Der Abt des Benediktinerstiftes Kremsmünster, Thomas Mitterndorfer,
übersendet Leo Thun zwei Druckschriften und einen Zeitungsartikel aus
der Wiener Kirchenzeitung, sowie einen Brief von Theodorich Hagn. Die
beiden gedruckten Denkschriften enthalten Vorschläge für eine bessere
Zusammenarbeit der Benediktinerstifte in Österreich sowie Überlegungen
zu einer Reform der Aufnahme von Ordensmitgliedern. In beiden werden
dabei auch die Aufgaben der Klosterschulen behandelt. Im beigelegten
Zeitungsartikel äußert sich Pater Sigmund Fellöcker zur Reform der
Gymnasien in Österreich und zum Einfluss der Kirche auf das Schulwesen.
In dem beigelegten Brief nimmt Pater Theodorich Hagn schließlich
Stellung zu dem Zeitungsartikel sowie einigen kritischen Aussagen in
Bezug auf das Verhältnis von Kirche und Staat in Fragen der
Schulbildung. Der Abt erklärt außerdem die Motive der Patres und betont
die gute Gesinnung der beiden. Abschließend erinnert der Abt Thun noch
an sein Gesuch bezüglich der Abnahme der Linzer Bibliothek.
In dem
beigelegten Brief nimmt Theodorich Hagn Stellung zu seiner Aussage, der
Staat sei mit seiner Bildungspolitik auf Irrewege geraten. Er bekräftigt
diese und zeigt sich davon überzeugt, dass der Staat sich derzeit zu
sehr der Aufgabe annehme, die eigentlich der Kirche zustünde. Die Kirche
habe nämlich ursprünglich den Auftrag besessen, Kinder zu lehren und sie
sei es gewesen, die die ersten Schulen gegründet und erhalten habe. In
neuester Zeit, besonders aber mit der Reform der Gymnasien, wurden die
Klosterschulen zu Staatsschulen und die Lehrer zu Beamten. Hagn
kritisiert das Fachlehrersystem, wodurch der Lehrer der Möglichkeit
beraubt werde, seine Schüler zu erziehen. Auch die Berufung von
Protestanten und anderen unchristlichen Philosophen, etwa Anhängern
Herbarts, sieht Hagn sehr negativ. Hagn ist zwar vom guten Willen und
der wahren christlichen Einstellung Thuns überzeugt, er befürchtet
jedoch, dass nach dessen Abgang der Kirche die jetzt zugesicherten
Garantien entzogen werden könnten. Hagn wünscht sich daher ein System,
wie es in Frankreich oder Belgien zu finden sei. Damit könne die
religiöse Neugestaltung Österreichs gesichert werden.
Beilagen:
Entwurf zu einer engeren Verbindung der Abteien des Ordens
des heil. Benedikt in Oesterreich, Linz 1852.
Gedanken über
Befreiung und weitere Reinerhaltung der Klöster von nicht geeigneten
Ordensgliedern, Linz 1852.1
Sigmund
Fellöcker, Die Regelung des Gymnasialwesens, in: Wiener Kirchenzeitung,
5. Februar 1852 und 7. Februar 1852.2
Theodorich Hagn an Thomas Mitterndorfer.
Kremsmünster, 15. April 1852.
Euere Excellenz!
Ich gebe mir hiemit die Ehre, meinem Versprechen gemäß Euer Excellenz ein
Exemplar der beiden Druckschriften3 mit dem Wunsche zu übersenden, dasselbe
nicht als der Gesinnungsausdruck aller Benediktiner Äbte, sondern nur als freie
Wünsche einiger Stiftsvorstände betrachtet werden mögen, und daß ich die
Drucklegung nicht im Auftrage meiner Amtskollegen, sondern aus eigenem Antriebe
und auf Anrathen meines Hochwürdigsten Herrn Bischofes in der wohlmeinenden
Absicht veranlaßt und die Versendung an alle Benediktinerklöster gemacht habe,
um dadurch meine Ordensbrüder zu bestimmen, die Schlafmütze abzunehmen und die
Anforderungen der Zeit zu beachten.
