Hermann Bonitz äußert sich besorgt über die materielle Situation der Gymnasiallehrer und fordert eine Erhöhung der Gehälter. Derzeit, so schreibt Bonitz, seien aufgrund des niedrigen Gehalts und der steigenden Lebensmittelpreise viele Lehrer zu einem Nebenerwerb gezwungen. Das Vorhaben Leo Thuns, das Schulgeld an den Gymnasien zu erhöhen, ohne aber gleichzeitig die Gehälter der Lehrer zu verbessern, missfällt Bonitz daher. Außerdem verweist er auf die Denkschrift, die er Thun vor zwei Jahren überreicht hatte, und in welcher er Vorschläge zur Verbesserung der Situation der Gymnasiallehrer gemacht hatte. Er bittet Thun, die dort vorgebrachten Argumente bei seiner Entscheidung über die Erhöhung des Schulgeldes in Betracht zu ziehen. Sollte Thun eine kommissionelle Beratung zur Prüfung seiner Vorschläge wünschen, wäre er zu einer Stellungnahme bereit. Bonitz weist darauf hin, dass ein gebildeter und geachteter Lehrerstand, der sich nicht nur aus den mittellosen Klassen zusammensetzt, nur im Zusammenhang mit entsprechenden Lehrergehältern entstehen könne. Auch sei der weitere Erfolg der Gymnasialreform von einem gut ausgebildeten und abgesicherten Lehrerstand abhängig. Schließlich verweist Bonitz auf das Beispiel von Deutschland bzw. Preußen, wo die Gehälter bereits erhöht worden sind.
Euere Excellenz!
Die Äußerung, welche Euere Excellenz am vergangenen Mittwoch bei der mir
huldvollst gewährten Audienz thaten,
„daß eine Erhöhung des Schulgeldes an
den Gymnasien bevorstehe, aber ohne daß sich daran die
Verbesserung des Gehaltes eines Theiles der Gymnasiallehrer knüpfen
werde“
hat mich, seit ich sie vernommen habe, unabläßig und ernstlich
beschäftigt. Euere Excellenz haben mich zu widerholten Malen in wichtigen Fragen
des Gymnasialwesens eines hohen Vertrauens gnädigst gewürdigt, daß ich wohl
hoffen darf nicht als zudringlich zu erscheinen, wenn ich es wage, den Grund
meiner Besorgnisse über die beabsichtigte Maßregel unverhohlen und ehrerbietigst
Euerer Excellenz unmittelbar dazulegen.
Für den Bestand der Gymnasialreform,
welche der österreichische Kaiserstaat
Euerer Excellenz zu verdanken hat, und für das Gedeihen der Gymnasien in dieser
Einrichtung liegt die wesentlichste Voraussetzung darin, daß sich ein Lehrstand bilde, welcher das Studium seines Faches mit Lust
erwählt, mit Ausdauer betrieben habe und demselben auch während seiner
Berufsthätigkeit mit bleibendem Interesse sich widme, ein Lehrstand ferner, der
durch Bildung und Charakter sich die öffentliche Achtung anwerbe und bewahre.
Nur ein solcher Lehrstand ist der lebendige Träger der Reform und der sichere
Bürge ihres Bestandes. Das Entstehen eines solchen Lehrstandes ist – das bin ich
weit entfernt zu verkennen – nicht durch günstige ökonomische Stellung der
Lehrer allein zu erreichen, sondern noch von manchen anderen
Bedingungen abhängig; aber wie viele dieser anderweiten wichtigen Bedingungen
durch die Fürsorge Euerer Excellenz erfüllt werden mögen, alles bleibt erfolglos
oder führt sogar vom Ziele ab, so lange die ökonomische Stellung der Lehrer den
billigsten und bescheidensten Ansprüchen an das Leben zu genügen nicht vermag.
Die gegenwärtige Stellung eines Gymnasiallehrers ist, mit Ausnahme der ersten
Jahre im Amte, eine Stellung fortwährender Entsagung unter anstrengenden
Arbeiten, ein stetes ängstliches Ringen um die Existenz und um die nothdürftige
Aufrechthaltung des für den Stand erforderlichen äußeren Anstandes. Es kann
sein, daß diese Worte zur Bezeichnung der Lage übertrieben klingen, weil Klagen
dieses Inhaltes immer nur in verhältnismäßig seltenen Fällen unmittelbar zu
Euerer Excellenz dringen mögen; denn es ist Thatsache – vielleicht ist es auch
eine Nothwendigkeit – daß Äußerungen in dieser Richtung von den Organen der
Verwaltung in der Regel streng und entschieden zurückgewiesen werden. Aber ich
bin mir bewußt, nicht mehr als die wirkliche Lage der Wahrheit gemäß bezeichnet
zu haben; aus reichlichster Erfahrung damit bekannt, wie kümmerlich die
Lebenseinrichtung so vieler tüchtiger und verdienter Schulmänner ist, ein wie
kärgliches Ausmaß nach den anderen nothwendigen Ausgaben der Erhaltung des
Lebens selbst zugewiesen werden kann, wie gar mancher Gymnasiallehrer von
ehrenhaftem Charakter die Ehre seines Wortes in finanziellen Dingen zu wahren
nicht im Stande ist; nach solchen reichlichen Erfahrungen kann ich unmöglich
beschönigende Worte wählen. Man kann die Klagen zum Schweigen bringen, aber das
Übel wird dadurch nicht beseitigt und auch verschwiegen wirkt es verderblich
weiter.
