Joseph Alexander Helfert an Leo Thun
Wien, November 1850 1
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Regest

Unterstaatssekretär Alexander Helfert erörtet für Leo Thun einige Probleme der in Wien erscheinenden böhmischen Zeitung "Vídeňský denník" (Wiener Tagblatt) und gibt einige Vorschläge zur Lösung derselben. Die Zeitung erscheint seit fünf Monaten und hatte seither mit einigen Schwierigkeiten zu kämpfen. Nun stellt sich die Frage, ob die Zeitung eingestellt oder weitergeführt werden soll. Zunächst waren es der Mangel an geübten Setzern, Mitarbeitern und geeigneten Autoren sowie Probleme bei Druck und Korrektur, die der Zeitung zu schaffen machten. Diese sind nun aber größtenteils überwunden. Ein weit größeres Problem ist aus der Sicht von Helfert jedoch das von Karel Havlíček herausgegebene Wochenblatt "Slovan" (Der Slawe), das bei den böhmischen Lesern eine Monopolstellung besitzt und mit dem der Vídeňský denník konkurrieren müsse. Helfert ist aber überzeugt, dass der Vídeňský denník Erfolg haben werde, was die steigende Auflagenzahl bereits bestätige. Helfert glaubt, dass die Zeitung langfristig auch deshalb erfolgreich sein wird, weil die politische Richtung des Blattes gemäßigt ist – im Gegensatz zur leidenschaftlichen und nationalistischen Berichterstattungen des Slovan. Helfert ist außerdem der Ansicht, dass der Vídeňský denník die Aufgabe habe, seine böhmischen Leser aus den Fängen der Radikalen zu befreien. Da sich die Gemüter nach der Revolution mittlerweile wieder beruhigt haben, ist der Zeitpunkt günstig, deshalb müsse man nun die Gunst der Stunde nützen, um die Zeitung zu etablieren und die politische Stimmung zu mäßigen.

Anmerkungen zum Dokument

Schlagworte

Edierter Text

Euer Excellenz!

