Hermann Bonitz an Leo Thun
Wien, 19. Oktober 1859
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Regest

Der Philologe und leitende Redakteur der Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien Hermann Bonitz rechtfertigt gegenüber Leo Thun sein Handeln in der Angelegenheit der Rezension des Schulbuches der lateinischen Elementargrammatik für die ersten beiden Gymnasialklassen von Stephan Wolf. Die Rezension hatte für einigen Unmut gesorgt, weil der Rezensent, Carl Reichel, das Buch als nur bedingt empfehlenswert für den Unterricht an den Untergymnasien bezeichnet hatte, zur selben Zeit das Buch aber vom Ministerium offiziell als Schulbuch zugelassen worden war. Bonitz schildert daher sein Vorgehen in diesem Fall: Schulrat Andreas Wilhelm hatte zunächst der Gymnasialzeitschrift eine Rezension des Buches zugesandt, worin dieser das Buch zur Einführung unbedingt empfahl, obschon es aus der Sicht von Bonitz einige Mängel aufwies und es zudem nicht – so wie es die gesetzliche Vorgabe verlangte – für alle vier Klassen des Untergymnasiums ausgelegt war. Bonitz machte Wilhelm darauf aufmerksam und bat ihn, die Rezension zu ändern und auf die Abweichung von der gesetzlichen Vorgabe hinzuweisen. Wilhelm tat dies nicht und zog stattdessen die Rezension zurück. Die Redaktion beauftragte daher Carl Reichel mit der Abfassung einer Rezension, die dann bekanntlich in besagtem Widerspruch zur offiziellen Empfehlung des Buches durch das Unterrichtsministerium stand. Bonitz verteidigt sein Vorgehen und betont, dass die Gymnasialzeitschrift stets versuche, den Zwecken der Gymnasien und dem Ministerium gleichermaßen zu dienen. Er betont, dass sich die Redaktion stets an die gesetzlichen Vorgaben halte und Kritik in Rezensionen immer genau geprüft werde. Die Zeitschrift habe sich dadurch bereits große Anerkennung erworben, die nun durch diese Affäre nicht beschädigt werden dürfe. Bonitz hofft, dass Thun dies anerkenne. Er schlägt außerdem vor, das Buch neuerlich durch einen Fachmann prüfen zu lassen.

Anmerkungen zum Dokument

Schlagworte

Edierter Text

Euere Excellenz!