Ich weiß, daß zur Rechtfertigung der Gehaltsstellung der
Gymnasiallehrer die Vergleichung mit Beamten aus anderen
Kreisen angewendet wird. Die Vergleichung hat selbst dann keine volle
Beweiskraft, wenn man gegen die auf anderen Gebieten vorhandenen Übel den Blick
verschließen will; denn auf jedem Gebiete, welches einen dem Lehramte gleichen
Anspruch an wissenschaftliche Vorbereitung macht, ist die Möglichkeit und die
thatsächliche Aussicht auf allmähliche beträchtliche Steigerung der Einnahme in
ganz anderer Weise vorhanden als in dem Bereiche der Schule.
Ich weiß
ferner, daß man zur Beruhigung über die geringen Gehalte der Gymnasiallehrer an
den Nebenerwerb erinnert, den der Lehrstand seinem
eigenthümlichen Wesen nach zu erlangen in der Lage sei. Es gibt meines Wissens
nur drei Arten eines Nebenerwerbes, die sich mit dem Lehramte vertragen:
literarische Thätigkeit, Ertheilen von Privatunterricht, Halten von Pensionären.
Die literarische Thätigkeit ist bereits in ihrem Keime
verdorben, wenn Erwerb der Zweck, wenn äußere Noth der Anlaß der Publication ist;
es gehört eine seltene Höhe des Geistes und Charakters dazu, wenn unter der
Nothwendigkeit, wissenschaftliche Arbeiten um des Erwerbes
willen zu publiciren, nicht die Publicationen und ihr Urheber zugleich sinken
sollen. Die Folgen der Nothwendigkeit literarischen Erwerbes treten schon jetzt
im Lehrstande auf bedauerliche Weise hervor; es wäre kein Wunder, wenn der
Lehrstrand von der Publication selbständiger wissenschaftlicher Schriften,
welche die Gefahr der Kritik mit sich bringen, sich zu der lohnenderen und
gefahrloseren Feuilletonschreiberei wendete. Das Ertheilen von
Privatunterricht erfordert die tactvollste Vorsicht von Seiten des
Lehrers, wenn es nicht zu ähnlichen Übelständen führen soll wie die ehemaligen
Repetitionsstunden; überdies ist für jetzt die Möglichkeit dieses Nebenerwerbes
von der Gunst besonderer örtlicher Verhältnisse abhängig. Endlich das Halten von Pensionären, wenn es eine bemerkbare, das Opfer
an Zeit und Kraft aufwiegende finanzielle Unterstützung geben soll, setzt schon
eine hohe Achtung des Lehrstandes im Publikum voraus, es kommt also für die
gegenwärtige Lage, wenn man dieselbe auffahrt wie sie ist, noch nicht in
Betracht. Übrigens darf bei all diesen Gedanken an Nebenerwerb des Lehrstandes das eine Moment nicht übersehen werden:
das Amt des Gymnasiallehrers erfordert in Wahrheit die ganze
Kraft des Mannes, alle nicht unmittelbar dem Amte dienende Arbeit hat
mittelbar demselben Förderung zu bringen. Es ist eine Gefährdung des Zweckes, um
den es sich handelt, wenn man Nebenerwerb der Lehrer in Rechnung bringt.
Die
Folgen der gedrückten Lage des Lehrstandes sind schon zum
Theile eingetreten und werden in gefährlicher Schnelligkeit um sich
greifen.
