Fürstbischof Melchior Diepenbrock sendet Leo Thun Informationen über
mögliche Kandidaten für eine Stelle als Gymnasiallehrer oder Direktor an
österreichischen Schulen. In einem früheren Schreiben hatte Leo Thun
diese Informationen erbeten. Diepenbrock sendet ihm nun ein Verzeichnis
mit fähigen Kandidaten. Der Fürstbischof hatte sich hierzu auch bei
Theodor Brüggemann informiert, um möglichst umfassend Auskunft geben zu
können. Bei den Vorgeschlagenen wurde besondere Rücksicht auf deren
kirchliche Haltung und deren Gesinnung sowie auf deren wissenschaftliche
Leistungen genommen. Diepenbrock hofft, dass die Informationen den
Plänen Thuns förderlich sein werden.
Die Beilage beinhaltet ein
Verzeichnis Diepenbrocks über mögliche Kandidaten für die Direktorstelle
am Theresianum und an anderen österreichischen Gymnasien sowie
Kandidaten für eine Professur der Philologie.
Die Hinweise
Diepenbrocks sind mit Bemerkungen Thuns versehen, welche wiederum auf
dem Urteil Heinrich Grauerts beruhen.
Beilagen:
Undatiertes Memorandum Bischof
Diepenbrocks über mögliche Kandidaten für Direktorenstellen an
österreichischen Gymnasien mit eigenhändigen Bemerkungen
Thuns.
Undatierter Lebenslauf von
Professor Josef Kutzen.
Unter dieser Signatur sind außerdem zwei weitere Briefe von Diepenbrock
abgelegt:1
Melchior Diepenbrock an Leo Thun, Breslau, 4. Juni
1850.
Melchior Diepenbrock an Leo Thun, Johannesberg bei Jauernig, 27.
August 1850.
Eurer Excellenz
beehre ich mich, in ergebenster Erwiederung des werthen Schreibens vom 2. dieses
Monats, anliegend ein Verzeichnis
2 einiger tüchtiger Männer für das
Lehrfach zu übersenden, welches ich nach möglichst sorgfältiger Erkundigung
zusammengestellt habe. Ich habe die Vorsicht gebraucht, auch noch das competente
Urtheil des Geheimenraths Dr.
Brüggemann, der seit einer Reihe von Jahren das höhere
katholische Studienwesen in Preussen leitet, über diese
Männer zu vernehmen und die anderweitigen Vorschläge und Empfehlungen darnach zu
berichtigen; doch stimmte es bei den meisten mit dem Gegebenen überein. Bei
allen diesen Männern ist vorzüglich auch auf ihre kirchliche Gesinnung und
Haltung, nicht minder jedoch auch auf ihre sonstige Tüchtigkeit Rücksicht
genommen.
Unter den von Eurer Excellenz Bezeichneten konnte ich über
Becker in
Hadamar, Thomat in
München, Lichtenstein in
Trauchburg nichts Näheres erfahren; Dr. Dünzer
[Düntzer], Bibliothekar
in Cöln, ist wohl als ein sehr
kenntnisreicher Philologe bekannt, allein zur Leitung eines Mustergymnasiums
hält man ihn wegen seiner unbedeutenden Persönlichkeit und großen Schüchternheit
nicht für geeignet.3Auch nicht den Director Enger in Ostrowo, den seine Kenntnis des
Polnischen für diesen Posten vorzüglich empfohlen hat. Wentzel in Glogau ist
allerdings ein tüchtiger Mann; allein er ist uns für die wichtige dortige
Anstalt unentbehrlich; und auch an dem wackern Dr.
Zastra in Neiße würde ich ein
schweres Opfer bringen. Schraut in
Neuß bei Cöln wird als ein gelehrter und energischer Mann gerühmt; doch
will man an ihm ein zu ehrgeiziges, zu wenig religiöses Streben wahrgenommen
haben; wenigstens in früherer Zeit.
