Der Philologe Bernhard Jülg informiert Leo Thun über die Situation an der Universität Krakau. Zunächst teilt er Thun mit, dass er kein Urteil über Sigmund Sawczynskis Eignung für philologische Studien abgeben könne, da er diesen nur flüchtig kenne. Er könne nur wiederholen, was er von anderen gehört habe, nämlich dass Sawczynski ein strebsamer und talentierter junger Mann sei. Außerdem konnte er in Erfahrung bringen, dass Sawczynski umfangreiche Sprachstudien absolviert habe. In der Folge berichtet Jülg von seiner Lehrtätigkeit in Krakau. Er betont dabei, dass erst die jüngste Generation an Studenten, welche aus den bereits reformierten Gymnasien hervorgegangen ist, für das Studium der klassischen Philologie wirklich gewappnet sei. Daher musste er bisher viel grundlegendes Wissen vermitteln und großes Augenmerk auf die grammatikalischen Kenntnisse legen. Er kann deshalb auch nur wenige sprachwissenschaftliche Kollegien anbieten. Er erwähnt außerdem einige Studenten, die für das Lehramt talentiert erscheinen. Aus Jülgs Sicht wird es allerdings noch einige Zeit dauern, bis sich das Seminar in Krakau mit vergleichbaren Seminaren in Deutschland wird messen können. Ein wesentlicher Grund hierfür ist auch der schlechte Zustand der Universitätsbibliothek in Krakau. Durch das Fehlen von grundlegender Literatur und Spezialwerken wird sogar er selbst in seiner wissenschaftlichen Arbeit beschränkt. Zuletzt erwähnt er, dass er mit einem Lemberger Kollegen Schmidt eine naturhistorisch-etymologische Studie zu Tiernamen plane. Gleichzeitig empfiehlt er den Kollegen für den vakanten Lehrstuhl der Zoologie an der Universität Krakau.
Hochgeborner Herr Graf!
Hochgebietender Herr Minister!
Auf die geehrte Anfrage Eurer Excellenz in Betreff Sawczynski’s säume ich nicht,
Hochdenselben gehorsamst zu erwiedern, daß derselbe mit mir in keine Berührung
getreten ist und ich ihn nur von flüchtigem Sehen kenne. Dagegen habe ich oft
und von verschiedenen Seiten gehört, z.B. vom Director des Gymnasiums, vom
Schulrath Czerkawski, und andern
competenten Stimmen, daß er ein ausgezeichneter Kopf, ein strebsamer junger
Mann, ein trefflicher Lehrer der Geschichte sei. Sprachvergleichende Studien im
weiteren Sinne hat er bisher aber jedenfalls nicht gemacht; daß er aber mit
Polnisch, Ruthenisch innig vertraut sei, Kirchenslawisch von Haus aus gelernt
habe, Böhmisch theoretisch verstehe, das habe ich nach genauer Erkundigung als
ganz zuverlässig erfahren. Daß er sich zu einem Collegium über Sanskrit bei mir
gemeldet, dasselbe aber wegen zu geringer Zahl von Theilnehmern nicht zu Stande
gekommen sei, ist insofern nicht ganz richtig, als ich überhaupt in Krakau nie ein Collegium über Sanskrit
angekündigt habe; wie Euer Excellenz aus den hiesigen Lectionsverzeichnissen
ersehen, von einem Nichtzustandekommen also auch keine Rede sein kann. Es mag
sich dies darauf reduciren, daß er wahrscheinlich eine solche Vorlesung von mir
besucht haben würde, wenn ich Zeit gefunden hätte, sie zu halten, wie ich denn
mehrfach zu einer solchen mit Aussicht auf zahlreiche Theilnahme aufgefordert
wurde, ich konnte aber leider, zu sehr mit der classischen Philologie
beschäftigt, bisher nicht daran denken. Ich kann also ein positives Urtheil über
Sawczynski’s Befähigung zu linguistischen Studien nicht abgeben, zweifle aber
nicht, daß er bei seinem Talente und bei der tüchtigen Grundlage im Slawischen,
wenn er sich etwas mit allgemeiner Sprachwissenschaft bekannt macht, auf diesem
Gebiete Etwas zu leisten im Stande ist.
Mit den philologischen Studien
hierselbst wird es nur nach und nach gehen, bis die Studirenden vollständig der
neuen Generation angehören. Die Leute von früher können sich nicht zurecht
finden, selbst Supplenten des Gymnasiums besuchen die Vorlesungen nur spärlich.
Dagegen kommt nach und nach der jüngere Nachwuchs, der zusehends sich bessert.
Wirkliche Philologen habe ich in der Regel bisher 6 bis 8 gehabt, deren
Studienzeit aber erst zwei Jahre dauert, die ältern sind meist verschwunden.