Haben dem Unternehmen eines in Wien erscheinenden böhmischen Journals Ihre thätige Unterstützung zuwendend mich mit dem Vertrauen beehrt, meinen Namen unter die Zahl derjenigen zu setzen, von denen Sie Haltung und Richtung dieses Blattes überwacht und geleitet wissen wollten. Durch diesen Umstand sowohl, wie durch das Interesse, das ich aus eigener Überzeugung an dem Gedeihen eines Blattes nehme, das nach meinem Dafürhalten im Stande ist, durch dauerndes Wirken dem Wuchern vieler gefährlicher Elemente Einhalt zu thun und die Erzielung von nicht wenigem Guten zu fördern, fühle ich mich gedrungen Euer Excellenz in gefällige Erinnerung zu bringen, daß der programm-mäßig fixirte Zeitpunkt herangekommen ist, wo über das fernere Sein und Nichtsein des Vídenský Denník beschlossen werden muß. Wenn ich mir weiter erlaube, für diesen Zweck den 8. Dezember als Tag der Berathung in Vorschlag zu bringen, so geschieht das in Erwägung der dringenden Nothwendigkeit, baldigst die dabei zu erörternden Punkte entschieden zu wissen, um noch bei Zeiten die Einleitungen für die weiter zu ergreifenden Maßregeln treffen zu können. Um die Punkte, deren Erörterung Gegenstand der Berathung bilden dürfte, näher zu bezeichnen, so sind es in Kürze folgende:
1. Prüfung der bisherigen Rechnungsgebahrung
2. Voranschlag für den künftigen Jahreslauf
3. Entscheidung über Fortbestand, über fernere Richtung und Haltung des Blattes
4. Festsetzung der ferneren Überwachung und Leitung
5. Berathung über die Mittel für Sicherung des Bestandes und Vorbereitung der Bekanntschaft und Abnahme des Vídenský Denník.
Es wird mir vergönnt sein, mit einigen Worten Euere Excellenz näher in den Stand der Dinge einzuführen, wie sich solcher nach den bisherigen Wahrnehmungen darzustellen scheint. Als sich im verflossenen Sommer einige Männer in der Idee vereinigten, ein großes böhmisches im konservativen Sinne geführtes Journal in der Hauptstadt des Reiches ins Leben zu rufen, haben sie keineswegs die Schwierigkeiten übersehen oder unterschätzt, welche sich einem solchen Unternehmen in den Weg stellen würden. Sie haben sich auch nicht der sanguinischen Hoffnung hingegeben, als ob diese Schwierigkeiten binnen kurzem zu überwinden seien und das zu gründende Journal gleich der wünschenswerthen Ausbreitung sich erfreuen werde. Sie haben vielmehr den endlichen Erfolg durch ein konsequentes Ausharren und eine fortgesetzte aufopfernde Thätigkeit und Beihülfe geistiger und materieller Kräfte bedingt geglaubt.
Die bisherigen Erfahrungen in dem nur fünfmonatlichen Bestande des Blattes haben die Richtigkeit dieser Voraussicht nur zu sehr bestätigt.
Die Hemmnisse des Druckes und der Correktur bei dem Mangel an geübten Setzern, die Nothwendigkeit der Übersetzung aller Zeitungsartikel und der Mehrzahl der Leitartikel und Correspondenzen, der fühlbare Mangel an einsichtsvollen Hülfsarbeitern für Auswahl, Sichtung und Anordnung des täglichen Materials, endlich das kleine Häuflein politscher Gesinnungsgenossen für ausreichende Bedeckung des selbstständigen geistigen Inhaltes im Hauptblatte und Feuilleton – dieses und noch manches andere gehört zu den Schwierigkeiten, mit denen ein böhmisches Tageblatt, ein in Wien erscheinendes böhmisches Tageblatt, ein in Wien erscheinendes böhmisches Tageblatt im conservativen Geiste zu kämpfen, die es zu besiegen hat.
Doch alles dies ist mehr äußerlicher Natur; es ist zum Theil schon überwunden, zum Theil wesentlich erleichtert, und der mechanische und technische Theil der Arbeit geht seinen regelmäßigen Gang fort.
Von bei weitem größerer Bedeutung dagegen sind Schwierigkeiten anderer Art, welche in der innern Stellung des Blattes zu dem bisherigen Stande der öffentlichen Meinung in den Gebieten böhmisch-slavischer Zunge gelegen sind.
Um diese Schwierigkeiten gehörig zu würdigen, muß man bedenken, daß sich der gesammten Erbschaft der durch fast ein halbes Jahrhundert vorbereiteten und fortgeführten nationalen Bestrebungen im Augenblicke des hereinbrechenden politischen Umschwungs im Jahre 1848 Eine Parthei bemächtigte, der es denn auch ein leichtes war, sich in dem Vertrauen des an seine bisherigen Führer gewohnten Publikums zu erhalten und dasselbe mit unbestrittener Macht zu leiten und bald leider zu mißleiten. In diesem Umstande liegt das ganze Geheimnis der unverkennbaren Macht, welche namentlich das Organ Hawliček’s noch in diesem Augenblicke auf die große Mehrzahl des böhmischen Zeitungspublikums ausübt, eine Macht, die er noch unter dem alten Regime durch mehrjähriges Wirken als alleiniger Publizist begründet und mit den Ereignissen des Jahres 1848 sogleich zur Herausgabe des ersten und in dem entscheidensten Momente einzigen großen böhmischen Journals benutzt hat, eine Macht, die er, was Niemand verkennen darf, zur Zeit des Reichstages in Wien zum Guten verwendet hat (wie namentlich in der Entschädigungsfrage), die er aber seitdem, mit seinen Ansichten über Staat, Kirche und Gesellschaft immer mehr auf Abwege gerathend, zur Untergrabung alles Vertrauens, alles gesunden Sinnes, der Achtung jedweder Autorität mißbraucht hat und noch fortwährend mißbraucht.
