Regest

Fürstbischof Melchior Diepenbrock übermittelt Leo Thun ein von ihm verfasstes Hirtenschreiben über die kaiserlichen Entschließungen bezüglich der Neuregelung des Verhältnisses von Staat und Kirche. Leo Thun hatte um ein solches Schreiben gebeten. Der Bischof gibt auch sein Einverständnis zur Veröffentlichung desselben, falls der Minister dies wünsche. Sollte Thun Änderungsvorschläge haben, möge er ihm diese bekannt geben, bis dahin werde er mit der Ausgabe des Hirtenbriefes in Breslau warten. Diepenbrock bedankt sich für die zugesagte Hilfe für den Fossiliensammler Albert Koch. Schließlich dankt der Bischof Thun für desen Engagement für die katholische Kirche, das dem Minister einen bleibenden Platz in den Annalen der Geschichte der österreichischen Kirche sichern wird.
In der Beilage erläutert Diepenbrock die Neuregelung des Verhältnisses zwischen der katholischen Kirche und dem österreichischen Kaiserstaat, wie sie auf Grundlage der Märzverfassung in der Bischofsversammlung in Wien beraten und vom Kaiser im April 1850 sanktioniert wurde. Diepenbrock betont die Wichtigkeit der Beschlüsse und äußert seine Freude darüber, dass die katholische Kirche in Österreich endlich die Rechte erlangt hat, die ihr historisch zustehen. Dies wurde auch im Ausland, etwa in Frankreich, mit großer Freude wahrgenommen. Mit Vertrauen blickt der Bischof in die Zukunft und hofft, dass die Kirche und der Staat bzw. die österreichische Regierung auch weiterhin gemeinsam für die Freiheit des österreichischen katholischen Volkes arbeiten werden.

Anmerkungen zum Dokument

Beilage: Entwurf eines Hirtenbriefs von Melchior Diepenbrock. Breslau, 5. Mai 1850.

Unter der Signatur A3 XXI D50 befinden sich noch zwei weitere Briefe, die inhaltlich an diesen anschließen und daher wohl bei der Ordnung unter einer Signatur zusammengefasst worden sind. Diese beiden Briefe sind hier jeweils einzeln aufgenommen:
Melchior Diepenbrock an Leo Thun, Breslau, 8. Mai 1850.
Melchior Diepenbrock an Leo Thun, Breslau, 10. Mai 1850.

