Der Mediziner Anton Jaksch schildert seine Sicht auf die Situation an der Prager Medizinischen Fakultät und moniert die unzureichenden Kenntnisse und Fähigkeiten seiner Studenten. Er bedauert zunächst, dass er seine Studenten gar nicht begeistern könne. Er führt dies insbesondere auf die jüngsten Reformen und die Lehr- und Lernfreiheit zurück. Besonders aber bedrückt ihn, dass die Studenten – seit es einen zweiten Professor in seinem Fach gebe – ihn und seine Strenge umgehen, und er damit keinen Einfluss mehr auf sie habe. Er will sich aber weder für die Studenten noch für Thun verbiegen, denn er ist von seiner Lehrmethode vollkommen überzeugt. Er sieht jedoch selbst ein, dass er damit auf verlorenem Posten stehe, denn es stünden genug unterwürfige Personen bereit, ihn zu ersetzen. Er bittet den Adressaten jedoch, dem Minister nichts von dem Inhalt dieses Briefes mitzuteilen, zumal er sich bei Thun ja auch schon persönlich beklagt habe. Außerdem glaubt er, dass Thun – durchdrungen vom Streben nach dem Besten – bald selbst erkennen werde, dass es so nicht weiter gehen könne.
Liebster Freund!
So eben erhielt ich dein Schreiben und beantworte es augenblicklich, weil ich
Dich bitten muß, über dessen Inhalt dem Herrn Minister keine Mittheilungen zu
machen. Ich habe ihm schon früher direkt meine Ansichten offen mittgetheilt und
wenn ich es für zweckdienlich hielte, würde ich es auch ferner eben so offen
gethan haben. Allein ich würde ihn nur kränken, der Herr Minister ist von der Richtigkeit seiner
Ansichten durchdrungen und wird darin von allen denen bestärkt, deren Rath ihm
zu Gebote steht. Hier kann nur die Erfahrung entscheiden, wer Recht hat, und
eben, weil ich weiß, daß der Herr
Minister von dem Streben, Gutes und Segen zu verbreiten, durchdrungen
ist, baue ich fest auf die Zukunft. Der Herr Minister muß in Kurzem dahinter kommen,
daß es auf dem eingeschlagenen Wege weder mit dem Gedeihen der Universitäten,
noch insbesondere mit einer gehörigen Ausbildung der Jugend vorwärts gehe, und
wird eben seiner edlen hochherzigen Bestrebungen wegen um so entschiedener das
Princip aufgeben, dem ich itzt schon offen entgegen getreten bin. Ich schrieb
Dir wirklich blos, mein Herz zu erleichtern, denn ich habe, dem Himmel seys
gedankt, in der That gegenwärtig keinen andern Kummer, als den, daß mich meine
Stellung nicht freut. Ich kehre oft ganz betrübt von meiner Klinik nach Hause,
weil ich sehe, daß ich trotz meines Feuereifers weder den Sinn der Jugend für
eine gründliche wissenschaftliche Ausbildung, noch den für eine aufopfernde
Hingebung fürs Menschenwohl erwecken kann. Die Nachlässigkeit in den
Vorbereitungswissenschaften zum klinischen Studium, und die Unkenntnis derselben
macht sie am Krankenbette, wo sie die Nothwendigkeit und zugleich die
Unmöglichkeit einsehen, das Versäumte nachzuholen, an sich selbst verzweifeln,
und überliefert sie einer Gleichgiltigkeit selbst gegen das, was sie für ihr
Leben und Fortkommen brauchen. Anderseits fehlt alle Begeisterung für das Edle,
Erhabene, die doch dem so Noth thut, der im vollen Sinne des Wortes Arzt werden
will. Durch meine Strenge und die kräftigsten Sporen, die einem Lehrer zu Gebote
stehen, war es mir gelungen, meine Schüler zu einer gewissen Selbstthätigkeit zu
bringen, die für Viele, ja für die Mehrzahl sehr unbequem war. Von dem Tage an,
wo es möglich ist, mich zu umgehen, weil noch ein gleichberechtigter Professor
da ist, hört das auf, und wird wieder so werden, wie es früher war. Ich selbst
notire und lasse durch meinen Assistenten notiren, auf welche Art und in welcher
Zeit, die, binnen der Zeit, als ich allein für den klinischen Unterricht
verantwortlich war, allmählig gewonnenen Fortschritte und Verbesserungen im
klinischen Unterrichte ohne mein Verschulden wieder rückgängig geworden sind.
Siehst Du lieber Freund, weil ich kein Miethling bin, der nur des Gehaltes und
Schulgeldes wegen lehrt, denke und fühle ich so, und bin entschlossen, auf
beides zu resigniren, wenn ich sehe, daß ich nicht entsprechend wirken kann, und
meine innere Ruhe, Zufriedenheit und mein Lebensglück dabei einbüße. Leider
stehen dem Herrn Minister zum
größten Theile Miethlinge zu seinen Zwecken zu Gebote, sonst glaube ich, und bin
fest überzeugt, daß die Durchführung des von ihm verfolgten Principes selbst
segensreich seyn würde. Ich wiederhole noch einmal die Bitte, den Herrn Minister
ja bei keiner Gelegenheit weder mit meiner Person, noch mit meinen Ansichten
weiter zu behelligen. Wie gesagt: Facta loquentur und darum hoffe ich getrost
auf die Zukunft.
Mit den herzlichsten Grüßen an Alle die lieben Deinen
Dein Freund
Jaksch
den 22. Dezember 1854