Unter allen von mir Genannten bezeichnet
Herr Geheimrath Brüggemann den
Dr. Stieve in Münster als den bedeutendsten und zur Leitung des
Theresianumssowohl
als eines Mustergymnasiums vorzüglich geeigneten, den er mit voller Überzeugung
empfehlen könne.
4Doch zweifelt er, ob derselbe sein Vaterland werde verlassen
wollen, und setzt hinzu: er hoffe, nein; denn er wisse ihn nicht zu
ersetzen.
Ich habe nun Eurer Excellenz gewissenhaft mitgetheilt, was mir in
der kurzen, anderweitig sehr in Anspruch genommenen Zeit zu erkundigen möglich
gewesen. Möge es Ihnen und dem lieben theuern Österreich, auf welches die Blicke aller Katholiken Deutschlands jetzt mit so viel Dank, Spannung
und Theilnahme gerichtet sind, und welchem man so innig eine gründliche religiös
wissenschaftliche Regeneration wünscht und Eurer Excellenz mühe- und
dornenvolles Wirken dafür so freudig anerkennt – möge mein geringes Scherflein
so schönem Ziele fördernd zu gut kommen!
Genehmigen Hochdieselben die
erneuerte Versicherung der aufrichtigen Verehrung, womit ich zu geharren die
Ehre habe
Eurer Excellenz
ganz ergebenster Diener
M. v. Diepenbrock
Fürstbischof
Breslau, den 28. Mai 1850
P.S. Möge doch unser geliebter junger Kaiser vor ähnlichen greulichen Frevelanschlägen bewahrt bleiben, wie sie unsern edelen König jetzt abermals getroffen und Gottlob! nur gestreift! Der Seuflohe [sic! richtig Sefeloge] soll wirklich der Fürstenmörderverschwörung angehören; wie sehr ihn auch die democratische Partei für einen Wahnsinnigen auszugeben sich bemüht. „Es ist System in diesem Wahnsinn“, kann man mit Shakespeare sagen. Höchste Vorsicht thut gewiß Noth. Um Gottes Schutz wollen wir beten!
A. Für die Direction des Theresianums oder auch eines
Mustergymnasiums:
1) Stieve,
Gymnasialdirector in Münster in
Westfalen, als ganz vorzüglich geeignet bezeichnet und
empfohlen, ein Mann von ausgebreitetem Rufe und anerkannter Tüchtigkeit,
zeichnete sich auch in den vorigjährigen Berliner Ministerialconferenzen der
Gymnasiallehrer durch gediegenes Urtheil aus, wie die gedruckten
Verhandlungen beweisen. Bewährte Männer, die ihn näher kennen, rühmen außer
seiner Gelehrsamkeit, pädagogischen Erfahrung und Reife, auch seine
Charakterfestigkeit, gesunde Frömmigkeit und ebenso imposante als
ansprechende Persönlichkeit. Er ist seit einigen Jahren Wittwer und Vater
von 6 Kindern.
2) Dillenburger, früher Gymnasialdirector zu
Emmerich, jetzt Schulrath in Königsberg, ein gewandter, erfahrener,
tüchtiger Schul- und Geschäftsmann und aufrichtiger katholischer Christ,
bekannt als Herausgeber des Horaz 5;
und ebenso durch seine intelligente Theilnahme an den vorigjährigen Berliner
Conferenzen; jedoch vielleicht mit weniger Energie ausgestattet als der
vorige.
3) Gymnasialdirector Dr.
Zastra in Neiße, durch
Wissen und pädagogischen Tact sowie durch gewinnendes Benehmen
ausgezeichnet; dabei ein treuer katholischer Christ; für das Theresianum vielleicht
noch etwas jung.
4) Professor Dr.
Kutzen dahier in Breslau, von dem ein
eigenhändiges Curriculum Vitae beiliegt; ein
auch als Charakter und Christ sehr achtbarer Mann, jedoch der Oberleitung
des Theresianums
vielleicht nicht völlig gewachsen; sonst in aller Weise sehr
empfehlenswerth.
B. Für eine Professur der Philologie:
1) Dr.