http://hdl.handle.net/21.11115/0000-000D-F7F3-A

Schlagworte

Edierter Text

Eurer Excellenz

geehrtes Schreiben habe ich vorgestern erhalten und daraus Hochdero dringenden Wunsch ersehen, daß ich über die höchst dankenswerthen Entschließungen Seiner Majestät des Kaisers und gegen die darüber sich erhebenden Unkenstimmen ein bischöfliches öffentliches Wort baldmöglichst reden möge. Obwohl im Gedränge von wichtigen und schwierigen Arbeiten, die hier nie ausgehen, und dazu noch von Kopf- und Zahnschmerz heimgesucht, habe ich mich doch sogleich daran gemacht, Ihrem Wunsche möglichst zu entsprechen; und erlaube mir, anliegend ein Hirtenschreiben, in meiner eigenen Conceptschrift, eine flüchtige Abschrift davon habe ich zurückbehalten, zu übersenden. Ich stehe aber hier zu sehr außer dem Contact der österreichischen öffentlichen Meinung und Tagesstimmen, als daß ich genau und sicher ermessen könnte, welcher Ton in dieser Sache, diesen Stimmen gegenüber, als der rechte anzuschlagen. Meinen bischöflichen Standpunkt konnte ich ohnehin dabei nicht aufgeben. Guizot’s citirte Worte, dann die Stelle aus dem großen hier angekommenen Ami de la Religion, einem sehr verbreiteten und geachteten Blatte, sind vielleicht von guter Wirkung.
Wenn Hochdieselben es für zweckmäßig halten, so bin ich ganz damit einverstanden, daß Sie das Hirtenschreiben dort sogleich in einem geeigneten würdigen Organe der Öffentlichkeit übergeben, etwa in der Wiener Zeitung, und es mir sogleich mit 2 Worten nur sagen lassen, damit ich es hier gleichzeitig ausgeben kann. Wünschten Sie jedoch im Interesse der Sache und einer heilsamen Wirkung wesentliche Änderungen, so würde ich um Andeutungen bitten, und hier solange damit zurückhalten. Eure Excellenz sehen schon hieraus, wie discreten Gebrauch wir Bischöfe von der uns gewährten Allocutionsfreiheit machen; der erste Fall, wo ich sie in Anwendung bringe, führt mich vertrauensvoll zu Ihnen zurück; und mit Recht, denn Vertrauen verdient dankendes Vertrauen. Ihr Berliner Herr Collega, Minister von Ladenberg, hat sich auch erst kürzlich überzeugt, wie sehr Recht der alte Fürst Hardenberg hatte, als er sagte (von Rom zurückkehrend), es sey mit niemand so leicht und angenehm zu unterhandeln, als mit der katholischen Geistlichkeit, wenn man nur einige Billigkeit mitbringe. Ich habe in meinen jüngsten Verhandlungen mit Ministerialrath Aulike, dem Herrn von Ladenberg den Rückzug aus seiner falschen Position so leicht und ehrenhaft als möglich gemacht; nur mußte das bestrittene Territorium, das kirchliche Gewissen, natürlich mir überlassen werden.
Hinsichtlich der übrigen Punkte in Eurer Excellenz geehrtem Schreiben, für dessen vertrauensvollen Inhalt ich herzlichst danke, werde ich nach eingezogenen näheren Erkundigungen bald möglichst zu antworten die Ehre habe. – Für die gütige Bedachtnahme des Prof. Koch’s Wunsch, hinsichtlich der Ermittelung eines Locales für den Hydrarchos, meinen und seinen ergebensten Dank.
Vor allem aber und aus tiefstem Herzensgrunde meinen wärmsten Dank für die kaiserlichen Entschließungen und deren so würdige, für die Kirche wohlwollende Beantragung und Motivirung. Eure Excellenz haben Sich dadurch nicht nur einen Ehrenplatz in der österreichischen Staats- und Kirchengeschichte, sondern auch an einem noch bessern bleibenderen Orte gesichert, von wo Ihnen einstweilen Segen und Trost in Fülle zufließen möge!
Mit verehrungsvoller Ergebenheit

Eurer Excellenz
gehorsamster Diener
Melchior Fürstbischof

Breslau, 6. Mai 1850

In größter Eile, um den zu Mittag abgehenden Postzug nicht zu versäumen.
Um in so wichtiger Sache sicher zu gehen, habe ich den sehr eilig niedergeschriebenen Hirtenbrief vorher noch einmal dem kundigen Canonicus Förster zur Durchsicht mitgetheilt; von ihm rühren die Verbesserungen, die ich meistens adaptirt. Um einen sorgfältig correcten Abdruck müßte ich schon dringend bitten.

Melchior, von Gottes Barmherzigkeit und des apostolischen Stuhles Gnade, Fürstbischof von Breslau etc.
seinem Ehrwürdigen Clerus und seinen geliebten Diözesanen österreichischen Antheils Gruß und Segen in Christo unserm Herrn!

