Der klassische Philologe Bernhard Jülg berichtet Leo Thun von seiner Tätigkeit an der Universität Lemberg sowie über die allgemeine Situation an der dortigen Universität. Zunächst muss er mit Bedauern berichten, dass er nur sehr wenige Studenten in seinen Kursen habe, und diese zudem nur geringe Vorkenntnisse in Latein und Griechisch besäßen. Dieses Problem könnte durch die Einrichtung eines philologischen Seminars behoben werden. Jülg erteilt dann einige Ratschläge, wie man die beiden in Lemberg lehrenden Professoren der Philologie – ihn und Wilhelm Kergel – besser auslasten könnte: Jülg kann sich etwa vorstellen, speziell für die Studenten der Theologie bzw. für jene der Rechtswissenschaften eine Vorlesung anzubieten. Außerdem könnte er allgemeine Kurse über Sprachentwicklung und Sprachwissenschaft abhalten, zudem bietet er an, einen Kurs über Sanskrit zu geben. Schließlich kommt er auch auf den schlechten Zustand der Universitätsbibliothek zu sprechen. Aufgrund eines Brandes im Jahr 1848 wurde diese nämlich zu einem Großteil zerstört und bietet derzeit daher wenig brauchbare Literatur. Er bittet um Verbesserungen. Abschließend geht Jülg auf seine finanzielle Lage ein. Er hat nämlich erst bei seiner Ankunft in Österreich festgestellt, dass hier andere Gehaltsstufenregelungen gelten als in seiner Heimat Baden, was ihn in eine missliche finanzielle Situation gebracht hat. Sein Gehalt als außerordentlicher Professor reicht nämlich kaum, um die hohen Lebenserhaltungskosten in Lemberg zu decken. Jülg hofft, dass der Minister ihm in dieser Sache helfen könne.
Hochgeborner Herr Graf!
Hochgebietender Herr Minister!
Lange schon war es meine Absicht, Eurer Excellenz von meinem Wirken in meinem
Amte, das Hochdieselben mir gnädigst anvertraut haben, Rechenschaft abzulegen,
nur der Gedanke, mit dem Laufe der Zeit noch klarere Einsicht in die hiesigen
Verhältnisse zu gewinnen hat mich bisher davon zurückgehalten. Mögen Euer
Excellenz diese Zeilen, mit denen ich mich an Hochdieselben zu wenden wage,
huldvoll aufnehmen!
Vor allem bin ich Eurer Excellenz verpflichtet für die
Erleichterung der Arbeit, die mir durch die Ernennung eines Collegen, des Herrn
Professors Kergel, geworden ist.
So wird es mir möglich sein, mich nicht ausschließlich auf die klassische
Literatur zu beschränken, sondern auch Gegenstände allgemein
sprachwissenschaftlichen Inhalts wieder aufzunehmen. Dies war sicherlich wohl
auch die Absicht Eurer Excellenz, die Hochdieselben mir schon bei dem Empfange,
dem Sie mir bei meiner Durchreise in Wien
gewährten, anzudeuten die Güte hatten.
Der Sinn für philologische und
namentlich klassische Studien ist hier im Allgemeinen noch sehr gering. Außer
den Supplenten an den Lemberger Gymnasien
haben sich nur wenige eigentliche Studirende der Philologie für meine
Vorlesungen gemeldet. Für die Antigone haben sich im Ganzen nur 6 Zuhörer
gemeldet, und zwar 3 Supplenten, 1 Studirender der Philologie und 2 Dilettanten,
wie es scheint. Für eine tiefere Auffassung des Alterthums, für den Geist, die
Größe und Schönheit desselben haben die Leute noch keinen Sinn, noch keine
Ahnung davon. Ich habe sie nur schwer überzeugen können, daß z. B. auch römische
Staatsalterthümer, worüber ich eine Vorlesung angekündigt hatte, zum Studium der
Philologie gehören, so ist es auch gekommen, daß sich für diese Vorlesung nur
zwei eigentliche Philologen inscribirt haben; in Anbetracht dagegen, daß das
Hohe
Ministerium dieses Collegium als ein geschichtliches zählte, haben
sich manche Hörer der juristischen Facultät eingezeichnet, welche die Sache mit
Ernst betreiben. Auf diese Weise habe ich für die römischen Alterthümer doch 13
Zuhörer. Die Vorkenntnisse im Lateinischen und Griechischen sind noch äußerst
gering; die Errichtung des philologischen Seminars, dessen Beginn mit dem
nächsten Semester schon von größter Wichtigkeit wäre, wird vielen dieser Mängel
abhelfen, bei der Aussicht auf pecuniären Vortheil werden manche sich zu dem
Studium der Philologie entschließen, die es sonst nicht thun würden. Und es läßt
sich dann auch weit leichter auf die Bildung der jungen Leute einwirken, und so
ein schönes Gebäude der klassischen Alterthumswissenschaft aufrichten. Indeß,
aus der geringen Zahl der Philologiestudirenden zu schließen, sollte ich kaum
glauben, so wie ich die Verhältnisse jetzt kenne, daß zwei Lehrer der
klassischen Philologie vollauf Beschäftigung haben werden. So wie mir der Sinn
der Studirenden erscheint, werden sie natürlich nur das hören, was ihnen stricte
vorgeschrieben ist, und sich meist an die Vorlesungen dessen halten, von dem sie
bei der Prüfungscommission examinirt zu werden glauben. Dies dürfte sich
vielleicht schon im nächsten Semester herausstellen.
