Der Mathematiker und Ingenieur Anton Winkler bedankt sich für die
Möglichkeit, Friedrich Thun seine Aufwartungen machen zu dürfen. Nun
bittet er Friedrich Thun, ein Gesuch an das Ministerium für Kultus und
Unterricht weiterzuleiten, worin er die Verleihung einer Lehrkanzel in
Österreich beantragt. Er hofft außerdem, dass Friedrich Thun ihn bei
seinem Bruder empfiehlt. Er wäre Friedrich Thun zu tiefstem Dank
verpflichtet, wenn er durch seine Vermittlung zu einer Anstellung in
Österreich gelangen könnte.
Im beigelegten Gesuch bittet Anton
Winkler das Ministerium für Kultus und Unterricht, ihm eine freie
Lehrkanzel für Mathematik an einer Universität oder einem Polytechnikum
zu verleihen. Anschließend schildert er seinen beruflichen Werdegang.
Als Grund für seinen Austritt aus dem badischen Staatsdienst im Jahr
1849 nennt er seinen Wunsch, sich nicht mit radikalen politischen
Kräften gemein machen zu wollen und seine katholische Überzeugung. Wegen
der revolutionären Unruhen in Baden verließ Winkler das Land und war
fortan den Verfolgungen nicht nur seiner Kollegen am Polytechnikum in
Karlsruhe, sondern auch des Leiters des badischen Innenministeriums
ausgesetzt. Er nennt auch Personen, welche hierüber nähere Auskunft
erteilen können. Am Ende weist er nochmals auf seine prekäre Lage hin
und gibt seiner Hoffnung Ausdruck, das Ministerium werde ihn bei der
Besetzung von Lehrkanzeln in Österreich berücksichtigen
Beilage:
Gesuch von Anton Winkler an das
Ministerium für Kultus und Unterricht. Karlsruhe, 11. November
1851.
Dem Gesuch sind zwei weitere Beilagen
beigegeben:
Eine Abschrift des Diploms
der Universität Berlin, 10. August 1847.
Eine Abschrift der Bestätigung des Ministeriums
des Innern über die Aufnahme Winklers als Ingenieurspraktikant, 1.
April 1845.
1
Hochgeborner Graf,
Gnädiger Herr!
Als jüngst durch Vermittelung des hochverehrtesten k.k. Gesandten Freiherrn von
Philippsberg
dahier mir das Glück zu Theil wurde, Euer
Excellenz meine persönliche Aufwartung machen zu dürfen, hatten Euer Excellenz
die Gnade, mir die Zusendung einer Eingabe an das k.k. hohe
Unterrichtsministerium, worin ich um Aufnahme in kaiserliche Dienste als Lehrer
der höhern Mathematik und deren Anwendungen zu bitten mir die Freiheit nehme, zu
gestatten und mir die gnädige Befürwortung jener gehorsamsten Bitte bei Hochdero
Herrn Bruder, dem k.k. Minister des
Unterrichts, zuzusagen.
Mögen Euer Excellenz den Inhalt der
Eingabe gnädig aufnehmen und möge mir nun das Glück Ihrer vielvermögenden
Empfehlung zu Theil werden, von welcher die Gewährung meiner gehorsamsten Bitte
in so hohem Maße abhängt.
Zum tiefsten Danke verbunden, würde ich nie
aufhören zu wiederholen, daß Euer Excellenz die Verwirklichung meines heißesten
Wunsches und hierdurch die Begründung meines Glückes befördert haben, welches in
dem Gefühle wurzeln wird, ein treuer und pflichteiferiger Unterthan des Kaisers
zu sein und zu bleiben.
Seine gehorsamste Bitte wiederholend verharret in
unbegrenzter Verehrung
Euer Excellenz
dankbar ergebenster
Dr. A. Winckler
badischer Ingnr.
Carlsruhe, 11. November 1851
An das kaiserlich-königliche hohe Unterrichtsministerium.
Der gehorsamst Unterzeichnete nahm sich unter dem 6. November 1850 die
Freiheit hohes Ministerium, um gnädige Aufnahme in kaiserliche Dienste als
Lehrer der höhern Mathematik und deren Anwendungen an einer kaiserlichen
Universität, Kriegs- oder polytechnischen Schule gehorsamst zu
bitten.
Gemäß einer an die k.k. Gesandtschaft dahier gelangten Depesche des k.k. auswärtigen Ministeriums
vom 28. Dezember 1850 fand sich damals keine derartige Lehrkanzel in
Oesterreich erledigt, und wurde es dem gehorsamst
Unterzeichneten anheimgestellt, sich um eine solche im Falle einer
Erledigung zu bewerben, „wobei auf sein Gesuch die verdiente Rücksicht
genommen werden wird“.
