Bernhard Jülg an Leo Thun
Krakau, 22. April 1857
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Regest

Der klassische Philologe Bernhard Jülg äußert sich zur indirekten Anfrage, ob er sich an die Universität Lemberg versetzen lassen würde. Dem Vernehmen nach, sei der Grund für diese neuerliche Versetzung der schwelende Streit zwischen Wilhelm Kergel und dem Schulrat Eusebius Czerkawski in Lemberg. Kergel würde dann nach Krakau versetzt und Jülg wieder nach Lemberg beordert, da Jülg allem Anschein nach in einem guten Verhältnis zum Schulrat stehe. So könne man den Streit durch eine Personalrochade beheben. Jülg gesteht, dass er sich durch das Angebot zwar geschmeichelt fühle, er schlägt das Angebot jedoch aus, da er die Ursachen des Streits nicht bei Kergel, sondern im Charakter des Schulrats Czerkawski sieht. Der Streit würde daher über kurz oder lange auch dann wieder ausbrechen, wenn er statt Kergel in Lemberg wäre. Jülg betont außerdem, dass er sich in Krakau wohlfühle und unter seinen Kollegen viele Freunde gefunden habe. Zudem herrsche im Kollegium in Lemberg oftmals eine unangenehme Stimmung. Nicht zuletzt würden die neuerlichen Kosten für eine Übersiedlung seine finanzielle Situation wieder deutlich verschlechtern. Jülg bittet daher den Minister inständig, von einer Versetzung nach Lemberg abzusehen, weil dadurch weder für die Sache noch für ihn selbst etwas gewonnen wäre.

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Schlagworte

Edierter Text

Hochgeborner Herr Graf!

Eure Excellenz haben mir durch den Herrn Landespräsidenten den Wunsch zu erkennen gegeben, daß es Hochderselben nicht unlieb wäre, wenn ich an die Lemberger Universität zurück möchte. Wie der Herr Landespräsident sich ausdrückte, so glaubten Euer Excellenz durch diese Versetzung den Zwistigkeiten und Reibereien, die schon wiederholt zwischen Prof. Kergel und Schulrath Czerkawski statt hatten, indem ich zu Letzterem in bessern Beziehungen stehen würde, vorbeugen zu können. So schmeichelhaft mir auch das Vertrauen ist, das Euer Excellenz in dieser Beziehung auf meinen Charakter setzen – und ich würde mich gewiß bestreben es vollkommen zu rechtfertigen – so habe ich doch, wenn ich zu Hochderselben mit der innersten Aufrichtigkeit sprechen darf, große Bedenken, daß der beabsichtigte Zweck hierdurch erreicht würde. Nach meiner innersten Überzeugung ist an den gedachten Reibereien nicht sowohl Prof. Kergel, als vielmehr Czerkawski Schuld, und so wie ich des Letzteren Charakter kenne – und glaube ihn ziemlich genau zu kennen – würden sich dieselben Zwistigkeiten bald auch mir gegenüber erheben, so milde und versöhnlich ich auch sein möchte. Somit dürfte durch meine Versetzung wenig geholfen sein. Wenn ich dies Eurer Excellenz vom objectiven Standpunkte aus mit voller Offenheit sage, so wage ich andererseits auch meine subjectiven Gründe Hochderselben gehorsamst darzulegen, die mir ein Übelsiedeln nach Lemberg unerwünscht machen. Es würde für mich ein betrübendes Gefühl sein, von hier, so nahe der Gränze der Civilisation, wieder ostwärts wandern zu sollen, von hier, wo für meine Studien schon manche Hilfsmittel angeschafft wurden, wo ich in größerer Nähe ansehnlicher Bibliotheken bin, wo ich in lebendigerem Verkehr mit fremden und einheimischen Gelehrten stehen kann. Außerdem fühle ich mich in Krakau glücklich und zufrieden, während die Verhältnisse in Lemberg unter den Collegen, als ich es verließ, äußerst unangenehm waren und ich froh war es verlassen zu können; und seitdem haben sie sich dort noch eher verschlimmert.
Meine zweimalige Übersiedlung von Rastatt nach Lemberg und von dort nach Krakau hat für mich, namentlich wegen meiner zahlreichen Bücher, empfindliche Verluste gehabt. In Lemberg kaum eingerichtet mußte ich Alles größtentheils mit Verlust verkaufen und hier wieder anschaffen. Kaum daß ich mich allmählich zu erholen beginne, sollte ich mich von neuem in Verluste stürzen. Um so empfindlicher würde die Übersiedlung mir noch fallen, als ich sie mit den Kindern bewerkstelligen müßte. Auch darf ich hervorheben, daß ich in dem theuren Krakau meine Lage dadurch materiell gebessert habe, daß ich die Leitung der bis jetzt noch bestehenden Bursa der Studirenden übernommen und dadurch die Wohlthat freien Quartiers genieße, wobei ich glaube im Interesse der studirenden Jugend nicht ohne Erfolg zu wirken, wie es theilweise auch selbst das hohe Ministerium in seinem Erlasse vom 23. October 1856 Z 15576 zu erkennen gegeben hat. Ich würde in jedem Falle durch eine Übersetzung nach Lemberg meine pecuniäre Lage bedeutend verschlimmern.
Ich habe alle Gründe, die mich eine Versetzung nach Lemberg nicht wünschen lassen, mit voller Offenheit Eurer Excellenz dargelegt, weil ich zu Hochderselben jenes unbegränzte Vertrauen habe, das mich mein ganzes Herz bloßzustellen und zu erschließen gebietet. Es könnte mir also eine Versetzung dorthin unter den gegebenen Verhältnissen nur unlieb sein, und, von diesen persönlichen Motiven abgesehen, glaube ich, daß auch der dadurch zunächst angestrebte Zweck des Allgemeinen nicht, oder und höchst unvollkommen erreicht würde. Deshalb wage ich es, wie ich auch bereits dem Herrn Landespräsidenten geäußert habe, Eure Excellenz ganz unterthänigst und aus tiefstem Herzensgrunde zu bitten, von meiner Versetzung nach Lemberg gnädigst absehen zu wollen.
Wie immer und ewig verharre ich mit den Gefühlen wahrer Verehrung und vertrauensvoller Ergebenheit unwandelbar

Eurer Excellenz
dankbarster
B. Jülg

Krakau, am 22. April 1857