Gegen diese bisher von keiner Seite angefochtene Macht aufzutreten, dies Monopol einer bis dahin das gesammte nationale und politische Bewußtsein des böhmischen Publikums beherrschenden Partei zu brechen, den wiederstrebenden Vorurtheilen entgegen, lange eingesogenen Lieblingsideen zum Trotze ein neues Losungswort zu geben, eine von diesem Publikum bisher nur mit Mißtrauen angeblickte Fahne auszustecken – das war die Aufgabe, welche der Vídenský Denník sich zum Ziele gesetzt hat, und daß diese Aufgabe unter solchen Umständen eine höchst schwierige sein mußte, bedarf keines Beweises. Dabei haben es die radikalen Monopolisten des nationalen Bewußtseins wohl verstanden, jenes Mißtrauen fortwährend wach zu erhalten und zu nähren, den Vídenský Denník als ein erkauftes, durch geheime Mittel subventionirtes Blatt im Dienste der Regierung darzustellen und mit einer genialen Bosheit, alles auch das entgegengesetzteste aufzugreifen und zur Bestätigung dieser unablässig wiederholten Behauptung zu benutzen.
Unter diesen Umständen ist es nur zu natürlich, daß der Vídenský Denník nur langsam und allmählig sich Bahn brechen und Schritt vor Schritt mit Hindernissen, Vorurtheilen, Verdächtigungen kämpfend, den Kreis seines Publikums erweitern kann, daß die konsequenten Verleumdungen, mit denen Hawliček’s Organ seine Leser in stets wachsamen Mißtrauen erhält, den größten Theil abhält, sich durch eigene Anschauung und Prüfung von der wirklichen Beschaffenheit des verschrienen Blattes zu überzeugen, daß Hawliček’s Organ noch fortwährend seinen festen Leserkreis hat, eine undurchdringliche Phalanx von ihrem Führer sorgfältig bewacht und abgesperrt, daß auch nicht eine Zeile des Vídenský Denník in seiner wahren Gestalt darin Eingang finde.
Vor allem ist es die Hauptstadt Prag, in deren Atmosphäre, nach allen Anzeichen zu schließen, noch ganz jenes unsichtbare und ungreifbare Etwas schwebt und webt, jener Terrorismus des radikalnationalen Monopolismus, dessen Einfluß die Slovanská Lípa großgesogen hat, der in den Tagen des Kremsirer Reichstags seine geheimnisvolle Macht bis in den Saal des erzbischöflichen Pallastes hinein fühlbar gemacht hat, und der jetzt noch, ich möchte sagen, wie ein geistiger Belagerungszustand ob den Gemüthern der großen Masse aller der Unselbstständigen lastet. Daraus allein läßt sich die sonderbare Erscheinung jener geheimen Abnehmer und Leser des Vídenský Denník erklären, welche Umwege suchen, um sich den regelmäßigen Besitz desselben zu verschaffen und die sich dann in einen finstern Winkel zum Lesen verkriechen, damit es nur ja nicht an das Licht der Sonne komme, daß sie sich von den reakzionären, aristokratischen, centralistischen Ideen infiziren lassen, welche dieses erkaufte Regierungsblatt in die Ohren seiner arglosen Leser träufelt.
Wenn es gegenüber aller dieser Hindernisse und Schwierigkeiten dem Vídenský Denník in der kurzen Zeit seines bisherigen Bestehens dennoch gelungen ist, in fortwährend steigendem Fortschritte Boden und Anerkennung zu gewinnen, so muß wohl die Hauptursache in dem innern Gehalte des Blattes gesucht werden, dessen redliches von Anfang her consequentes, auf Grundsätze einer nationalen dabei gemäßigten, gerechten und nüchternen Anschauung der Verhältnisse und Thatsachen basirtes Streben gegenüber dem leidenschaftlichen, der Eingebung des Augenblickes folgenden und daher in steten Widerspruch mit sich selbst gerathenden, nicht selten die heiligsten Gefühle frech verletzenden Tone des Hawličekschen Organes fortwährend neue Anhänger ihm zuführt, die gewonnenen täglich fester an es [sic!] knüpfet. Zwar hat die Zahl der Abnehmer, wenn auch jetzt schon größer als die aller andern böhmischen Blätter (mit Ausnahme eines einzigen), an und für sich noch keine den Bestand des Blattes sichernde Höhe erreicht und ist namentlich gegen die Abnehmer des Slovan, wenn ich anders gut unterrichtet bin, noch bedeutend zurück. Allein bei Erwägung der Verhältnisse, unter denen dieses Journal ins Leben getreten ist, kann die bisherige Verbreitung immer mit Befriedigung hingenommen werden; und es ist mit einiger Sicherheit vorauszusagen, daß, wenn anders der innere Werth des Blattes derselbe bleibt und nichts unterlassen wird, es in weiteren Kreisen bekannt zu machen, in einer nicht zu langen Zeit es gelingen werde, das bisher noch mit Opfern erkaufte Unternehmen einträglich und gewinnabwerfend zu machen.