Diese gnädige Eröffnung ermuthigt mich, meine
gehorsamste Bitte in der Hoffnung zu wiederholen, daß vielleicht jetzt eine
Lehrerstelle bezeichneter Art zu besetzen sein möchte. Da ich an hiesigem
Orte nicht leicht Kenntnis von Competenzeröffnungen erhalten kann, so bin
ich auf ausgesprochene Vermuthungen beschränkt, wonach an den Universitäten
Innsbruck, Graz oder Lemberg im bezeichneten Fache noch
weitere Lehrkräfte gewünscht würden.
Die Beweggründe, aus welchen ich
den badischen Dienst aufzugeben trachte, haben sich seitdem nur vermehrt;
möge hohes Ministerium gnädigst mir gestatten, dieselben in Kürze zu
bezeichnen.
Der gehorsamst Unterzeichnete, geboren zu
Riegel
im Breisgau den
3. August 1821, katholischer Religion, besuchte vom Jahre 1838 an die
hiesige polytechnische Schule und erstand im Jahre 1844 mit vortheilhaftem
Prädikate die Staatsprüfung im Ingenieurfache. Seiner ursprünglichen Neigung
gemäß setzte er alsdann seine mathematischen etc. Studien bei dem nun
verstorbenen Hofastronomen
Nicolai
in Mannheim und
später während eines zweijährigen Besuches der Berliner Universität bei den
Professoren
Jacobi
,
Lejeune-Dirichlet
,
Encke
und
Steiner
fort; hierzu unterstützt durch die Gnade des Großherzogs aus den Fonds für
Künste und Wissenschaften.
Vom Jahre 1847 bis Oktober dieses Jahres
lehrte er an der polytechnischen Schule dahier höhere Mathematik und höhere Geodäsie, – eines guten
Erfolgs seines Unterrichts und der Zuneigung der Schüler sich
erfreuend.
Die definitive Anstellung als Lehrer an jener Schule wurde
ihm höchsten Ortes auf das Bestimmteste verheißen. Als aber im Jahre 1849 in
Baden der Aufruhr ausbrach und der Unterzeichnete
das aufrührerische Land verließ, um der eidlichen Verpflichtung zu entgehen,
welche die sogenannte provisorische Regierung von allen Angestellten
forderte, traf ihn der Haß der an jener Schule sehr stark vertretenen
radikalen Parthei, deren Häupter die Professoren
Klauprecht
,
W[ilhelm]
Eisenlohr
und
F[erdinand] Redtenbacher
sind, in so hohem
Grade, daß er von jener Zeit an allen denkbaren Verfolgungen ausgesetzt
ward.
Das Ministerium des Innern und dessen Vorstand, der durch seinen
Widerwillen gegen jede öffentlich prononcirte katholische
und conservative Gesinnung bekannte Freiherr von
Marschall
, beließen den Direktor Klauprecht fortwährend auf
seinem Posten, unterstützten ihn in seinen Verfolgungen gegen mich und
beseitigten mich zuletzt gänzlich, indem sie meine Stelle einem radikalen
Volksschullehrer übertrugen.
(Ich war Mitarbeiter an mehreren
conservativen Organen wie z. B. am „Deutschen Volksblatt“.)
Auf diese
Weise wurde ich meiner vielfach bethätigten Gesinnungen halber aus dem
badischen Staatsdienste entlassen.
Obschon der Genuß einer
Staatsunterstützung nach badischen Gesetzen zum Verbleiben in badischen
Diensten nicht verbindet, so fühlte ich doch die moralische Verpflichtung,
mich womöglich durch Dienstleistungen meinem Vaterlande dankbar zu erweisen.
Ich habe daher, um eine meiner Befähigung entsprechende Verwendung zu
erhalten, alle Schritte, selbst diejenigen gethan, zu welchen ich mich, ohne
jene Verpflichtung niemals hätte entschließen können. Aber alles blieb
erfolglos.
Wenn hohes Ministerium mir in persönlicher
Hinsicht gnädigst es gestattet, Namen von Männern anzuführen, welche
zugleich auch von manchen der angeführten Thatsachen nähere Kenntnis zu
nehmen die Güte hatten, so erlaube ich mir auf den k.k. Herrn Legationsrath
von
Philippsberg
dahier, den großherzoglichen Herrn
Obristen und Flügeladjutanten
von
Krieg
in Frankfurt, den großherzoglichen Herrn Gesandten
am kaiserlichen Hofe, Freiherrn
von Andlaw
in
Wien sowie auf den Hochwürdigsten Herrn
Fürstbischof
Galura
in Brixen, welcher von
zuverlässiger Seite her mich kennt, gehorsamst mich zu
beziehen.
