Anton Jaksch an Leo Thun
Prag, 11. April 1856
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Regest

Der Mediziner Anton Jaksch beklagt sich bei Leo Thun über das Verhalten des Ministerialrates Theodor Weiß von Starkenfels. Der Grund für die Verärgerung Jakschs ist das Vorgehen Weiß' bei der Einstellung der Barmherzigen Schwestern im Prager Krankenhaus durch den Ministerialrat. Dieser hatte die Schwestern ins Krankenhaus eingeführt, ohne sich vorher mit den leitenden Ärzten zu besprechen. Außerdem hat er den Direktor des Krankenhauses gemaßregelt, weil dieser ebendieses Vorgehen kritisiert hatte. Jaksch weist diese Kritik am Direktor mit aller Schärfe zurück und versichert Thun, dass man die Einführung der Barmherzigen Schwestern grundsätzlich begrüße, jedoch die Art, wie sie erfolgte, nicht gutheißen könne. Denn den Aussagen Weiß' zufolge solle das Spital nunmehr vorwiegend dem Zweck der moralischen Besserung der Kranken und nicht der medizinischen Versorgung dienen. Außerdem habe Weiß mehrfach seine geringe Wertschätzung der Medizin verlauten lassen. Jaksch findet ein derartiges Verhalten und derartige Äußerungen eines Beamten nicht tragbar. Jaksch glaubt außerdem, dass das Prager Krankenhaus in Kürze seinen guten Ruf verlieren werde. Jaksch hofft daher, dass Thun etwas gegen das Verhalten des Ministerialbeamten unternehmen könne.

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Edierter Text

Euer Excellenz!

