Der Professor für politische Ökonomie Peter Mischler bittet Leo Thun um die Erlaubnis, die Weltausstellung in Paris besuchen zu dürfen. Die Erlaubnis zur Reise vorausgesetzt, bittet er außerdem um ein Reisestipendium. Mischler betont die Wichtigkeit seines Vorhabens und erklärt, dass er von einem Besuch der Weltausstellung enorm für sein Fach – die politische Ökonomie – profitieren könne. Auf seinen zahlreichen Reisen habe er stets mehr gelernt als durch umfangreiches Studium alter Bücher. Zudem wäre es auf der Weltausstellung möglich, mehrere Nationen und deren ökonomische Entwicklung zu vergleichen. Das Wissen, das er sich in Paris aneignen könnte, würde er an seine Studenten weitergeben und in Büchern verbreiten, und damit auch den Wohlstand in Österreich mehren. Seine Bitte um ein Reisestipendium untermauert er außerdem durch den Hinweis, dass auch andere europäische Regierungen Emissäre und Wissenschaftler zur Weltausstellung schickten.
Excellenz!
Das Interesse der Wissenschaft, die mir über Alles gehende Rücksicht auf die
möglichst vollständige Erfüllung meiner Lehrpflichten, aber auch die Liebe zu
dem Lande meiner Wirksamkeit ist es, was mich bewegt, Euer Excellenz meine
un[ter]thänigste Bitte ehrfurchtvollst vorzutragen.
Die demnächst in
Paris zur Eröffnung kommende
Industrieausstellung bietet dem Forscher im Fache der politischen Öconomie ein
überaus fruchtbares Feld für Anschauungen, Ideen, Erfahrungen, eine Fundgrube
von wichtigen Thatsachen und Belehrungen, wie sie in Büchern kaum geboten wird.
Zugleich öffnet sie dem Lehrer des Faches der politischen Öconomie, der zu
beobachten und zu sammeln weiß, ein überaus reiches Feld für Erfahrungen, die in
den academischen Vortrag eingewoben, eben sowohl zur Erläuterung der
theoretischen Sätze, als zur Anregung und Aneiferung zum weiteren Nachdenken bei
dem fleißigen Hörer, als auch zum Selbstbeobachten führen. Was sich durch
mühevolle Reisen in die verschiedenen Industriebezirke verschiedener Länder nur
nach und nach abstrahiren, beobachten und combiniren läßt, das findet der
Forscher und Lehrer im Fache der politischen Öconomie in der lehrreichsten
Nebeneinanderstellung zu Paris.
Das Studium der öconomischen Verhältnisse
des Kaiserstaates, der in seinen
verschiedenen Gliedern ein höchst zusammengesetztes Gemälde von
wirthschaftlichen Entwicklungsstufen darbietet, ist ferner dem beobachtenden
Lehrer der politischen Öconomie nicht leicht. Drei große Reisen in der Monarchie
haben meine Sachkenntnis rascher gefördert, als langes Studium älterer und
neuerer Werke, mich aber auch in die Lage gesetzt, dem academischen Vortrage
immer zuerst belehrende Beispiele aus den Verhältnissen des Kaiserstaates
einzuflechten, und an diese dann Parallelbeispiele aus den öconomischen
Zuständen des Zollvereins Belgiens, Englands usw., die ich zu beobachten Gelegenheit
hatte, anzuschließen. Aber – Excellenz – es ist sehr schwer,
Oesterreich und seinen Gewerbfleiß, seine natürlichen
Reichthumsquellen, seine großen Vorzüge in vielen Industriezweigen und die
Ausdehnungsfähigkeit vieler seiner Erwerbszweige durch Beobachtungen und Studien
auf Reisen und durch sorgfältiges Studium einschlagender Werke so scharf und
tief kennen zu lernen, wie es auf einer Ausstellung von Gewerbserzeugnissen
geschehen kann, die jedenfalls weitaus bedeutender wird, als die Münchener
Industrieausstellung. Ich bin nach München
geeilt, aus Liebe zur Wissenschaft und zum Lande meiner Wirksamkeit, viel – sehr
viel – Euer Excellenz – habe ich gelernt. Ja, was in keinem Buche zu finden war,
die Entwicklung der Weberei, Spinnerei, der Seidenindustrie, der
Porcellanmanufacturen usw. usw. hat die Welt in München gesehen, habe auch ich
in München bewiesen gefunden. Oesterreich wurde in diesen Industriezweigen,
wie in so manchen andern nicht allein nicht übertroffen, nein, nicht erreicht.