Mir würde es deshalb
nicht unzweckmäßig erscheinen, wenn ich, außer der Zahl der Vorlesungen, zu
denen ich gesetzlich verpflichtet bin, aus dem Gebiete der klassischen Literatur
für künftige Gymnasiallehrer, noch solche Gegenstände aus der reichen Fülle der
Alterthumswissenschaft auswählte, die ein allgemeineres Interesse hätten und
speciell für die hiesige Universität passen möchten. Da glaube ich, daß
vielleicht bei der großen Anzahl junger Theologen an hiesiger Facultät, ein oder
das andere Collegium über einen Kirchenschriftsteller, die Erklärung des
Tertullianus z. B., oder Cyprianus, Origines usw. nicht ungeeignet sein dürfte.
Da die juristische Facultät die meisten Hörer zählt, so sollte ich denken, daß
eine römische Staats- und Rechtsgeschichte oder die Erklärung eines
Quellenschriftstellers, etwa Gajus oder Ulpianus oder einzelner Partien der
Pandekten Anklang finden würde. Ich wäre deshalb, vorausgesetzt, daß sich dafür
eine besondere Theilnahme zeigt, gar nicht abgeneigt, für das nächste Semester,
wenn es die Billigung und Genehmigung Eurer Excellenz erlangt, eine Vorlesung
und Erklärung der Institutionen des Gajus anzukündigen, mit kurzer
vorausgeschickter Rechtsgeschichte in Beziehung auf die Rechtsquellen.
Um
einen Anhaltspunkt zur Fortsetzung meiner früheren linguistischen Studien zu
haben, suchte ich in gegenwärtigem Semester eine allgemeine ethnographische
Übersicht der Hauptsprachstämme zu geben. Dies hat, wie es scheint, Beifall
gefunden; es haben sich ziemlich viele Hörer gemeldet. Euer Excellenz sprachen
bei meiner Anwesenheit in Wien Ihre Billigung
aus, wenn wenigstens der Versuch zum Sanskrit hier gemacht würde. Da einmal
durch die Errichtung des philologischen Seminars, dann durch die Vorlesungen des
Professors Kergel sowie durch fünf
wöchentliche Vorlesungen über klassische Literatur von meiner Seite für die
Lehramtscandidaten hinreichend gesorgt ist, indem sie schwerlich diese
sämmtlichen Vorlesungen hören werden, so könnte ich wohl noch einige Stunden für
Sanskrit aufwenden, vielleicht dürfte die Vergleichung desselben mit dem
Slawischen willkommen sein. Auf diese Weise wäre auch meiner eigenen Neigung
gedient; es würde mir schwer fallen, eine Wahl zu treffen zwischen der
klassischen Literatur und der Linguistik überhaupt; ich möchte mich für keines
allein entscheiden, ich bin vielmehr für beide entschieden, und kann der Ort
meiner Thätigkeit ein Vorwiegen des einen oder des andern bedingen. Da aber auf
die bezeichnete Weise vor der Hand wenigstens für die Bildung künftiger
Gymnasiallehrer mehr als hinreichend, wie ich die Sachlage kenne, gesorgt sein
dürfte, so könnte ich auch den sprachwissenschaftlichen Studien jetzt wenigstens
einige Zeit widmen. Und so möchte ich zunächst für das kommende Semester einen
Cursus über Sanskritgrammatik versuchen, wenn es den Ansichten Euer Excellenz
entspräche.
Leider ist die hiesige Bibliothek durch den Brand im Jahre 1848
so sehr vernichtet worden, daß sie zur Unternehmung einer literarischen Arbeit
fast nichts bietet, ja nicht einmal noch das Nothwendigste sich wieder
anschaffen konnte für klassische Literatur: für Linguistik und Orientalia ist
gar nichts da. Somit ist die literarische Thätigkeit ungemein erschwert; ich bin
ganz auf meine eigene Büchersammlung beschränkt. Wie ganz anders, wenn das
Studium den Rückhalt einer Bibliothek hat! Größere linguistische Arbeiten zu
unternehmen, wofür ich so manches vorbereitet hatte, ist mir jetzt wenigstens
unmöglich.
