Leo Thun an Julius Ficker
Wien, 4. Februar 1855
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Regest

Leo Thun beklagt sich bei Julius Ficker, dass für den Lateinunterricht an den Gymnasien die notwendigen Lehrer fehlten: ältere Lehrer besäßen nämlich nicht die neuerdings erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten und Nachwuchskräfte stünden noch in der Ausbildung. Daher sind an vielen Gymnasien die Stellen für Lateinlehrer vakant und Thun beabsichtigt nun auch Lehrer aus dem Ausland zu rekrutieren, wovor er bisher zurückgeschreckt war. Er bittet daher Ficker um Hilfe bei der Suche nach Lehrern. Die Kandidaten sollten katholisch sein und einen guten Leumund haben, zudem sollten sie bereits die Lehramtsprüfung bestanden haben. Thun erkundigt sich zuletzt über eine kolportierte Unregelmäßigkeit bei einer Lehramtsprüfung in Innsbruck.

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Wien, den 4. Feber 1855

Werther Herr Professor!

Während im Allgemeinen die Gymnasien jetzt in allen Theilen des Reiches offenbar in einem erfreulichen Fortschritte begriffen sind, ist doch nicht zu verkennen, daß einer der wichtigsten Gegenstände des Unterrichtes, nämlich das Latein, an der Mehrzahl der Anstalten nicht einen gleich günstigen Aufschwung nimmt. Was immer für Nebengründe dieser bedauerlichen Erscheinung werden entdeckt werden können, so viel scheint mir schon jetzt gewiß, daß der Hauptgrund in dem Umstand zu suchen ist, daß nur an wenigen Gymnasien Lehrer zu finden sind, die eine tüchtige philologische Schule haben. Das wird sich nun hoffentlich allmählich bessern, aber eben nur allmählich. Zunächst ist der Mangel nicht in Abnahme sondern in Zunahme. Von den befähigten Männern aus früherer Zeit – derer aus bekannten Gründen nur wenige sind – stirbt einer und der andere, und der Nachwuchs ist gerade für die Philologie noch ein geringer, während die Erweiterung vieler Gymnasien von 6 auf 8 Klassen, und die Systemisierung neuer Anstalten in jenen Theilen des Reiches in welchen bis vor kurzem für der höheren Unterricht äußerst wenig geschehen war, eine noch immer steigende Zahl von Lehrern in Anspruch nimmt. So ist es schon dahin gekommen, daß ich die Stellen an mehreren neu systemisierten Gymnasien nicht besetzen kann, weil gar keine für das philologische Fach befähigte Bewerber aufgetreten sind. Unter diesen Umständen bin ich entschlossen – was ich bisher für Gymnasien absichtlich vermieden habe – Kandidaten im Ausland zu suchen. Es müssten aber Katholiken, von ganz empfehlenswertem Charakter und verlässlicher Tüchtigkeit sein, die entweder schon in ihrem Lande die Lehramtsprüfung bestanden haben, oder wenigstens sich mit gründlichen Studien und der Empfehlung vertrauenswürdiger Personen ausweisen könnten und bereit wären, sich sogleich der Lehramtsprüfung vor einer unserer Kommissionen zu unterziehen. Ich könnte ihnen einen Gehalt von 800 fl. nach Umständen – was aber eben nicht jedem gesagt werden kann – auch 900 fl. – anbiethen, – sie müssten aber bereitwillig sein, sich entweder in Landgymnasien oder in entlegenen Städten, in Kaschau [Košice], Ofen, Görz und dgl. anstellen zu lassen. Ich bitte Sie mir zu schreiben, ob Sie glauben, daß ich unter solcher Bedingung in Westfalen und am Rheine finden dürfte was ich suche, und ob Sie mir dazu behülflich sein wollen.
Bei diesem Anlaße noch ein Wort im Vertrauen. Es sind arge Klagen an mich gelangt, über angebliche Gehässigkeiten, welche die Reprobazion des Meraner P. Raas bei der Prüfung, der er sich vor der Insprucker [Innsbruck] Kommission unterzog herbeigeführt haben sollen. Waren Sie in der Lage sich über diese Geschichte ein Urtheil zu bilden? Halten Sie es überhaupt für glaublich, daß Prof. Schenach sich bei der Leitung der Prüfungen durch Leidenschaftlichkeit bestimmen lasse?

Empfangen Sie die wiederholte Versicherung meiner ausgezeichneten und aufrichtigen Hochachtung

Thun