preußen) unter Beistimmung von neunundzwanzig deutschen Regierungen an der Spitze des neuen deutschen Bundesstaates zu sehen, zu scheitern drohe; und daß er im Angesichte der höchsten Gefahren, aus der Versammlung austrete;“
gelungen ist, in Österreich, trotz solchen Erklärungen eine hervorragende Stelle als Ausländer und Gothaer des reinsten Wassers zu erlangen, sind die Gutgesinnten in Deutschland allerdings sehr stutzig geworden, und man kann es der gothaischen Parthei nicht verdenken, wenn sie mit neuen Hoffnungen auf Succeß belebt ist und ganz und gar Nichts darin findet, einen geborenen Österreicher jeder Gesinnung als acceptabel zu betrachten. Aber wer die Macht und Verantwortlichkeit hat und wen die Folgen belästigen, wie einen Kultusminister, der hat allen Grund nur doppelt vorsichtig zu sein und das Vertrauen der treuen Anhänger correcter Grundsätze stets solchen Erfahrungen gegenüber neuaufzurichten.
Über des fraglichen Kandidaten Wirksamkeit und Richtung ziehe ich übrigens noch genauere Notizen ein und werde, sobald ich sie erhalten, mich beeilen, solche nachzusenden. Diese vorstehenden Bemerkungen als allgemeine, wollte ich aber dadurch nicht in ihrer Mittheilung aufhalten.