Wiewohl ich besorgen muß, durch meine Briefe lästig zu fallen, so wage ich es dennoch, abermals vor Euer Excellenz zu treten, um eine Pflicht zu erfüllen, die mir mein Gewissen, meine Liebe zu dem allerhöchsten Throne und dem Vaterlande auflegt. Es gilt über den Herrn Ministerialrath Weiß von Starkenfels Licht zu verbreiten, der, wie es hieß, bezüglich der künftigen Gestaltung der Prager Krankenanstalten mit großen Vollmachten versehen, durch mehrere Tage in Prag weilte, um den Orden der barmherzigen Schwestern in die Anstalt einzuführen. Was ich nun mittheilen werde, habe ich genau und wahrheitsgetreu niedergeschrieben, wie ich es an den Quellen erhoben habe. Es steht von der anerkannten Ehrenhaftigkeit der Männer, die mir als Quelle dienten, zu erwarten, daß sie nöthigen Falles das Mitgetheilte durch einen Eid bekräftigen werden.
Der Herr Ministerialrath hat es gar nicht der Mühe werth gehalten, mit den Primarärzten und Professoren an der Anstalt irgendeine Rücksprache zu halten, um über die dem Interesse der Wissenschaft und Humanität entgegen stehenden Ordensregeln zu berathen und zu einer Vereinbarung zu führen; er hat vielmehr den biedern und ehrenwerthen Direktor der Anstalt, deshalb, weil derselbe an der Spitze der Primarärzte seine Pflicht erfüllte und zur Kenntnis der hohen Behörden brachte, welche Bedenken gegen die Modalitäten, unter denen der Orden eingeführt wurde, obwalten, der Opposition beschuldigt und besonders getadelt, daß er sich an die Spitze der Opposition stelle, seine Pflicht sey es, das monarchische Princip durchzuführen und selbstständig zu handeln. Als der Herr Direktor hierauf bemerkte, daß er durch seine Instruktion gebunden sey, mit den Primarärzten über die Angelegenheiten des Krankenhauses Conferenzen zu halten, so entgegnete der Herr Ministerialrath, er möge die Instruktion ändern oder auf eine Änderung antragen. Euer Excellenz kennen meine Gesinnungen und ich kann für dieselben bezüglich meiner Kollegen einstehen: Wir Alle wünschen gebildete und religiöse Krankenpflegerinnen, wir alle werden das Möglichste aufbieten, um ein Zusammenwirken zum Wohle der Kranken zu erzielen, wir alle sind durchglüht von Humanität und Liebe zur Wissenschaft! Wie können unsere auf legalem Wege und in geziemender Form eingebrachten Vorstellungen gegen die hohen Ortes angeordneten Modalitäten, die uns die Humanität und das Wohl der Wissenschaft zu verletzen schienen, als Opposition, als Verletzung des monarchischen Princips angesehen werden? Wir hielten fest und unerschütterlich an dem allerhöchsten Thron in den Prüfungstagen der Treue und Anhänglichkeit, wir sind insgesamt durchdrungen von dem Wunsche, daß die Regierung Seiner Majestät, unsres geliebten Kaisers eine recht segens- und glorreiche werde, mehrere von uns haben für ihre Pflicht bereits ihr Leben eingesetzt, und nun sollen wir durch unsere Conferenzen zum Wohle der Krankenanstalt das monarchische Princip bedrohen!?
Eben so merkwürdig ist folgende gegen den Herrn Direktor Biermann gemachte Äußerung des Herrn Ministerialrathes Weiß: Das Spital ist von nun an ein Klosterspital, d. h. es muß als das Wichtigste, als die Hauptsache angesehen werden, daß die Kranken moralisch gebessert und mit christlichen Gesinnungen das Haus verlassen, die ärztliche Behandlung sey Nebensache; ohnehin halte er nichts auf die Medicin. Aus dieser Äußerung läßt sich folgern, daß der Herr Ministerialrath alle oder doch viele der ins Spital eintretenden Kranken für irreligiös und moralisch verdorben halte und deshalb die Umwandlung des Krankenhauses in eine Correktionsanstalt für nothwendig erachte. Zu einer solchen Behauptung ist kein Commentar nöthig, sie entehrt den, der sie zu machen im Stande ist. Für einzelne Kranke wohl kann die Nothwendigkeit einer Belehrung und moralischen Besserung eintreten; allein derlei Fälle werden immer nur vereinzelt bleiben, und dazu, diesen Zweck zu erreichen, gehört Bildung überhaupt und insbesondre eine tiefe religiöse Bildung; mit Ceremonien und heiligen Sprüchen werden wohl Heuchler gebildet, aber keine Seele dem Himmel und Staate gerettet.
Noch merkwürdiger ist folgende Äußerung, die der Herr Ministerialrath in Gegenwart des Prof. Arlt, der ihn zufällig in der Direktionskanzlei traf, machte: Er halte nichts auf die Medicin und habe Lust, die Summe von 85000 fl., die für die Errichtung der pathologisch-anatomischen und chemischen Anstalt bestimmt sey, auf den Flügelbau des Spitals der barmherzigen Schwestern zu verwenden; die pathologisch-anatomische Anstalt könne bleiben, wo sie ist oder in das alte Gebäude der Irrenanstalt verlegt werden. Als ihm hierauf Prof. Arlt erwiderte, daß er damit dem medizinisch-praktischen Unterrichte die Lebensader abschneide, hatte er nichts zu entgegnen als: er halte nichts auf die Medicin und gehe in dieser Hinsicht von ganz entgegengesetzten Principien aus. Wie kann ein, wenn auch noch so hoch gestellter Diener die hochherzigen Gesinnungen unsres allergnädigsten Kaisers, der für die segensreichste der Wissenschaften, die Medicin, bisher so väterlich sorgte, geradezu verläugnen und den allerhöchsten Absichten zuwider handeln wollen? Alle diese und noch andre Bemerkungen und Vorwürfe wurden dem biedern Direktor der Krankenanstalten, Doktor Biermann, in so barscher und dem ärztlichen Stand und seiner Stellung so erniedrigender Weise gemacht, daß derselbe seit jener Zeit ganz geknickt und gebrochenen Muthes einhergeht.
Nicht würdig der hohen Stellung und Mission, die der Herr Ministerialrath hatte, ließ er sich auf dem Spitalshofe und Gängen in einen Wortwechsel mit Kranken und Subalternärzten ein, weil sie, während er mit ihnen spreche, nicht die Körperhaltung beobachten, die sich einem Ministerialrathe gegenüber gezieme, und ferner auf dem Hofe des Krankenhauses Cigarren rauchen. Obgleich letzteres auf dem freien Hofe weder Ärzten noch Kranken bisher verboten war, und ohne die Unart des Rauchens selbst entschuldigen zu wollen, möchte ich dennoch ein derlei Benehmen von Seite eines hohen Beamten, das ihn der Gefahr aussetzt, lächerlich zu werden oder eine beleidigende Antwort zu erhalten, für höchst unpassend halten.
Ich kann endlich nicht unterlassen, noch eine Äußerung anzuführen, die der Herr Ministerialrath von dem Hochwürdigen Herrn Pfarrer bei St. Apollinar machte, weil sie einen tiefen Blick in die Denkweise dieses Mannes machen läßt: „Er gedenke es dahin zu bringen, daß die Uneheligen, die in der Gebäranstalt entbinden, sofort ins Arbeitshaus abgegeben werden; auch finde er die Oratorien, die für die Schwangeren errichtet sind, damit sie ungesehen in der Kirche dem heiligen Meßopfer beiwohnen und beten können, für überflüssig und zweckwidrig.“ Ist das ein Ausfluß der christlichen Liebe, unserer göttlichen Religion, die den Gefallenen Verzeihung bietet, und wie kann sich ein solcher Mann als Vertreter religiöser Interessen geberden?
Und diesem Manne ist das Wohl der Prager Krankenanstalten anvertraut, die durch die Vortrefflichkeit ihrer bisherigen Einrichtungen europäischen Ruf erhielten, die Bildungsschule wurden für angehende und selbst fertige Ärzte aus allen Gauen Deutschlands und dessen Nachbarstaaten.
Euer Excellenz, dem das Wohl der Menschheit und Wissenschaft so sehr am Herzen liegt, der Sie den Ruhm von Oesterreichs Hochschulen auf jede mögliche Weise zu fördern suchen, der Sie Seiner Majestät, unserem gnädigsten Kaiser als nächster Rathgeber Ihr Daseyn gewidmet haben, werden sicher dazu beitragen, daß ein Streben paralysirt werde, das auf Heuchelei und nicht auf wahre christliche Tugend und Humanität ausgeht und die Wissenschaft und den Unterricht so sehr bedroht.
Ich mußte vor Euer Excellenz mein Herz ausschütten, weil es mir in der Seele wehe that zu sehen, wie die weisen Absichten Seiner Majestät, unsres gnädigsten Kaisers durch solche Diener in den Augen des Publikums verdächtig werden; ich hatte den Muth dazu, weil ich unabhängig dastehe, dem Staate nicht als Miethling, sondern aus Liebe zur Wissenschaft und dem Unterrichte diene und endlich von der tiefsten Verehrung und Liebe gegen Seine Majestät durchdrungen und überzeugt bin, daß ich in der Treue und Anhänglichkeit an den allerhöchsten Thron keinem Seiner treuesten Diener nachstehe.
Indem ich es nochmals wiederhole, daß ich für jedes Wort, das ich hier niederschrieb, einstehe, zeichne ich mich in Ehrfurcht

Euerer Excellenz unterthänigster
Jaksch

Prag, den 11. April 1856