Ein Jahr ist es nun, daß wir katholischen Bischöfe Oesterreichs auf die Einladung unseres geliebten Kaisers und seiner Minister in Wien uns versammelten, um die Angelegenheiten der katholischen Kirche und ihre Beziehungen zum Staate aufgrund der neuen Reichsverfassung zu berathen. Denn es war durch § 2 des allerhöchsten Patentes vom 4. März 18491, der katholischen Kirche wie jeder andern gesetzlich anerkannten Religionsgesellschaft das Recht zugesichert worden, ihre Angelegenheiten selbstständig zu ordnen und zu verwalten. Je mehr dieses naturgemäße, der Kirche von ihrem göttlichem Stifter verliehene Recht allmälig von dem nunmehr aufgegebenen Standpunkte einer Alles überwachenden, Alles in ihre Hand fassenden Staatsvormundschaft aus beschränkt worden, je enger die Bande waren, welche das kirchliche Leben und seine organische Regelung in den vielrädrigen Staatsmechanismus verschlungen und jede freie Bewegung verschränkt hatten, umso schwieriger war die zu lösende Aufgabe.
Nach zweimonatlichen angestrengten Arbeiten war es den versammelten Bischöfen gelungen, der k.k. Staatsregierung ihre Ansichten, Anträge und Postulate über die wesentlichen Punkte einer billigen und verfassungsmäßigen Auseinandersetzung zwischen Staat und Kirche vorzulegen, und sie beschlossen das wichtige Werk, wie sie es begonnen, mit feierlichem Danke und Gebete zu Gott, Seiner allmächtigen und treuen Obhut die Vollendung empfehlend, und trennten sich in getroster Hoffnung, nachdem sie gemeinschaftlich an ihre geliebten Mitarbeiter und an ihre harrenden Gläubigen unterm 17. Juni 1849 die Worte gerichtet, welche von ihrer einträchtigen Gesinnung, von ihrem Glauben und Lehren, von ihrem Verhalten zur rechtmäßigen Obrigkeit und zu den Entwicklungen, den Fortschritten und Irrthümern dieser bewegten Zeit vor aller Welt Zeugnis gegeben, Worte katholischen Ernstes und katholischer Liebe, die Euch allen hoffentlich noch in Erinnerung geblieben sind.
Das k.k. Staatsministerium hat sodann in höchst dankenswerther Weise, inmitten der Riesenarbeiten, welche die verfassungsmäßige Neugestaltung aller staatlichen Verhältnisse der ausgedehnten Monarchie ihm auflegten, den Vorlagen und Anträgen der bischöflichen Versammlung seine sorgfältige Aufmerksamkeit zugewendet und nunmehr nach reiflicher Erwägung über mehrere der wichtigsten Punkte an Seine Majestät den Kaiser am 7. vorigen Monats2 diejenigen Anträge gestellt, welche von Allerhöchstderselben am 18. und 23. vorigen Monats genehmigt und durch das Reichsgesetzblatt3 und andere öffentliche Blätter bekannt gemacht und gewiß auch zu Eurer Kunde, Geliebte, gekommen sind.
Es wird dadurch zuvörderst der bisher unter Staatspolizei stehende Verkehr der Bischöfe und aller Katholiken mit ihrem obersten Hirten dem Papste, wie dies sogar in protestantischen Ländern längst geschehen, freigegeben. Daß nun dies in demselben Augenblicke geschieht, wo der heilige Vater nach anderthalbjährigem Exile in seine Hauptstadt und auf seinen geheiligten Sitz segnend zurückkehrt, aber muß wohl allen gläubigen Katholiken als eine wunderbare Fügung Gottes, den Katholiken Oesterreichs aber insbesondere als ein höchst erfreuliches und bedeutungsvolles Ereignis erscheinen. Denn was die republikanischen Waffen Frankreichs – zu ihrer Ehre sey dies gesagt – äußerlich gethan, daß sie den bedrängten Vater der Christenheit geschützt und ihn nun frei und sicher und im Triumphe auf Petri heiligen Stuhl zur unbehemmten Verwaltung seines obersten Kirchenamtes zurückgeführt, - dasselbe hat geistiger Weise und bedeutungsvoller noch die treue wohlberathene Hand des jugendlichen Kaisers, den Gott dafür segnen wird, gethan, indem sie für Oesterreichs weite Lande und zahlreiche Völker des heiligen Vaters Ohr und Mund von unwürdiger Fessel gelöst und durch Beseitigung verdachtvoll kränkender Schranken in den freien Verkehr mit seinen bischöflichen Amtsbrüdern und seinen Gläubigen wieder eingesetzt hat. Oesterreich ist also auch hierin jetzt nicht hinter Frankreich und nicht hinter England, America und Preußen, den freiesten Ländern, zurück.
