Der Historiker Albert Jäger bedankt sich bei Leo Thun für den Ruf an die Universität Wien und erörtert die Folgen, die sein möglicher Fortgang für seine jetzige Wirkungsstätte, das Gymnasium in Meran, haben werde. Jäger fühlt sich geschmeichelt vom Angebot Thuns. Er zeigt sich hoch erfreut über den Plan des Ministers, das Studium der österreichischen Geschichte zu fördern und damit bei der studierenden Jugend den Patriotismus zu stärken. Jäger gibt allerdings zu Bedenken, dass er eigentlich Experte für Tiroler Geschichte sei und er stellt es daher dem Ermessen des Ministers anheim, ob er Jäger für befähigt halte, den Lehrstuhl für österreichische Geschichte zu bekleiden. Schließlich thematisiert der Historiker mögliche Folgen seines Fortgangs aus Meran. Jäger betont dabei, dass sein Weggang keine unmittelbaren negativen Folgen für das Gymnasium haben werde, er äußert allerdings seine grundsätzliche Skepsis, ob das Gymnasium in Meran Bestand habe. Jäger glaubt nämlich nicht, dass das Stift Marienberg, welches das Gymnasium führt, über genügend geeignete Patres verfüge, um den Lehrbetrieb sichern zu können. Ferner, so Jäger, sei auch das Bedürfnis nach einem Obergymnasium in Meran nicht vorhanden. Daher würde auch sein Verbleiben am Meraner Gymnasium dessen Fortbestand nicht garantieren.
Meran, den 23. April 1851
Euere Excellenz!
Hochgeborner Graf!
Während ich in Verlegenheit war, was ich nach der abschlägigen Weisung, die ich
von meinem Herrn Prälaten auf meine
Bitte erhalten hatte, Eurer Excellenz auf Hochdero gütigste Zuschrift vom 29.
vorigen Monats1 antworten sollte, geruhten Hochdieselbe mich mit einem zweiten
höchst erfreulichen Schreiben zu überraschen. Genehmigen Euere Excellenz
zuvörderst den Ausdruck meines tiefgefühlten Dankes für das ehrenvolle Zutrauen
und den schönen Beruf, für welchen Hochdieselben mich in Antrag zu bringen
gedenken. Ich glaube, die weise und patriotische Absicht Eurer Excellenz ganz zu
erfassen: Liebe zu unserm Kaiserstaate, genährt durch die aus den Quellen
geschöpfte Kunde der vaterländischen Geschichte ist es, was unserer Jugend
noththut, und diese wünschen Euere Excellenz der Jugend beibringen zu lassen.
Die Erreichung dieser Absicht lag in der Richtung meiner eigenen Studien seit
Jahren, wenngleich nur vom engen tirolischen Standpunkte aus. Ich machte in Innsbruck Versuche, talentvolle Jünglinge
dafür zu gewinnen; es gelang mir mit dem ausgezeichnet fähigen Rudolph Kink und würde mir wahrscheinlich mit noch
mehreren gelungen sein, wären sie nicht durch die Ereignisse des Jahres 48 zu
sehr auf die Bahn der Politik geleitet worden, ein damals fast allgemein
gewordener Fehler der studierenden Jugend. Diesem, meinen Neigungen und Studien
so ganz zusagenden Berufe wollen Euere Excellenz mich wieder zurückgeben; ich
kann für den ehrenvollen und erfreulichen Antrag nur den wärmsten Dank
aussprechen, darf aber nicht verbergen, daß mich einige Furcht befällt, ob ich
den Erwartungen Eurer Excellenz auf dem höhern Standpunkte in Wien zu entsprechen vermögend sein werde. Ich habe die
Universalgeschichte und aus specieller Neigung die Tiroler Geschichte zum
Gegenstande vieljähriger Studien gemacht, nicht aber in gleichem Maaße die
österreichische Staatengeschichte, und weiß daher nicht, ob ich sie auf
wünschenswerthe Weise zu beherrschen im Stande sein werde. Ich stelle den Werth
dieses Bedenkens unbedingt dem Ermessen Eurer Excellenz anheim.
Hochdieselbe
geruhen ferner mich aufzufordern, meine Meinung zu eröffnen, welche Folgen meine
Entfernung von hier für das Meraner
Gymnasium haben dürfte? Nichts konnte mir erwünschter kommen als diese
Aufforderung, denn sie gibt mir Veranlassung, einmal unumwunden meine
Überzeugung Eurer Excellenz nach bestem Wissen und Gewissen darzulegen, was ich
ohne dieselbe aus gewissen Rücksichten nicht wohl thun konnte. Für die
allernächste Zukunft hat mein Austritt gar keine nachtheilige Folge; die
Directoratsgeschäfte können durch Pius
Zingerle so gut besorgt werden wie durch mich; die Lücke, die
meinetwegen entsteht, kann der Herr
Prälat augenblicklich durch ein sehr brauchbares Stiftsmitglied, Gregor Hauser, der schon 10 Jahre
Professor am Gymnasium war und gegenwärtig
als Seelsorgspriester in der unbedeutenden Alpengemeinde Schlinig
für eine Bevölkerung von 120 Seelen verwendet wird, ausfüllen. Ich zweifle
nicht, daß der Bischof von
Trient oder Brixen auch
für diesen Posten Aushilfe leisten wird, wie die beiden Herrn Bischöfe es schon
für 3 andere Plätze thun. Dann hat der Herr
Prälat einen jungen sehr fähigen Priester im Stifte, allerdings erst im
Noviziate, der sich auf das Lehramt vorbereitet und schon das nächste Jahr am
Gymnasium verwendet werden kann. Für die
allernächste Zukunft, d. h. für das nächste Jahr entsteht also aus meiner
Entfernung für die Lehranstalt kein Nachtheil.