Wenn aber die äußern Erfolge des Vídenský Denník in diesem Augenblicke noch manches zu wünschen übrig lassen, so scheinen dagegen die innern Erfolge, deren sich das Blatt seit der kurzen Zeit seines Bestandes rühmen kann, eine desto untrüglichere Bürgschaft für eine erfreuliche Zukunft des Blattes zu bieten. Die Leser des Vídenský Denník sind fast durchwegs zugleich seine Meinungsgenossen, die neuen Abnehmer, die ihm zuströmen, sind ebenso viele Eroberungen für die gute Sache, die er vertritt. Die Vertrauensbezeugungen, die Zuschriften und Korrespondenzartikel, welche dem Redaktionsbureau zahlreich zukommen, zeigen dies klar. Von den Lesern des Vídenský Denník sind viele mit der Zeit seine Mitarbeiter geworden, und mit wahrer Befriedigung ist wahrzunehmen, wie der nunmehrige Correspondent mehr und mehr in die Ideen eingegangen ist, von den Grundsätzen beherrscht wird, deren Verbreitung und Befestigung sich der Vídenský Denník zur Aufgabe gesetzt hat. Aus der Zahl seiner Leser sind bereits mehrere Kämpen herausgewachsen, welche mit scharfem Worte gegen die grundsatzlosen Angriffe, gegen die gewissenlosen Unterwühlungen des Hawličekschen Organs zu Felde ziehen. Erst in der letzten Zeit haben die berüchtigten Epištoly Kutnohorské im Vídenský Denník einen mit allen Waffen des Witzes, der Sachkenntnis und gesunden Sinnes ausgerüsteten Commentator gefunden. Was aber mehr noch ins Gewicht fällt, ist dies, daß der Vídenský Denník bereits viele der gewichtigsten Namen in der böhmischen Literatur theils unter seinen Mitarbeitern, theils zu seinen ausgesprochenen Anhängern und Vertheidigern zählt, ein Umstand, der zur Verstärkung seiner moralischen Macht nicht wenig beiträgt.
Dieses ist der bisherige Stand der Dinge. Jetzt soll in Überlegung gezogen werden, was weiter zu geschehen hat.
Glaubt man, daß der Videnský Dĕnnik nach seiner bisherigen Richtung und Haltung die Aufgabe, die ihm gestellt worden, zu lösen im Stande ist? Oder meint man, daß er sie bereits gelöst und sein Tagewerk vollendet hat? Oder aber hält man dafür, daß man eines in diesem Geiste geführten Journals unter den gegenwärtigen Zeitverhältnissen überhaupt entbehren kann?
Dieses sind die Fragen, deren bejahende oder verneinende Lösung über den ferneren Bestand und das künftige Schicksal des Videnský Dĕnnik entscheiden muß.

