Agenor Goluchowski, Statthalter von Galizien, äußert sich zur Frage der
Ersetzung der kyrillischen durch lateinische Schriftzeichen in Galizien.
Goluchowski spricht sich für eine Ersetzung der kyrillischen
Schriftzeichen aus und zeigt sich davon überzeugt, dass damit die
separatistischen Kräfte im Land begrenzt werden könnten. Die Verwendung
der kyrillischen Schriftzeichen habe große symbolische Bedeutung. Daher
glaubt er, dass wohl mit Widerstand von Seite der Kirche zu rechnen sei.
Goluchowski betont auch, nicht eigenmächtig ein Verbot voranzutreiben,
sondern ihm sei bewusst, dass die Entscheidung in Wien fallen müsse.
Zuletzt weist er aber eindrücklich auf die Wichtigkeit der Angelegenheit
hin und hofft, dass Thun nicht allzu zögerlich handeln wird. Er wird
aber die Entscheidung Thuns respektieren.
In der Beilage schildert
Leo Thun Agenor Goluchowski seine Ansichten hinsichtlich der Reform der
ruthenischen Orthographie. Dabei betont er, dass er die Reform nur in
Zusammenarbeit mit den Ruthenen durchführen möchte. Ansonsten sei
neuerlicher Widerstand zu befürchten und nichts für die Sache
gewonnen.
Lemberg, am 15. July 1859
Verehrtester Freund!
Ich muß aufrichtig gestehen, daß die in Ihrem Schreiben vom 23. vorigen May
18591
ausgesprochenen Besorgnisse in mir den Gedanken wach gerufen haben, es schwebe
Ihnen die Befürchtung vor, daß ich mit unüberlegtem Eifer in die Frage wegen
Einführung einer neuen ruthenischen Ortographie einzugehen bemüht gewesen sey
und daß es demnach Ihrem Wunsche mehr zusagen würde, die ganze Sache fallen zu
lassen und auf halben Wege umzukehren. Der von Ihnen entsendete Ministerialsekretär und sämmtliche jüngst
vorgelegten Aktenstücke dürften laut dafür sprechen, daß ich mich keiner
Übereilung schuldig gemacht habe, wohl aber habe ich an einer mit voller
Überlegung betretenen Bahn festgehalten, weil ich von der innigsten Überzeugung
durchdrungen bin, daß der von den hiesigen ruthenischen Literaten verfolgte Weg
für Staat und Kirche gefährlich sey und daß es der äußerste Moment war, diesem
verderblichen Treiben mit Erfolg entgegenzutreten. Wenn Sie aber in Ihrem
bezogenen Schreiben mit vorzüglicher Bethonung unablässig darauf hindeuten, es
gehe nicht an, der ruthenischen Bevölkerung gegen ihren Willen unliebsame
Schriftzeichen aufzudringen und den ruthenischen Literaten ein donnerndes stat
pro ratione voluntas hinzuwerfen, so werden Sie mir andererseits wohl auch
zugeben wollen, daß von der Regierung nicht geduldet werden könne, damit ihren
wohl überdachten und thatsächlich begründeten Vorlagen seitens der spärlich
gesäten sogenannten Träger der ruthenischen Literatur, die bei strenger Prüfung
ihrer Leistungen nur Gefühlspolitiker sind, ein einfaches stat pro ratione
voluntas entgegengestellt werde, zumal es auf der Hand liegt und dem Blinden
klar sein muß, daß die ruthenische Literatur, gerade durch Benützung der
großrussischen Schriftzeichen, auf offenbar dem österreichischen Staatsleben
durchaus nicht zusagende, ja vielmehr schädliche Abwege gerathen sey.
Wie
viel daran wahres sey, daß das ruthenische Volk an den russischen oder
cyrilischen Schriftzeichen so unabänderlich halte, darüber geben meine Berichte
und deren Beilagen genügende Aufklärung, nur ein namhafter Theil der
Geistlichkeit ist den lateinischen Lettern abhold; theilweise, weil ihr die in
ihrem Kirchenleben alt gewordenen Zeichen lieb sind, den meisten griech.-kath.