In Erfüllung des zweiten von Euer
Excellenz ausgesprochenen Wunsches bin ich so frei, das von Pater Theodorich an mich erlassene
Schreiben zur geneigtesten Einsicht anzuschließen4, in welchem er seine allerdings schroffe
Behauptung zu vertheidigen suchet. Da er sich darin auf eine in der
Kirchenzeitung erschienene Abhandlung „Die Regelung des Gymnasialwesens“5
beruft, so lege ich die beiden Blätter in der Absicht bei, um Euer Excellenz die
Mühe des Nachschlagens zu ersparen und fühle mich verpflichtet offenherzig zu
bekennen, daß auch der Verfasser dieses Aufsatzes ein Priester meines Stiftes
ist. Pater Sigmund Fellöcker.
Beide sind sehr kirchlich gesinnte und vielseitig gebildete junge Männer. Dieses
möge Euerer Excellenz bürgen, daß ihren etwas feurigen, übrigens aber frommen
Wünschen keineswegs anmaßende Tonangeberei, sondern nur Beförderung der guten
Sache zu Grunde liegen. Sie erkennen dankbar mit mir, was Euere Excellenz
unserer heiligen Kirche Gutes erwiesen haben. Unzählige Fesseln sind gebrochen.
Gott segne und lohne Euere Excellenz dafür. Mit der Zeit wird die betretene Bahn
noch mehr sich ebnen und durch Hebung mancher Hemmnisse das Wirken noch
umfassender und gedeihlicher werden!
Noch erlaube ich mir Euer Excellenz
ehrfurchtsvoll an mein Gesuch wegen Abnahme der Linzer Bibliothek zu erinnern und um hochgnädige Bedachtnahme
unterthänigst umso mehr zu bitten, als ich das ansehnliche Haus dem Staate als
Eigenthum überlasse und an der hiesigen Lehranstalt, Convikte und Sternwarte 16
Individuen beschäftigt sind, die vom Stifte allein besoldet und verpflegt
werden!
Übrigens wollen Euere Excellenz gnädigst die aufrichtige
Versicherung meiner innigsten Verehrung und Hochachtung genehmigen, mit der ich
zu verharren die Ehre habe
Euer Excellenz
unterthänigster Diener
Thomas Abt
Kremsmünster, am 15. April 1852
Eure Hochwürden und Gnaden!
Herr Prälat,
haben mich aus gewissen Ursachen aufgefordert, die in dem von mir verfaßten
„Entwurfe zu einer engeren Verbindung der Abteien des Ordens des heiligen
Benedikt“ zu p. 6 über die Studienanstalten in Klöstern ausgesprochenen
Ansichten näher zu begründen. Ich glaube nun dieses um soviel mehr in
gedrängter Kürze thun zu können, als dieselben Grundsätze von vielen Seiten
her, in allgemeiner Beziehung nämlich, immer häufiger laut werden und hier
nur die Anwendung auf einen speziellen Fall vorliegt, weil ferner die in dem
beiliegenden Aufsatze der Wiener Kirchenzeitung „Regelung des
Gymnasialwesens“ ausgesprochene Anschauung um soviel mehr auch die meinige
ist, als ich dem mir befreundeten Verfasser bei der Ausarbeitung desselben zur Seite stand,
weshalb ich auch zur Vermeidung von Wiederholungen darauf verweise und weil
ich endlich ohnehin auf die von Euer Gnaden über dieselben Stellen bei
Durchlesung des Manuscriptes schon geäußerten Bedenken unumwunden meine
Entgegnung eröffnet habe.
