Hermann Bonitz an Leo Thun
Hacking, 9. September 1860
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Regest

Hermann Bonitz äußert sich besorgt über die materielle Situation der Gymnasiallehrer und fordert eine Erhöhung der Gehälter. Derzeit, so schreibt Bonitz, seien aufgrund des niedrigen Gehalts und der steigenden Lebensmittelpreise viele Lehrer zu einem Nebenerwerb gezwungen. Das Vorhaben Leo Thuns, das Schulgeld an den Gymnasien zu erhöhen, ohne aber gleichzeitig die Gehälter der Lehrer zu verbessern, missfällt Bonitz daher. Außerdem verweist er auf die Denkschrift, die er Thun vor zwei Jahren überreicht hatte, und in welcher er Vorschläge zur Verbesserung der Situation der Gymnasiallehrer gemacht hatte. Er bittet Thun, die dort vorgebrachten Argumente bei seiner Entscheidung über die Erhöhung des Schulgeldes in Betracht zu ziehen. Sollte Thun eine kommissionelle Beratung zur Prüfung seiner Vorschläge wünschen, wäre er zu einer Stellungnahme bereit. Bonitz weist darauf hin, dass ein gebildeter und geachteter Lehrerstand, der sich nicht nur aus den mittellosen Klassen zusammensetzt, nur im Zusammenhang mit entsprechenden Lehrergehältern entstehen könne. Auch sei der weitere Erfolg der Gymnasialreform von einem gut ausgebildeten und abgesicherten Lehrerstand abhängig. Schließlich verweist Bonitz auf das Beispiel von Deutschland bzw. Preußen, wo die Gehälter bereits erhöht worden sind.

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Schlagworte

Edierter Text

Euere Excellenz!