Am vorigen Samstage erlaubte ich mir, die Aufmerksamkeit Euerer Excellenz auf den entschiedenen Gegensatz zu lenken, der zwischen der Recension der österreichischen Gymnasialzeitschrift über „St[ephan] Wolf’s Lateinische Elementargrammatik für die 1. und 2. Classe etc.“1 und dem gleichzeitig mit derselben erflossenen hohen Minsterialerlaß über dieses Buch bestehe. Gestatten Euere Excellenz, daß ich über diesen Gegenstand die Thatachen nochmals in möglichster Kürze vortrage und daran eine unterthänigste Bitte anschließe.
Am nächsten Tage, nach dem mir durch den Verfasser selbst ein Exemplar der fraglichen Grammatik zugegangen war, erhielt ich von Hrn. Schulrath Wilhelm in Krakau eine Recension des Buches zum Abdrucke in der Gymnasialzeitschrift zugesendet. In Folge dieser sehr lobenden, das Buch zur Einführung lebhaft empfehlenden Anzeige sah ich selbst die „Elementargrammatik“ durch und bemerkte, daß sie in sehr vielen Puncten durch Mangel an Bestimmtheit und durch ausdrückliche Fehler einen Tadel verdiene, den verschweigen zu wollen mit dem Berufe einer gewissenhaft kritischen Zeitschrift unvereinbar ist. Deshalb schrieb ich einige der sich aufdrängenden Bemerkungen auf und schickte sie an Schulrath Wilhelm, indem ich ihn ersuchte, dieselben durchzusehen, und ihm anheimstellte, sie für eine Umarbeitung seiner Anzeige zu benützen. Schulrath Wilhelm nahm in die unverzüglich gemachte Umarbeitung seiner Anzeige den größten Theil der von mir mitgeheilten Bemerkungen auf, gelangte aber dennoch zu demselben Schluße angelegentlicher Empfehlung. Hierdurch sah ich mich genöthigt, den Hrn. Schulrath schließlich darauf aufmerksam zu machen, daß die ganze Einrichtung des fraglichen Buches mit einer in gesetzlicher Kraft stehenden allgemeinen Anordnung sich in Widerspruch befinde. In der hohen Ministerialverordnung vom 10. Juni 1854 (Zeitschrift 1854. S. 5672) heiße es wörtlich:
„Wenn im Untergymnasium eine bestimmte lateinische oder griechische Sprachlehre einmal gewählt ist, so darf diese für dieselben Schüler bis zum Schluße des Untergymnasiums nicht mehr gewechselt werden.“
Eine Grammatik, deren Einrichtung es für jeden Schüler zur Nothwendigkeit mache, mit dem Eintritte in die dritte Classe sich an eine andere Grammatik zu gewöhnen, verstoße offenbar gegen Sinn und Wortlaut dieses hohen Erlaßes. Ich hielte meinerseits die angezogene Verordnung für unbedingt richtig und wüßte, daß ich für diese Überzeugung die Zustimmung der tüchtigsten Schulmänner habe. Aber selbst wenn die fragliche Anordnung unzweckmäßig wäre, so fordere die Achtung vor dem Gesetze, sie so lange aufrichtig und gewissenhaft zu halten, bis sie aufgehoben sei. Unter diesen Umständen stelle ich ihm anheim, ob er in seiner Anzeige den Passus, der eine unbedingte Empfehlung des Buches enthalte, in dem Sinne modificiren wolle: „er würde das Buch für empfehlenswerth erklären, wenn nicht die Bestimmungen des Erlaßes vom 10. Juni 1854 etc. entgegenstünden“. Wenn er auf eine derartige Modification nicht eingehe, würde sich die Redaction für verpflichtet halten, ihrerseits in einer Anmerkung auf den Widerspruch zwischen der Einrichtung des Buches und der bestehenden Verordnung hinzuweisen.
Die Antwort auf diesen Brief, deren möglichste Beschleunigung ich erbeten hatte, um den Abdruck der Anzeige nicht zu verzögern, erfolgte auf Anlaß einer Inspectionsreise des Hrn. Schulrathes erst spät und lautete kurz dahin, daß derselbe seine Anzeige zurückzog und ihre Rücksendung verlangte. Die Redaction war dadurch genöthigt, sich nunmehr an einen anderen Mitarbeiter zu wenden (Prof. Dr. Reichel), der mit Sorgfalt und Sachkenntnis das Buch angezeigt hat. Unmittelbar nach dem Erscheinen dieser Anzeige schrieb mir Schulrath Wilhelm, daß ihm gleichzeitig Entgegengesetztes, die tadelnde Anzeige in der Gymnasialzeitschrift und der hohe Ministerialerlaß über Zulassung des Buches zugegangen sei; dem Inhalte des Erlaßes stimme er großentheils bei, der Anzeige in der Gymnasialzeitschrift durchaus nicht, und er finde vielleicht im Laufe der Ferien „Zeit seine Ansichten darüber niederzuschreiben“. Ich erwiderte umgehend (11. Juli laufenden Jahres), daß die Mittheilung derselben sehr erwünscht sein und sie sogleich in der Gymnasialzeitschrift Aufnahme finden würden. Hr. Schulrath Wilhelm hat aber nichts eingesendet; dagegen höre ich, daß derselbe unter den Lehrern des Krakauer Gymnasiums eine schriftliche Entgegnung gegen die in der Gymnasialzeitschrift erschienene Recension hat circuliren lassen; die sich darbietende Gelegenheit, diesen Punct zu constatiren, habe ich absichtlich unbenützt gelassen, denn es würde mir leid thun, wenn ich dessen ganz gewiß werden müßte, daß Schulrath Wilhelm die amtliche Autorität in einem Falle hätte eintreten lassen, wo gegen Gründe nur Gründe aus der Sache zu stellen sind.