Zwei der trefflichsten Zuhörer, die viel versprachen, sind seit lange krank, ich
weiß nicht, ob sie zu einem Examen gelangen werden, der eine davon hat seit
diesem Curs wieder einen frischen Anlauf genommen, doch ist seine Gesundheit
sehr problematisch. Ein ausgezeichneter Mensch ist der Supplent Fuk am hiesigen Gymnasium, der gewiß ein
trefflicher Philologe werden wird; er unterzieht sich noch im Verlauf des
Semesters der Prüfung in Wien, er fertigt
gegenwärtig seine Prüfungsarbeiten. Nächst ihm beendet mit dem Herbst Niziol
sein Triennium, gerade kein Talent, doch gewiß dereinst ein fleißiger Lehrer,
nur ist ihm das Deutsche schwer, seine Unterrichtssprache wird mit Erfolg nur
die polnische sein können. Zwei andre junge Studirende sind erst ein,
beziehungsweise ein halbes Jahr hier. Außer diesen besuchen noch manche die
Vorlesungen, ohne Philologie zu studiren. Es geht langsam, aber aller Anfang ist
eben schwer. Von Jahr zu Jahr wird es besser werden. Ich muß noch immer mein
Hauptaugenmerk auf grammatisches Wissen richten, wozu das philologische Seminar
Gelegenheit genug bietet. Es wird schon noch einige Zeit vergehen müssen, bis
ich dasselbe auf die Höhe der philologischen Seminarien in Deutschland bringen kann, bis größere
wissenschaftliche Arbeiten und Forschungen unternommen werden können. Doch ist
dabei auch ein Haupthindernis der Büchermangel. Die Universitätsbibliothek ist
in den zwei letzten Decennien, weil kein Mensch sich darum kümmerte, in der
Philologie fast ganz vernachlässigt. Die Bedürfnisse zur Vorbereitung eines
Gymnasiallehrers sind durch die durch Ersparnisse an Seminarstipendien
ermöglichte Anlegung einer Seminarbibliothek noch nicht einmal gedeckt, die
Studirenden haben kaum zu ihrer Vorbereitung das Nothdürftigste, an Behelf zu
größern philologischen Arbeiten fehlt es aber völlig. Das trifft mich nicht
minder. Ich bin zu einer größern Arbeit völlig außer Stande, schon oft war Etwas
begonnen, aber aus Mangel an Hilfsmitteln mußte es wieder aufgegeben werden. Ein
weiterer Übelstand für unsere Studirenden ist ihre Armuth, die sie nöthigt einen
großen Theil ihrer Zeit dem Privatunterricht zur Beschaffung ihres Unterhaltes
zu widmen. So wird den Studien viele kostbare Zeit entzogen, allein dem läßt
sich nicht begegnen. Doch soll mich das nicht abschrecken; ich hoffe, daß in ein
bis zwei Jahren jährlich ein und der andere Lehrer aus dem hiesigen Seminar
hervorgehen wird.
Was meine Vorlesungen selbst betrifft, so mußte ich sie
auf classische Philologie beschränken, als alleiniger Vertreter derselben; und
da kann ich in einem dreijährigen Cyclus fast kaum zu Stande kommen. Nur ein Mal
habe ich ein sprachwissenschaftliches Collegium gelesen. Das Nothwendigste über
Sprachvergleichung für Philologen habe ich in andere Vorlesungen bei passender
Gelegenheit einfließen lassen. In grammatischen Dingen ist gegenwärtig Sanskrit
freilich fast unentbehrlich, aber die Zeit reicht mir nicht aus.
Größere
Arbeiten auf dem classischen Gebiete sind bei den hiesigen Hilfsmitteln, wie ich
schon erwähnte, unmöglich. Eine frühere Arbeit habe ich wieder aufgenommen,
nämlich das Kalmükische, seit die k.k. Hof- und Staatsdruckerei Typen dafür hat
gießen lassen, ich hoffe, in der nächsten Zeit irgend ein kalmükisches
Literaturwerk drucken lassen zu können. Es ist noch Nichts gedruckt und ich habe
eine ziemliche Anzahl Manuscripte beisammen. Eine andere weitschichtige Arbeit
habe ich mit Prof. Schmidt
in Lemberg noch zur Zeit meines
dortigen Aufenthaltes begonnen, eine naturhistorisch-etymologische Analyse der
Thiernamen in den indoeuropäischen Sprachen; leider sind wir jetzt nur auf den
schriftlichen Austausch unserer Forschungen angewiesen, was ungemein hemmend und
zeitraubend ist. Ich wage es bei dieser Gelegenheit Eurer Excellenz die
ehrfurchtsvollste Anfrage zu unterbreiten, ob es nicht möglich wäre, da die
Lehrkanzel der Zoologie hier noch unbesetzt ist, Schmidt hierher zu berufen.
Soweit ich ihn und die hiesigen Verhältnisse kenne, würde er ganz besonders für
hier passen, und dadurch wäre uns die beste Muße und Gelegenheit zur Vollendung
unserer so nur Stückwerk bleibenden Arbeit gegeben. Eine Versetzung hierher wäre
ihm freilich, weil er schon so oft zog, unangenehm, wie ich weiß; aber dem
Befehle Eurer Excellenz Folge leistend würde er mit Freuden diese
Lieblingsarbeit wieder aufnehmen. Ich muß aber Euer Excellenz wegen dieser
unbescheidenen Anfrage sehr um Verzeihung bitten, doch glaubte ich sie im
Interesse der Wissenschaft nicht zurückhalten zu sollen.
Indem ich glaube,
durch Vorstehendes dem Wunsche Eurer Excellenz entsprochen zu haben, erlaube ich
mir hier wiederholt den Ausdruck des innigsten Dankes und der tiefsten Verehrung
beizufügen, die mein Herz für Hochdieselben so laut fühlt; Euer Excellenz haben
meine Stellung mir geschaffen, ich werde Zeitlebens Ihren Namen segnen. Doch
sind Worte nur ein schwacher Ausdruck für Gefühle, möchten diese ihren schwachen
Wiederhall finden in den Worten des Dichters:
Semper honos nomenque Tuum laudesque manebunt.
Mit der Bitte um die
Gewogenheit Eurer Excellenz auch für die Zukunft verharre ich in dem Gefühle der
wahrsten und innerlichsten Verehrung
Hochderselben stets dankbarster
B. Jülg
Krakau 8. Januar 1855