Der klassische Philologe Bernhard Jülg äußert sich zur indirekten Anfrage, ob er sich an die Universität Lemberg versetzen lassen würde. Dem Vernehmen nach, sei der Grund für diese neuerliche Versetzung der schwelende Streit zwischen Wilhelm Kergel und dem Schulrat Eusebius Czerkawski in Lemberg. Kergel würde dann nach Krakau versetzt und Jülg wieder nach Lemberg beordert, da Jülg allem Anschein nach in einem guten Verhältnis zum Schulrat stehe. So könne man den Streit durch eine Personalrochade beheben. Jülg gesteht, dass er sich durch das Angebot zwar geschmeichelt fühle, er schlägt das Angebot jedoch aus, da er die Ursachen des Streits nicht bei Kergel, sondern im Charakter des Schulrats Czerkawski sieht. Der Streit würde daher über kurz oder lange auch dann wieder ausbrechen, wenn er statt Kergel in Lemberg wäre. Jülg betont außerdem, dass er sich in Krakau wohlfühle und unter seinen Kollegen viele Freunde gefunden habe. Zudem herrsche im Kollegium in Lemberg oftmals eine unangenehme Stimmung. Nicht zuletzt würden die neuerlichen Kosten für eine Übersiedlung seine finanzielle Situation wieder deutlich verschlechtern. Jülg bittet daher den Minister inständig, von einer Versetzung nach Lemberg abzusehen, weil dadurch weder für die Sache noch für ihn selbst etwas gewonnen wäre.
Hochgeborner Herr Graf!
Eure Excellenz haben mir durch den Herrn
Landespräsidenten den Wunsch zu erkennen gegeben, daß es
Hochderselben nicht unlieb wäre, wenn ich an die Lemberger Universität zurück möchte.
Wie der Herr Landespräsident sich
ausdrückte, so glaubten Euer Excellenz durch diese Versetzung den Zwistigkeiten
und Reibereien, die schon wiederholt zwischen Prof. Kergel und Schulrath Czerkawski statt hatten, indem ich zu Letzterem in bessern
Beziehungen stehen würde, vorbeugen zu können. So schmeichelhaft mir auch das
Vertrauen ist, das Euer Excellenz in dieser Beziehung auf meinen Charakter
setzen – und ich würde mich gewiß bestreben es vollkommen zu rechtfertigen – so
habe ich doch, wenn ich zu Hochderselben mit der innersten Aufrichtigkeit
sprechen darf, große Bedenken, daß der beabsichtigte Zweck hierdurch erreicht
würde. Nach meiner innersten Überzeugung ist an den gedachten Reibereien nicht
sowohl Prof. Kergel, als vielmehr
Czerkawski Schuld, und so wie
ich des Letzteren Charakter kenne – und glaube ihn ziemlich genau zu kennen –
würden sich dieselben Zwistigkeiten bald auch mir gegenüber erheben, so milde
und versöhnlich ich auch sein möchte. Somit dürfte durch meine Versetzung wenig
geholfen sein. Wenn ich dies Eurer Excellenz vom objectiven Standpunkte aus mit
voller Offenheit sage, so wage ich andererseits auch meine subjectiven Gründe
Hochderselben gehorsamst darzulegen, die mir ein Übelsiedeln nach Lemberg unerwünscht machen. Es würde
für mich ein betrübendes Gefühl sein, von hier, so nahe der Gränze der
Civilisation, wieder ostwärts wandern zu sollen, von hier, wo für meine Studien
schon manche Hilfsmittel angeschafft wurden, wo ich in größerer Nähe
ansehnlicher Bibliotheken bin, wo ich in lebendigerem Verkehr mit fremden und
einheimischen Gelehrten stehen kann. Außerdem fühle ich mich in Krakau glücklich und zufrieden, während
die Verhältnisse in Lemberg unter
den Collegen, als ich es verließ, äußerst unangenehm waren und ich froh war es
verlassen zu können; und seitdem haben sie sich dort noch eher verschlimmert.
Meine zweimalige Übersiedlung von Rastatt nach
Lemberg und von dort nach
Krakau hat für mich, namentlich wegen meiner
zahlreichen Bücher, empfindliche Verluste gehabt. In
Lemberg kaum eingerichtet mußte ich Alles
größtentheils mit Verlust verkaufen und hier wieder anschaffen. Kaum daß ich
mich allmählich zu erholen beginne, sollte ich mich von neuem in Verluste
stürzen. Um so empfindlicher würde die Übersiedlung mir noch fallen, als ich sie
mit den Kindern bewerkstelligen müßte. Auch darf ich hervorheben, daß ich in dem
theuren Krakau meine Lage dadurch materiell gebessert habe, daß ich die Leitung
der bis jetzt noch bestehenden Bursa der Studirenden übernommen und dadurch die
Wohlthat freien Quartiers genieße, wobei ich glaube im Interesse der studirenden
Jugend nicht ohne Erfolg zu wirken, wie es theilweise auch selbst das hohe
Ministerium in seinem Erlasse vom 23. October 1856 Z 15576 zu erkennen gegeben
hat. Ich würde in jedem Falle durch eine Übersetzung nach
Lemberg meine pecuniäre Lage bedeutend
verschlimmern.
Ich habe alle Gründe, die mich eine Versetzung nach
Lemberg nicht wünschen lassen, mit voller Offenheit
Eurer Excellenz dargelegt, weil ich zu Hochderselben jenes unbegränzte Vertrauen
habe, das mich mein ganzes Herz bloßzustellen und zu erschließen gebietet. Es
könnte mir also eine Versetzung dorthin unter den gegebenen Verhältnissen nur
unlieb sein, und, von diesen persönlichen Motiven abgesehen, glaube ich, daß
auch der dadurch zunächst angestrebte Zweck des Allgemeinen nicht, oder und
höchst unvollkommen erreicht würde. Deshalb wage ich es, wie ich auch bereits
dem Herrn Landespräsidenten geäußert
habe, Eure Excellenz ganz unterthänigst und aus tiefstem Herzensgrunde zu
bitten, von meiner Versetzung nach Lemberg gnädigst absehen zu wollen.
Wie immer und ewig
verharre ich mit den Gefühlen wahrer Verehrung und vertrauensvoller Ergebenheit
unwandelbar
Eurer Excellenz
dankbarster
B. Jülg
Krakau, am 22. April 1857