Agenor Goluchowski, Statthalter von Galizien, äußert sich zur Kritik des Erzbischofs von Lemberg, der die Qualität des Lateinunterrichts an den Gymnasien in Galizien bemängelt hatte. Der Bischof hatte sich geäußert, weil die mangelhaften Lateinkenntnisse negative Folgen für das Priesterseminar in Lemberg hätten, wo die Unterrichtssprache Latein sei. Goluchowski stimmt dem Urteil des Bischofs dahingehend zu, dass die Schüler tatsächlich schlechte Leistungen in Latein erbrächten. Die Gründe hierfür sucht er aber nicht bei den Lehrern oder deren Methoden, sondern er glaubt, dass die geringe Zahl an Unterrichtsstunden die Ursache sei. Goluchowski berichtet dann, dass die notwendigen Vorbereitungen für die Zuweisung von Gymnasien an den Jesuitenorden getroffen seien. Er wird hierzu einen eigenen Bericht erstatten. Der Statthalter weist Thun schließlich auf die seit langem erwartete Entscheidung bezüglich der Eröffnung einer theologischen Fakultät in Lemberg hin.
Olmütz, den 18. September 1853
Hochgeborner Graf!
In Erwiderung auf das verehrte Schreiben vom 8. September 1853 Z. 10/R gebe ich
mir die Ehre Euer Exzellenz über die durch den Herrn Erzbischof R[itter] von Baraniecki zur Sprache
gebrachten Unzukömmlichkeiten in Betreff des mangelhaften Unterrichts der
lateinischen Sprache in den galizischen Gymnasien nachstehende Äußerung
abzugeben. Es unterliegt keinem Zweifel, daß in Galizien die
Gymnasialschüler nach dem früheren Unterrichtsplane sich mit mehr Geläufigkeit
in der lateinischen Sprache auszudrücken vermochten. Diese Erscheinung findet
nicht etwa in der Unvollkommenheit der gegenwärtigen Unterrichtsmethode, wohl
aber darin ihre Begründung, daß in der Vorzeit mehr Unterrichtsstunden dem
Latein zugewendet und den Schülern mehr Pensa zur häuslichen Ausarbeitung
auferlegt wurden. Dagegen vereinigen sich alle Sachverständigen in dem
Ausspruche, daß die gegenwärtige Unterrichtsmethode der Gymnasialjugend weit
mehr zusage und daß anerkannt werden muß, wienach die Schüler dermalen den Geist
der lateinischen Sprache viel gründlicher studiren und daher trotz der
mangelnden Sprachgeläufigkeit die Klassiker besser verstehen. Wenn somit ein
absolvirter Gymnasiast – sobald derselbe die Maturitätsprüfung mit
entsprechendem Erfolge abgelegt hat – dem geistlichen Stande sich widmet, so
unterliegt es keinem Zweifel, daß es ihm ein leichtes sein werde, gleich im
ersten Jahrgange des theologischen Studiums, wo wie bekannt die
Unterrichtssprache die lateinische ist, die nothwendige Sprachgeläufigkeit sich
eigen zu machen.
Was insbesondere die Lemberger lateinischen Cleriker anbelangt, so habe ich die
Auskunft vom Herrn Erzbischof
erhalten, daß von den in den letzten zwey Jahren ins Seminar eingetretenen
Alumnen nur einer oder zweye die Maturitätsprüfung bestanden haben, es darf
somit kein Wunder nehmen, daß diesen Kandidaten des geistlichen Standes die
Kenntnis der lateinischen Sprache abging.
In Betreff der Zuordnung des einen
oder des andern Gymnasiums an die Ordenspriester der Gesellschaft Jesu sind
bereits mehrere Vorbereitungen getroffen worden und sobald der Ordensprovinzial
aus Rom – wohin er sich zur Wahl des Jesuiten Generals
verfügt hat – zurückgekommen sein wird, werde ich nicht ermangeln, an das
hohe
Unterrichtsministerium den einschlägigen Bericht zu erstatten. Was
endlich den Zustand der theologischen Fakultät in Lemberg anbelangt, so habe ich der
gegebenen Weisung gemäß den Herrn
Erzbischof auf die Zusicherungen Euer Exzellenz vertröstet,
allein er erwiderte mir darauf, daß ihm schon vor einem Jahre die nehmliche
Eröffnung von Seite Euer Exzellenz gemacht worden sey, ohne daß der frägliche
Gegenstand der endlichen Entscheidung näher gerückt worden wäre. Hiemit
entledige ich mich des mir gewordenen Auftrages.
Genehmigen Euer Exzellenz
den Ausdruck meiner ausgezeichnetesten Hochachtung, mit welcher ich zu verharren
die Ehre habe
Euer Exzellenz
ergebenster Diener
Goluchowsky