Der Historiker Julius Ficker sendet Leo Thun einige Informationen zu Gottfried Muys. Ficker war von Leo Thun beauftragt worden, Erkundigungen über jenen anzustellen. Hierzu wandte sich Ficker an Karl Simrock und Joseph Floss in Bonn. Während ersterer auf Grund von Krankheit keine Auskunft geben konnte, antwortete Floss ausführlich. Ficker gibt dessen Antwort in Auszügen in diesem Brief wieder. Floss kenne Muys persönlich und könne ihn aufgrund seines Talentes und seiner Kenntnisse in alter Geschichte durchaus empfehlen. Seine Schriften seien erst kürzlich in den Göttinger gelehrten Anzeigen günstig besprochen worden. Bedenken äußere Floss nur hinsichtlich Muys eigentümlichem Charakter. Des Weiteren gibt Floss auch eine Aufklärung zu den Muys gemachten Vorwürfen über dessen angebliche revolutionäre und atheistische Gesinnung. Ficker hofft, dass die Hinweise von Floss dem Minister behilflich seien und verbürgt sich für Floss.
Eure Excellenz!
Leider stand es nicht bei mir, Eurer Excellenz in Ausführung des gnädigen
Auftrags vom 19. Juni laufenden Jahres1,
Erkundigungen über den Dr. Muys
einzuziehen, früher zu berichten; ich hatte mich sogleich nach
Bonn gewandt, auch bereits vor einiger Zeit eine
vorläufige Antwort von dort erhalten, aber mit der ausdrücklichen Bitte, mich
daraufhin noch nicht zu äußern, damit noch einige Erkundigungen zur Sicherung
des Urtheils eingezogen werden könnten. Jetzt erhalte ich vom Prof. Dr.
Floss, welchem ich mit der Bitte um
Verschwiegenheit die einzelnen dem Dr. Muys gemachten Vorwürfe namhaft machte, ein ausführliches
Schreiben, aus welchem ich das Wichtigste glaube wörtlich anführen zu
sollen:
„Sofern die Klage auf atheistische und revolutionaire Grundsätze
lautet, dürfte sie unbegründet sein. Vor kaum sechs Wochen war ein strebsamer
Geistlicher der Diözese Münster, der hier
studirt, bei seinem Bischofe
verklagt, weil er mit Dr. M[uys] viel
umgehe, welcher revolutionairen und atheistischen Grundsätzen huldige. Der
Bischof von Münster schickte
die Klage an den hiesigen Dechanten und Prof. Dieringer sagte mir damals, das
Ergebnis sei durchaus zu Gunsten des Dr. Muys ausgefallen. Dasselbe wiederholte mir vorgestern der
Dechant unter Vorlage eines Briefes des Bischofs von Münster, worin dieser sich durch das Ergebnis der
Untersuchung befriedigt erklärte. Dr. M[uys] hielt sich früher hier ausschließlich an die sogenannten
spezifischen Ultramontanen, zumal Clemens und Martin“
(den jetzigen Bischof von Paderborn) „und außerdem an
Aschbach.“
„Daß Dr. M[uys] Schulden habe, ist wenigstens hier
nicht bekannt. Er lebt, wie man nicht anders weiß, äußerst nüchtern und
bescheiden. Daß die langjährigen Studien sein Vermögen ziemlich aufgezehrt
haben, möchte ich für wahrscheinlich halten.“
„Seine Lehrgabe kann ich nicht
beurtheilen. Man sagt mir mehrfach, sein Vortrag habe etwas Monotones. Ähnliches
äußerte man mir zur Zeit, jedoch nur als kleinen Schatten, über seine
Probevorlesung. Jemand, der ihn in verwichenem Winter, ich glaube in
griechischer Geschichte hospitirte, sagte mir, sein Vortrag verrathe großes
Wissen und Studium. Die Art und Weise seines Vortags fand dieser im Ganzen
tadellos.“
„Alle, die M[uys] näher
kennen, von seinen Gymnasialstudien an bis jetzt, halten ihn für einen begabten
Menschen. Sein Fleiß war in hohem Grade lobenswerth. Allein er warf sich auf ein
abstruses Gebiet, hinterasiatische Geschichte und Sprachvergleichung. Ich
vermuthe, daß ihn hierauf eine Preisfrage führte, die er als Student hier mit
Anerkennung löste, und welche die assyrische Geschichte betraf. Würde er seine
Forschungen über solche Dinge den Zuhörern produziren, so dürfte man darin
Mangel an Lehrtakt finden. Allein ich habe keine positiven Anhaltspunkte, auf
die hin ihn ein solcher Vorwurf träfe; vielmehr loben mir Studenten seine alte
Geschichte. Auch las M[uys] über
mittlere und neuere Geschichte, welche jedoch weit weniger sein Fach sein
soll.“
„Seine Schriften sind jüngst in den Göttinger gelehrten Anzeigen von Benfey, wie man mir sagt, günstig besprochen worden; des Heftes
