Leo Thun an Joseph Alexander Helfert
Smečno, 1. Oktober 1853
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Regest

Leo Thun äußert sich verärgert über das eigenmächtige Vorgehen der Redaktion der Gymnasialzeitschrift bei der Besprechung des Buches von Vaclav Tomek. Thun sieht darin einen Vertrauensbruch seitens der Redaktion und befürchtet schwerwiegende Folgen. Er möchte die Situation allerdings nicht noch weiter verschlimmern und daher keine offizielle Erwiderung seitens des Ministeriums publizieren. Stattdessen spricht er sich dahingehend aus, dass Tomek selbst einen Artikel zu seiner Verteidigung verfasse – der von Helfert vorgelegte Entwurf böte hierfür eine gute Grundlage. Besser wäre es allerdings, wenn Albert Jäger oder Rudolph Kink, als ausgewiesene Fachleute, das Buch etwas günstiger besprächen. Thun möchte allerdings verhindern, dass der Eindruck entstehe, es gäbe in der Frage der österreichischen Geschichtsschreibung verschiedene Parteien. Anschließend geht er auf mehrere Angelegenheiten kurz ein: Zunächst äußert er sich erfreut, dass Joseph Aschbachs Berufung nun feststeht, dieser sollte dann auch Rudolph Kink in der Prüfungskommission ablösen. Thun zeigt sich auch erfreut darüber, dass die Augsburger Postzeitung in Zukunft keine Artikel mehr annehmen will, die polemisch das österreichische Unterrichtswesen behandeln. Zuletzt tröstet er Helfert, trotz der schweren Zeiten den Mut nicht zu verlieren.
In einem Postscriptum bittet Thun, einige Anträge bis zu seiner Rückkehr aufzuschieben, so etwa den Antrag eines englischen Geistlichen um Erlaubnis von Hausgottesdiensten und den Antrag von Prof. Anton Jaksch auf Nicht-Wiederbesetzung der zweiten Klinik an der Universität Prag.

Anmerkungen zum Dokument

Verweis auf A3 XXI D233.

Verweis auf A3 XXI D237.