Geistlichen aber deshalb, weil ihnen ein politischer und religiöser Anschluß an
Rußland so ausnehmend zusagt – ob aber
Österreichs Gutmüthigkeit so weit gehen
soll und darf, einem mit nichts begründeten Wunsche einer Fraktion der
ruthenischen Geistlichkeit mit Hintansetzung seiner staatlichen Interessen
nachzugeben, ist gerade der Gegenstand, worüber die Staatsmänner Österreichs ein endgiltiges Urtheil zu fällen
haben.
Sollte wider mein Erwarten die von der Regierung ausgegangene
Proposition an dem Starrsinne der griech.-kath. ruthenischen geistlichen
Würdeträger scheitern, so bleibt jedenfalls die Thatsache bezeichnend, daß
einerseits im Kaiserthume Rußland die
Bemühungen der kleinrussischen Literaten in Kiew, wo die
Versuche einer selbstständigen ruthenischen Literatur in den letzten zwey
Dezennien aufzukeimen begannen, von der russischen Regierung den heftigsten
Widerstand fanden, die lateinischen Lettern anzunehmen, weil die jenseitige
Regierung hierin eine thatsächliche Absonderung der kleinrussischen Literatur
von der großrussischen erblickte und daß andererseits die in ähnlichem Sinne
versuchten Bemühungen der kaiserlich österreichischen Regierung in
Galizien durch die Agitation der Träger der ruthenischen
Literatur, die zumeist dem griech.-kath. Klerus angehören, vereitelt worden sey;
weil letztere durch die Besorgnis beherrscht werden, daß durch die Einführung
der lateinischen Lettern die emporkeimende ruthenische Literatur in
Galizien der großrussischen entfremdet werde.
Mag nun
dieser Streit wie immer hohen Orts entschieden werden, ich für meinen Theil
trage in mir die Beruhigung, die kaiserliche Regierung auf die gefährliche und
widernatürliche Bahn aufmerksam gemacht zu haben, welche von den Ruthenen
betreten würde; sollten meine Worte nicht beherzigt werden, so können Sie
versichert sein, daß ich der schädlichen Entwicklung der ruthenischen Literatur
ruhig zusehen werde, ohne Ihnen mit meiner Anschauungsweise lästig zu werden, so
wie ich es bei so mancher Thätigkeit einzelner Mitglieder der hiesigen Universität thue, wo ich bei
Ihnen mit meinen Ideen nicht durchgedrungen bin. Meines Amtes ist, Sie auf
Unzukömmlichkeiten wie ich selbe auffasse aufmerksam zu machen, die Entscheidung
darüber liegt dagegen in Ihren Händen, daher ich auch nicht umhin kann, auf das
Treiben des Domherrn und Ministerialrathes Szaszkewicz, hinzudeuten, welcher wie ich es in
meinem Berichte bemerkte, unter seinen Stammgenossen durch schriftliche
Andeutungen gegen die beantragte Orthographie förmlich agitirte, sonstiger
Desideria glaube ich nicht mehr erwähnen zu dürfen, weil Sie mir im vorigen
Jahre mündlich versprachen in kürzester Frist so manche Streitfrage prinzipiell
zu lösen, dies jedoch bis nun nicht erfolgte. Nehmen Sie es mir nicht für Ungut,
wenn ich mich in dieser Art ganz offen und vertrauungsvoll expectorire allein
clara pacta probos faciunt amicos.
Aufrichtigst der Ihrige
Agenor Goluchowsky
Wien, den 23. Mai 1859
Wie Sie gesehen haben, bin ich in die Frage der ruthenischen Orthographie mit
allem Ernste eingegangen.