Darf ich mir erlauben meine unvorgreifliche Ansicht auszusprechen, so besteht sie in folgendem:
Niemand wird sich mit der Meinung selbst täuschen wollen, daß die Anstrengungen der Partei, deren Tendenzen in letzter Auflösung auf die Unterwühlung aller Grundsäulen in Kirche, Staat und Gesellschaft hinaus laufen, gebrochen; daß sie auch nur um ein bedeutendes geschwächt seien. Um nur bei den Zuständen meines speziellen Vaterlandes stehen zu bleiben, weise ich für diesen Zweck nicht bloß auf die große politische Literatur, worunter ich die radikalen Tagesblätter begreife, hin, sondern mehr noch auf die den Augen des minder aufmerksamen Beobachters entschwindende kleine Presse hin, weil diese gerade den augenscheinlichsten Beweis von der Rührigkeit, sozusagen Allgegenwärtigkeit einer Partei liefert, die kein Mittel, auch nicht das allergeringste unerprobt läßt, um ihre zündenden Ideen unter das unwissende Publikum zu schleudern. Der Videnský Dĕnnik hat erst vor kurzem Anlaß genommen, einem dieser armseligen, aber darum nicht minder gefährlichen Produckte mit der Waffe der Satyre und der Ironie, den einzigen, die in solcher Sache Wirkung äußern, zu Leibe zu gehen. Daß es unter diesen Umständen von der höchsten Wichtigkeit ist, ein Organ zu besitzen, welches gegenüber solchen Bestrebungen fortwährend auf der Warte steht und in seinen Kreisen die Gefährlichkeit und zugleich Widersinnigkeit derselben mit schonungsloser Schärfe bloslegt; daß es im Gegentheile im höchsten Grade bedenklich wäre, den von einer rührigen Clique unablässig ausgestreuten bösen Samen ungehindert und unbewacht fortwuchern, den gesunden Sinn des Volkes in konsequentem Fortschritte mehr und mehr untergraben zu lassen: das bedarf wohl keiner weitern Auseinandersetzung. Allein mit der bloßen Bekämpfung gegentheiliger Meinungen und Bestrebungen kann es nicht abgethan sein: es ist zugleich darum zu thun, eine gute positive Grundlage zu legen, einiger richtigen und besonnenen Auffassung der Verhältnisse und Ereignisse Eingang zu verschaffen. Wenn dieß gewiß allenthalben Noth thut; so doch nirgend mehr als unter dem Lesepublikum der böhmisch-slavischen Gebiete.
Das böhmische lesende Publikum bestand noch in der vormärzlichen Zeit der großen Mehrzahl nach aus folgenden drei Elementen: 1. Literaten im weitesten Sinne; 2. Geistlichkeit, namentlich jüngere; 3. mehr oder minder gebildeten Mittelklasse in den Städten. In diesen Kreisen verschaffte sich die böhmische Journalistik, politische sowohl als belletristische, im Laufe der Zeit immer größere Verbreitung, im potenzirten Maßstabe, wie leicht einzusehen, seit den ereignisreichen Tagen des Jahres 1848.
Die aufgezählten Elemente sind aber noch heute dieselben, nur daß dazu mit der Zeit auch nicht wenige Bauern, wohlhabendere namentlich und die etwas mehr als die allgemeinste Schulbildung genossen, hinzugekommen sind. Das böhmische lesende Publikum besteht demnach, um es kurz zu charakterisiren, aus Leuten, die entweder keine andere Sprache verstehen als die böhmische, oder denen diese doch leichter und eingänglicher ist, oder endlich, die sich durch Liebe für die nationale Sache gedrungen fühlen, so lange nicht zu einem deutschen Blatte zu greifen, als ihnen ein böhmisches zu Gebote steht. Daß auf ein so beschaffenes Publikum nicht durch ein deutsches Blatt gewirkt werden kann, daß unter einem solchen stets Einfluß denjenigen gesichert bleiben wird, die es verstehen und sich angelegen sein lassen, dem Bedürfnisse und den Neigungen durch ein in nationaler Sprache und Richtung gehaltenes Blatt zu Hilfe zu kommen, daß daher, falls dieser Einfluß ein schädlicher ist, nur auf demselben Wege, d. h. wieder durch ein in nationaler Sprache und Richtung gehaltenes Blatt vorgebaut und entgegengewirkt werden kann, scheint einleuchtend. Es ist wohl vorauszusehen, daß bei einem Theile des Publikums, welches bisher fast ausschließend von der radikalen Presse beherrscht worden, auf jede Hoffnung der Gewinnung für die gute Sache verzichtet werden muß; allein ich bin überzeugt – und stütze diese meine Überzeugung auf die bisher am Vídenský Denník gemachten Erfahrungen – daß dies nur ein geringer ist, und daß bei weitem die Mehrzahl nur deßhalb im blinden Gefolge des tonangebenden Häufleins sich befindet, weil eben von nationaler Seite und in nationaler Sprache ein anderer Ton überhaupt nicht angestimmt worden ist; denn leider sind die beiden Regierungsblätter Pražské und Morawské Nowiny theils nach ihrem Einflusse so gut wie für nichts zu zählen, theils haben sie, wie namentlich