selbst konnte ich nicht habhaft werden. Ein hiesiger sachkundiger Privatdozent
sagte mir, sie seien höchst geistreich, allein stellenweise äußerst kühn. Da die
Schriften vorliegen, ließe sich wohl leicht ein sachkundiges Urtheil
ermitteln.“
„Wenn man gesagt hat, M[uys] sei wenig geachtet, so ist das Richtigere, daß er, seit
Aschbach und Clemens fort sind, die auf ihn wegen
seines Talents zu halten schienen, fast mit keinem Kollegen mehr verkehrt und
daher den meisten kaum noch viel mehr, als dem Namen nach bekannt ist. Seit ihm
vor dritthalb Jahren mißlang, die Geschichtsprofessur in
Braunsberg zu erhalten, scheint er, an einem
Fortkommen in Preußen verzweifelnd, sich
vollends auf sich zurückgezogen zu haben. Da er elternlos aufwuchs, mag er von
Haus aus Widerspruch ungern empfinden. Die Zurücksetzung und Aussichtslosigkeit
scheint ihn verbittert und dies ihn in den Ruf gebracht zu haben, daß er schwer
umgänglich sei und über seine wirklichen oder vermeintlichen Widersacher, wohl
auch über seine Gönner, da er nicht voran komme, vorkommendenfalls eine scharfe,
wohl gar böse Zunge führe. Seine Mitschüler am Gymnasium wollen nach der Seite
nur das an ihm bemerkt haben, daß, wer ihm widersprach, selten lange sein Freund
blieb. Als Universitätsstudent sagte man ihm ein starkes gelehrtes Selbstgefühl
nach.“
„Daß seine Berufung, wenn sie erfolgt, einen übeln Eindruck machen
würde, vermag ich nicht abzusehen. Die hiesigen Protestanten ignoriren sie; die
Katholiken werden sich freuen, einem begabten offenbar entmuthigten und
aussichtslosen jungen Manne eine Zukunft geöffnet zu sehen.“
„Soll ich kurz
resumiren, so ist M[uys], was sein
Talent und seine Kenntnisse zumal für alte Geschichte betrifft, jedenfalls
empfehlenswerth. Wie weit sein Lehrtakt reicht, kann ich nicht beurtheilen, doch
scheint mir auch da kein wesentliches Bedenken obzuwalten. Bedenken erregt nur
die erwähnte Charaktereigenthümlichkeit, von der ich annehmen muß, daß sie, je
nachdem seine Umgebung ist und sich zu ihm stellt, in Widerspruch, bittere Zunge
und Unverträglichkeit umschlagen könnte. Andererseits bleibt auch möglich, daß,
wenn sein Leben sich freundlicher gestaltet, die Befürchtung nicht zutrifft und
er sich einem freundlichen geselligen Verkehr hingibt; jedenfalls wird da sehr
viel auf die Umgebung ankommen. Eine ernste Mahnung nach der Seite hin dürfte,
wenn er berufen wird, etwa durch Prof. Aschbach, der ihm Autorität ist, ihm zugehen können und
jedenfalls nicht überflüssig sein. Hier verkehrt M[uys] gegenwärtig nur mit dem oben erwähnten jungen Geistlichen
und einem talentvollen, aber nicht ganz ohne seine Schuld hoffnungslosen
katholischen Privatdocenten.“
„Ich bin mir bewußt, bei diesem Urtheile, mich
durch die Lage des Dr. M[uys] – die
Lage des katholischen Privatdocenten an der Bonner Universität, zumal wenn seine
Finanzen auf die Neige gehen, ist bekanntermaßen mehr als trostlos und wahrhaft
bejammernswerth – nicht im Geringsten haben bestimmen zu lassen.“
Aus andern
Mittheilungen meines Freundes hebe ich noch hervor, daß derselbe früher einigen
Umgang mit M[uys] hatte, seit
dritthalb Jahren aber in keiner nähern Verbindung mehr mit ihm steht. Dafür, daß
sein Urtheil nach bestem Gewissen abgefaßt ist, glaube ich einstehen zu
können.
Ich hatte mich weiter an Herrn Prof. Simrock gewandt, welcher aber, kaum von
einer schweren Krankheit genesen und den Dr. Muys nicht näher kennend, nicht in der Lage war, Erkundigungen
einzuziehen. Unmaßgeblicher Weise scheint es mir auch fast, als dürften Eure
Excellenz in Vorstehendem vielleicht genügende Anhaltspunkte zur Entscheidung
über das Gewicht der vorgebrachten Beschuldigungen finden. Sollte es dagegen im
Wunsche Eurer Excellenz liegen, daß ich weitere Erkundigungen einziehe, so
würden sich mir immerhin noch Gelegenheiten dazu bieten, freilich schwer, ohne
einiges Aufsehen zu erregen, weshalb ich ohne ausdrückliche Aufforderung dazu
keine weitern Schritte thuen möchte.
Mit größter Hochachtung und
Ehrerbietung
Eurer Excellenz
ganz gehorsamster und ergebenster
Dr. Ficker
Innsbruck 1858, Aug. 2.