http://hdl.handle.net/21.11115/0000-000B-DA1C-1

Schlagworte

Edierter Text

Smečno den 1. Oktober 1853

Lieber Helfert

Gestern habe ich Ihre Urgens erhalten; und eile wenigstens heute meiner Zögerung ein Ende zu machen. Über meine Bedenken in der Angelegenheit der Gymnasialzeitschrift folgendes:
Daß Mozart den Gegenstand mit mir nicht vorläufig besprach, ist ein entschiedener Fehler, die Folge davon ist erstens der Verstoß wegen der aus Tomeks Buch ausgemerzten Stelle und die politische Verdächtigung, zweitens ein mir auch hinsichtlich der literarischen Beurtheilung des Buches unangenehmer Artikel1. Die erste Folge berechtiget mich allerdings einzuschreiten, und zu veranlassen, daß der Fehler wieder gut gemacht werde. Die zweite nicht. Die literarische Unabhängigkeit der Redakzion habe ich immer achten zu wollen versprochen; ich kann sie auch nicht mißachten ohne den Werth der Zeitschrift auf das Spiel zu setzen; ich hätte bei vorläufiger Besprechung auf dem Wege der Überzeugung ein günstigeres Urtheil herbeizuführen suchen können, nicht aber der Redakzion ein wissenschaftlich ungünstiges untersagen, wenn meine Vorstellungen unbeachtet geblieben wären. Der Fehler dessen die Radakzion sich gegen mich schuldig gemacht hat, berechtigt mich nun auch nicht nachträglich meiner Seits mein Verhältnis zu ihr zu verrücken. Ich möchte ihr also auch jetzt nicht einen Artikel, den sie seiner literarischen Bedeutung wegen, das ist hier wegen der Auffassung der Methode der österreichische Geschichtsschreibung etwa von sich weisen wollte, offiziell aufdrängen. Nun hängt aber das allerdings mit der politischen Verdächtigung so enge zusammen, daß es schwer zu trennen ist. Deshalb scheint es mir rathsamer außerämtlich die Redakzion zu einem zweckmäßigen Gegenartikel zu vermögen, als ämtlich einzugreifen. Sie ist so sehr im Unrecht gegen mich, daß sie meinem Wunsche in dieser Sache kaum sich entziehen kann. Was nun den Artikel selbst anbelangt, so scheint mir der anbei zurückfolgende ganz entsprechend, nur in einigen Stellen habe ich gewisse Modifikazionen mit Bleistift angedeutet. Doch wäre ich der Meinung, daß er geradezu als Tomeks Entgegnung übergeben werden sollte. Ich sehe durchaus keinen Gewinn dabei Jiracecks Namen zu unterschieben. Wenn Jäger oder Kink zu vermögen gewesen wären, darüber wenn auch nicht völlig zustimmend, so doch billig referirend zu schreiben, so wäre es meiner Ansicht nach ein großer Gewinn gewesen, weil die Gefahr nahe liegt, die Frage über die Behandlung der österreichischen Geschichte, wenn Tomeks Ansicht nur von uns vertheidigt und von anderer Seite nur verdächtigt wird, zu einer Partheifrage werden zu sehen. Geht das aber nicht, so scheint es mir viel besser, daß Tomek sich selbst vertheidige, als daß es Jirececk thue, dessen Namen doch noch kein literarisches Gewicht hat, daher kein Gewinn für die Sache ist, während sein Hervortreten eben mehr als Tomeks eigene Vertheidigung ausgebeutet werden kann, um Partheien zu wittern. Meine Meinung wäre also, die Redakzion b.m. zu vermögen[?], daß sie Tomeks Entgegnung als solche aufnehme, und ich ermächtige Sie, wenn Sie darauf eingehen wollen und können, den Herrn zu sagen, daß dieses mein angelegentlicher Wunsch und gleichsam die Bedingung sei, unter welcher ich die arge mir gegenüber begangene Indiskrezion verzeihen will. Ihr gestern erhaltenes Schreiben besagt aber, daß das nicht mehr geschehen könne etc.; ich kann also allerdings es nur Ihrem Ermessen auf Erwägung vorstehender Bemerkungen zu handeln, wie Sie es für gut und nöthig erachten. Das Ministerium und die Gymnasialzeitschrift müssen Bundesgenossen sein; dieses Verhältnis allein kann beide trennen, wird es von einer Seite gestört, so muß gleichwohl von beiden Seiten möglichst dahin gestrebt werden es wiederherzustellen, denn gelingt es nicht, so ist es ein großer Schaden für beide, möglicherweise selbst eine Quelle von Verlegenheiten für das Ministerium, zumal wenn der Bruch früher eintritt, als es möglich ist eine Redakzion von der Gesinnung und Gewandheit Höflers, Weiß's, – kurz der historisch-politischen Blätter zusammenzubringen.
Ich freue mich aus Ihrem Briefe zu ersehen, daß Aschbachs Ernennung mindestens resolviert ist. Wenn er nur auch bald kommt. Ich bin ganz einverstanden, daß er dann Kink in der Prüfungskommission ersetze, kann es inzwischen Jäger; um so besser. Ich bitte Sie es mit ihm zu besprechen.
Die Wendung mit der Redakzion der Augsburger Postzeitung ist mir sehr erfreulich, wenn's nur dabei bleibt.
Ich bedauere sehr, daß Sie wieder persönlich Unangenehmes zu erfahren hatten, und es wird mich sehr interessieren Näheres darüber zu hören. Werden Sie aber darum nicht kleinmüthig, das Leben ist einmal ein Kampf; mir geht es auch nicht besser.
Ich fahre morgen nach Tetschen, und werde mich von dort nicht mehr weit entfernen. Bitte lassen Sie mir die Zeitungen, und was es sonst gibt dorthin schicken. Was nicht besonders dringend, kann nun wohl schon meine Rückkehr erwarten. Von Tetschen sobald ich kann an Kink über sein Werk und einige noch zurückgefallene Stücke.

Ihr
aufrichtig ergebener
Thun

Wenn von Meran ein Gesuch eines englischen Geistlichen wegen Gestattung häuslichen Gottesdienstes kommt, so wünsche ich mir die definitive Erledigung vorbehalten; vorläufig wird wohl nur die Statthalterei um Bericht anzugehen sein.
Beiligend nebst einigen Aktenstücken noch eine Eingabe von Jaksch gegen Wiederbesetzung der 2. klinischen Professur. Sie enthält viel beachtenswerthes und ich behalte mir auch vor, nach meiner Rückkehr in das Ministerium einzugehen, vorläufig bitte ich Sie nur an Meczery Weisung geben zu lassen, daß wenn der Konkurs nicht schon ausgeschrieben ist, damit einzuhalten sei.