Hinsichtlich meiner wissenschaftlichen
Qualifcation glaube ich mich auf meinen frühern Lehrer, den Herrn Prof. Lejeune-Dirichlet
in Berlin, berufen zu können.
Auch
habe ich aufgrund meiner mathematischen Dissertation von der Kieler Hochschule in sehr ehrender
Weise die Doctorwürde erlangt, und nehme ich mir die Freiheit einen Abdruck
des Diploms gehorsamst beizuschließen.2 Von einer größern Abhandlung, welche demnächst im
Drucke erscheint, werde ich hohem Ministerium ein Exemplar zu übersenden mir
die Ehre nehmen.
Die einzelnen mathematischen Disciplinen, welche ich
theils öffentlich, theils privatim bereits gelehrt habe, sind:
Algebraische Analysis und höhere Gleichungen
Differential- und Integralrechnung, Theorie der
bestimmten Integrale, deren Anwendung auf die Wahrscheinlichkeitsrechnung
etc.
Analytische Geometrie, Sphärische
Trigonometrie
Statik und Mechanik
Höhere Geodäsie
Sphärische und
theor[et]ische Astronomie
Mittellos und ausschließlich
hingewiesen auf die Anwendung der mir erworbenen Kräfte, ist meine
gegenwärtige Lage durch die meiner Gesinnungen wegen im eigenen Vaterlande
erlittenen Zurücksetzungen eine sehr dringende geworden.
Ich empfehle
mich daher vertrauensvoll der Gnade eines k.k. hohen Ministeriums zur
hochgeneigten Berücksichtigung meiner gehorsamsten Bitte bei Besetzung von
Lehrerstellen erwähnter Art und möge mir das Glück beschieden sein, recht
bald ein Diener und Unterthan des Kaisers zu werden!
Eifrige
Pflichterfüllung und treue Ergebenheit werden stets der Ausdruck meines
unterthänigen Dankes sein.
In tiefster Ehrerbietung verharret
eines k.k. hohen Ministeriums
ganz gehorsamster
Dr. Anton Winckler
Großh. bad.
Ingnr. Praktik.
Carlsruhe, 11. November 1851
Abschrift
Wir Rector und Senat der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin bekunden durch
dieses Abgangszeugnis, daß Herr Anton
Winckler geboren zu Riegel im
Großherzogthum Baden, Sohn des daselbst verstorbenen
Landmanns Winckler bereits großjährig zu den akademischen Studien auf
dem Gymnasium zu Carlsruhe
vorbereitet, auf den Grund genügender Zeugnisse am 25. October 1845 bey
uns immatrikulirt worden ist, sich seitdem bis zum Schluß des
Sommersemesters 1847 als Studirender hier aufgehalten und sich der
philosophischen Wissenschaften beflissen hat.
Während dieses
Aufenthaltes hat derselbe bei unserer Universität nach den vorgelegten Zeugnissen die
nachstehend verzeichneten Vorlesungen gehört:
I. im Wintersemester 1845/46
1. Differential- und Integralrechnung
beim Herrn Professor Jacobi mit ausgezeichneten Fleiß und Eifer
2.
Rechnende Astronomie bei Herrn Professor Encke, ausgezeichnet
fleißig
3. Theorie des Fernrohrs bei Herrn Professor Encke, ausgezeichnet
fleißig
4. Anwendung der Lehre von den bestimmten Integralen bei
Herrn Dirichlet, desgleichen
5. Integration der
Differentialgleichung bei Herrn Prof. Dirksen, mit dem ausgezeichsten
[sic!] Fleiß
6. Kritische Einleitung in die gesammte Philosophie bei
Herrn Beneke, mit
rühmlichen Fleiß
7. Logik und Encyklopädie der philosophischen
Wissenschaften bei Herrn Michelet, ausgezeichnet fleißig
8. Allgemeine
Geschichte der Physik bei Herrn Poggendorf, sehr
fleißig
9. Nationalökonomie bei Herrn Dönniges, mit ausgezeichnetem
Fleiß und vorzüglicher Aufmerksamkeit
10. Geometrische Übungen bei
Herrn Steiner, sehr
fleißig
11. Allgemeine Geographie bei Herrn C[arl] Ritter, desgleichen
12.