Es wird dann ferner durch die Allerhöchste Entschließung vom 18. April den Bischöfen auch das bisher verschränkte Recht freigegeben, über Gegenstände ihres heiligen Amtes an ihren Clerus und ihre Gemeinden ohne vorherige Genehmigung der Staatsbehörden Ermahnungen und Anordnungen zu erlassen. Und – frage ich – konnte man wohl den für ihr Amt und ihre Lehre verantwortlichen Bischöfen dieses Recht vorenthalten in einer Zeit, wo es Jedem täglich gestattet ist, durch die Presse auf Tausende und Hunderttausende belehrend oder verführend einzuwirken, und aus verborgenem Winkel, ohne Namen, ohne Bürgschaft und häufig ohne Beruf über die wichtigsten und heiligsten Dinge absprechend zu urtheilen? Konnte unter einer Verfassung, welche von Seite des Staates „die Wissenschaft und ihre Lehre frei erklärt“ eine officielle4Staatsexegese festgehalten werden, welche dem göttlichen Sendungsworte Christi an seine Apostel und ihre Nachfolger, die Bischöfe: „Mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden; darum gehet hin und lehret alle Völker, was Ich euch befohlen habe“, von Amtswegen die erklärende Randglosse beifügte: „in Oesterreich ist diese Gewalt nicht unbedingt anerkannt; hier lehren die Bischöfe nur, was die (1800 Jahre später gekommenen) Staatscensoren gutheißen.“
<Ich möchte lieber sagen – Wundert Euch nicht über diese unverblümte Darstellung einer Wahrheit, die an sich so furchtbar ernst, in ihrer Verkennung so unheilbringend ist.>
5Sodann wird in der kaiserlichen Entschließung auf den begründeten Antrag des Ministeriums der katholischen Kirche, die ja ihre Angelegenheiten selbstständig ordnen und verwalten soll, dementsprechend auch die selbsteigene Handhabung ihrer uralten, gesetzlich geordneten Disciplin zuerkannt. Was jeder Privatgesellschaft, jeder Freimaurerloge, jedem Club, jedem Actienvereine überall zusteht, was der jüdischen Synagoge nirgend verwehrt ward, das soll nun auch der katholischen Kirche in Oesterreich nicht länger vorenthalten bleiben: die ungehinderte Überwachung der Pflichterfüllung ihrer Organe und Diener; das ihren weisen Gesetzen entsprechende stufenweise Einschreiten gegen Amtsvernachlässigungen und Dienstesuntreue; die Ausschließung unwürdiger, die Kirche schändender, ihren Gesetzen offen trotzender Glieder aus ihrer Gemeinschaft, und die Prüfung und Würdigung der intellectuellen und sittlichen Tüchtigkeit derjenigen, welche ihrem heiligen Dienste in den verschiedenen Amtsstufen sich widmen wollen. Zugeständnisse, welche bei jeder geregelten Gesellschaft sich von selbst verstehen; Rechte, welche die Kirche Gottes ein Jahrtausend vor dem Entstehen aller heutigen Staaten besessen und geübt vom Anfang an, selbst unter dem grausamen Drucke blutiger Verfolgung; Rechte, für deren Verkümmerung kein noch so wohlgemeinter Staatsschutz zu entschädigen vermag, so wenig einem gesunden Leibe sein innerer organischer Lebenshaushalt durch äußerliche auch noch so künstliche Apparate ersetzt werden kann.
Endlich ist der katholischen Kirche durch die jüngste kaiserliche Entschließung vom 23. April in Erfüllung des § 4 der Reichsverfassung der ihr bezüglich ihrer Glaubensgenossen zugesicherte und gebührende Einfluß auf Erziehung und Bildung in den Volks- sowohl als in den höheren Schulen, zunächst und vor allem aber auf die Heranbildung ihrer eigenen künftigen Diener, der Priester, eingeräumt worden. Konnte man in einem Staate, dessen ganze Geschichte und Gesittung, dessen Ruhm und Glanz, dessen Kunst und Bildung, dessen Daseyn und Zukunft auf katholischer Grundlage ruhet, wie sein herrlicher St. Stephansdom auf geweihtem Fundamente, für die freigelassene Kirche minder erwarten, minder gewähren? Konnte die katholische Kirche, im Bewußtseyn ihrer göttlichen Sendung, ihres Lehrauftrages an alle Jahrhunderte und alle kommenden Geschlechter, sich mit weniger begnügen? Aus ihrem fürsorglichen Schoße waren alle minderen und höheren Schulen und Bildungsanstalten ursprünglich hervorgegangen; sie hatte sie mit ihrem erziehenden Geiste durchdrungen und Gesittung in die rohen Massen gebracht, die höchste Gesittung, deren diese fähig und bedürftig, die Gesittung des Glaubens und der Liebe! Sollte sie auf diesem ihr von Gott übertragenen Beruf und Einfluß fortan verzichten? In