Die Äußerung, welche Euere Excellenz am vergangenen Mittwoch bei der mir huldvollst gewährten Audienz thaten,
„daß eine Erhöhung des Schulgeldes an den Gymnasien bevorstehe, aber ohne daß sich daran die Verbesserung des Gehaltes eines Theiles der Gymnasiallehrer knüpfen werde“
hat mich, seit ich sie vernommen habe, unabläßig und ernstlich beschäftigt. Euere Excellenz haben mich zu widerholten Malen in wichtigen Fragen des Gymnasialwesens eines hohen Vertrauens gnädigst gewürdigt, daß ich wohl hoffen darf nicht als zudringlich zu erscheinen, wenn ich es wage, den Grund meiner Besorgnisse über die beabsichtigte Maßregel unverhohlen und ehrerbietigst Euerer Excellenz unmittelbar dazulegen.
Für den Bestand der Gymnasialreform, welche der österreichische Kaiserstaat Euerer Excellenz zu verdanken hat, und für das Gedeihen der Gymnasien in dieser Einrichtung liegt die wesentlichste Voraussetzung darin, daß sich ein Lehrstand bilde, welcher das Studium seines Faches mit Lust erwählt, mit Ausdauer betrieben habe und demselben auch während seiner Berufsthätigkeit mit bleibendem Interesse sich widme, ein Lehrstand ferner, der durch Bildung und Charakter sich die öffentliche Achtung anwerbe und bewahre. Nur ein solcher Lehrstand ist der lebendige Träger der Reform und der sichere Bürge ihres Bestandes. Das Entstehen eines solchen Lehrstandes ist – das bin ich weit entfernt zu verkennen – nicht durch günstige ökonomische Stellung der Lehrer allein zu erreichen, sondern noch von manchen anderen Bedingungen abhängig; aber wie viele dieser anderweiten wichtigen Bedingungen durch die Fürsorge Euerer Excellenz erfüllt werden mögen, alles bleibt erfolglos oder führt sogar vom Ziele ab, so lange die ökonomische Stellung der Lehrer den billigsten und bescheidensten Ansprüchen an das Leben zu genügen nicht vermag. Die gegenwärtige Stellung eines Gymnasiallehrers ist, mit Ausnahme der ersten Jahre im Amte, eine Stellung fortwährender Entsagung unter anstrengenden Arbeiten, ein stetes ängstliches Ringen um die Existenz und um die nothdürftige Aufrechthaltung des für den Stand erforderlichen äußeren Anstandes. Es kann sein, daß diese Worte zur Bezeichnung der Lage übertrieben klingen, weil Klagen dieses Inhaltes immer nur in verhältnismäßig seltenen Fällen unmittelbar zu Euerer Excellenz dringen mögen; denn es ist Thatsache – vielleicht ist es auch eine Nothwendigkeit – daß Äußerungen in dieser Richtung von den Organen der Verwaltung in der Regel streng und entschieden zurückgewiesen werden. Aber ich bin mir bewußt, nicht mehr als die wirkliche Lage der Wahrheit gemäß bezeichnet zu haben; aus reichlichster Erfahrung damit bekannt, wie kümmerlich die Lebenseinrichtung so vieler tüchtiger und verdienter Schulmänner ist, ein wie kärgliches Ausmaß nach den anderen nothwendigen Ausgaben der Erhaltung des Lebens selbst zugewiesen werden kann, wie gar mancher Gymnasiallehrer von ehrenhaftem Charakter die Ehre seines Wortes in finanziellen Dingen zu wahren nicht im Stande ist; nach solchen reichlichen Erfahrungen kann ich unmöglich beschönigende Worte wählen. Man kann die Klagen zum Schweigen bringen, aber das Übel wird dadurch nicht beseitigt und auch verschwiegen wirkt es verderblich weiter.
Ich weiß, daß zur Rechtfertigung der Gehaltsstellung der Gymnasiallehrer die Vergleichung mit Beamten aus anderen Kreisen angewendet wird. Die Vergleichung hat selbst dann keine volle Beweiskraft, wenn man gegen die auf anderen Gebieten vorhandenen Übel den Blick verschließen will; denn auf jedem Gebiete, welches einen dem Lehramte gleichen Anspruch an wissenschaftliche Vorbereitung macht, ist die Möglichkeit und die thatsächliche Aussicht auf allmähliche beträchtliche Steigerung der Einnahme in ganz anderer Weise vorhanden als in dem Bereiche der Schule.
Ich weiß ferner, daß man zur Beruhigung über die geringen Gehalte der Gymnasiallehrer an den Nebenerwerb erinnert, den der Lehrstand seinem eigenthümlichen Wesen nach zu erlangen in der Lage sei. Es gibt meines Wissens nur drei Arten eines Nebenerwerbes, die sich mit dem Lehramte vertragen: literarische Thätigkeit, Ertheilen von Privatunterricht, Halten von Pensionären. Die literarische Thätigkeit ist bereits in ihrem Keime verdorben, wenn Erwerb der Zweck, wenn äußere Noth der Anlaß der Publication ist; es gehört eine seltene Höhe des Geistes und Charakters dazu, wenn unter der Nothwendigkeit, wissenschaftliche Arbeiten um des Erwerbes willen zu publiciren, nicht die Publicationen und ihr Urheber zugleich sinken sollen. Die Folgen der Nothwendigkeit literarischen Erwerbes treten schon jetzt im Lehrstande auf bedauerliche Weise hervor; es wäre kein Wunder, wenn der Lehrstrand von der Publication selbständiger wissenschaftlicher Schriften, welche die Gefahr der Kritik mit sich