Der Historiker Julius Ficker beantwortet einen Brief Leo Thuns, in dem der Minister um Empfehlung von fähigen Kandidaten für das Lehramt an österreichischen Gymnasien gebeten hatte. Ficker glaubt, dass sich in seiner Heimat Westfalen gewiss einige Kandidaten finden ließen. Allerdings hätten katholische Gymnasiallehrer nicht dieselben Schwierigkeiten, eine Anstellung in Preußen zu finden wie Universitätsdozenten. Ein Anreiz könnte jedoch das höhere Einstiegsgehalt in Österreich sein. Ficker will daher sofort an Bekannte in Bonn und Münster schreiben und sich bei diesen erkundigen. Anschließend erteilt Ficker Auskunft in einer zweiten von Thun angesprochenen Angelegenheit, nämlich über die angeblichen Ungereimtheiten bei der Lehramtsprüfung des Benediktinerpaters Raas. Ficker versichert jedoch, dass Raas die Prüfung allein deshalb nicht bestanden hatte, weil seine Kenntnisse hierzu nicht ausreichend waren und nicht, wie kolportiert, ein Vorurteil Prof. Georg Schenachs gegenüber Raas der entscheidende Grund gewesen sei. Zum Beweis fügt Ficker einige Notizen über die betreffende Sitzung der Prüfungskommission bei. Aus diesen gehe hervor, dass bereits die Frage der Zulassung zur mündlichen Prüfung wegen formaler Fehler kontrovers diskutiert worden war und er selbst damals für eine Nichtzulassung plädierte. Nach der mündlichen Prüfung sprach sich der zuständige Fachprüfer Prof. Malecki gegen eine Approbation aus, was von der Mehrheit der Prüfer gebilligt wurde. Ficker versichert dem Minister zudem, dass sich Prof. Schenach bei Prüfungen niemals von persönlichen Leidenschaften habe leiten lassen.
Innsbruck, 8. März 1855
Euer Excellenz!
In dem gnädigen Schreiben vom 4. dieses [sic!] Monats 1 geruhten Euer
Excellenz mir die Anfrage zu stellen, ob ich glaube, daß sich in
Rheinland und Westfalen katholische
Kandidaten der Philologie finden würden, die befähigt und bereit seien, unter
angegebenen Bedingungen eine Stelle an einem österreichischen Gymnasium
anzunehmen.
Ich glaube diese Frage wohl bejahen zu dürfen. Allerdings finden
in Preußen die katholischen Kandidaten des
Lehramts für die Gymnasien nicht dieselben Schwierigkeiten, die sich der
Anstellung katholischer Dozenten an den Universitäten entgegenstellen; ihre Zahl
ist nicht gar zu groß und sie können im allgemeinen auf baldige Anstellung nach
bestandenem Examen rechnen. Da jedoch ein Gehalt von 800 Gulden denjenigen
übersteigt, auf den sie für die erste Zeit in Preußen zu hoffen haben, andererseits meine Landsleute den
Aufenthalt an den Gymnasien der Provinzen Preußen und Posen, wo insbesondere viele
Westfalen angestellt werden, kaum einer Anstellung an einem österreichischen
Landgymnasium oder in einer entlegenern Stadt der Monarchie vorziehen würden, so
bezweifle ich kaum, daß es gelingen würde, auch befähigtere Kandidaten für eine
solche Stellung zu gewinnen. Ich glaube nun den Absichten Euer Excellenz am
besten zu entsprechen, wenn ich noch heute an verläßliche und urtheilsfähige mir
befreundete Professoren zu Bonn und zu
Münster schreibe, die mit den dortigen Verhältnissen
und Aussichten völlig vertraut genügende Auskunft werden geben können, ob
überhaupt auf eine Annahme dieser Bedingungen durch befähigte junge Philologen
zu rechnen sei, und vielleicht auch in der Lage wären, vorläufig auf den einen
oder andern aufmerksam machen zu können. Ich werde dann nicht verfehlen, Euer
Excellenz baldmöglichst vom Resultate dieser vorläufigen Anfragen in Kenntnis zu
setzen und werde mit Vergnügen alles thuen, was irgend dazu dienen kann, die
Absichten Euer Excellenz zu verwirklichen.
Daß ich die weitere Anfrage, die
Euer Excellenz mir zu stellen geruhten, mit gewissenhaftester Aufrichtigkeit
beantworten werde, darf ich wohl kaum versichern, da eine Unaufrichtigkeit in
diesem Falle nicht blos eine Verletzung meiner Pflicht als Staatsbeamter,
sondern auch ein Mißbrauch des gnädigen Vertrauens Euer Excellenz sein würde.
