Der Historiker Julius Ficker berät Leo Thun in der Frage der Berufung eines Professors für Klassische Philologie an die Universität Innsbruck. Zunächst eröffnet er dem Minister, dass Johannes Vahlen den Ruf nach Innsbruck nicht annehmen werde. Ficker verweist Thun daher auf einige alternative Kandidaten für den Lehrstuhl, die Vahlen zusammen mit seiner Absage genannt hatte. Vahlen hatte sich hierfür auch bei seinem Lehrer in Bonn, Friedrich Wilhelm Ritschl, erkundigt. Dessen Antwort lag dem Brief Vahlens an Ficker bei und Ficker fasst diesen in der Folge zusammen. Ritschl betone darin, dass es schwierig sei, einen guten katholischen Philologen zu nennen, da alle etablierten Professoren bereits einen Lehrstuhl hätten. Anschließend empfehle Ritschl zwei seiner Schüler. Ritschl sei auch mit dem Vorschlag Vahlens einverstanden, den Gymnasiallehrer Eduard Goebel zu berufen, allerdings wäre dieser zumindest einem seiner Schüler, Franz Bücheler, nachzureihen. Ficker selbst betont, dass er bis auf Goebel keinen der Kandidaten kenne, Goebel ihm aber von Ritschl bereits im vorigen Jahr empfohlen worden war. Ritschl würde Goebel allerdings Bücheler nachreihen, was aus der Sicht von Ficker wohl darauf zurückzuführen ist, dass Goebel im Gegensatz zu Bücheler bereits eine Stelle innehabe. Schließlich äußert sich Ficker enttäuscht über das Verhalten von Vahlen, der die ernsthaften Bemühungen Thuns, ihn zu berufen, nur für persönliche Verbesserungen benützt habe. Zuletzt verweist Ficker noch darauf, dass Anton Goebel von Ritschl wohl nicht empfohlen wurde, weil dieser nicht der Bonner Schule angehört.
Eure Excellenz!
Nachdem ich vor wenig Tagen mir erlaubte anzudeuten, weshalb es mir unmöglich
war, bezüglich der Berufung des Prof. Dr.
Vahlen an die hiesige
Hochschule Eurer Excellenz eine erledigende Mittheilung zukommen
zu lassen, erhalte ich so eben auf meine frühern Zuschriften von ihm die
Antwort, daß er in Folge einer Verbesserung seiner Stellung zu Breslau sich entschlossen habe, dort zu
verbleiben.
Da ich, wenn mich auch das Schreiben darüber im Unklaren läßt,
annehmen darf, daß Euer Excellenz davon unmittelbarer verständigt sein werden,
so dürfte es vielleicht überflüssig scheinen, deshalb Eure Excellenz abermals
durch eine Zuschrift zu belästigen; ich halte mich aber zu einer solchen
verpflichtet bezüglich eines anderen Punctes, welchen er in seinem Schreiben
vorzugsweise berührt, nämlich des Vorschlages anderweitiger Kandidaten für den
Lehrstuhl der Philologie. Er hatte in dieser Beziehung an Herrn Prof. Ritschl zu Bonn geschrieben und
legt mir, wie ich Euer Excellenz mitzutheilen glaube keinen Anstand nehmen zu
dürfen, den Brief Ritschl‘s
selbst vor, so daß das, was ich mitzutheilen mir erlaube, auf eigener Einsicht
desselben beruht.
Ritschl meint, daß es sehr schwer sei geeignete katholische
Philologen vorzuschlagen, da solche, welche schon Namen hätten, wie Spengel und Halm in München,
Urlichs in Würzburg schwerlich geneigt sein
würden, nach Innsbruck zu gehen.
Einer seiner vielversprechendsten Schüler sei ein junger Bonner, Reifferscheid, welcher so eben eine
Preisfrage über Sueton trefflich gelöst habe; doch sei
derselbe erst mit seiner Promotion beschäftigt, könne daher jetzt noch nicht in
Betracht kommen; doch sei er überzeugt, daß er in Kurzem für eine Berufung nach
Oesterreich oder Baiern sehr geeignet sein werde.
Der Dr. Bücheler, an welchen Vahlen primo loco gedacht habe, sei vor
allen zu empfehlen. Er sei jetzt mit seiner Habilitation beschäftigt und werde
wohl noch in diesem Semester lesen; daß es mit bestem Erfolge geschehen werde,
davon sei bei seiner wirklichen Gelehrsamkeit, seinem feinen, scharfsinnigen,
productiven Geiste, seiner gewandten und lebendigen Persönlichkeit gar nicht zu
zweifeln; etwa zu Ostern als Extraordinarius berufen, würde er bald genug so gut
einschlagen, daß man sich sicherlich zu seiner Erwerbung gratuliren würde. Es
werde ihm aber wahrscheinlich im Wege stehen, daß er noch keine öffentliche
Proben seiner Befähigung abgelegt habe und er begreife es, wenn eine Regierung
auf eine bloße Empfehlung hin zögere, eine solche junge Kraft heranzuziehen. Er
habe auch andere von katholischer Seite an ihn gelangte Anfragen nach einer
philologischen Lehrkraft nach bestem Wissen und Gewissen nicht passender zu
beantworten gewußt, als durch eine Hinweisung auf Bücheler.
