Der Philologe Hermann Bonitz sendet dem Minister die Abschrift eines
Briefes, den er von einem ungarischen Gymnasiallehrer erhalten
hat.
In der beigelegten Abschrift des Briefes äußert sich der nicht
genannte Lehrer über eine Petition der Pester Studenten, in welcher die
Einführung des Ungarischen als Unterrichtssprache an der Universität
Pest gefordert wird. Er zeigt sich davon enttäuscht und besorgt
zugleich, denn die Petition wurde von 500 Studenten unterzeichnet.
Besorgniserregend sei dabei die Tatsache, dass sich unter den
Unterzeichnenden auch 100 deutsche Namen befänden, darunter auch viele
seiner ehemaligen Schüler mit sehr guten Deutschkenntnissen.
Beilage: Abschrift eines Briefes von einem ungenannten Gymnasiallehrer an Hermann Bonitz. o. O., o.
D.
Das Schreiben von Bonitz wurde im Nachlass gemeinsam
mit dem Brief: Karl Bernhard Brühl an Leo Thun. Wien, 26. September 1860
abgelegt. Beide Briefe stehen zwar thematisch in enger Verbindung, haben
ansonsten aber wohl nichts miteinander zu tun.
Euere Excellenz!
Von der Petition um magyarische Unterrichtssprache, welche ein Theil der
Studirenden der Pester Universität
durch eine Deputation dem hohen Unterrichtsministerium vorzutragen beabsichtigt, haben Euere
Excellenz jedenfalls Kenntnis. Ein Brief, den ich so eben erhalte, gibt zugleich
mit der Nachricht über die Petition Auskunft über die Beschaffenheit der
Unterschriften. Da diese Auskunft für Euere Excellenz von Interesse sein dürfte
und die Wahrhaftigkeit des Briefschreibers keinem Zweifel Raum gibt, so halte
ich mich verpflichtet, den betreffenden Abschnitt des
Briefes Euerer Excellenz in wörtlicher Abschrift
mitzutheilen.
Genehmigen Euere Excellenz den Ausdruck meiner vollkommensten
Ehrerbietung
Euerer Excellenz
unterthänigster Diener
H. Bonitz
Wien, 20. Okt. 1859
Gestern veröffentlichten zwei ungarische Journale eine Adresse, welche 400
Juristen und 100 Mediciner an das Generalgouvernement gerichtet hatten, mit
sämmtlichen Unterschriften. Eine deutsche Übersetzung ohne die Zugabe der
Namen brachte das Abendblatt des Pester Lloyds. Sie erklären darin, sie
[sic!] Söhne der ungarischen Nation befänden sich seit mehreren Jahren in
der traurigen Lage, nach vier bis fünf Jahren die Universität verlassen zu müssen, ohne
ihr Ziel erreicht zu haben; denn die meisten Gegenstände würden in einer Sprache vorgetragen, welche die
überwiegende Mehrzahl von ihnen gar nicht, die anderen zu unvollständig
inne hätten, um trotz des angestrengtesten Eifers sich den
Lehrstoff aneignen zu können. Nun aber habe Seine Majestät die Gymnasien mit
einem Gesetze beglückt, worauf die Unterrichtssprache durch die nationale
Mehrheit der Schüler entschieden werden solle und sie pe[ti]tionirten
deshalb für den baldigen Erlaß einer ähnlichen gerechten Verordnung für die
Pester Universität, damit
dieselbe den Zweck erreichen könne, dem sie Maria Theresia und die Primaten Pázmán und Andere gewidmet, zum Frommen
für Fürst und Vaterland und zu ihrem eigenem Glücke. Es folgen noch einige
Loyalitätsfloskeln der Stellvertreter des Erzherzogs [Albrecht]. Graf Haller nahm die Deputation
„geneigt“ entgegen und verwies sie an das Kultusministerium, wenn sie ihre Petition nicht durch das Decanat
einbringen wollten. Soweit die Blätter. Wie erzählt wird, reist die
Deputation nach Wien.
Ich unterlasse es nun zunächst, auf das Object der
Bitte einzugehen und vergleiche die Unterschriften, die allerdings die große
Majorität der akademischen Jugend in sich schließen. Da befinden sich 100
unzweifelhafte deutsche Namen; rechnet man davon auch einige ab, da man
mitunter Kernmagyaren hinter denselben findet, so kommt dafür auch der
umgekehrte Fall vor, außerdem fehlt es nicht an Slaven. Alle diese aber
fingiren wenig oder kein Deutsch zu verstehen. In der Liste figurirt ferner
die Mehrzahl unserer ehemaligen Schüler, die das Gymnasium durch eine Reihe
von Jahren, manche seit der ersten Classe, besucht haben. So auch die
letzten Abiturienten, die ich genau kenne. Unter diesen ist mehr als einer,
dem erwiesener Maßen ein durchaus ungarischer akademischer Vortrag große
Schwierigkeiten machen würde, die meisten sprechen und verstehn das Deutsche
mindestens ebenso gut als die Sprache, die jetzt auf einmal die
alleinseligmachende geworden ist. Ein Ungar erhielt nach Verdienst ein
glänzendes Maturitätszeugnis, darunter auch eine sehr günstige Bezeichnung
aus dem Lehrfach der deutschen Sprache; auch dieser scheint sie in den
Ferien so gänzlich vergessen zu haben, als wenn er aus der Lethe getrunken
hätte. Als ich diese und ähnliche Namenszüge sah, schnitt es mir durch das
Herz; solche Charakterlosigkeit hätte ich von Jünglingen nicht erwartet; es
gehört doch eine starke Dosis Leichtsinn dazu, Unwahrheiten wie diese mit
seinem Namen in die Öffentlichkeit hinauszuschleudern. Von der Impietät
gegen die Schule, der sie kaum entwachsen, will ich gar nicht reden. Und das
waren nur Beispiele aus meinem Erfahrungskreise, zu denen Schulrath
Halder und andere Männer
weitere Beiträge liefern können. Ob die Forderung der Übrigen (das
Zahlenverhältnis kann ich nicht angeben), die wirklich mit
Sprachschwierigkeiten ringen, berechtigt sei oder nicht, darauf will ich
mich nicht einlassen. Der Wissensdurst, womit die ungarische Jugend nach den
Worten der Adresse erfüllt sein soll, wird vermuthlich erst nach
Entfesselung der Sprache zum Vorschein kommen. Eine schmachvolle Heuchelei
ist die Ergebenheit gegen „Fürst und Vaterland“ – nicht bloß das letztere,
das der Ungar immer im Mund führt –, welche die Adresse affectirt; man weiß
und es ist dies leider keine Gespensterseherei, daß dieselben Leute im
Sommer jede Niederlage der Oesterreicher mit Jubel begrüßten und mit
Sehnsucht die Befreier Franzosen und Russen erwarteten. Die mitgetheilten
Nachrichten mögen zwar durch die Wärme des Ausdrucks die sittliche
Entrüstung des ersten Eindrucks bekunden, doch schreiben sie nirgends über
die Grenze der Wahrheit hinaus.