Ich bin auch wirklich der Überzeugung, daß das
ausgearbeitete Projekt gut ist und den Interessen der ruthenischen Sprache
und Literatur entspricht. Allein damit ist die Frage seiner Durchführbarkeit
noch nicht gelöst. Diese ist doch davon abhängig, daß auch die Überzeugung
der Ruthenen dafür gewonnen werde. Mit Gewalt läßt sich da nichts
Erfolgreiches durchsetzen. Allerdings haben wir jetzt die Macht in Händen,
alle Schulbücher wie es uns beliebt drucken zu lassen und somit den
Unterricht auf anderer Grundlage in den Schulen unmöglich zu machen. Wenn
das aber geschähe in entschiedenem Widerspruche mit der überwiegenden
Mehrzahl derer, die sich um die ruthenische Sprache interessiren, so wäre
damit gar nichts gewonnen; die Herstellung der Bedingungen einer weiteren
gedeihlichen Entwicklung des Unterrichtes würde der Regierung unmöglich
gemacht, der kaum beginnende Aufschwung des Volksschulwesens, der nur durch
freudiges Zusammenwirken möglich ist, zu Grunde gerichtet und die ganze
ruthenische Bevölkerung in Opposition gegen die Regierung getrieben. Dazu
werde ich meine Hand niemals hergeben. Ich halte es daher für überaus
wichtig, daß auch in der Berathungskommission, wenn sich Widerspruch zeigen
sollte, ihm nicht mit einem stat pro ratione voluntas, begegnet, sondern der
Diskussion der freieste Spielraum gelassen werde und bitte Sie
angelegentlich die Vorlage nicht als eine beschlossene Sache, sondern
aufrichtig als einen wohlgemeinten Vorschlag zu behandeln. Der Slave ist
gegen den Deutschen, der Ruthene gegen den Polen sehr mißtrauisch und es
läßt sich nicht verkennen, daß er dazu vielfachen Grund hat. Dahin zu
wirken, daß dieses Mißtrauen sich allmählig mindere, ist nach meiner
Überzeugung ungleich wichtiger als jede Änderung der
Schriftzeichen.
Wenn unser Projekt selbst gar keiner gegründeten
Einwendung ausgesetzt sein sollte, so ist doch vorherzusehen, daß es
vielfach mit Vorurtheilen zu kämpfen haben wird. Dem Ungebildeten
widerstrebt jede Neuerung (und darauf beruht großentheils die nothwendige
Stetigkeit der staatlichen Verhältnisse). Zu den Ungebildeten gehört aber in
Beziehung auf die vorliegende Angelegenheit nicht nur die ganze Masse des
Landvolkes, an welches wir mit den neuen Schriftzeichen herantreten wollen,
sondern auch so ziemlich der gesammte Clerus, auf dessen Thätigkeit wir in
den Schulen angewiesen sind. Ich war Zeuge des heftigen Widerstreites, der
in Böhmen vor etwa 20 Jahren ganz
unbedeutende Änderungen in der Orthographie veranlaßte, die nicht von der
Regierung, sondern von den anerkannten Führern der literarischen Bewegung
ausgingen. Es ist nun natürlich, daß diese Erscheinung sich unserem Projekte
gegenüber in viel höherem Grade herausstellen wird und die entgegenstehenden
Vorurtheile können nicht von uns, sondern nur durch die Mitwirkung von
Ruthenen selbst überwunden werden. Kann diese Mitwirkung, und zwar eine auf
Überzeugung nicht auf Wohldienerei gegründete Mitwirkung in reichlichem Maße
nicht sogleich erreicht werden, so wird es viel besser sein, nur den Anstoß
zu einer Diskussion, die jedenfalls zu gründlichen Studien anregen muß,
gegeben zu haben und die Durchführung späterer Zeit zu überlassen, als sich
der augenscheinlichen Gefahr auszusetzen, daß eine Maßregel, der das
aufrichtige Bestreben zu Grunde liegt, die ruthenische Sprache und Literatur
zu fördern, den Eindruck hervorbringe oder wenigstens zur Verdächtigung
Anlaß gebe, als wolle die Regierung mit einer nationalen Angelegenheit aus
weiß Gott was für Beweggründen, willkührlich schalten und walten.