Den Lehrstand wählen fast ausschließlich nur solche junge Männer,
die vollkommen mittellos, schon während der Studienzeit auf sich selbst
angewiesen sind, ja häufig noch die Kindespflicht erfüllen, ihre Eltern zu
unterstützen; die Ausnahmen, daß junge Männer den Lehrstand wählen, deren
Unterhalt während der Studienzeit die Eltern bestreiten, betragen nach meiner
Erfahrung nicht über zwei bis drei Procent. Welcher Nachtheil für die gesammte
Haltung des Lehrstandes darin liegt, daß er fast ausschließlich aus den
mittellosen Classen sich fortwährend ersetzt, das ist für jeden augenfällig, der
den Lehrstand des nichtösterreichischen Deutschland im
Allgemeinen kennt und nicht etwa bloß nach den zufälligen einzelnen Fällen der
Anstellung von Nichtösterreichern an österreichischen Gymnasien beurtheilt. Die
Regierung sucht durch liberale Unterstützung der Vorbereitung für den Lehrstand
dem Übel abzuhelfen; die unausbleibliche, bereits eingetretene Folge ist, daß
statt des inneren Berufes und der Neigung, die Aussicht auf Staatsunterstützung
in vielen Fällen zur Wahl dieses Lebensweges führt. Solange die ökonomische
Stellung eines Gymnasiallehrers nicht in dem Maße ausreichend wird, daß Eltern
aus dem Mittelstande ohne Sorge und ohne Widerstreben diesen Beruf von ihren
Söhnen erwählt sehen, ist der gesammte Lehrstand eine Treibhauspflanze, die dem
mäßigsten Windhauche erliegen wird.
Unter den Nahrungssorgen während des
Lehramtes selbst müssen selbst feste Naturen erliegen; zu weiteren
wissenschaftlichen Studien, der unerläßlichen Bedingung eines gedeihlichen
Unterrichts, fehlen in den meisten Fällen die äußerlichen Mittel und die
geistige Frische; Stille, Resignation, Unzufriedenheit mit dem gewählten Berufe,
verknöcherte Beschränkung auf das von der Universität mitgebrachte nothdürftige
Maß des Wissens: diese Folgen werden schon selbst bei solchen Naturen sichtbar,
welche während der Universitätszeit zu den besten Hoffnungen
berechtigten.
Dem Gymnasiallehrer ist es nicht verboten, eine geordnete
Häuslichkeit zu gründen, es ist sogar wünschenswerth, wenn er von anstrengenden
Arbeiten in seiner Familie Erholung finden kann. Es ist gewiß nicht gleichgiltig
darauf zu achten, auf welche Kreise der Gesellschaft Gymnasiallehrer bei ihrer
Verheirathung sich fast ausnahmslos anzureihen haben, und dem Culturstatistiker
würde sich eine interessante Vergleichung mit den Verhältnissen des übrigen
Deutschlands darbieten. Wenn diese
Beschränkung auf der einen Seite die nothwendige Folge der ökonomischen Stellung
und Aussichtslosigkeit des Lehrstandes ist, so wirkt sie andererseits wieder auf
ein Herabdrücken seiner Achtung im Publikum, die man als einen Factor für das
Gedeihen der Schulen schlechterdings nicht außer Rechnung lassen darf.
Wird
jemand bei solcher Lage der Dinge sich mit den idealen Hoffnungen schmeicheln,
daß der Lehrstand in seiner Majorität das Palladium seines Standes, die reine
Unbestechlichkeit, auf die Dauer bewahren werde? Ich meinerseits habe vollen
Grund, viele derjenigen Männer, die sich dem Lehrstande widmen, von Seiten ihres
Charakters eben so aufrichtig zu achten, als ich ihren Fleiß schätze; aber ich
habe eben so sehr Grund, an der Möglichkeit und an der Wirklichkeit unbedingter
Unbestechlichkeit zu zweifeln, und bei dem tiefsten Schmerze hierüber möchte ich
doch in gar manchen Fällen nicht Richter über solche Sache sein.
Die
Kenntnis der gegenwärtig vorhandenen Übel, der Blick auf die Folgen, welche
unausbleiblich an sich schon beginnen einzutreten, das aufrichtige Interesse für
das Gedeihen der österreichischen Gymnasien: diese Motive haben mich vor zwei
Jahren bestimmt, eine Denkschrift Euerer Excellenz ehrerbietigst zu
überreichen1,
welche es unternommen hat, den einzigen möglichen Weg zur Verminderung des Übels
und zur Beseitigung der daraus drohenden Gefahr dazulegen. Wenn ich es wage, um
huldvolle Erwägung dieser Denkschrift jetzt nochmals angelegentlichst zu bitten,
so gestatten Euere Excellenz, daß ich dabei nur noch an folgende Momente
erinnere:
Erstens. Als ich die Denkschrift
einreichte, wurde die Nothwendigkeit einer Verbesserung der Lehrergehalte
anerkannt; es wurde anerkannt, daß eine andere Quelle zur Beschaffung der Mittel
hierzu, als die Schulgeldeinnahme sich nicht auffinden lasse; es wurde anerkannt
und dies ist von mir in Ziffern unwiderleglich nachgewiesen, daß für eine erhebliche Anzahl von Lehrstellen eine ansehnliche Erhöhung des Gehaltes erreicht werde. Aber es wurde
eingewendet, daß eine Erhöhung des Schulgeldes bei dem Publikum, namentlich in
der Beamtenwelt, einen nicht zu übersehenden Unwillen hervorrufen
werde.
