Melchior Diepenbrock, Fürstbischof von Breslau, äußerst seine Besorgnis über die zunehmenden Differenzen zwischen Österreich und Preußen und die Gefahr eines drohenden Krieges zwischen den beiden Ländern. Dabei betont er, dass in Preußen durch einen drohenden Krieg das Nationalgefühl und der Patriotismus stark genährt werde. Er gibt aber seiner Hoffnung Ausdruck, dass die politischen Verantwortlichen einen Krieg verhindern mögen. Ein Krieg würde aus der Sicht von Diepenbrock nicht nur verderbliche Folgen für die beiden Länder haben, sondern auch ihn persönlich hart treffen, da sich seine Diözese über beide Länder erstreckt und er sowohl dem Kaiser als auch dem König von Preußen verpflichtet ist.
Hochgeborner Graf!
Hochzuehrender Herr Staatsminister!
Ich kann diese amtliche Sendung an Eure Excellenz nicht abgehen lassen, ohne
einige Worte schmerzlichster Besorgnis über die unseligen und unheilvollen
Zerwürfnisse zwischen Oesterreich und Preußen vertraulich beizufügen. Auf die Ursachen und
Veranlassungen dieser Zerwürfnisse gehe ich nicht ein, denn in rein politischen
Dingen steht mir kein Urtheil zu, und was gefehlt worden ist, will und mag ich
nicht verantworten oder rechtfertigen. Aber das darf und muß ich wünschen, darum
darf ich Alle, die auf die Dinge Einfluß haben, beschwören, daß man die
spannende Krise nicht aufs Äußerste treibe, nicht einen Bruderkrieg zum
Ausbruche bringe, der verderblich für das ganze deutsche Vaterland seyn würde;
daß man also Preußen nicht des Demüthigenden
zuviel zumuthe, sondern ihm ehrenhafte Bedingungen mache, die das Nationalgefühl
nicht verletzen. Dieses Ehrgefühl im preussischen Volke ist stärker als man
vielleicht glaubt; es ist in diesem Augenblicke schon lebendig erwacht, es nährt
sich an den glorreichen Erinnerungen Friedrichs des Großen; alle oppositionelle Kälte gegen die
Regierung schwindet und schmilzt in dem allgemeinen Aufschwung zusammen, den die
seit gestern hier anbefohlene Mobilmachung der ganzen Armee hervorgerufen. Es
erwacht ein Geist, wie der im Jahre 1813, leider zu einem ganz anderen Ziele und
Zwecke; aber man vergißt dies in dem schmerzlichen Gefühle, daß die preußische
Ehre angetastet, daß ihr zu viel zugemuthet werde. Möge man dies auswärts nicht
verkennen; es ist im preußischen Volke mehr Bewußtseyn, mehr geschichtliche
Erinnerung, mehr preußischer Stolz und Patriotismus, mehr Opferwilligkeit, als
man vielleicht voraussetzt; und der Kampf, wenn er losbräche, würde ein
erbitterter, ein verzweifelter seyn. Die besonnensten, unabhängigsten Männer,
und die bis dahin mit dem Gange der Regierung vielleicht gar nicht zufrieden
waren, stehen jetzt, angesichts der Demüthigungen, die man ihr zumuthet, offen
zu ihr; viele, die noch dienstesfähig sind, haben sich freiwillig zur
Disposition gestellt und wollen in die Reihen des Heeres eintreten; der
Aufschwung ist allgemein. Es ist aber Gottlob! bis jetzt kein Haß gegen Österreich; und noch am letzten Montage, bei dem
großen Diner, das ich am Tage der kirchlichen Festlichkeit gab, und wozu alle
Spitzen der hiesigen Behörden, und darunter 5 preußische Generale geladen waren,
ward der von mir ausgebrachte Toast auf Seine
Majestät den Kaiser mit Wärme und Begeisterung in dreifachem Hoch
erwiedert. Man achtet und ehret das tapfere österreichische Heer; allein die
eigene Ehre möchte man nicht preisgeben, sondern eher Alles dafür
einsetzen.
Möge man denn in Wien diesen
Verhältnissen, die ich im Interesse des Gesammtvaterlandes kurz anzudeuten für
Pflicht hielt, billige Rechnung tragen, und einen unheilvollen Krieg verhüten,
dessen Ende und Folgen unberechenbar, aber gewiß nach allen Seiten hin
verderblich wären.
Sollte er dennoch zum Ausbruche kommen, so wäre meine
Stellung die allerpeinlichste, denn ich bin nach beiden Seiten hin durch
heiligen Eid, durch Liebe und Treue gebunden, wie ich dies auch bei jenem Diner
am 4. dieses offen ausgesprochen; es wäre ein Riß durch mein Herz wie durch
meinen Sprengel. Ich müßte alsdann meinem jenseitigen Generalvicar unbedingte
Vollmacht geben für die jenseitigen Geschäfte und hier meines Amtes mit
Gewissenhaftigkeit warten, Gott bittend, daß Er Alles zum baldigen Frieden und
Verständnisse lenke.
Entschuldigen Eure Excellenz diesen allzu langen Erguß
meines bekümmerten bischöflichen Herzens. Ein Wort, das vielleicht zum Frieden
dienen kann, nicht gesprochen zu haben, wäre Sünde!
Ich habe die Ehre mit
vollkommenster Hochachtung zu geharren
Eurer Excellenz
ganz ergebenster Diener
Melchior Card. u. Fürstbischof
Breslau, den 9. November 1850
P.S. Ich erlaube mir, einen Brief an den Herrn Hofrath Baron von Werner zur geneigten Besorgung beizufügen.