Dies ist die wahrheitsgetreue Angabe der Thatsachen, wenn Euere Excellenz von einem „Conflicte“ gehört haben, in den ich mit Schulrath Wilhelm gekommen sei, so wollen Hochdieselben gütigst selbst ermessen, ob mein achtungsvollstes Benehmen gegen Schulrath Wilhelm durch irgend etwas anderes begränzt worden ist, als durch die Pflicht, die ich mit der Redaction der Zeitschrift übernommen habe. Aber abgesehen von dieser persönlichen Beziehung zwingt mich die Sache selbst, daß ich es wage an Euere Excellenz eine ehrerbietigste Bitte zu richten.
Die österreichische Gymnasialzeitschrift hat sich – nicht mühelos – die Anerkennung gewissenhafter Gründlichkeit bei geachteten Schulmännern innerhalb und außerhalb Österreichs erworben; so vollständig ich mir bewußt bin, daß die österreichische Zeitschrift in manchen andern Puncten (Umfang, Mannigfaltigkeit der Gegenstände u. a.) einzelnen deutschen Journalen dieser Art noch nachsteht, so darf ich doch versichern, daß in der bezeichneten Hinsicht, namentlich wo es Schulbücher betrifft, die österreichische Gymnasialzeitschrift den Vergleich mit keinem der betreffenden verwandten Journale zu scheuen braucht und kann dies an evidenten Beispielen nachweisen. Daß in dem gegenwärtigen Falle der Widerspruch zwischen dem Urtheile der Zeitschrift und dem des hohen Ministeriums die Achtung der Zeitschrift gefährde, darf ich wohl kaum besorgen, da der in der Zeitschrift ruhig dargelegte Tadel auf das genaueste begründet ist.
Aber von entscheidender Wichtigkeit für mich ist es, ob Euere Excellenz, deren hohes Vertrauen mich mit der Redaction beauftragt hat, von der strengen Gewissenhaftigkeit des Verfahrens der Redaction auch im vorliegenden Falle überzeugt sind. Bei dem in der Zeitschrift enthaltenen vorwerfenden Urtheile über das gleichzeitig durch hohen Ministerialerlaß gebilligte Schulbuch kommt es im Wesentlichen auf zwei Puncte an
1. Widerspruch der Einrichtung des fraglichen Buches gegen eine bestehende Verordnung.
In dieser Hinsicht erlaube ich mir nur die unterthänigste Bitte, Euere Excellenz wollen selbst den Wortlaut der angezogenen Verordnung mit dem Abschnitte der Anzeige S. 529, 530 im beiliegenden Hefte vergleichen und entscheiden, ob die Zeitschrift irgend etwas anderes als Achtung vor der bestehenden gesetzlichen Ordnung bekundet hat.
2. Nachweisung von Mängeln in der Ausführung, welche selbst abgesehen von der Einrichtung des Ganzen, dem Buche, besonders gegenüber vorhandenen besseren, die Brauchbarkeit für die Schule benehmen.
In dieser Hinsicht wage ich die ehrerbietigste und angelegentlichste Bitte, Euere Excellenz wollen von einem anerkannten Fachmanne ein Urtheil über den Werth des Buches geben lassen – ich erlaube mir z. B. zu nennen die Professoren Vahlen , Hoffmann , Hochegger , Schenkl , Kergel . Daß ich meinerseits keinen dieser Männer um die Beurtheilung bitten durfte, werden Euere Excellenz sich daraus erklären, daß ich deren Bethätigung an der Zeitschrift mir muß für schwierigere Gegenstände vorzubehalten suchen. Dagegen müßte ich ehrfurchtsvoll bitten, selbst einen Mann, wie den von mir sonst hochgeachteten Schulrath Wilhelm, in dieser Hinsicht nicht zur Beurtheilung aufgefordert zu sehen; ich habe gerade in dem vorliegenden Falle die Erfahrung des Übersehens oder Verkennens starker Mängel machen müssen.
Euere Excellenz wollen huldvollst verzeihen, daß ich mit einer widerwärtigen Sache belästige, die übrigens geringfügig scheint. Geringfügig ist allerdings der Anlaß, aber wichtig ist mir und muß mir sein, die Frage, um die es sich handelt, nämlich über die strenge Gewissenhaftigkeit und Vertrauenswürdigkeit meines Verfahrens in der mir anvertrauten Redaction.
Genehmigen Euere Excellenz den wiederholten Ausdruck meiner vollkommensten Ehrerbietung

Euerer Excellenz

unterthänigster
H. Bonitz

Wien, 19. October 1859