Die Früchte dieser Anschauungen kommen meinem unvergleichlich fleißigen
Zuhörerkreise zu Gute, werden aber auch in einem Werke über
Wohlstandswissenschaft, das mich beschäftigt, angewendet. Noch mehr, wie in
München, wird der Gewerbfleiß unseres schönen Landes
in Paris umfassend studirt werden können, schon deßwegen,
weil Oesterreich in größerer Manchfaltigkeit seiner
Erzeugnisse repräsentirt sein wird. Diese günstige Gelegenheit, weitreichende
und tiefgehende Studien zu machen, darf ich nicht versäumen, ich bin es meiner
Pflicht als Professor, den Anforderungen der Wissenschaft, den Erwartungen der
erleuchteten Regierung schuldig, die wissenschaftlichen Geist überall weckt und
belohnt, ich bin es dem Lande meiner Wirksamkeit und meinem erhabenen Monarchen
schuldig.
Excellenz wollen geruhen anzuhören, daß das Studium der Londoner
Industrieausstellung (1851) mich in meinen wissenschaftlichen Streben
außerordentlich gefördert. In München habe ich viele
Beobachtungen gemacht und sie auf meine Reise über
Salzburg usw., besonders aber auf einer
volkswirthschaftlichen Durchforschung Mährens und
Böhmens berichtigt, erweitert und
fortgesetzt.
In meiner früheren Stellung als Privatdocent der politischen
Öconomie in Freiburg bot mir die
Großherzogliche Badische Regierung bereitwillig die Mittel, damit ich die
Londoner Industrieausstellung zum Zwecke der Wissenschaft besuchen konnte.
Jetzt, bin ich nicht in der Lage, die Reise nach Paris
vorzunehmen und die Kosten des Aufenthaltes zu bestreiten. Die Reise nach
München hat meine Zahlmittel gänzlich erschöpft. Ohne
eine Reiseunterstützung von Seiten der k.k. hohen Regierung werde ich nicht in
der Lage sein, die Pariser Industrieausstellung zum Zwecke der Wissenschaft zu
besuchen.
Eine ausführliche Arbeit über die Ursache der Preissteigerung der
Nahrungsmittel in Böhmen, die ich im Auftrage Seiner Excellenz
des Herrn Statthalters von
Böhmen im Laufe dieses Winters auszuführen hatte, führte mich
nicht allein in das Innerste des böhmischen Volkslebens, sondern gab mir auch
eine Reihenfolge von Problemen, die ich als Gegenstand meiner Reise nach
Frankreich aufsparen werde, um sie durch sorgfältige
Beobachtungen ihrer Lösung näher zu bringen. Dies, Euer Excellenz, veranlaßt
mich zu der unterthänigsten Bitte, Euer Excellenz wollen geruhen, mir für den
Besuch der Pariser Industrieausstellung zu wissenschaftlichen Zwecken eine
Reiseunterstützung gnädigst bestimmen zu wollen.
Gewiß wird die k.k.
Regierung in Anbetracht der Wichtigkeit der Pariser Ausstellung dem Professor
der politischen Öconomie, den so gewichtige Rücksichten zur wissenschaftlichen
Ausbreitung der Ausstellung veranlassen, Mittel zuwenden, um ihn in die Lage zu
setzen, seine Studien zu machen. Besäße ich, Euer Excellenz, die Mittel, nimmer
hätte ich um eine Reiseunterstützung gebeten. Gewiß wird auch die französische
Regierung den in den Provinzen wirkenden Nationalöconomen Reisemittel bieten,
wie sie es 1851 gethan, in welchem Jahre auch viele Professoren an deutschen
Universitäten in die Lage gesetzt wurden, London zu besuchen. Auch in München waren viele Professoren als Commissaire ihrer
Regierungen thätig.
Genehmigen Euer Excellenz die Versicherung allerhöchster
Ehrfurcht und Ergebenheit
Euer Excellenz allerunterthänigster
Dr. Mischler
k.k. Prof. der
politischen Öconomie
Prag, 25. Februar 1855