Nicht übel sei
aber auch der von Vahlen angeregte
Gedanke an den Dr. Ed[uard] Goebel zu
Salzburg; derselbe habe neuerdings in seiner
Lucretianis ganz ehrenwerthe Proben erfreulichen Fortschreitens gegeben und es
sei möglich, daß er sich noch so entwickle und emporarbeite, um dereinst im
ersten Range zu zählen. Es ließe sich Manches dafür sagen; doch möchte er nicht
in derselben Weise wie bei Vahlen und
Bücheler sein Wort dafür
verpfänden, daß er unfehlbar einschlagen werde.
Nur bedauern könne er es,
wenn man etwa auf den Dr. Pauly verfiele,
welcher sich angeblich jetzt zu Prag
habilitiren wolle; er habe als Schulmann seine sehr guten Eigenschaften, aber
als Professor der Philologie fungirend dürfe er ganz geeignet sein, den guten
Ruf der Bonner Philologenschule zu kompromittiren.
So weit was ich glaubte
Euer Excellenz aus der Äußerung des Prof. Ritschl mittheilen zu sollen, insofern es möglich wäre,
daß Hochdieselben jetzt oder später in der Lage wären, diese Urtheile zu
berücksichtigen; ich füge noch hinzu, daß Prof.
Vahlen selbst den Dr. Bücheler
sehr empfiehlt, weiter mich bittet, von den Äußerungen Ritschl’s nur konfidentiellen
Gebrauch zu machen, eine Gränze, welche ich durch jene Mittheilungen an Eure
Excellenz nicht überschritten zu haben glaube.
Mir persönlich sind die
genannten Kandidaten persönlich völlig unbekannt bis auf den Dr. Ed[uard] Goebel zu
Salzburg. Was diesen insbesondere betrifft, so glaube
ich hinzufügen zu sollen, daß vor einem Jahre Herr Prof. Ritschl mit mir über ihn
sprach, ihn nicht genug zu rühmen wußte und uns Glück wünschte, ihn gewonnen zu
haben. Wenn er in dem vorliegenden Briefe sich allerdings auch sehr günstig über
ihn ausspricht, dem Dr. Bücheler aber
doch den Vorrang zuerkennt, so bin ich, so weit ich Herrn Prof. Ritschl irgend kenne, aufs
bestimmteste überzeugt, daß das, was er über letztern sagt, aufs vollkommenste
gegründet sein wird. Andererseits glaube ich, daß Eure Excellenz es mir nicht
verübeln werden, wenn ich eine sich mir aufdrängende Bemerkung auszusprechen
wage. Prof. Ritschl ist,
wie das gewiß in der Ordnung sein dürfte, eifrig bemüht, seinen tüchtigern
Schülern angemessene Stellungen zu sichern: Goebel wie Bücheler
sind seine Schüler; aber jener ist bereits versorgt, für diesen wäre ein Ruf
nach Oesterreich von größerer Wichtigkeit,
als er ihm sicher eine Stellung in Oesterreich oder aber auch, was nicht gerade ferner liegen
dürfte, in Preußen selbst verschaffen würde, und nach dem,
was mir Ritschl selbst
früher über Ed[uard] Goebel mittheilte,
möchte ich fast glauben, daß er sich auch jetzt noch unumwundener günstig für
ihn ausgesprochen hätte, wenn ihn nicht jener Umstand eine Berufung Bücheler’s wünschenswerther erscheinen
lassen müßte. Ich kann mich allerdings darin irren und füge hinzu, daß meine
persönlichen Beziehungen zu Ed[uard]
Goebel ganz oberflächliche sind, nicht derart, daß sie etwa mir
persönlich eine Berufung desselben besonders wünschenswerth machen würden; aber
ich will nicht verhehlen, daß es mich unangenehm berührt hat, daß Prof. Vahlen, nachdem man sich vielfach
bemüht hatte, ihm einen Ruf nach Oesterreich und auch nach Innsbruck zu verschaffen, schließlich doch ausgeschlagen hat.
Euer Excellenz werden gewiß die geeignetsten Wege einschlagen, um dem von
Tag zu Tag dringender hervortretenden Bedürfnisse einer Vertretung der
Philologie an unserer Hochschule so tüchtig, wie sie sich eben möglich zeigt,
abzuhelfen. Ob die gegebenen Notizen dazu von Werth sein können, weiß ich nicht
zu beurtheilen; ich fühlte mich jedenfalls zu ihrer Mittheilung verpflichtet, da
sie mir von einer Seite, auf deren Urtheil Eure Excellenz Gewicht zu legen
geneigt sein dürften, offenbar zum Zwecke einer solchen Mittheilung zukamen.
Sollte nun, was ich freilich nicht voraussetzen kann, bei der Frage nach
Besetzung der hiesigen Stelle auch etwa noch der Dr. Anton Goebel zu Wien in
Berücksichtigung kommen, so darf ich wohl darauf hindeuten, daß derselbe von
dieser Seite allerdings auf eine Empfehlung nicht würde zu rechnen haben, da er
der Bonner Philologenschule nicht angehörte.
Mit größter Hochachtung und Ehrerbietung
Eurer Excellenz ganz gehorsamster
und ergebenster
Dr. Ficker
Innsbruck 1857 November 22.