Franz Ritter, Professor extraord. zu Bonn, ein tüchtiger Realphilolog,
streng kirchlich gesinnt und deshalb vielleicht in Preußen zurückgesetzt, ein sehr ausgezeichneter,
empfehlenswerter Mann.6
2) Könighoff, Lehrer am Gymnasium zu
Trier, Verfasser einiger Schriften über
Terenz.
3) Kreuser,
Lehrer am Gymnasium zu Cöln, Verfasser
vieler philo[lo]gischen Schriften, auch in der christlichen Kunst,
namentlich der Baukunst, sehr bewandert.7
4) Wedewer,
Inspector einer höheren Anstalt in Francfurt a.
M., Verfasser einer Schrift über Dante, Homer und das
Nibelungenlied.8
9
5)
Lohmar, Gymnasiallehrer zu
Trier, sehr tüchtiger Philologe.10
6)
Dr. Kuschel, Kollaborator am
katholischen Gymnasium zu Breslau, echt kirchlich
gesinnt und tüchtiger Pädagoge.11
<Grauerts Ansicht:
Ad 1)
Geistreich, lebendig, aber etwas rasch; leichtfertige Ausführung ungenügend
begründeter Ideen. - Dadurch hat er sich in einigen literarischen Leistungen
geschadet. – Seine letzte Bearbeitung des Tacitus wird aber gelobt. – Hat
übrigens in Bonn ein Haus gekauft.
Ad 3) Ein
Genie, aber treibt wunderliches Zeug, sodaß er zu einer komischen Figur
geworden ist.
Ad 4) Ein Schüler Grauerts; ein lieber junger Mann, aber kein bedeutender
Philolog; ist auch aus solchen Studien herausgekommen.
Ad 5) Dem Ruf
nach tüchtig.>12
Joseph Kutzen, zu
Frankenstein in Schlesien
geboren, durch beide Eltern aus Deutsch-Böhmen stammend, gebildet auf dem Gymnasium zu
Glatz und den Universitäten zu Breslau und Berlin, an der ersteren zum Doktor
der Philosophie promovirt, lehrte in dem öffentlichen
Dienste seit 1829 und zwar 4 Jahre an dem katholischen Gymnasium zu
Breslau besonders Geschichte, Geographie und das
Deutsche, seit 1832 die beiden ersten Fächer als Privatdocent, seit 1835 als
außerordentlicher und seit 1843 als ordentlicher Professor an der Breslauer Universität, an welcher
er während der Zeit seiner Lehrthätigkeit viel über dreitausend Zuhörer
hatte. Außerdem 4 Jahre Custos an der königlichen und Universitätsbibliothek
zu Breslau, 13 Jahre Mitglied der königlichen
Prüfungscommission für die Candidaten und Lehrer sämmtlicher höherer
Lehranstalten der Provinzen Schlesien und
Posen und 4 Jahre Direktor dieser Behörde; ferner 5
Jahre außerordentliches Mitglied der Prüfungscommission für die Aspiranten
des höheren Militärdienstes und eben solange des Provinzialschulcollegiums
zu Breslau.
In Bezug auf Erziehungs-, Lehr- und
wissenschaftliche Beschäftigung in Privatverhältnissen,
innerhalb der Jahre 1826 bis 1840 drei Jahre mit der Erziehung des ältesten
Sohnes des Grafen
Lazarus Henckel von Donnersmark (katholische Linie), 4 Jahre
des jüngsten Bruders des jetzigen Standesherrn Grafen Schaffgotsch zu
Warmbrunn, 2 Jahre des Fürsten August Sulkowski (Posener Linie), ferner mehrere Jahre hindurch mit
geschäftlichen Verträgen für eine Zahl Mitglieder des schlesischen Adels und
für einen großen Kreis dem höheren Gewerbe-, besonders dem Kaufmannsstande
angehörender junger Männer und mit der Systematisirung und vollständigen
Einrichtung der an 40.000 Bänden starken Majoratsbibliothek der Grafen
Schaffgotsch betraut.