Wenn nun besonders die Stelle, „der Staat sei
mit seinen Unterrichtsplänen auf Irrwege gerathen, die er so bald nicht
verlaßen werde“, noch so hart oder schroff erscheint, so kann ich doch den
hiemit ausgesprochenen Vorwurf nicht zurücknehmen, weil er nicht bloß in
meiner, sondern in der Überzeugung vieler Tausender der trefflichsten Männer
wurzelt und weil er ein Ausspruch der Geschichte ist. Den Auftrag zu lehren
hat nämlich die Kirche erhalten; sie hat ihn auch treulich erfüllt und hat
zum Theile mit dem ehedem noch ganz christlichen Staate, zum Theile ohne
denselben eine Anzahl Schulen, hohe und niedere, gegründet und zu ihrem und
des Staates Heile fort und fort erhalten. Nun ist es aber eine anerkannte
und unbestrittene Thatsache, daß die Lehrer der Staatswissenschaft seit mehr
als hundert Jahren schon der früheren Anschauung schnurstracks entgegen
traten und daß eine ihrer Lehren auch diese sei, der Staat allein müsse sich seine Bürger bilden und erziehen, infolgedessen
die Kirche vom Lehramte und einer Oberaufsicht darüber ganz verdrängt wurde
oder man hat ihre Schulen und ihre
lehrenden Diener zu Staatsorganen umgemodelt. Die Früchte sind bereits reif
geworden, und doch gelten diese Grundsätze mit wenigen Ausnahmen fast noch
in ganz Europa!!!
Gerade ein volles Seculum ist
verfloßen, daß auch in unserem Stifte, wo gerade damahls (1752) die
Ritteracademie am schönsten blüthe, das erste Regierungsdecret eintraf mit
Anordnungen in Betreff der theologischen Abtheilung; diesem Decrete folgten
bald andere auch das Gymnasium berührende, und so sind seit beiläufig 1770
die Lehranstalten des Stiftes zur Staatsschule geworden, sich in gar nichts
von anderen unterscheidend, als daß das Stift die Kosten trägt und daß
Direktor und Lehrer so wie zufällig Ordensmänner sind. Dem wurde 1848
endlich die Krone, die völlige Loostrennung [sic!] von der Kirche,
aufgesetzt, dadurch daß der Lehrkörper eine vom Klostervorstande unabhängige
Staatsbeamtenschaft wurde.
Die Summe der daraus früher oder später in
vielfacher Rücksicht nothwendig emporwachsenden Übelstände brauche ich wohl
nicht weiter zu erörtern, da sie zu sehr in die Augen springen, als daß sie
übersehen oder zu gering angeschlagen werden könnten. Euer Gnaden haben sie
auch Seiner Excellenz dem Herrn
Unterrichtsminister zum Theile schon dargelegt: die möglichen
traurigen Folgen solcher Verhältnisse und bezüglich einer Bitte um Abhilfe
ein geneigtes Ohr gefunden; ich fürchte jedoch sehr, das Heilmittel dürfte
nur palliativ oder ganz werthlos seyn. Ich gestehe es nämlich offen, daß ich
es für eine halbe und völlig verfehlte Maßregel halte, die der guten Sache
aufs Neue eine tiefe Wunde schlägt, wenn Euer Gnaden oder jeder der
Stiftsvorstände an der von seinen Capitularen besetzten Lehranstalt, etwa
durch irgendein schmeichelhaftes Decret, die Direktion wieder überkommen und
so nur der Zustand vor 1848, aber nicht der vor 1770 hergestellt wird. In
Frankreich wurden seit dem Gesetze vom 18. März 1850
bereits mehr als 150 freie Collegien durch den opferfreudigen Sinn der
Katholiken gegründet. Österreich dürfte
aber nicht einmal Opfer bringen, es dürfte nur seine Klosterschulen
freisprechen und entfesseln unter Zuerkennung der Rechte öffentlicher
Anstalten. Wenn die Regierungen von Frankreich und
Belgien von jenen freien Collegien nichts fürchten,
ja vielmehr mit Freude als eine ihrer Früchte das Wiederaufleben des
religiösen Sinns sehen, sollte Österreich, das altcatholische, sich dagegen sträuben freie
kirchliche Unterrichtsanstalten zu besitzen und etwa ihm allein Gefahr
drohen, wenn es deren Zeugnissen die Rechte öffentlicher Geltung zuerkennt?