Ob Professor Schenach oder irgend
ein anderes Mitglied der Kommission persönlich gegen den Herrn Pater Raas eingenommen war, kann ich
nicht beurtheilen, wohl aber versichern, daß weder in den Kommissionssitzungen
etwas vorgefallen ist, was darauf hätte schließen lassen, noch mir anderweitig
etwas darüber bekannt geworden ist, weßhalb mich die Anfrage Euer Excellenz
höchlich überraschte. Das Einzige, was etwa, abgesehen von anderen mir
unbekannten Gründen, zu einer solchen Annahme hätte Anlaß geben können, wäre
meines Erachtens Folgendes:
Zugleich mit dem Herrn Pater Raas machte der Pater Orgler aus dem Orden des Heiligen
Franziskus die Prüfung für Geschichte und Geographie und bestand dieselbe zur
allgemeinsten Zufriedenheit. Bei dieser Gelegenheit wurden nun nebenbei vom
Prof. Schenach und andern
Mitgliedern in der Sitzung darüber gesprochen, daß abermals der Pater
Franziskaner eine sehr gute Prüfung bestanden habe, während Kandidaten von
Marienberg sich auch schon früher
nicht ausgezeichnet hätten, und der Grund doch nicht lediglich darin gesucht
werden könne, daß dieselben nicht Gelegenheit zu Universitätsstudien gehabt
hätten, da die Franziskaner sich in derselben Lage befänden. Ich habe das für
eine durchaus gelegentliche Bemerkung gehalten; sollte man sie aber wirklich in
Folge anderer mir unbekannter Gründe als Ausfluß einer gehässigen Gesinnung
auffassen wollen, so glaube ich wenigstens versichern zu dürfen, daß die
Reprobazion des Herrn Pater Raas
durch ein etwa vorhanden gewesenes Vorurtheil weder herbeigeführt wurde noch
herbeigeführt werden konnte, und erlaube mir zur Begründung einige Notizen über
die betreffenden Kommissionssitzungen hinzuzufügen.
Als es sich darum
handelte, ob der Herr Pater Raas
auf Grund der schriftlichen Arbeiten zur mündlichen Prüfung zuzulassen sei,
erklärte der Fachexaminator Prof.
Kopetzky, daß der Inhalt der Antworten ihm allenfalls genüge, die
Zulassung zu beantragen, daß aber ein formeller Mangel vorliege, da die Fragen
angeblich aus Mangel an Zeit nicht vollständig beantwortet seien, und die
Kommission zu entscheiden habe, ob die Zulassung dennoch statthaft sei. Da die
Meinungen getheilt waren, schlug der gehorsamst Gefertigte vor, die
Klausurarbeiten wegen des formellen Defektes für ungültig zu erklären, aber auf
Grund neuer Klausurarbeiten über die Zulassung zu entschieden. Da sich dieses
nach dem Gesetze als unstatthaft erwies, trat er der auch von Prof. Schenach getheilten Meinung bei, daß
aus formellen Gründen die Zulassung nicht statthaft sei, weil Gefahr sei, daß,
wenn einmal angenommen werde, die vollständige Beantwortung der gestellten
Fragen in der festgesetzten Zeit sei nicht unumgänglich nöthig, künftig mit
Absicht die Kandidaten solche Fragen, die ihnen Schwierigkeiten böten, durch
desto ausführlichere Behandlung der anderen beseitigen würden. Bei der
Abstimmung wurde jedoch mit einer Stimme Majorität die Zulassung ausgesprochen.
Was dann die schließliche Entscheidung nach abgelegter mündlicher Prüfung
betrifft, so hing diese damals, wie gewöhnlich, wesentlich vom Gutachten des
Fachexaminator ab, da es wohl in der Natur der Sache liegt, daß andere
Mitglieder der Ansicht desselben, so weit diese die wissenschaftliche Befähigung
betrifft, wohl füglich nur ausnahmsweise entgegentreten können. Nach diesem
Gutachten, und nachdem auch der Professor Malecky mit Rücksicht auf die Leistungen des Herrn Pater Raas bei der früher mit Erfolg
bestandenen Prüfung seine Meinung dahin ausgesprochen hatte, daß er ihn für das
Untergymnasium, nicht aber für das Obergymnasium auch im Lateinischen befähigt
halte, während sich Niemand für die Befähigung aussprach, – wurde, wenn ich mich
recht erinnere, mit Einhelligkeit, jedenfalls mit weit überwiegender Majorität
beschlossen, die Befähigung für das Obergymnasium nicht zu ertheilen; die
Befähigung für das Untergymnasium auszusprechen war nach dem Gesetze nicht
statthaft, es wurde aber, wenn ich nicht irre, beschlossen oder wenigstens
besprochen und stillschweigend genehmigt, dem Kandidaten in irgend einer Form zu
bedeuten, daß ihm die Befähigung für das Untergymnasium nicht verweigert worden
wäre, wenn von derselben überhaupt Rede gewesen wäre. Bei diesem ganzen Vorgange
konnte füglich kein Mitglied der Kommission auf die Reprobation entscheidend
einwirken, als der Fachexaminator; daß dieser keinerlei Vorurtheil hatte, bin
ich überzeugt, da er sowohl in der Kommission wie in Privatunterredungen große
Theilnahme für den Kandidaten zeigte.
Was die Schlußfrage Euer Excellenz
betrifft, ob ich es überhaupt für glaublich halte, daß Prof. Schenach sich bei Leitung der
Prüfungen durch Leidenschaftlichkeit bestimmen lasse, so glaube ich mit bestem
Gewissen darauf entschieden verneinend antworten zu dürfen; sein Vorgehen bei
den Prüfungen hat mir immer nur den Eindruck der strengsten Unparteilichkeit
gemacht und eine solche Annahme würde überhaupt mit der Besonnenheit, Offenheit
und Ehrenhaftigkeit seines Characters, die hier wohl allgemein anerkannt wird
und von der ich durch nähern Umgang mich zu überzeugen Gelegenheit hatte, schwer
vereinbar erscheinen.
Mit aufrichtigstem Danke für das gnädigst geschenkte
Zutrauen verbleibe ich
Euer Excellenz ganz gehorsamster und ergebenster
Dr. Ficker