die letzteren, nur zu häufig selbst in das Horn jener Partei gestoßen. Dieselbe Bewandtnis hatte es seither mit den hervorragenden Namen der böhmischen Literatur. So lange auf diesem großen Gebiete in politischer Hinsicht nur Eine Partei das große Wort führte, konnte es nicht anders sein, als daß alle diejenigen, denen die Hebung der nationalen Sache am Herzen lag, sich den Führern dieser Partei anschließen mußten, wenngleich oft mit unverhohlener Mißbilligung von deren Ausschweifungen und Verirrungen. Wird nun aber auf diesem Gebiete eine neue Fahne aufgepflanzt, wie dies der Vídenský Denník unternommen hat, so werden jene, die besonnenere Ansichten huldigen, dieser Fahne zuströmen, und es wird sich um sie der Keim einer neuen gemäßigten Partei bilden, die mit Erfolg den destruktiven Tendenzen der anderen entgegenzuwirken vermag. Daß der Anfang hierzu bereits gemacht ist, und daß namentlich mehrere der bedeutendsten Namen jetzt schon der Farbe des Vídenský Denník angehören, habe ich bereits erwähnt und will nur noch beifügen, daß man die Gewichtigkeit dieses Umstandes am besten zu würdigen im Stande ist, wenn man sich den Erfolg der Wahlen in den böhmischen Kreisen für den vorbestandenen Reichstag gegenwärtig hält.
Schließlich sei noch eines bemerkt. Man wolle nicht verkennen, von welch hoher Wichtigkeit der jetzige Zeitpunkt ist. Mehr und mehr ist Ruhe in die Gemüther eingekehrt; Befriedigung mit der wiedergekehrten durch feste Gesetze normirten, durch eine prom[p]te Exekutive gehandhabten Ordnung beherrscht die übergroße Mehrzahl der Bevölkerung: die wilden Leidenschaften sind zum Theile im großen Ganzen gebändigt, zum Theile durch die Handhabung der noch immer nicht entbehrlichen außerordentlichen Gewalt in ihrem Ausbruche gehemmt; nur sporadisch kommen sie in den Stimmen einzelner Mißvergnügten (eigentlich Mitnichtsvergnügten) zum Vorschein. Wenn je, so ist gewiß jetzt der günstige Zeitpunkt gegeben, aber eben darum auch die dringende Aufforderung gebothen, die vorhandene Stimmung im Interesse der guten Sache zu benutzen, und in den Gemüthern des Volkes, dessen Masse und Kern unläugbar gesund und empfänglich ist, Grundsätze zu pflanzen, deren richtige Erkenntnis und Achtung für die ganze künftige Entwickelung unserer öffentlichen Zustände von den wohlthätigsten Folgen sein muß. Gelingt es unter diesen günstigen Verhältnissen einem Blatte, wie dem Vídenský Denník, festen Grund zu fassen und das Vertrauen seines Publikums sich zu erhalten: dann mag ruhig die Aufhebung des Belagerungszustandes, das Wiedererscheinen radikaler Tagesblätter, die Eröffnung des Landtages abgewartet werden, der Leserkreis wird seinem Blatte, wenn anders dessen Werth nicht sinkt, treu, dem Blatte ein heilsamer Einfluß auf sein Publikum gesichert bleiben. Läßt man dagegen den jetzigen Moment unbeachtet und unbenutzt vorübergehen, dann mag man in Zeiten der wiederentfesselten Leidenschaften, des wieder angeregten politischen Kampfes zu den größten Opfern sich herbeifinden, um einem Blatte von gemäßigter Anschauung und ernster Haltung Eingang und Gehör zu verschaffen, – es wird ohne Wirkung sein.
Mögen durch diese Erwägungen alle, die ein Interesse daran haben, den Sinn für Gesetzlichkeit und Ordnung genährt, das Vertrauen an die ewigen Grundlagen, auf denen die menschliche Gesellschaft in ihrer Zusammensetzung und ihrem Zusammenwirken ruht, befestigt, die destruktiven Bestrebungen einer mehr blinden als böswilligen Partei bekämpft und im Zaume gehalten zu wissen – mögen sie alle mit sich ernst zu Rathe gehen, ob es räthlich ist, in diesem Zeitpunkte die Hände in den Schoß zu legen, ob es nicht im Gegentheile dringend geboten ist, alle Mittel in Bewegung zu setzen, die der guten Sache Anhänger und Vertheidiger zuführen können, von der Überzeugung geleitet, daß die entgegengesetzte Partei kein Mittel unversucht läßt, um für ihre schlechte Sache Anhänger und Vertheidigung zu gewinnen.
Ich schließe mit der Bitte um gütige Nachsicht für mein wider Willen nur zu lang ausgefallenes Schreiben und füge nur dies Ersuchen bei, es wolle Euer Excellenz für den Fall der Unmöglichkeit Ihrer Anwesenheit gefällig sein, nur mit einigen Zeilen anzudeuten, ob Sie dadurch dem Beschlusse der am 8. Dezember zu Versammelnden beitretend angenommen werden wollen oder in welcher Weise Euer Excellenz der durch Ihre Abwesenheit gelassenen Lücke vorzusehen sich entschließen.
Mit dem Ausdrucke wahrhafter Verehrung habe ich die Ehre mich zu zeichnen.

Eurer Excellenz

ergebenster
Helfert

Wien, am ... November 1850