einem Augenblick verzichten, wo die Gefahr der Verführung, des Entfremdetwerdens der heranwachsenden Geschlechter von ihrer höchsten ewigen Bestimmung grösser ist, als sie je seit den Tagen der Erlösung gewesen? – Nein, das konnte, das durfte die Kirche Gottes nicht: sie hätte damit sich selbst aufgegeben und hätte treulos das Volk, von dem sie sich also zurückzöge oder zurückdrängen ließe, dem ärgsten Fluche und sicherem Verderben geweiht, sie die Mutter des Segens und des Heiles: <Denn ein christliches6 Volk, dessen Kindern der Heilstern des Glaubens nicht mehr auf die Wiege niederleuchtet, dessen Jugend die Sonne des Evangeliums nicht mehr die Herzen durchwärmt>,7ist schon dem Untergange verfallen. Das ganze alte und das ganze neue Testament und die ganze Weltgeschichte, ihr lebendiger Commentar, wären eine große Lüge, wenn dies nicht Wahrheit ist!
"Das sind salbungsvolle Worte“, höre ich Manchen sagen, „hinter denen sich priesterliche Herrschsucht versteckt; hierarchische Gelüste, bischöfliche Anmaßung, mittelalterliche Priestertyrannei, reactionäire Volksverknechtung, Preisgeben der Errungenschaften an die Geistlichkeit“ – <und wie alle die Ausrufe lauten, womit an vielen Orten die gerechten8Entschließungen unseres edlen Kaisers begrüßt werden.>9So verstehen die vorgeblichen Herolde der Freiheit dies ihr Idol, daß sie den ersten wichtigen Schritt, den ein gewissenhaftes Ministerium einem <hochherzigen Fürsten in Erfüllung eines feierlich gegebenen Wortes zur Verwirklichung der wahren Freiheit anräth, als eine Versündigung an dieser Freiheit, als einen Rückschritt zu mißdeuten ja als eine Pflichtverletzung anzuklagen sich nicht scheuten.>10Mögen sie denn, anstatt der verdächtigten Priesterstimme, die die Worte eines bewährten Geschichtsforschers und vielgeprüften Staatsmannes vernehmen, die er (Nichtkatholik) vor wenigen Tagen seinem an demokratischer Freiheit krampfhaft versiechenden Volke zurief:
„Wahnsinn ist’s“, sprach Guizot in Paris, „Wahnsinn ist’s, bürgerliche Freiheit und Volksherrschaft durch Nachlaß von der Strenge des Glaubens und der Sitten verbreiten zu wollen. Starke Gläubigkeit und strenge Sitten sind für die Demokratie und die Volksfreiheit unerläßlich.
Wie das Christenthum das Geheimnis des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung besitzt, so besitzt es auch mehr als irgendwas die wahren Geheimnisse der Ordnung und der gesellschaftlichen Wiedergeburt … Machet Christen, denn Christen braucht unsre Gesellschaft!“ – Hat wohl die constitutionelle Monarchie andere Lebensbedingungen? Gewiß nicht: auch sie braucht Christen, und nur die Kirche in ihrer freien Entwickelung kann sie ihr geben.
Aber auch noch einer andern Seite hin wendet sich die schlaue oder mißverstehende Verdächtigung der kaiserlichen Entschließungen. Auch Euch, geliebte Mitbrüder im Herrn, sucht man zu bethören durch das Schreckbild der bischöflichen Tyrannei, welcher Ihr durch diese neuen Einrichtungen verfallet, gleichsam als wäre der bischöfliche Arm, nachdem die Staatsfessel ihm abgenommen, auch schon erhoben, um Euch mit eiserner Ruthe zu schlagen. – O diese Eure bekümmerten aufdringlichen Anwälte, wie wenig kennen sie – ich sage nicht –uns Bischöfe und den Geist unsrer Amtsvorschriften – wie wenig kennen sie Euch, geliebte Brüder, Euere Gesinnungen, Euer Vertrauen und Eure Liebe zu Eurem Oberhirten, die Euch als Christi Stellvertreter – wie unwürdig auch – gelten! Oder habt Ihr nicht, Ehrwürdige Brüder, in den Berathungen, zu welchen ich im vorigen Jahre vor meiner Reise nach Wien, Euch aufforderte, um aus Eurer Einsicht und Erfahrung nützlichen Rath für das wichtige Werk der Episkopalversammlung zu schöpfen und mitzubringen, habt Ihr nicht in den ausführlichen gründlichen Interessen, welche aus beiden Commissariaten, Teschen und Neiße , mir am 17. April vorigen Jahres eingesandt wurden, mit treuem und erleuchtetem priesterlichen Sinne ganz dieselben Wünsche und Anträge hinsichtlich der Freigebung11der Kirche, ihrer Verwaltung, ihrer Disciplin und ihres Lehramtes usw. ausgesprochen, deren Gewährung Ihr nun in den kaiserlichen Entschließungen mit allen wahren Katholiken Europas freudig begrüßet?