Rhetorik bei Herrn Dr. Märker, mit rühmlichem Fleiß
II. im Sommersemester 1846
1. Allgemeine Theorie der krummen
Oberflächen und der Linien der doppelten Krümmungen bei Herrn Prof.
Jacobi, mit dem
ausgezeichnetsten Fleiß und der eifrigsten Theilnahme
2. Integration
der partiellen Differentgleichungen bei Herrn Dirichlet,
ausgezeichnet fleißig
3. Anwendung der bestimmten Integrale auf
Wahrscheinlichkeitsbestimmungen bei Herrn Dirichlet,
ausgezeichnet fleißig
4. Summirung der unendlichen Reihen bei Herrn
Dirksen,
desgleichen
5. Sphärische Astronomie bei Herrn Enke, desgleichen
6.
Geschichte der Astronomie bei Herrn Enke, desgleichen
III. im Wintersemester 1846/47
1. Allgemeine Theorie der anziehenden
Kräfte bei Herrn Dirichlet, desgleichen
2. Theorische Astronomie bei
Herrn Prof. Enke, mit
ausgezeichnetem Fleiß und Theilnahme
3. Theorie und Gebrauch der
astronomischen Instrumente bei Herrn Dirksen, mit ausgezeichnetem Fleiß und Theilnahme
4.
Anwendung der Differentialrechnung auf die Geometrie bei Herrn Dirksen, mit dem vorzüglichsten
Fleiß
5. Encyklopädie der philosophischen Wissenschaften bei Herrn
Dr. Georg, sehr fleißig
IV. im Sommersemester 1847
Die nachstehenden Vorlesungen sind am 5.
Juni angenommen worden
1. Geographie von Asien bei Herrn C[arl] Ritter, ausgezeichnet
fleißig
2. Theorie der Zahlen bei Herrn Dirichlet,
desgleichen
3. Anwendung der Integralrechnung auf die Zahlenlehre
bei Herrn Dirichlet, desgleichen
4. die Eigenschaften des
Maximums und Minimums bei Figuren in der Ebene und im Raume bei Herrn
Steiner, desgleichen
5.
Sphärische Astronomie bei Herrn Encke, desgleichen
6. Physikalische Geographie bei
Herrn Poggendorff, sehr fleißig
7. Ethnographie von Asien
bei Herrn C[arl] Ritter,
ausgezeichnet fleißig
8. Über Transformation der Funktionen bei
Herrn Dirksen, mit dem
vorzüglichsten Fleiß
9. Über die Theorie der elliptischen Funktionen
bei Herrn Dr. Eisenstein,
mit ganz ausgezeichneten Fleiß und nie ermüdender Theilnahme
Hinsichtlich seines Verhaltens auf der hiesigen Universität ist in disziplinarischer und
ökonomischer Rücksicht nichts Nachtheiliges vorgekommen.
Einer
Theilnahme an verbotener Verbindung unter Studirenden auf der hiesigen Universität ist
derselbe nicht beschuldigt worden.
Zu Urkund dessen ist dieses
Zeugnis unter dem Insiegel der Universität ausgefertigt und von dem zeitigen Rektor und
von dem Richter auch von dem gegenwärtigen Dekan der philosophischen
Fakultät eigenhändig unterzeichnet worden.
Berlin, den 10. August 1847
Böckh
Lehnert
Lachmann
(L. S.)
Gesehen von dem Königlichen Regirungsbevollächtigten Ladenberg
Die Übereinstimmung vorstehender Abschrift mit dem anhier vorgelegten und wieder zurückgegebenen Originale wird andurch öffentlich beglaubigt.
Carlsruhe, den 31. October 1851
Großherzoglicher Stadtamtsrevisorat
L. v. d. R. R.
[?]
Abschrift
Ministerium des Innern
Carlsruhe, den 1. April 1845
Nr. 3594
Der Ingenieurcandidat Anton Winkler von Riegel ist nach ordnungsmäßig erstandener Staatsprüfung unterm Heutigen mit der Note „sehr gut befähigt“ unter die Zahl der Ingenieurpraktikanten aufgenommen worden, was denselben durch gegenwärtige mit dem diesseitigen größern Insiegel versehene Fertigung beurkundet wird.
L. v. d. R.
Der Ministerialdirektor
Rettig
(L.S.)
[?]
Die Übereinstimmung vorstehender Abschrift mit dem anhier
vorgelegten und wieder zurückgegebenen Originale wird öffentlich
beglaubigt.
Carlsruhe, 31. October 1851
Großherzoglicher Stadtamtsrevisorat
L. v. d. R. R.
[?]