Seitdem habe ich wiederholt statistisch nachgewiesen, daß das
Schulgeld an Gymnasien im Vergleiche nicht nur mit den sonst für Unterricht
üblichen Ausgaben und mit den Einrichtungen der unter gleichen Verhältnissen
lebenden deutschen Nachbarstaaten, sondern sogar im Vergleiche mit den vor
ungefähr einem Jahrhundert in Österreich
selbst getroffenen Anordnungen unglaublich niedrig angesetzt
ist.
Jetzt scheint die Sorge wegen des Unwillens über
eine Erhöhung des Schulgeldes geschwunden, aber der Gedanke an eine dadurch zu
erreichende Verbesserung der Lehrergehalte aufgegeben zu sein.
Kaum könnte
eine andere Maßregel dem Gymnasialwesen mehr Gefahr drohen, als eine Erhöhung
des Schulgeldes ohne deren Verwendung zur Verbesserung eines Theiles der
Lehrergehalte. Die Hoffnung auf eine Erleichterung der
gegenwärtigen drückenden Lage ist dann in unabsehbare Ferne
hinausgeschoben, ja in Wahrheit ganz aufgehoben und die Folgen, die ich früher
andeutete, werden sich in gesteigerter Raschheit verwirklichen. Die Gymnasien
werden nicht nur in ihren früheren Zustand zurücksinken, sondern noch überdies
an dem inneren Widerspruche zwischen dem, was sie sein sollen und wollen, und
dem, was sie wirklich sind, leiden und verkommen.
Zweitens. Wollen Euere Excellenz gütigst vergleichen, was in dem
letzten Jahrzehnt auf dem Gebiete des Gymnasialwesens im übrigen
Deutschland, und was in Österreich vorgegangen ist.
Die übrigen deutschen Staaten, z.
B. Preußen, besaßen bereits vor einem
Jahrzehnt einen gebildeten, geachteten Lehrstand, der keineswegs ausschließlich
oder in der Mehrzahl aus den völlig mittellosen Classen hervorgieng. – Die
Preise der Lebensmittel sind in dem letzten Jahrzehnt auch in dem
außerösterreichischen Deutschland gestiegen, aber bei weitem
nicht in dem Maße wie in Österreich. – Die
meisten deutschen Staaten, am consequentesten Preußen unter allen seinen Ministerien, haben
seit dem letzten Jahrzehnt eine erhebliche Erhöhung der Lehrergehalte an
Gymnasien eintreten lassen.
Österreich
ist bemüht zur Ausführung der Reformen im Gymnasialwesen einen tüchtigen
Lehrstand herzustellen. – Die Preise aller Lebensmittel sind in Österreich jetzt, gegenüber den Zuständen vor
zwölf Jahren in einer erschreckenden Schnelligkeit und Consequenz gestiegen. –
Die Gehalte der Gymnasiallehrer sind – dies habe ich in der angeführten
Denkschrift nachgewiesen – jetzt selbst der Ziffer nach geringer, als sich bei
vielen derselben vor dem Eintreten der Reform – und der dadurch bedingten
größeren Ansprüche an die Lehrer – die rechtmäßige Einnahme belief.
Es kann
als Eigensinn und zugleich als Unbescheidenheit erscheinen, daß ich an dem
einmal von mir gemachten Vorschlage mit solcher Bestimmtheit beharre; ich
unterziehe mich der Gefahr dieses Vorwurfes, getrieben von der bisher durch
nichts erschütterten Überzeugung, daß sich ein anderer, als der von mir
vorgeschlagene Weg zur Beseitigung drückender und gefährlicher Übel nicht
auffinden läßt. Wenn Euere Excellenz eine commissionelle Berathung zur Prüfung
meines Vorschlages anzuordnen geruhen, so würde ich mich glücklich schätzen, die
demselben entgegenstehenden Gründe vollständig kennen zu lernen und bestreiten
zu dürfen, oder befehlen Euere Excellenz die Publication meines Vorschlages mit
seinen Motiven und seiner Einzelausführung – ich bin die Kritik darüber
auszuhalten vollkommen bereit.
Möchten Euere Excellenz, bevor die in
Aussicht gestellte, mir verhängnisvoll erscheinende Maßregel wirklich eintritt,
den Nothruf nicht überhören, den an Dero hochherzige Gesinnung zu richten ich
mich nochmals erkühnt habe.
In tiefster Ehrerbietung
Euerer Excellenz
unterthänigster Diener
H. Bonitz
Hacking Nr. 25
9. Sept. 1860