Mit diesem Ministerialerlass wird die neue juridische Prüfungsordnung an
den Universitäten in Wien, Innsbruck, Prag, Pest, Krakau, Lemberg,
Olmütz und Graz ab dem Studienjahre 1854/55 bekannt gemacht. Demzufolge
wird das Fach Rechtsphilosophie von den Prüfungsfächern der
theoretischen Staatsprüfungen ausgesondert. Die deutsche Reichs- und
Rechtsgeschichte wird für alle Studenten als Prüfungsgegenstand
festgeschrieben. Das Kanonische Recht wird nicht mehr als Bestandteil
der administrativen österreichischen Gesetzgebung, sondern seiner
historischen und juridischen Bedeutung nach geprüft. Diejenigen
Studenten, die sich weiterhin der Rechtsphilosophie widmen wollen,
sollen philosophische Vorlesungen, insbesondere jene über
Moralphilosophie und Geschichte der Philosophie, besuchen. Das rechts-
und staatswissenschaftliche Professorenkollegium ist dafür
verantwortlich, dass die Änderungen den Studenten bekannt gemacht und
die einzelnen Fächer ausreichend gelehrt werden.
In dem beigelegten
Entwurf für einen Zeitungskommentar von Leo Thun wird der Erlass freudig
zur Kenntnis genommen. Besonders positiv hervorgehoben wird dabei, dass
das Naturrecht durch die historische Methode abgelöst wurde. Gleichsam
erfreut äußert sich Thun in dem Entwurf über den Aufschwung der
Rechtsstudien in Österreich im Allgemeinen. Die genauere Regelung der
Prüfungsfächer für die Staatsprüfungen wird dabei als notwendige
Ergänzung der bisherigen Reformschritte bezeichnet.
Beilage: Eigenhändiges Konzept von Leo Thun für einen Zeitungskommentar.
Teilweise abgedruckt in: RGBl 237/1854.
Die Beilage ist, geringfügig verändert, unter
anderem abgedruckt in: Siebenbürger Bote vom 30. September 1854, S. 778; oder in Deutsche Allgemeine Zeitung vom 30. September 1854, S. 1928.
Copia
1033/CUM
Ministerialerlaß an die rechts- und staatswissenschaftlichen Professorenkollegien zu Wien, Innsbruck, Prag, Pesth, Krakau, Lemberg, Olmütz und Gratz
In Folge Allerhöchster Entschließung vom 8. September 1854 hat vom Studienjahre
1854/55 angefangen die Rechtsphilosophie aus den Gegenständen der theoretischen
Staatsprüfungen zu entfallen. Zugleich haben Seine k.k. Apostolische Majestät
mit derselben Allerhöchsten Entschließung mich allergnädigst zu ermächtigen
geruht, in Gewärtigung näherer Bestimmung über die Einrichtung der rechts- und
staatswissenschaftlichen Studien vorläufig Folgendes kundzumachen:
a. Das
römische Recht, welches, wie sich von selbst versteht, nach wie vor einen
Gegenstand der strengen Doctoratsprüfungen zu bilden hat, wird auch für
Kandidaten des Staatsdienstes, welche nicht schon bis Ende des Jahres 1854/55
mindestens zwei theoretische Staatsprüfungen bestanden haben, wenigstens vom
Studienjahre 1856/57 an, Prüfungsgegenstand sein;
b. die deutsche Reichs-
und Rechtsgeschichte wird wenigstens für diejenigen Kandidaten des
Staatsdienstes und des juridischen Doctorates, welche gegenwärtig noch nicht
mehr als ein Jahr an einer österreichischen rechts- und staatswissenschaftlichen
Fakultät studirt haben, in dem Maaße Prüfungsgegenstand werden, als ihnen
Gelegenheit, diesem Studium sich zu widmen, gebothen ist oder gebothen werden
wird.
c. Das kanonische Recht wird künftig nicht als Bestandtheil der
administrativen österreichischen Gesetzgebung, sondern nach seiner historischen
und juridischen Bedeutung geprüft, auf die Staatsgesetze in
publico-ecclesiasticis aber bei Prüfung der österreichischen Verfassungs- und
Verwaltungsgesetzkunde Rücksicht genommen werden.
Das rechts- und
staatswissenschaftliche Professorenkollegium wird beauftragt, diese Bestimmungen
durch Anschlag am schwarzen Brette und am Tage der Eröffnung der Vorlesungen in
den Hörsälen in geeigneter Weise kundzumachen, und zwar mit dem Beisatze, daß,
indem die Rechtsphilosophie in Folge obiger Allerhöchster Entschließung aufhört
Gegenstand der theoretischen Staatsprüfung zu sein, deren wissenschaftliche
Pflege darum nicht minder wünschenswerth sei, daß aber denjenigen, die Neigung
und Beruf zu ernsten philosophischen Studien haben, empfohlen werde, sich dem
Studium der Rechtsphilosophie dann zu widmen, wenn sie sich dafür durch den
Besuch von Kollegien über andere philosophische Doctrinen, insbesondere
Moralphilosophie und Geschichte der Philosophie vorgebildet, und nachdem sie
auch bereits eine positive Grundlage der Rechtsanschauung gewonnen haben, und
daß ferner denjenigen Studierenden, welche erst in die rechts- und
staatswissenschaftlichen Fakultätsstudien eintreten, empfohlen werde, diese
Studien mit den vorgeschriebenen geschichtlichen Kollegien (für Prag, Pesth, Krakau,
Lemberg, Olmütz und Gratz) und dem römischen Rechte (für
Wien und Innsbruck), dem römischen Rechte und
der deutschen Reichs- und Rechtsgeschichte (für alle) zu beginnen. Dem rechts-
und staatswissenschaftlichen Professorenkollegium beziehungsweise den
betreffenden Docenten wird ferner bedeutet:
a. Es ist darauf zu sehen, daß
das römische Recht fortan in solcher Ausdehnung und Anordnung vorgetragen werde,
wie es ein gründlicher Unterricht erfordert, wozu, wie sich von selbst versteht,
ein Semestralkollegium nicht ausreichen kann,
b. Indem sorgfältig darauf
Bedacht zu nehmen sein wird, daß das kanonische Recht als solches in den
Vorträgen zu seiner wissenschaftlichen Geltung gebracht werde, ist darum der
betreffende Professor doch nicht weniger berufen, die österreichischen
Staatsgesetze in publico-ecclesiasticis auch zu berücksichtigen und an den
passenden Orten seine Zuhörer damit bekannt zu machen.
