Anton Jaksch schreibt erneut an den Minister, um einige Aussagen seines letzten Briefes zu korrigieren. In diesem hatte er freudig berichtet, dass die Generaloberin der Barmherzigen Schwestern zu einigen Konzessionen bei der Umstrukturierung des Prager Allgemeinen Krankenhauses bereit sei. Nun stellte sich jedoch heraus, dass die Freude verfrüht war. Denn die Generaloberin sei weiterhin nicht bereit, die Wohnungen der Sekundarärzte in den jeweiligen Stationen zu belassen. Damit würde diese Ärzte aber ihre wichtigste Funktion einbüßen, nämlich bei Notfällen sofort an Ort und Stelle zu sein. In einem persönlichen Gespräch mit der Generaloberin konnte er diese zwar von der Wichtigkeit der Forderung überzeugen, dennoch will er sich nicht noch einmal zu früh freuen. Außerdem, so schreibt Jaksch, wagte er es nach diesem Zwischenerfolg nicht, auch noch notwendige Forderungen zu stellen. Jaksch schreibt außerdem, dass er seit Einführung der Schwestern einige Verschlechterungen im Bereich der Pflege feststellen musste, so dass er insgesamt zum traurigen Schluss komme, dass die Barmherzigen Schwestern für ein Krankenhaus ungeeignet seien, das sowohl der Pflege von Kranken als auch der Ausbildung junger Ärzte diene. Um einen solchen Misserfolg für andere Krankenhäuser in Zukunft vermeiden zu können, möchte er in den Sommerferien eine Abhandlung über Pflegeorden in ganz Europa verfassen.
Der Brief ist im Nachlass gemeinsam mit anderen Schreiben, die diese
Thematik betreffen, abgelegt:
Anton Jaksch an Leo Thun. Prag, 23. März 1856.
Anton Jaksch an Leo Thun. Prag, 11. April 1856.
Anton Jaksch an Leo Thun. Prag, 18. April 1856.
Euer Excellenz!
Ich nehme mir die Freiheit, zu meinem letzten Berichte 1 Einiges
nachzutragen. Vorerst verhielt es sich mit den von der Frau Generaloberin gewährten Concessionen
anders, als ich damals erfahren und Euerer Excellenz berichtet hatte. Daß die
klinischen Säle neben einander bleiben, und die Assistenten ihre Wohnung in der
Nähe der Klinik behalten, hat seine Richtigkeit, doch die 3. Concession, daß die
1. Sekundarärzte der Internabtheilungen wie bisher im Mittelpunkte der ihnen zur
Aufsicht und Obsorge zugewiesenen Abtheilung ihre Wohnungen haben, konnte nicht
als solche angesehen werden, da die Frau
Generaloberin blos zugegeben hatte, daß die 1. Sekundarärzte in
der Anstalt, aber nicht im Centrum ihrer Abtheilung, sondern entfernt im
entgegengesetzten Flügel des Hauses wohnen. Da mir der Zweck, den die
Primarärzte bei dieser Forderung im Auge hatten, nicht erreicht schien, id est
daß der Sekundararzt bei augenblicklich gefahrdrohenden Zufällen schnell bei der
Hand sey und mit leichter Mühe des Tags und Nachts die Krankenbeobachtung
pflegen und die Krankenwartung überwachen könne, so brachte ich es noch einmal
zu einer Berathung mit der Frau
Generaloberin, bei der erst nach einem hartnäckigen Widerstande
auch dieser Forderung Genüge geleistet wurde, natürlich, wenn, was hier besorgt
wird, der Herr Ministerialrath
Weiß von St[arkenfels] diese Concession nicht hinterher wieder
annullirt. Die vierte Forderung, daß einer größeren Anzahl junger Ärzte die
Gelegenheit geboten werde, sich allseitig für das praktische Leben auszubilden
und deshalb das Institut der Internpräparanden nicht aufgehoben werde, getraute
ich mich nicht weiter zu stellen, da die Frau
Generaloberin rundweg erklärte, daß sie keine weitere Concession
machen werde. Dieses Institut ist somit bisher noch als aufgehoben zu
betrachten. Das Schlimmste dabei scheint mir zu seyn, daß die Frau Generaloberin nicht aus Überzeugung,
daß sie das Krankenwohl fördert, diese Concessionen machte, sondern mehr, um dem
Drängen der Primarärzte nachzugeben.