Nachdem ich Eurer Excellenz in Kürze die Verhältnisse der
Studien, wie sie mir, dem Fremden, sich darstellten, vorgelegt habe, erlaube ich
mir noch über meine persönlichen Verhältnisse zu sprechen. Die Theilnahme, die
Euer Excellenz mir geschenkt haben, und das Vertrauen, mit welchem Hochdieselben
mich durch Berufung in meine gegenwärtige Stellung beehrten, läßt es mich wagen,
auch diese Worte an Eure Excellenz zu richten, zumal ich, mit den Verhältnissen
meines neuen Vaterlandes zu wenig noch bekannt, einzig und allein in der Huld
und Gewogenheit Eurer Excellenz einen Hort finden kann. Was nun meine
gegenwärtige Stellung betrifft, so bin ich mit einiger Bange für die Zukunft
dadurch erfüllt worden, daß ich erst jetzt, auf die Staatsdienerverhältnisse
aufmerksam, eine gänzliche Verschiedenheit derselben von denen meiner Heimath
gewahr werde, indem hier eine Vorrückung in Gehaltsstufen stattfindet nach einer
bestimmten Reihe von Jahren, und das aber erst mit der ordentlichen Professur.
Dieser Unterschied eines außerordentlichen und ordentlichen Professors war mir
bis vor Kurzem ganz fremd; ich setzte die Lage der Staatsdiener der meiner
frühern Heimath gleich voraus, wo ein solches Verhältnis nicht besteht und
ebenso wenig die höhern oder niedern Gehalte an verschiedenen Universitäten. Als
ich von Eurer Excellenz zu meiner jetzigen Stelle berufen wurde, konnte ich ein
solches Verhältnis nicht ahnen und auch nirgends über den hiesigen
Dienstschematismus mich Raths erholen. Indem ich nun in meiner Heimath eine
gleiche Stellung mit demselben Gehalte, die mir nach der Berufung durch Eure
Excellenz angeboten wurde, billiger Weise ausschlagen mußte, eine Stellung, wo
Gehaltserhöhung nicht von Zeit und Ort abhängt und auch nicht blos an die
ordentliche Professur geknüpft ist, so hat mich die Wahrnehmung dieses
Verhältnisses in Oesterreich gewissermaßen besorgt gemacht.
Doch im Vertrauen auf die Huld und Gewogenheit Eurer Excellenz gebe ich mich der
freudigen Hoffnung hin, daß Hochdieselben dieses mein Verhältnis nicht allzu
lange möchten andauern lassen. Es würde für mich umso empfindlicher sein, als
fast der Transport meiner Bibliothek allein, die durch Vertretung der
klassischen Literatur und der Linguistik und der orientalischen Sprachen
ziemlich zahlreich ist, das Reisepauschale verzehrt hat, das Euer Excellenz
huldvollst mir gewährt haben, und ich durch den Mangel aller Hilfsmittel auf der
hiesigen Bibliothek außerdem zu zahlreichen Anschaffungen neuen Bedarfs
genöthigt bin, bei welch’ letztern die ungünstigen Valutaverhältnisse mich noch
einer namhaften Summe berauben. Außerdem sind die Preise der Lebensmittel und
der sonstigen Utensilien in Lemberg theurer als in
irgendeiner Stadt, in der ich gelebt.
Nur das unbedingte Vertrauen, das ich
zu Eurer Excellenz hege, und der Gedanke, daß ich in Hochdenselben als Fremdling
und mit den neuen Verhältnissen noch zu wenig vertraut, alles, Schutz und Hort,
erblicken muß, das Bewußtsein, daß ich im neuen Vaterlande nur durch Eure
Excellenz einen Stützpunkt habe, daß die Wissenschaft, die ich lehren soll, nur
unter Ihren Auspicien erstanden ist, hat mich wagen lassen, auch meine
persönliche Lage zu berühren. Ich habe in dem weiten Reiche noch niemand, an den
ich mich mit vollerem Vertrauen und hingebenderer Zuversicht wenden kann. Mögen
Eure Excellenz dieses mein Vertrauen nicht ungnädig aufnehmen!
Eine große
Beruhigung würde es mir gewähren, wenn die eben ausgesprochenen Ansichten über
die Vertheilung meiner Lehrkraft die Billigung Eurer Excellenz erhalten möchten,
und Hochdieselben mir Ihren Willen darüber kundzugeben die Gewogenheit haben
wollten. Indem ich Eurer Excellenz den tiefgefühltesten Dank ausspreche für das
Glück, mich in den k.k. Staaten zu wissen und unter Hochderselben Auspicien
wirken zu können, und um Ihre Gewogenheit und Huld für alle Zukunft bitte,
verharre ich mit den Gefühlen der tiefsten Verehrung
Eurer Excellenz
dankbarster Diener
Dr. Bernhard Jülg
Lemberg, 7. Januar 1852