c. Diese Andeutungen
sind sowohl bei den einleitenden encyklopädischen und hodegetischen Vorträgen
als auch sonst von den Docenten in ihrem persönlichen Verkehre mit den
Studierenden wohl zu beherzigen und insbesondere in dem Falle zur Richtschnur zu
nehmen, wenn sie von diesen um ihren Rath in Auswahl ihrer Kollegien angegangen
werden.
d. Es ist dafür zu sorgen, daß die Kollegien, welche nach obigem
den neu eintretenden Studierenden anzuempfehlen sind, von ihnen schon im
Wintersemester 1854/55 gehört werden können und daher die Lektionsordnung, falls
zwischen den empfohlenen Kollegien eine Stundencollision obwalten sollte,
rechtzeitig umgestaltet werde.
Zu den Änderungen der Lektionsordnung, welche
durch die letzterwähnte Andeutung nothwendig oder welche dadurch veranlaßt
werden sollten, daß (für Wien,
Innsbruck, Prag, Pesth und Krakau)
einer oder der andere der Dozenten (für Lemberg, Olmütz und
Gratz) der Professor des
römischen oder Kirchenrechtes durch diesen Erlaß sich bestimmt fühlen sollte,
seinem Kollegium eine größere Ausdehnung zu geben oder es sonst
zweckentsprechend zu modificiren, ertheile ich dem rechts- und
staatswissenschaftlichen Professorenkollegium hiemit die Ermächtigung.
Wien,
am 13. September 1854
Das Ministerium für Cultus und Unterricht hat, wie wir vernehmen, in diesen Tagen die nachfolgende Verordnung an die rechts- und staatswissenschaftliche Fakultät der Wiener und im Wesentlichen übereinstimmend an diese Fakultäten der Universitäten zu Inspruck [Innsbruck], Gratz [Graz], Pesth, Lemberg, Krakau, Olmütz und Prag erlassen.
Wir freuen uns hieraus zu ersehen, daß entschiedene Maßregeln ergriffen
werden und noch weitere bevorstehen, um den allgemeinen wissenschaftlichen,
historischen Grundlagen des Rechtsstudiums wieder jene Geltung in Österreich
zu verschaffen, welche sie seit der Einführung des Studienplanes vom Jahre
1810 verloren hatten. Jener Plan glaubte im Geiste der damals herrschenden
Ideen die Rechtsstudien einerseits auf das „Naturrecht“ gründen und
andererseits auf die Exegese der einheimischen Gesetzgebung beschränken zu
sollen. Inzwischen hat die Erfahrung gelehrt, daß die rationalistische
Auffassung des Rechtes zu sehr bedenklichen Resultaten führt und daß kein
Partikullarrecht ohne wissenschaftliche Einsicht in seinen Zusammenhang mit
den Rechtssystemen, aus denen es hervorgewachsen und mit denen es verwandt
ist, gründlich verstanden und fortgebildet werden kann. Die freiere
Gestaltung, welche die Universitätsstudien in den letzten Jahren erhalten
haben, hat den Lehrern wie den Schülern zwar die Möglichkeit gebothen, aus
den engen Schranken des früheren Studienplanes herauszutreten und die
Regierung in die Lage versetzt, die Lehrkräfte zu vermehren. Dadurch ist ein
Umschwung auch auf dem Gebiethe der juridischen Studien vorbereitet worden,
dessen hoffnungsvolle Anzeichen auch hie und da beobachtet werden
können.
Allein, was seit Jahrzehnten vorgeschrieben und allgemeine Übung
gewesen war, hatte, als im Jahre 1849 Staatsprüfungen für die Kandidaten des
Staatsdienstes eingeführt werden mußten, auch noch auf die Gruppirung der
Gegenstände wesentlichen Einfluß geübt und die große Menge derjenigen, die
die juridischen Hörsäle unserer Universitäten füllen, wurden durch diesen
Umstand und durch die Macht der Tradition auf dem hergebrachten Wege
fortgedrängt. Deshalb sind, um jenen Umschwung in heilsamen Wege zu fördern,
direkte Maßregeln der Regierung und zunächst Änderungen in der Einrichtung
der Staatsprüfungen ein allgemein anerkanntes Bedürfnis geworden und es kann
nur erwünscht sein, daß den Studierenden im Vorhinein angekündigt wird, in
welcher Richtung diese Änderungen erfolgen werden, damit sie in der Lage
seien, ihre Studien darnach einzurichten.