Gern werdet Ihr daher auch vernehmen, wie eine geachtete, weitverbreitete Stimme aus Frankreich (l’ami de la Religion, 28. April) sich schon jetzt darüber ausspricht: „Die österreichische Staatsregierung“, sagt sie, „hat soeben einen seiner großartigen Acte der Gerechtigkeit und der Genugthuung vollzogen, welche hinreichen, eine Regierung glorreich zu machen und im Volk auf eine bewunderte Höhe in der Achtung der Welt zu erheben. Durch eine, auf den Antrag der Unterrichtsministers Grafen Thun erlassene Entschließung hat Seine Majestät der Kaiser Franz Joseph der katholischen Kirche ihre Freiheit, ihre Rechte, ihre Selbstständigkeit wiedergegeben. … Nichts konnte auf Oesterreichs Kaiser einen reineren Ruhm und verdientere Segnungen herabziehen. Durch ihn nimmt das Haus Habsburg in der Geschichte den erhabenen Rang wieder ein, den es so lange behauptet hat, da es sich als eine wahrhaft katholische Macht darstellte. Durch ihn ist die Stellung des Klerus und des Episkopats in Oesterreich, die für die Christenheit so lange ein Gegenstand der Trauer und der Schmach war, nun ein Gegenstand freudiger Glückswünsche geworden. Wahrhaftig es ist etwas Großes und Edeles in dem Anblicke einer Regierung, welche mit einer Hand die Empörung niederhält, die Anarchie erdrückt, Ordnung, Frieden und Gesetzlichkeit herstellt, und mit der andern die Fesseln zerbricht, deren schwerer Druck die einzige Macht niederhielt, welche das Geheimnis besitzt, die gesellschaftliche Ordnung zu retten! "O daß unser Frankreich diesem muthigen Beispiele folgen möchte! Die Freiheit der Kirche, wir wissen es, ist heutzutage eine gesicherte, ausser Frage gestellte Thatsache. Es [er]übrigt nur, aus unseren Gesetzen die Spuren einer verurtheilten Willkürherrschaft zu tilgen, deren Wiederkehr uns unmöglich scheint … Aber alle Christen überall sind solidarisch verbunden, und die Freude unsrer österreichischen Brüder ist die unsrige; ihr Sieg ist unser Sieg! Denn gern wiederholen wir es, und es ist unser Wahlspruch: Nil magis diligit Deus, quam libertatem Ecclesiae suae."
Das, Geliebte, ist die Stimme der Katholiken Frankreichs, die in sechszigjähriger theurer und blutiger Erfahrungsschule gelernt haben, die wahre Freiheit von der falschen zu unterscheiden. Sie mag uns, sie mag den edeln Kaiser und seine treuen Räthe trösten über die falschen Urtheile, über den Undank und Unglimpf, welche seine große That hier und dort erfährt, wenn es überhaupt bei einem heiligen Acte der Gerechtigkeit solchen Trostes bedarf.
Wie wir nun die uns gewährte Freiheit gebrauchen werden? fragt man gespannt. Wir wollen sie gebrauchen im wahren Geiste und Sinne Jesu Christi und seiner Apostel,12im Geiste der Liebe, der Demuth, der Mäßigung, der Bildung, der Zucht, des Gehorsams, der Treue und der Dankbarkeit gegen Gott und den geliebten Kaiser. Je bestimmter und sicherer nunmehr die Gränzen zwischen Staat und Kirche gezogen sind, umso gewissenhafter wollen wir sie beachten und auch in dem, was des Staates ist, alle die Treue und Hingebung bewähren, womit wir im Sinne des Christenthums den Gläubigen vorleuchten sollen. Noch manche Frage wird im Einzelnen zu lösen, manche Ausgleichung durchzuführen seyn. Wir wollen mit vollem Vertrauen und rechter Gewissenhaftigkeit daran gehen; denn Vertrauen hat uns der Kaiser und seine Regierung bewiesen, und dies Vertrauen soll erwiedert, soll gelohnt werden. Die katholische Kirche hat sich immer dankbar gezeigt für jede Wohlthat, auch wenn sie nur Gerechtigkeit war. Unser bester Dank aber mögen die Segnungen seyn, welche die Kirche in freier, treuer Wirksamkeit über die Völker und ihre fortschreitende Entwickelung auszubreiten von ihrem göttlichen Stifter Beruf und Macht hat. Viribus unitis! Das sey auch fortan der Wahlspruch der Kirche in ihrem neuen freien Verhältnisse zum Staate: mit willig geeinten Kräften hinan zum großen Ziele, einer in wahrer christlicher Freiheit dauerhaft begründeten Volksbeglückung unter Habsburgs glorreichem Scepter.
Gott segne den Kaiser!
Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi sey mit Euch Allen. Amen.
Gegeben zu Breslau, am Sonntage Rogate, den 5. Mai 1850
Melchior