bringen, sich zu der lohnenderen und gefahrloseren Feuilletonschreiberei wendete. Das Ertheilen von Privatunterricht erfordert die tactvollste Vorsicht von Seiten des Lehrers, wenn es nicht zu ähnlichen Übelständen führen soll wie die ehemaligen Repetitionsstunden; überdies ist für jetzt die Möglichkeit dieses Nebenerwerbes von der Gunst besonderer örtlicher Verhältnisse abhängig. Endlich das Halten von Pensionären, wenn es eine bemerkbare, das Opfer an Zeit und Kraft aufwiegende finanzielle Unterstützung geben soll, setzt schon eine hohe Achtung des Lehrstandes im Publikum voraus, es kommt also für die gegenwärtige Lage, wenn man dieselbe auffahrt wie sie ist, noch nicht in Betracht. Übrigens darf bei all diesen Gedanken an Nebenerwerb des Lehrstandes das eine Moment nicht übersehen werden: das Amt des Gymnasiallehrers erfordert in Wahrheit die ganze Kraft des Mannes, alle nicht unmittelbar dem Amte dienende Arbeit hat mittelbar demselben Förderung zu bringen. Es ist eine Gefährdung des Zweckes, um den es sich handelt, wenn man Nebenerwerb der Lehrer in Rechnung bringt.
Die Folgen der gedrückten Lage des Lehrstandes sind schon zum Theile eingetreten und werden in gefährlicher Schnelligkeit um sich greifen.
Den Lehrstand wählen fast ausschließlich nur solche junge Männer, die vollkommen mittellos, schon während der Studienzeit auf sich selbst angewiesen sind, ja häufig noch die Kindespflicht erfüllen, ihre Eltern zu unterstützen; die Ausnahmen, daß junge Männer den Lehrstand wählen, deren Unterhalt während der Studienzeit die Eltern bestreiten, betragen nach meiner Erfahrung nicht über zwei bis drei Procent. Welcher Nachtheil für die gesammte Haltung des Lehrstandes darin liegt, daß er fast ausschließlich aus den mittellosen Classen sich fortwährend ersetzt, das ist für jeden augenfällig, der den Lehrstand des nichtösterreichischen Deutschland im Allgemeinen kennt und nicht etwa bloß nach den zufälligen einzelnen Fällen der Anstellung von Nichtösterreichern an österreichischen Gymnasien beurtheilt. Die Regierung sucht durch liberale Unterstützung der Vorbereitung für den Lehrstand dem Übel abzuhelfen; die unausbleibliche, bereits eingetretene Folge ist, daß statt des inneren Berufes und der Neigung, die Aussicht auf Staatsunterstützung in vielen Fällen zur Wahl dieses Lebensweges führt. Solange die ökonomische Stellung eines Gymnasiallehrers nicht in dem Maße ausreichend wird, daß Eltern aus dem Mittelstande ohne Sorge und ohne Widerstreben diesen Beruf von ihren Söhnen erwählt sehen, ist der gesammte Lehrstand eine Treibhauspflanze, die dem mäßigsten Windhauche erliegen wird.
Unter den Nahrungssorgen während des Lehramtes selbst müssen selbst feste Naturen erliegen; zu weiteren wissenschaftlichen Studien, der unerläßlichen Bedingung eines gedeihlichen Unterrichts, fehlen in den meisten Fällen die äußerlichen Mittel und die geistige Frische; Stille, Resignation, Unzufriedenheit mit dem gewählten Berufe, verknöcherte Beschränkung auf das von der Universität mitgebrachte nothdürftige Maß des Wissens: diese Folgen werden schon selbst bei solchen Naturen sichtbar, welche während der Universitätszeit zu den besten Hoffnungen berechtigten.
Dem Gymnasiallehrer ist es nicht verboten, eine geordnete Häuslichkeit zu gründen, es ist sogar wünschenswerth, wenn er von anstrengenden Arbeiten in seiner Familie Erholung finden kann. Es ist gewiß nicht gleichgiltig darauf zu achten, auf welche Kreise der Gesellschaft Gymnasiallehrer bei ihrer Verheirathung sich fast ausnahmslos anzureihen haben, und dem Culturstatistiker würde sich eine interessante Vergleichung mit den Verhältnissen des übrigen Deutschlands darbieten. Wenn diese Beschränkung auf der einen Seite die nothwendige Folge der ökonomischen Stellung und Aussichtslosigkeit des Lehrstandes ist, so wirkt sie andererseits wieder auf ein Herabdrücken seiner Achtung im Publikum, die man als einen Factor für das Gedeihen der Schulen schlechterdings nicht außer Rechnung lassen darf.
Wird jemand bei solcher Lage der Dinge sich mit den idealen Hoffnungen schmeicheln, daß der Lehrstand in seiner Majorität das Palladium seines Standes, die reine Unbestechlichkeit, auf die Dauer bewahren werde? Ich meinerseits habe vollen Grund, viele derjenigen Männer, die sich dem Lehrstande widmen, von Seiten ihres Charakters eben so aufrichtig zu achten, als ich ihren Fleiß schätze; aber ich habe eben so sehr Grund, an der Möglichkeit und an der Wirklichkeit unbedingter Unbestechlichkeit zu zweifeln, und bei dem tiefsten Schmerze hierüber möchte ich doch in gar manchen Fällen nicht Richter über solche Sache sein.