Nur allein die Kirche darf in solchen Schulen organisiren und leiten, –
sonst haben sie keinen Werth –, jede Laienschule leistet dasselbe. Es mag
freilich noch gegenwärtig zum Theile an Männern fehlen, welche diese Idee
auffaßen wollen; doch es werde nur einmal das mit der Freiheit der Kirche
innig zusammenhängende Prinzip der Freiheit der Klosterschulen
ausgesprochen, man hemme aber andrerseits die organische Entwickelung des
Ordenslebens ebenso wenig, als man durch rasches Eingreifen dasselbe etwa
augenblicklich ins Daseyn rufen möchte, so darf man sich der sicheren
Hoffnung hingeben, daß, früher als man erwartet, die Kirche auch hier ihre
ewig junge Triebkraft äußern werde.
Der Irrweg, den ich hauptsächlich im
„Entwurfe“ bezeichnen wollte, ist somit das Festhalten aller, also auch der Klosterschulen unter der normirenden und
leitenden Hand des Staates vermöge des Grundsatzes, er allein müsse für Bildung sorgen. Noch weitere Erörterungen
beizufügen finde ich mich schon darum nicht berufen, weil ich kein Schulmann
bin, der den Organisationsentwurf zu zergliedern sich unterstehen dürfte.
Nur möchte ich aufmerksam machen, wie tiefgebildete Männer über sein
Vorbild, den preußischen Studienplan, aus Anschauung über seine Früchte
urtheilen – ich erinnere hier nur an die Rede des Abgeordneten Reichensperger in der preußischen
Kammer (Vide: Zugabe zur deutschen Volkshalle 1852, Nr. 93) – daß man
Professoren von gereifter Erfahrung offen erklären hört, es gränze ans
Unglaubliche, wie weit die Schüler in den classischen Sprachen zurückkämen,
es werde ihnen das Studium der Theologie sehr schwer fallen, ja sie würden
Mühe haben einmahl ihr Meßformular zu verstehen – was gewinnt somit auch
hier die Kirche? – daß durch das System der Fachprofessoren das erziehende Element fast ganz verdrängt worden sei usw.
Mir kommt auch nicht das Recht zu, die vielfältig laut gewordenen Klagen
über Berufung protestantischer Professoren oder unchristlicher Philosophen,
z. B. Herbartianer, auf Lehrkanzeln des catholischen
Österreichs zu wiederholen um soviel
weniger, als von der anerkannt kirchlichen Gesinnung Seiner Excellenz des Herrn
Unterrichtsministers vorauszusetzen ist, daß nur der Drang
der Umstände daran die Schuld trage und da der Kirche dafür durch so viele
anderweitige treffliche Maßregeln zum Theile wieder Ersatz geworden ist;
aber gedrungen fühle ich mich es hervorzuheben, daß Seine Excellenz eben nur eine
Persönlichkeit sei, die früher oder später eine andere ersetzen wird, gewiß
nicht mehr mit denselben ausgezeichneten, der Kirche so viele Garantien
biethenden Eigenschaften. Was wird aber dann aus den Klosterschulen werden,
wie werden die Ordensvorstände sich rathen und helfen können, wenn einmal
die Decrete ein ganz anderer Geist durchweht als gegenwärtig?! Unzweifelhaft
würde sich Seine Excellenz der Herr
Unterrichtsminister das größte Verdienst für Mit- und
Nachwelt dadurch erwerben, wenn durch seine Mitwirkung die Kirche freie
Schulen bekäme, weil durch gar nichts anderes nachhaltiger für die religiöse
Neugestaltung Österreichs gesorgt
würde. Andrerseits haben aber auch alle kirchlichen Vorstände, die
Hochwürdigsten Herrn Bischöfe und Äbte, eine in ihren Folgen gar nicht zu
ermessende Verantwortung, wenn sie ihre Pflicht verabsäumen und ohne alle
Gegenvorstellungen den seit der anrüchigen Aufklärungsperiode bestehenden
Zustand der Klosterschulen ruhig bei Seite liegen ließen.
Diese seine
innige Überzeugung glaubte mit priesterlichen Freimuthe niederschreiben zu
müssen
Euer Hochwürden und Gnaden
treugehorsamer Sohn
P. Theodorich Hagn
Novizenmeister und
Archivar
Kremsmünster, am 15. April 1852