Eine andere Frage ist die,
was mit dem Obergymnasium in der fernern Zukunft, vielleicht schon in 2–3 Jahren
geschehen wird? Diese Frage steht aber ganz unabhängig von mir da, und ich kann
das künftige Schicksal des Gymnasiums nicht anders gestalten, als es die
Verhältnisse thun werden. Nach meiner Überzeugung hat sich das Stift Marienberg eine Aufgabe gestellt, deren Lösung
weit über seine Kräfte geht. Der Personalstand des Stiftes besteht, mit Ausnahme
der 5 Novizen und eines Laienbruders, aus 24 Individuen, von denen 6 Männer von
65 bis nahe 80 Jahren sind und 4 für das Lehrfach sich nicht eignen. Mit den
übrigen 14 soll der Lehrerbedarf nicht bloß für jetzt, sondern für einige Jahre
gedeckt werden, denn mit Ausnahme des vorerwähnten jungen Priesters im Noviziate
kann das Gymnasium im besten Falle erst in
4, – im schlimmern Falle erst in 7 Jahren auf Ersatzmänner zählen, je nachdem
zwei im Stifte befindliche Novizen, die für das Lehrfach bildungsfähig sind, das
Triennium der Universitätsstudien mit den theologischen Studien vereinigen
können oder nacheinander vollenden müssen. Woher man Hilfe nehmen wird, wenn
Erkrankungs- oder Sterbefälle eintreten oder wenn von den 7 noch ungeprüften
Lehramtscandidaten einer oder mehrere die Prüfungen nicht bestehen, vermag ich
nicht zu bestimmen, das Stift hat keine Ersatzmänner.
Der Herr Prälat selbst fühlt diese Aufliegenheit und
deutete sie in seiner Bitte um Reduzirung des Gymnasiums auf 6 Kurse an. Der
Leutemangel lag aber schon klar vor, als man um das Obergymnasium petitionirte,
und dennoch mußte ich gehorchen und gegen meine Überzeugung und mit Aufopferung
meines schönen Wirkungskreises in Innsbruck
an der Errichtung mitwirken. Durch die Gnade Eurer Excellenz ist die Erweiterung
der Lehranstalt zu Stande gekommen, aber welche Bürgschaft sie für ihren
Fortbestand in sich trägt, geruhen Euere Excellenz aus obigen Zahlen zu
entnehmen. Ich mag also bleiben oder fortkommen, der Bestand des Obergymnasiums
wird durch mich weder gesicherter noch gefährdeter, sondern muß wegen der zu
großen Aufgabe für ein so kleines Stift bald – vielleicht in 2 Jahren schon – in
sich zusammenfallen. Überdies scheint kaum ein Bedürfnis nach einem
Obergymnasium in Meran vorhanden zu sein.
Die Lehranstalt zählt im 8. Kurse nur sieben, im 7. neun und im 6. Kurse 16
Schüler. Vom vorigen Jahre auf heuer herüber haben 22 Schüler dieser Kurse das
Gymnasium verlassen. Dem Vernehmen nach werden die 2 obersten Klassen im
nächsten Jahre noch mehr zusammenschwinden. Der Grund davon liegt zum Theil in
der zu großen Nähe der 3 Obergymnasien von Meran, Bozen und
Brixen, zum Theil in den
wegen des großen Andranges fremder Kurgäste höchst ungünstigen
Quartierverhältnissen in Meran und zum Theil in
dem bessern Unterkommen, welches arme Studenten in den wohlhabendern Städten Bozen und Innsbruck und selbst in
Brixen finden.
Da nun
wegen meines Austrittes dem Meraner
Gymnasium zunächst kein Nachtheil zugeht, künftige Nachtheile und
selbst das Eingehen des Obergymnasiums mein Hierbleiben nicht verhindern kann:
so erlaube ich mir die unterthänigste Bitte, Euere Excellenz wollen sich
gnädigst bewogen finden, mich in eine Lage zu setzen, wo ich ohne weiteren
Zeitverlust meine Kräfte mit besserem Erfolg verwenden kann als hier, wo das
Ergebnis aller Bemühungen am Ende doch nur ein Untergymnasium sein
wird.
Verzeihen Euere Excellenz die Weitläufigkeit, mit welcher ich mich
genöthiget sah den Gegenstand zu erörtern, und geruhen Hochdieselbe den Ausdruck
meiner ehrfurchtsvollsten Hochachtung und Dankbarkeit zu genehmigen, mit der ich
mich zeichne
Eurer Excellenz
unterthänigster Diener
Albert Jäger