Die Kenntnis der gegenwärtig vorhandenen Übel, der Blick auf die Folgen, welche unausbleiblich an sich schon beginnen einzutreten, das aufrichtige Interesse für das Gedeihen der österreichischen Gymnasien: diese Motive haben mich vor zwei Jahren bestimmt, eine Denkschrift Euerer Excellenz ehrerbietigst zu überreichen1, welche es unternommen hat, den einzigen möglichen Weg zur Verminderung des Übels und zur Beseitigung der daraus drohenden Gefahr dazulegen. Wenn ich es wage, um huldvolle Erwägung dieser Denkschrift jetzt nochmals angelegentlichst zu bitten, so gestatten Euere Excellenz, daß ich dabei nur noch an folgende Momente erinnere:
Erstens. Als ich die Denkschrift einreichte, wurde die Nothwendigkeit einer Verbesserung der Lehrergehalte anerkannt; es wurde anerkannt, daß eine andere Quelle zur Beschaffung der Mittel hierzu, als die Schulgeldeinnahme sich nicht auffinden lasse; es wurde anerkannt und dies ist von mir in Ziffern unwiderleglich nachgewiesen, daß für eine erhebliche Anzahl von Lehrstellen eine ansehnliche Erhöhung des Gehaltes erreicht werde. Aber es wurde eingewendet, daß eine Erhöhung des Schulgeldes bei dem Publikum, namentlich in der Beamtenwelt, einen nicht zu übersehenden Unwillen hervorrufen werde.
Seitdem habe ich wiederholt statistisch nachgewiesen, daß das Schulgeld an Gymnasien im Vergleiche nicht nur mit den sonst für Unterricht üblichen Ausgaben und mit den Einrichtungen der unter gleichen Verhältnissen lebenden deutschen Nachbarstaaten, sondern sogar im Vergleiche mit den vor ungefähr einem Jahrhundert in Österreich selbst getroffenen Anordnungen unglaublich niedrig angesetzt ist.
Jetzt scheint die Sorge wegen des Unwillens über eine Erhöhung des Schulgeldes geschwunden, aber der Gedanke an eine dadurch zu erreichende Verbesserung der Lehrergehalte aufgegeben zu sein.
Kaum könnte eine andere Maßregel dem Gymnasialwesen mehr Gefahr drohen, als eine Erhöhung des Schulgeldes ohne deren Verwendung zur Verbesserung eines Theiles der Lehrergehalte. Die Hoffnung auf eine Erleichterung der gegenwärtigen drückenden Lage ist dann in unabsehbare Ferne hinausgeschoben, ja in Wahrheit ganz aufgehoben und die Folgen, die ich früher andeutete, werden sich in gesteigerter Raschheit verwirklichen. Die Gymnasien werden nicht nur in ihren früheren Zustand zurücksinken, sondern noch überdies an dem inneren Widerspruche zwischen dem, was sie sein sollen und wollen, und dem, was sie wirklich sind, leiden und verkommen.
Zweitens. Wollen Euere Excellenz gütigst vergleichen, was in dem letzten Jahrzehnt auf dem Gebiete des Gymnasialwesens im übrigen Deutschland, und was in Österreich vorgegangen ist.
Die übrigen deutschen Staaten, z. B. Preußen, besaßen bereits vor einem Jahrzehnt einen gebildeten, geachteten Lehrstand, der keineswegs ausschließlich oder in der Mehrzahl aus den völlig mittellosen Classen hervorgieng. – Die Preise der Lebensmittel sind in dem letzten Jahrzehnt auch in dem außerösterreichischen Deutschland gestiegen, aber bei weitem nicht in dem Maße wie in Österreich. – Die meisten deutschen Staaten, am consequentesten Preußen unter allen seinen Ministerien, haben seit dem letzten Jahrzehnt eine erhebliche Erhöhung der Lehrergehalte an Gymnasien eintreten lassen.
Österreich ist bemüht zur Ausführung der Reformen im Gymnasialwesen einen tüchtigen Lehrstand herzustellen. – Die Preise aller Lebensmittel sind in Österreich jetzt, gegenüber den Zuständen vor zwölf Jahren in einer erschreckenden Schnelligkeit und Consequenz gestiegen. – Die Gehalte der Gymnasiallehrer sind – dies habe ich in der angeführten Denkschrift nachgewiesen – jetzt selbst der Ziffer nach geringer, als sich bei vielen derselben vor dem Eintreten der Reform – und der dadurch bedingten größeren Ansprüche an die Lehrer – die rechtmäßige Einnahme belief.
Es kann als Eigensinn und zugleich als Unbescheidenheit erscheinen, daß ich an dem einmal von mir gemachten Vorschlage mit solcher Bestimmtheit beharre; ich unterziehe mich der Gefahr dieses Vorwurfes, getrieben von der bisher durch nichts erschütterten Überzeugung, daß sich ein anderer, als der von mir vorgeschlagene Weg zur Beseitigung drückender und gefährlicher Übel nicht auffinden läßt. Wenn Euere Excellenz eine commissionelle Berathung zur Prüfung meines Vorschlages anzuordnen geruhen, so würde ich mich glücklich schätzen, die demselben entgegenstehenden Gründe vollständig kennen zu lernen und bestreiten zu dürfen, oder befehlen Euere Excellenz die Publication meines Vorschlages mit seinen Motiven und seiner Einzelausführung – ich bin die Kritik darüber auszuhalten vollkommen bereit.
Möchten Euere Excellenz, bevor die in Aussicht gestellte, mir verhängnisvoll erscheinende Maßregel wirklich eintritt, den Nothruf nicht überhören, den an Dero hochherzige Gesinnung zu richten ich mich nochmals erkühnt habe.
In tiefster Ehrerbietung

Euerer Excellenz

unterthänigster Diener
H. Bonitz

Hacking Nr. 25
9. Sept. 1860