Da ich die heurigen Ferien keine Reise
mache, sondern mich, um Einiges arbeiten zu können, in die Einsamkeit
zurückziehe, so möchte ich gern in dieser Zeit ein Broschürchen über die
bestehenden Orden der barmherzigen Schwestern schreiben und gestützt auf die
Statuten der einzelnen Orden zu ermitteln suchen, für welche Humanitätsanstalten
einer oder der andere mehr geeignet sey. Ich habe mich deshalb bereits nach
Paris, Berlin und München
gewendet; wenn ich nur auch zur Kenntnis der Statuten der in Oesterreich bestehenden Orden gelangen könnte!
Vielleicht wird hieraus ein Nutzen für die Zukunft hervorgehen und werden
ähnliche Mißgriffe, wie hier in Prag, ferner
vermieden werden. Denn das bisherige Wirken des Ordens in der Prager
Krankenanstalt reducirt sich auf ein Minimum. Ich glaube unbefangen zu
beobachten und behaupten und beweisen zu können, daß bisher, wenn auch die
Krankenzimmer reiner und freundlicher aussehen, die eigentliche Krankenwartung
und Pflege einen merklichen Rückschritt gemacht habe. Freilich sind der
Schwestern noch zu wenige in der Anstalt – doch auch die Dienstleistung dieser
Wenigen ist nicht die, welche ich erwartet hatte. Die eigentliche Wartung der
Kranken ist wie früher gedungenen Wärterinnen und Wärtern anheimgegeben, die
Schwestern führen nur eine Art Oberaufsicht, wachen insbesondere nicht des
Nachts in den Krankensälen, sondern machen paarweise einigemale die Runde durch
die Krankenzimmer, eine Mühe, aus der den armen Kranken nicht der geringste
Vortheil erwächst. Als ich gestern, um die Rapporte meiner Ärzte zu
kontrolliren, um 9 Uhr abends meine Krankenzimmer durchging, fand ich fast in
allen und selbst in den mit schweren Typhuskranken belegten Sälen die
Wärterinnen schlafend, von den Schwestern keine Spur und die armen Kranken ohne
Beistand. Sonst wurde eine Wärterin entlassen, die, wenn sie die Nachtwache
hatte, im Krankenzimmer abwesend war oder schlief, wenn mein Sekundararzt oder
ich die Runde durch die Krankenzimmer machte; jetzt, wo die Wärter und
Wärterinnen einzig der Hausoberin unterstehen, werden dießfällige Beschwerden
als Opposition gegen den Orden aufgefasst und geschildert und zum Nachtheil der
Kranken Dinge verschwiegen, die, wenn die Anstalt in der That eine
Humanitätsanstalt seyn soll, ans Tagslicht kommen müssen. Ein Ähnliches könnte
ich bezüglich der Reinhaltung der Kranken und ihrer Leibwäsche vorbringen und
zum Beweise der Richtigkeit meiner Angabe anführen, daß der Decubitus, id est
das brandige Aufliegen, das in früheren Monaten kaum vorkam, jetzt häufiger
beobachtet werde. Es fehlen aber auch in der Anstalt die früheren routinirten
Wärterinnen, und die Strenge des Arztes bei der Kontrolle ihrer Dienstleistung
ist unmöglich geworden. Ich gestehe, daß ich die meiner Abtheilung zugewiesenen
Schwestern willig und gutmüthig finde, und beinahe jede Einzelne lieb gewonnen
habe, dennoch muß ich, was ihre bisherige Dienstleistung anbelangt, das harte
Urtheil abgeben, das ich niederschrieb. Es liegt gewiß Alles an den
Ordensstatuten, und für eine Krankenanstalt, wie die Prager, die zugleich
Bildungsanstalt für die medicinische Jugend ist, wird sich ein Orden niemals
eignen, der, wie gegenwärtig, dem Arzte sich bei- aber nicht unterordnet, und
das Wirken des Arztes in jeder Richtung erschwert, in keiner fördert. Dagegen
dürfte für bloße Pflege- und Versorgungsanstalten, als Siechen, Findel,
Arbeitshäuser etc. grade dieser Orden vom heiligen Karl Borromaeus ganz
vorzüglich geeignet seyn.
Die Wichtigkeit der Sache mag mich entschuldigen,
daß ich Euere Excellenz abermals mit einem so ausführlichen Schreiben
belästigte. In tiefster Verehrung verharret
Euerer Excellenz
unterthänigster Jaksch
Prag, den 6. Mai 1856